Donnerstag, 4. Februar 2010
In meinem neuen Film Eiskalt - A Hamburger Love Story spiele ich den brutalen Leibwächter eines hartgesottenen Kiezbarons. Da es sich um das Genre einer rabiaten Komödie handelt (deshalb auch die tätowierten Hände), meinte meine Schauspielagentin, das ginge schon ok, ich müsse einfach einen Drei-Tage-Bart tragen, den Geist von Viggo Mortensen channeln und dazu mein Buster-Keaton-Gesicht ziehen.
Heute stand eine Szene auf dem Drehplan, die man für gewöhnlich ans Ende der Arbeiten legt, für den Fall, daß dem Darsteller etwas passiert. Weil wir hier in Hamburg sind, also authentisch, war es aber die Auftaktszene. Zum Warmwerden. Laut Skript mußte ich im Halbdunkel auf einer Nebenstraße in St. Pauli (wir drehten aber woanders, im Film wird ja grundsätzlich gelogen), zielstrebig übers Eis gehen, werde dabei aber von einem unsichtbaren Gegner niedergeschlagen (es ist ein bißchen auch eine surrealistische Komödie). Da ich meine Stunts immer selber mache, schickte ich mein Körperdouble also zu Dittsches Imbiß und absolvierte derweil eine meiner berühmten One-Take-Scenes (Ich hasse Wiederholungen, vor allem bei der Arbeit). Also los, zielstrebig übers Eis, dabei eine Tasche mit Einkäufen für das Abendessen mit dem Kiezbaron in der Hand - und zack! schlug mich mitten auf dem vereisten Bürgersteig dieser feige Mistkerl von einem unsichtbaren Gegner nieder! Alles nach Plan, bis auf eine umstehende junge Dame, die den Unsichtbaren natürlich nicht sehen konnte und sich wunderte, warum dieser wie ein durchtrainierter Bodyguard wirkende Bär-von-einem-Mann (damit bin ich gemeint) urplötzlich der Länge nach über das Eis schlitterte, dabei aber die Rutschpartie geschickt (ich bitte darum) mit seinem Gesicht abbremste (die Hände hatte ich ja nicht frei, weil:) und dabei seine Einkäufe verbissen mit den Händen umklammerte verteidigte (wenn ich einen Auftrag habe, habe ich einen Auftrag).
(Da es sich um eine A-Produktion handelt, konnte ich, als sich die junge Dame besorgt über mich beugte, den berühmten B-Film-Spruch "Lassen Sie mich liegen, allein können Sie es schaffen" nicht bringen.)
Pesto gerettet, Gelenke gestaucht, Kopf ein Brummschädel - aber alles für die Kunst. Es wird mein Durchbruch nach Hollywood sein, die Sterne kann ich schon sehen. Good Night, and Good Luck, ich leg' mich jetzt aber lieber kurz mal hin.

Sonntag, 31. Januar 2010
Nach dem Schringern der Fabriksirene schnell noch ein paar Grate entfernt, Holzwolle in die Kisten gestopft, zum Wochenende soll die Lieferung raus, dann aber schnell den Scheitel nachgezogen, die Krawatte angelegt und raus, den Hunger unterm Arm. Lady Grey im Café entdeckt, hinaus ins Tauwetter gelockt, durch Eisschlick geschlittert, die Stufen zu einem Italiener hinab. Nachdem uns die Schneekatastrophe schon seit Wochen in Atem hält, ist man froh um ein wenig kerzenschummrige Wärme, den Mann, der die Rosen feilbietet oder ein Polaroid machen will. Gegenseitig lesen wir uns die Listen unserer Hamsterkäufe vor, reden über Haltbarkeitsdaten und wie man das Verdorbene unter den Lebensmitteln findet. Viel gelacht, dabei für die Trüffeltortellonis entschieden, ein bemerkenswert wohlschmeckendes Gericht, das ich mir vormerke für die Zeiten, in denen ein Käsebrot mal nicht verfügbar ist. Es ist eben ein echter Italiener, was man schon daran merken kann, daß auf dem Männerklo eine Flasche mit Haargel ("Wet Look") steht, falls zum Beispiel Luca Toni vorbeikommt und sich ein wenig die schwarzen Strähnen legen will.
Frau Grey trägt ihr derzeit bestes Kleid, ich immerhin ihren bezaubernden Button am Revers. Dann schenkt sie mir, seltene Geste für Männer meines Alters, ein Herz, ich verkneife mir das mit dem pragmatisch!, denn es spart ja wirklich Schmerz & Geld. Statt immer neuer Tätowierungen und deren Überarbeitungen, die wichtigen Initialen einfach durchstreichen oder ganz wegwischen, das ist in einem höheren Sinne wirklich romantisch: Ruinenkult, und doch sieht man - egal wie alt und beladen - völlig neu beschreibbar aus.
Wie der Vollmond über den weißen Schnee kriecht, der die brüchigen Stellen im Eis überdeckt. Wie man nächtliche Alsterüberquerungen meidet, die Dinge lieber annehmen lernt, in ihrer Unvermeidlichkeit, wie man sich das Gute bewahrt, wie man sich gegenseitig die Ohren lang ziehen kann, ohne Arg sein, weiter lernen, mit einem Getränk irgendwo sitzt und sich die Musik immer wieder schönredet.

