Montag, 21. Dezember 2009
Shadows of my life hangin' over me
Helpless man long ago
Won't even stand a devil's chance
To rule my soul.
(Timebox, "Beggin'". 1968.)
Januar. Eisvergnügen. Februar. Schnee. Die nunmehr alten Orte, letzte Winter. März. Tristesse-Fahrten. Lotsenspiele, dann die Rückkehr wagen und fast auf Grund laufen. April. Frühlingsvergnüglich sein, längst getrocknete Tränen abwischen. Mai. Miss-Wahlen, missvergnügt, missverstanden. Den Glauben nicht verlieren. Juni. Raus. Anheuern. Wegfahren. Juli. No Tears For The Creatures Of The Night. So viel zu erinnern. Vergeben, nichts vergessen. August. Neue Träume. Andere Musik. September. Heim. Oktober. Spüren, daß Eis nicht gleich Eis ist. Reich beschenkt sein. November. Wagen, Versagen. Immer noch überrascht sein und immer wieder. Dezember. Sich die Illusion zum Freund machen.
In Frost verpackt, ein sich selbst schützender Start, Leuchtfeuer über dem Palmenstrand, so viel, was man noch zornesblitzend hätte hinausschleudern können, sollen vielleicht. Die Koffer hinaustreten, im Schnee versenken, das Augenrollen der Freunde nicht länger abwehren, sich dann langsam auch mal selbst verzeihen. Plötzlich auch mal Ruhe finden (es braucht *Ommm* die Zeit, die es braucht *Ommm*), sich in den Bauch pieken lassen, sich aufziehen lassen, sich am Ohr ziehen lassen. Überrascht sein, wie andere auch 1 und 1 zusammenzählen können. Überrascht auch spüren, wo man am richtigen Ort ist, die richtigen Worte hören, kleine Berührungen, ein Lied summen, Menschen, die einen zur Seite nehmen, zaghaft das eine und das andere aber auch zurechtrücken. Übers Wasser fahren, traurig, glücklich, sich daran erinnern, daß es heißt, immer weiter zu machen. Beruflich plötzlich einen unerwarteten Aufstieg machen, gleich den Ausstieg planen, neue Grenzen erfahren, eine andere Art von Klang und Energie und Widerstand, sich fasziniert einer Gefahr hingeben. Sich überwältigen lassen. Ein wunderbar wunderliches Jahr, mit Schmerz und Zorn und zärtlichen Gefühlen. Mit leichten Momenten, durchtanzten Nächten, unbefangenen Geständnissen, geschützten Räumen, neuer Sehnsucht, einem Flüstern und einem Geschenk.

Freitag, 18. Dezember 2009
Das Heim und das Heimliche kehren zurück. Die Menschen seien "zu lange draußen" gewesen, hieß es vor einigen Wochen im Zeit-Magazin über die gewesene Epoche der allgegegenwärtigen Mode des to go. Die Krise dränge die Menschen zum - alle paar Jahre ausgerufenen - Cocooning. Mir macht es nichts aus, woanders ist schön, ich aber habe es hübsch daheim und kann folglich beides.
Wie man es hingegen besser nicht macht, zeigt dieses Beispiel. Ein alteingesessenes Stück voller Patina und abgewetzter Geschichte dilettantisch übergesprayed - The Horror! The Horror! würde der Colonel Kurtz des Homeimprovements entsetzt im Herzen der innendekoratorischen Finsternis murmeln.
Vernünftige Raumgestaltung, heißt es, ersetze manche Fernreise. Wo man sich im Alltag wohlfühlt und ästhetisch umfangen, wird das Konzept des Urlaubs ja fast obsolet - jedenfalls wenn es um reine Erholung geht. Der Bildungswert einer Reise, die Anregungen und Aufregungen, die man am anderen Ort erlebt, sind weiterhin durch nichts zu simulieren. Alles andere sei alltags bloß ein Ersatz. Ich mache es geschickt: Meine Wohnung sieht zur Zeit aus wie ein aufgeplatzter Reisekoffer. Manchmal halte ich mir eine leicht getönte und zerkratzte Scheibe vors Gesicht und winke meinen Sachen zu als säße ich in einem Flugzeug und sähe meine Habseligkeiten still ergossen auf dem Rollfeld liegen. Ein Urlaub daheim.

Mittwoch, 9. Dezember 2009
Wenn man abends wie ein altes Väterchen vom Kohlenklau schwer bepackt und müde die sieben Stockwerke zu seinem Leuchtturm hinaufsteigt, freut man sich ja den Frost von den Fingern, wenn auf der Schwelle schon ein Päckchen wartet. Die formidable Miss Monolog war so freundlich, mich mit köstlichen Keksen aus der Hauptstadt zu versorgen. Wie mondän mein Leben plötzlich ist! Gern würde ich einen Prosecco dazu trinken, mich demonstrativ ans Fenster stellen, die obersten Knöpfe leger geöffnet, und den feschen Nachbarinnen vom Hinterhof keck zulächeln.
Das Leben, das mir eben noch wie sonst nur märkischer Sand zwischen den Zähnen knirschen wollte, hat nun wieder einen gaumenfreundlichen Sinn.

