Dienstag, 26. Januar 2010
Slips the shore
(Sonic Youth, "Leaky Lifeboat")
Ich weiß, ihr seid alle so hart. Aber ich, ich bin härter.
In der Stadt gibt es keine kleinen roten Sportwagen mehr, und die jungen blonden Dinger sind alle vergeben. Also mußte eine Tätowierung her. Sobald der Hafen endlich frostfrei ist, heuer ich wieder an. Große Reise 2010.
Donnerstag, 21. Januar 2010
Über Schnapszahlen nachdenkend bin ich schnell bei meinem Kneipenroman "Die Ischen und ich" (Hamburg, 2007) gelandet, die Schilderung eines saumseligen Gesellenlebens immer hart am Thekenrand entlang. "Dort, wo es heißt, komm' mach noch einen, wo sich die Geräusche heiseren Lallens vor und dem Gurgeln des Gläserspülens hinter dem kupferbesetzten Trennwall zwischen Service und Austrinken vermengen, spielen die Geschichten zwischen Nacht und Morgengrauen. In "Die Ischen und ich" treffen sich nüchterne Verlierer und trunkene Gewinner, Halb- und Viertelschöne im trübelektrischen Licht der..." usw. usf. (Klappentext).
Es sind natürlich bloß alkoholfahnig wiederbelebte Erinnerungen, ein beschworenes Damals™ also, die Zeit, als einfach alles auseinanderflog, pure Energie, ein Geruch aus Haarspray, kaltem Rauch und billigem, billigem Wein. In der Nacht langes Hocken auf irgendwelchen Treppenstufen, Geräuschfetzen, irgendeine Musik, Sex Beat. Auch schon tot.
Näherungswaisen. Bier- und staubverklebte Oberbekleidung, und das darunter konnte man ja nicht wissen. Halluzinatorische Jahre, von hierhin nach dorthin, immer unterwegs, die Angst vor dem Stehenbleiben, und wenn, dann nur "kurz mal gucken", weil da ein Sternenhimmel war oder ein schrecklicher Unfall. Heute ist man ja beladen und zu ausgefranst auch, um schnittig um die Ecken zu stehen. Die alten Träume längst verhandelt, kauft man billig gebraucht, 3, 2, 1, und dann noch eins. Läßt sich erzählen und erzählt, zwei und zwei und zwei und zwei. Das könnte auch eine falsche Telefonnummer sein, ein Geburtsdatum, ein Nachtbus oder Tip für den nächsten Lottoschein. Immer weiter also. Weiter voran.
Montag, 11. Januar 2010
Dem Rotkäppchen in den Winterwald folgen. Ein Frostlied auf den Lippen, während ich mit jedem Schritt größer werde, so sammelt der Schnee sich unter den Sohlen. Ein frostiger Riese, Eiszapfen in den verwaigelten Augenbrauen, grimmig puste ich Atemwolken in das weiße Geflirr. Am Grenzhäuschen vorbeipumpen, sich im Hochwald verlaufen, verwalsern, spurlose Waisen, mit klammen Fingern die letzte Leuchtrakete suchen. Sich so eingraben, daß kein Suchtrupp mich findet, Bernhardiner ihre Fäßchen nicht bringen. Wie der Schnee unter den Schritten knirscht, quietscht und knarzt und harscht. Wie es nicht hell wird, wie jeder Schritt in den Neuschnee gleich alles Unbefleckte zerstört. Destroy everything you touch.
Montag, 4. Januar 2010
Fröhlicher Frost voraus, stundenlang kann man stapfen, wie verlorene Waisenkinder über endlose Deiche Muster schlurfen, Eiszapfen lutschen, die Strickmütze bis über die Nase ziehen. Absurde Anekdoten, Schnee von gestern, kullern den Hang zum Ufer hinunter, knirschenden Schritts aber tollt man wie ein spielender Hund in die andere Richtung. Man kann so lange gehen, über Schnee und Eis, immer weiter bis hinab zum Wasser. Dort dann wartet eine einfache Erkenntnis: Es gibt nur eines, über das man nicht hinwegkommt, und das ist die Unverfrorenheit.
