Montag, 4. Januar 2010


Schneewehen






Fröhlicher Frost voraus, stundenlang kann man stapfen, wie verlorene Waisenkinder über endlose Deiche Muster schlurfen, Eiszapfen lutschen, die Strickmütze bis über die Nase ziehen. Absurde Anekdoten, Schnee von gestern, kullern den Hang zum Ufer hinunter, knirschenden Schritts aber tollt man wie ein spielender Hund in die andere Richtung. Man kann so lange gehen, über Schnee und Eis, immer weiter bis hinab zum Wasser. Dort dann wartet eine einfache Erkenntnis: Es gibt nur eines, über das man nicht hinwegkommt, und das ist die Unverfrorenheit.

Nach drei oder vier Stunden ist die Kälte durch die letzten Hühnerknochen gezogen, Dämmerung und eine gewisse Müdigkeit setzen ein und man spürt, warum der Kältetod ein angenehmer sein soll. Vom Robert-Walser-Gedächtnismarsch aber kehrt man besser zeitig zurück zu einem Heißgetränk für Tisch Nr 6. Das Knistern hören, wenn die gefrorenen Gefäße tauen.


 


Donnerstag, 31. Dezember 2009


Hat-hat



Gefeudelt und gewischt, Fenster lasse ich mal gut sein, ich denke, es ist soweit geschafft. Ich reite also gleich hinaus aus diesem seltsamen, überraschenden Jahr, das vielleicht gut daran tat, nicht die ganz großen Geschenke rüberzureichen. Man wäre ja sonst gleich wieder durchgedreht.

Doucement, das ist auch ein Motto. Seht zu, daß ihr um Mitternacht mit jemandem anstößt, der es mit euch auch will und nicht lieber mit irgendwelchen Fremden. Notfalls mit euch selbst, man kann da ruhig erfinderisch sein. Dann raus, mit leichtem Gepäck, links den Hügel runter und dann immer weiter.


 


Donnerstag, 24. Dezember 2009


Der weiße Kanal



Drüben auf der anderen Wasserseite liegt tatsächlich alles voller Schnee. Hier sind es mehr so Schleifen und Bänder und Klebefilm, Kordeln und hektisch zerwühlte Adressbücher. Dieses Jahr komme ich ja zu nichts, von wegen, ich bastel euch allen ein Lebkuchenhaus. Das hat früher die Großmutter übernommen, als der Schnee an Weihnachten sechs Meter hoch lag und die Gäste mit dem Pferdegespann... oder war das in einem Film? Ich komm jetzt nicht drauf, es geht hier alles ein wenig durcheinander.

Sechs Jahre Hermetisches Café sind es heute, bald kann ich Fenster einbauen. Frohes Fest also, und denkt dran, Geschenke gibt es erst, wenn das Glöckchen klingelt.


 


Montag, 21. Dezember 2009


2009

Empty shell of what used to be
Shadows of my life hangin' over me
Helpless man long ago
Won't even stand a devil's chance
To rule my soul.

(Timebox, "Beggin'". 1968.)

Januar. Eisvergnügen. Februar. Schnee. Die nunmehr alten Orte, letzte Winter. März. Tristesse-Fahrten. Lotsenspiele, dann die Rückkehr wagen und fast auf Grund laufen. April. Frühlingsvergnüglich sein, längst getrocknete Tränen abwischen. Mai. Miss-Wahlen, missvergnügt, missverstanden. Den Glauben nicht verlieren. Juni. Raus. Anheuern. Wegfahren. Juli. No Tears For The Creatures Of The Night. So viel zu erinnern. Vergeben, nichts vergessen. August. Neue Träume. Andere Musik. September. Heim. Oktober. Spüren, daß Eis nicht gleich Eis ist. Reich beschenkt sein. November. Wagen, Versagen. Immer noch überrascht sein und immer wieder. Dezember. Sich die Illusion zum Freund machen.

In Frost verpackt, ein sich selbst schützender Start, Leuchtfeuer über dem Palmenstrand, so viel, was man noch zornesblitzend hätte hinausschleudern können, sollen vielleicht. Die Koffer hinaustreten, im Schnee versenken, das Augenrollen der Freunde nicht länger abwehren, sich dann langsam auch mal selbst verzeihen. Plötzlich auch mal Ruhe finden (es braucht *Ommm* die Zeit, die es braucht *Ommm*), sich in den Bauch pieken lassen, sich aufziehen lassen, sich am Ohr ziehen lassen. Überrascht sein, wie andere auch 1 und 1 zusammenzählen können. Überrascht auch spüren, wo man am richtigen Ort ist, die richtigen Worte hören, kleine Berührungen, ein Lied summen, Menschen, die einen zur Seite nehmen, zaghaft das eine und das andere aber auch zurechtrücken. Übers Wasser fahren, traurig, glücklich, sich daran erinnern, daß es heißt, immer weiter zu machen. Beruflich plötzlich einen unerwarteten Aufstieg machen, gleich den Ausstieg planen, neue Grenzen erfahren, eine andere Art von Klang und Energie und Widerstand, sich fasziniert einer Gefahr hingeben. Sich überwältigen lassen. Ein wunderbar wunderliches Jahr, mit Schmerz und Zorn und zärtlichen Gefühlen. Mit leichten Momenten, durchtanzten Nächten, unbefangenen Geständnissen, geschützten Räumen, neuer Sehnsucht, einem Flüstern und einem Geschenk.