Mittwoch, 2. Dezember 2009
Heute morgen durch den Rauhreif geschlittert. In der doppelverglasten Welt gibt es ja keine Frostblumen mehr an den Fenstern, die man anhauchen könnte und an die Lippen kleben, um sie irgendwann weiterzuschenken. Klare Luft, sich selbst aus dem Nebel zerren, die Zukunft aus Atemwolken lesen, an der Bushaltestelle trippeln, sich an ein Herzklopfen erinnern. Die Hände tief in die Manteltaschen graben, im Sediment zerfriemelte Nachrichten finden. Wir werden alle...

Freitag, 27. November 2009
Marcus Schenkenberg (41), las ich heute, moduliert seine unterwäschegeprägten Tage mit einer jungen Sissi (18). Ein wenig jung, möchte man unken, aber man muß die Worte des Herrn Assauer (65) bedenken, der seiner Ex (44) den jungen neuen Freund (25) nicht neidet. Ich selbst (37) bin ja noch nicht so alt wie mein Gitarrenkollege Ron Wood (102), der mit irgendeiner Ekaterina (20) neue Saiten aufzog. Nicole Kidman (36C) hingegen hat einen gleichaltrigen Kindskopf geheiratet, was wiederum Wispersängerin Madonna (85) nicht passierte, weil ihr Liebhaber 112 jahre jünger ist und die Beine ganz weit nach oben werfen kann. Wundergeiger David Garret (21) liebt nur seine Geige (272), aber das ist ok, liebe ich doch nur mein Blog (fast 6). Lothar M. (48) wiederum ist mit 150 Länderspielen und einer Dings, na, Öh (21) verheiratet. Glücklich, was sonst.

Mittwoch, 25. November 2009
Laut "Hallo" rufen (Betonung auf der zweiten Silbe, "It's really good to be here."), Türe aufreißen und sich verwirrt im falschen Zimmer finden. Bemerken (Übersprungshandlung), daß man einen Splitter im Auge hat. Türe langsam wieder schließen, leise, leise.
I can't stand to reason at your door in this time (Sonic Youth, "Mote")

Dienstag, 24. November 2009
Reduktion. Die Welt, sagen wir mal, in immer knapperen, dichteren Sätzen nachbauen. Den Satzbau zertrümmern, erst die Girlanden über Bord werfen, dann die Rinde wegschneiden, am Ende das Entkernen. Am Ende Gerüstwerk lassen interpunktionlos Stümmelsprache am Ende
Guten Tag sagen blicklos berührungslos [also eben nicht: ein Touchscreen sein]. Ich denk doch was ihr wollt
7:37

Freitag, 20. November 2009
Langsam die Türen schließen, das Laub kehren. Die Kleiderlagen verdoppeln, die Schicht. Sich selber etwas erzählen, die Pointe niemals erfahren wollen. Das letzte Obst verschenken, und ich sage noch, iß mal was, so blaß. Alles in einen Nebel packen.

Mittwoch, 18. November 2009
Während ich in der Umkleide vor diesen Spiegeln, in denen man sich in einem die feinsten Falten enthüllenden Licht gleichzeitig von allen Seiten sehen kann, Rockerposen einstudiere, ein beschwingtes Luftgitarrensolo als Begleitung zur kompressorgezähmten Jugendagitationsmusik in den Ladenlautsprechern beisteuere, dann aber in eine Arnold-Pose zurückwechsle, die ich aber doch nicht genau beurteilen kann, weil ich zum Glück und Selbstschutz auch die Brille abgenommen hatte. Mehr gibt es zum Hosenkauf nicht zu sagen.
Auf dem Weg zum Lebensmittelmarkt liegt auf einem kleinen Flecken Grün seit Wochen nun ein totes Kaninchen. Erst hatte ich es fotografiert, frisch von einem Auto erwischt, aber super intakt, nur ein wenig naß vom Regen und der Aufregung. Mittlerweile, man merkt die mangelnde Anteilnahme in diesen vergessenen Stadtteilen - und ich als Chronist darf die Wirklichkeit ja nicht verändern -, ist dem armen Tier ein wenig die Luft ausgegangen. Selbst ich möchte es nicht mehr fotografieren, obwohl sich sicher eine interessante Zeitrafferstudie hätte machen lassen. Ein weiteres 365-Tage-Projekt, von denen es auf Flickr nur so wimmelt. Daily Bunny, eine Studie in De/Komposition. Diesem Hasenartigen erklärt keiner mehr die Kunst, würde ich heute diagnostizieren, aber mal schauen, was in den nächsten Wochen noch so wird. Manches insgeheim schon Aufgegebene hat sich ja auf wundersame Weise zurückviviert, mit zagendem Puls und flackernder Hoffnung.
Muß man aber zeitig aufstehen, den Tag, den Zug, den Schuß nicht verpassen. Early to bed, early to rise, makes a man healthy, wealthy and wise. Ich habe lange genug antizyklisch gelebt, um zu wissen, daß das stimmt. Ich schaue jetzt aber niemanden direkt dabei an.

Montag, 2. November 2009
Man weiß natürlich nie, was dahinter liegt. Was einen erwartet, wenn man weitergeht, welche Abzweigungen drohen oder locken. Wichtig ist der Moment, in dem man sagt: Karte? Hab' ich auch nicht. Aber mir scheint es hier entlang richtig.
Und immer freiwillig.