Nach drei oder vier Stunden ist die Kälte durch die letzten Hühnerknochen gezogen, Dämmerung und eine gewisse Müdigkeit setzen ein und man spürt, warum der Kältetod ein angenehmer sein soll. Vom Robert-Walser-Gedächtnismarsch aber kehrt man besser zeitig zurück zu einem Heißgetränk für Tisch Nr 6. Das Knistern hören, wenn die gefrorenen Gefäße tauen.
Donnerstag, 31. Dezember 2009
Gefeudelt und gewischt, Fenster lasse ich mal gut sein, ich denke, es ist soweit geschafft. Ich reite also gleich hinaus aus diesem seltsamen, überraschenden Jahr, das vielleicht gut daran tat, nicht die ganz großen Geschenke rüberzureichen. Man wäre ja sonst gleich wieder durchgedreht.
Doucement, das ist auch ein Motto. Seht zu, daß ihr um Mitternacht mit jemandem anstößt, der es mit euch auch will und nicht lieber mit irgendwelchen Fremden. Notfalls mit euch selbst, man kann da ruhig erfinderisch sein. Dann raus, mit leichtem Gepäck, links den Hügel runter und dann immer weiter.
Donnerstag, 24. Dezember 2009
Drüben auf der anderen Wasserseite liegt tatsächlich alles voller Schnee. Hier sind es mehr so Schleifen und Bänder und Klebefilm, Kordeln und hektisch zerwühlte Adressbücher. Dieses Jahr komme ich ja zu nichts, von wegen, ich bastel euch allen ein Lebkuchenhaus. Das hat früher die Großmutter übernommen, als der Schnee an Weihnachten sechs Meter hoch lag und die Gäste mit dem Pferdegespann... oder war das in einem Film? Ich komm jetzt nicht drauf, es geht hier alles ein wenig durcheinander.
Sechs Jahre Hermetisches Café sind es heute, bald kann ich Fenster einbauen. Frohes Fest also, und denkt dran, Geschenke gibt es erst, wenn das Glöckchen klingelt.
Montag, 21. Dezember 2009
Shadows of my life hangin' over me
Helpless man long ago
Won't even stand a devil's chance
To rule my soul.
(Timebox, "Beggin'". 1968.)
Januar. Eisvergnügen. Februar. Schnee. Die nunmehr alten Orte, letzte Winter. März. Tristesse-Fahrten. Lotsenspiele, dann die Rückkehr wagen und fast auf Grund laufen. April. Frühlingsvergnüglich sein, längst getrocknete Tränen abwischen. Mai. Miss-Wahlen, missvergnügt, missverstanden. Den Glauben nicht verlieren. Juni. Raus. Anheuern. Wegfahren. Juli. No Tears For The Creatures Of The Night. So viel zu erinnern. Vergeben, nichts vergessen. August. Neue Träume. Andere Musik. September. Heim. Oktober. Spüren, daß Eis nicht gleich Eis ist. Reich beschenkt sein. November. Wagen, Versagen. Immer noch überrascht sein und immer wieder. Dezember. Sich die Illusion zum Freund machen.