 


Freitag, 18. Dezember 2009


Innerliches

Das Heim und das Heimliche kehren zurück. Die Menschen seien "zu lange draußen" gewesen, hieß es vor einigen Wochen im Zeit-Magazin über die gewesene Epoche der allgegegenwärtigen Mode des to go. Die Krise dränge die Menschen zum - alle paar Jahre ausgerufenen - Cocooning. Mir macht es nichts aus, woanders ist schön, ich aber habe es hübsch daheim und kann folglich beides.

Wie man es hingegen besser nicht macht, zeigt dieses Beispiel. Ein alteingesessenes Stück voller Patina und abgewetzter Geschichte dilettantisch übergesprayed - The Horror! The Horror! würde der Colonel Kurtz des Homeimprovements entsetzt im Herzen der innendekoratorischen Finsternis murmeln.

Vernünftige Raumgestaltung, heißt es, ersetze manche Fernreise. Wo man sich im Alltag wohlfühlt und ästhetisch umfangen, wird das Konzept des Urlaubs ja fast obsolet - jedenfalls wenn es um reine Erholung geht. Der Bildungswert einer Reise, die Anregungen und Aufregungen, die man am anderen Ort erlebt, sind weiterhin durch nichts zu simulieren. Alles andere sei alltags bloß ein Ersatz. Ich mache es geschickt: Meine Wohnung sieht zur Zeit aus wie ein aufgeplatzter Reisekoffer. Manchmal halte ich mir eine leicht getönte und zerkratzte Scheibe vors Gesicht und winke meinen Sachen zu als säße ich in einem Flugzeug und sähe meine Habseligkeiten still ergossen auf dem Rollfeld liegen. Ein Urlaub daheim.


 


Mittwoch, 9. Dezember 2009


Lichter der Vorstadt



Wenn man abends wie ein altes Väterchen vom Kohlenklau schwer bepackt und müde die sieben Stockwerke zu seinem Leuchtturm hinaufsteigt, freut man sich ja den Frost von den Fingern, wenn auf der Schwelle schon ein Päckchen wartet. Die formidable Miss Monolog war so freundlich, mich mit köstlichen Keksen aus der Hauptstadt zu versorgen. Wie mondän mein Leben plötzlich ist! Gern würde ich einen Prosecco dazu trinken, mich demonstrativ ans Fenster stellen, die obersten Knöpfe leger geöffnet, und den feschen Nachbarinnen vom Hinterhof keck zulächeln.

Das Leben, das mir eben noch wie sonst nur märkischer Sand zwischen den Zähnen knirschen wollte, hat nun wieder einen gaumenfreundlichen Sinn.


 


Mittwoch, 2. Dezember 2009


Wer hat Angst vor Grau, Grau und Grau?



Heute morgen durch den Rauhreif geschlittert. In der doppelverglasten Welt gibt es ja keine Frostblumen mehr an den Fenstern, die man anhauchen könnte und an die Lippen kleben, um sie irgendwann weiterzuschenken. Klare Luft, sich selbst aus dem Nebel zerren, die Zukunft aus Atemwolken lesen, an der Bushaltestelle trippeln, sich an ein Herzklopfen erinnern. Die Hände tief in die Manteltaschen graben, im Sediment zerfriemelte Nachrichten finden. Wir werden alle...


 


Freitag, 27. November 2009


Klatsch, aber auch Tratsch

Marcus Schenkenberg (41), las ich heute, moduliert seine unterwäschegeprägten Tage mit einer jungen Sissi (18). Ein wenig jung, möchte man unken, aber man muß die Worte des Herrn Assauer (65) bedenken, der seiner Ex (44) den jungen neuen Freund (25) nicht neidet. Ich selbst (37) bin ja noch nicht so alt wie mein Gitarrenkollege Ron Wood (102), der mit irgendeiner Ekaterina (20) neue Saiten aufzog. Nicole Kidman (36C) hingegen hat einen gleichaltrigen Kindskopf geheiratet, was wiederum Wispersängerin Madonna (85) nicht passierte, weil ihr Liebhaber 112 jahre jünger ist und die Beine ganz weit nach oben werfen kann. Wundergeiger David Garret (21) liebt nur seine Geige (272), aber das ist ok, liebe ich doch nur mein Blog (fast 6). Lothar M. (48) wiederum ist mit 150 Länderspielen und einer Dings, na, Öh (21) verheiratet. Glücklich, was sonst.


 


Mittwoch, 25. November 2009


Eye-Mote

Laut "Hallo" rufen (Betonung auf der zweiten Silbe, "It's really good to be here."), Türe aufreißen und sich verwirrt im falschen Zimmer finden. Bemerken (Übersprungshandlung), daß man einen Splitter im Auge hat. Türe langsam wieder schließen, leise, leise.



I can't stand to reason at your door in this time (Sonic Youth, "Mote")


 


Dienstag, 24. November 2009


Die Wetterklage, nachrichten



Reduktion. Die Welt, sagen wir mal, in immer knapperen, dichteren Sätzen nachbauen. Den Satzbau zertrümmern, erst die Girlanden über Bord werfen, dann die Rinde wegschneiden, am Ende das Entkernen. Am Ende Gerüstwerk lassen interpunktionlos Stümmelsprache am Ende

Guten Tag sagen blicklos berührungslos [also eben nicht: ein Touchscreen sein]. Ich denk doch was ihr wollt

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