In Frost verpackt, ein sich selbst schützender Start, Leuchtfeuer über dem Palmenstrand, so viel, was man noch zornesblitzend hätte hinausschleudern können, sollen vielleicht. Die Koffer hinaustreten, im Schnee versenken, das Augenrollen der Freunde nicht länger abwehren, sich dann langsam auch mal selbst verzeihen. Plötzlich auch mal Ruhe finden (es braucht *Ommm* die Zeit, die es braucht *Ommm*), sich in den Bauch pieken lassen, sich aufziehen lassen, sich am Ohr ziehen lassen. Überrascht sein, wie andere auch 1 und 1 zusammenzählen können. Überrascht auch spüren, wo man am richtigen Ort ist, die richtigen Worte hören, kleine Berührungen, ein Lied summen, Menschen, die einen zur Seite nehmen, zaghaft das eine und das andere aber auch zurechtrücken. Übers Wasser fahren, traurig, glücklich, sich daran erinnern, daß es heißt, immer weiter zu machen. Beruflich plötzlich einen unerwarteten Aufstieg machen, gleich den Ausstieg planen, neue Grenzen erfahren, eine andere Art von Klang und Energie und Widerstand, sich fasziniert einer Gefahr hingeben. Sich überwältigen lassen. Ein wunderbar wunderliches Jahr, mit Schmerz und Zorn und zärtlichen Gefühlen. Mit leichten Momenten, durchtanzten Nächten, unbefangenen Geständnissen, geschützten Räumen, neuer Sehnsucht, einem Flüstern und einem Geschenk.
Freitag, 18. Dezember 2009
Das Heim und das Heimliche kehren zurück. Die Menschen seien "zu lange draußen" gewesen, hieß es vor einigen Wochen im Zeit-Magazin über die gewesene Epoche der allgegegenwärtigen Mode des to go. Die Krise dränge die Menschen zum - alle paar Jahre ausgerufenen - Cocooning. Mir macht es nichts aus, woanders ist schön, ich aber habe es hübsch daheim und kann folglich beides.
Wie man es hingegen besser nicht macht, zeigt dieses Beispiel. Ein alteingesessenes Stück voller Patina und abgewetzter Geschichte dilettantisch übergesprayed - The Horror! The Horror! würde der Colonel Kurtz des Homeimprovements entsetzt im Herzen der innendekoratorischen Finsternis murmeln.
Vernünftige Raumgestaltung, heißt es, ersetze manche Fernreise. Wo man sich im Alltag wohlfühlt und ästhetisch umfangen, wird das Konzept des Urlaubs ja fast obsolet - jedenfalls wenn es um reine Erholung geht. Der Bildungswert einer Reise, die Anregungen und Aufregungen, die man am anderen Ort erlebt, sind weiterhin durch nichts zu simulieren. Alles andere sei alltags bloß ein Ersatz. Ich mache es geschickt: Meine Wohnung sieht zur Zeit aus wie ein aufgeplatzter Reisekoffer. Manchmal halte ich mir eine leicht getönte und zerkratzte Scheibe vors Gesicht und winke meinen Sachen zu als säße ich in einem Flugzeug und sähe meine Habseligkeiten still ergossen auf dem Rollfeld liegen. Ein Urlaub daheim.
Mittwoch, 9. Dezember 2009
Wenn man abends wie ein altes Väterchen vom Kohlenklau schwer bepackt und müde die sieben Stockwerke zu seinem Leuchtturm hinaufsteigt, freut man sich ja den Frost von den Fingern, wenn auf der Schwelle schon ein Päckchen wartet. Die formidable Miss Monolog war so freundlich, mich mit köstlichen Keksen aus der Hauptstadt zu versorgen. Wie mondän mein Leben plötzlich ist! Gern würde ich einen Prosecco dazu trinken, mich demonstrativ ans Fenster stellen, die obersten Knöpfe leger geöffnet, und den feschen Nachbarinnen vom Hinterhof keck zulächeln.
Das Leben, das mir eben noch wie sonst nur märkischer Sand zwischen den Zähnen knirschen wollte, hat nun wieder einen gaumenfreundlichen Sinn.
Mittwoch, 2. Dezember 2009
Heute morgen durch den Rauhreif geschlittert. In der doppelverglasten Welt gibt es ja keine Frostblumen mehr an den Fenstern, die man anhauchen könnte und an die Lippen kleben, um sie irgendwann weiterzuschenken. Klare Luft, sich selbst aus dem Nebel zerren, die Zukunft aus Atemwolken lesen, an der Bushaltestelle trippeln, sich an ein Herzklopfen erinnern. Die Hände tief in die Manteltaschen graben, im Sediment zerfriemelte Nachrichten finden. Wir werden alle...