Freitag, 29. Januar 2010
Die kleinen Wahrheiten, die einfachen Sätze, in denen die weitreichenden Konditionen eines without you gehüllt sind, ausgezogen, nackt, zwei, drei schlichte Worte als feingeschliffene Messer gegen verschleiernd-verkrustete Metaphern. Bis am Ende die stumme Geste bleibt, ein flackerndes Licht auf dem spiegelnden Boden, ein Getränk, das man auf eine Lautsprecherbox gestellt hat.
>>> Geräusch des Tages: Bill Bush, I'm Waiting

Donnerstag, 28. Januar 2010
Nach der Arbeit schnell die Sachen in der Waschkaue verstauen, mit frostigem Klirren schließt sich das Fabriktor hinter mir, dann hinaus in den Wind, in den Schnee, das flirrende Treiben. Eingewickelt wie ein Eskimo, das Gesicht zur Leeseite des pfeifenden Windes gewandt, die imaginären Huskies mit der Zunge vorangeschnalzt, hui, fröhliches Stapfen durch unberührtes neues Weiß, immer voran, immer voran, vornübergebeugt, nicht von den Lasten des Tages, vom Wind nämlich und vom Schnee und vom Kampf mit dem eiskalten Element. Und wie die Straßen langsam verhüllt werden, wie überhaupt alles langsamer wird, die Autos kaum schneller als Fußgänger sind, wie man sich fügt in das gemeinsame Schicksal, sich freundlich zuwinkt auf den Kreuzungen, wie alles zum Stillstand kommt. Immer weiter Schnee, in den Haaren, in den Ohren, in der Nase, im Mund. Wie man ihn wegküssen möchte, von den Lidern, den Brauen, dann aber weiterstapft durch das knirschende Weiß, während es schneit, immer weiter, hinein in die Dunkelheit, es schneit und hört gar nicht mehr auf. Für einen kurzen Moment mag man glauben, an das Ende der Stadt, an ein Ende der Welt, an das Ende von etwas, einen sanfteren Abschied.

Dienstag, 26. Januar 2010
Slips the shore
(Sonic Youth, "Leaky Lifeboat")

Ich weiß, ihr seid alle so hart. Aber ich, ich bin härter.
In der Stadt gibt es keine kleinen roten Sportwagen mehr, und die jungen blonden Dinger sind alle vergeben. Also mußte eine Tätowierung her. Sobald der Hafen endlich frostfrei ist, heuer ich wieder an. Große Reise 2010.

Donnerstag, 21. Januar 2010
Über Schnapszahlen nachdenkend bin ich schnell bei meinem Kneipenroman "Die Ischen und ich" (Hamburg, 2007) gelandet, die Schilderung eines saumseligen Gesellenlebens immer hart am Thekenrand entlang. "Dort, wo es heißt, komm' mach noch einen, wo sich die Geräusche heiseren Lallens vor und dem Gurgeln des Gläserspülens hinter dem kupferbesetzten Trennwall zwischen Service und Austrinken vermengen, spielen die Geschichten zwischen Nacht und Morgengrauen. In "Die Ischen und ich" treffen sich nüchterne Verlierer und trunkene Gewinner, Halb- und Viertelschöne im trübelektrischen Licht der..." usw. usf. (Klappentext).
Es sind natürlich bloß alkoholfahnig wiederbelebte Erinnerungen, ein beschworenes Damals™ also, die Zeit, als einfach alles auseinanderflog, pure Energie, ein Geruch aus Haarspray, kaltem Rauch und billigem, billigem Wein. In der Nacht langes Hocken auf irgendwelchen Treppenstufen, Geräuschfetzen, irgendeine Musik, Sex Beat. Auch schon tot.
Näherungswaisen. Bier- und staubverklebte Oberbekleidung, und das darunter konnte man ja nicht wissen. Halluzinatorische Jahre, von hierhin nach dorthin, immer unterwegs, die Angst vor dem Stehenbleiben, und wenn, dann nur "kurz mal gucken", weil da ein Sternenhimmel war oder ein schrecklicher Unfall. Heute ist man ja beladen und zu ausgefranst auch, um schnittig um die Ecken zu stehen. Die alten Träume längst verhandelt, kauft man billig gebraucht, 3, 2, 1, und dann noch eins. Läßt sich erzählen und erzählt, zwei und zwei und zwei und zwei. Das könnte auch eine falsche Telefonnummer sein, ein Geburtsdatum, ein Nachtbus oder Tip für den nächsten Lottoschein. Immer weiter also. Weiter voran.

Montag, 11. Januar 2010
Dem Rotkäppchen in den Winterwald folgen. Ein Frostlied auf den Lippen, während ich mit jedem Schritt größer werde, so sammelt der Schnee sich unter den Sohlen. Ein frostiger Riese, Eiszapfen in den verwaigelten Augenbrauen, grimmig puste ich Atemwolken in das weiße Geflirr. Am Grenzhäuschen vorbeipumpen, sich im Hochwald verlaufen, verwalsern, spurlose Waisen, mit klammen Fingern die letzte Leuchtrakete suchen. Sich so eingraben, daß kein Suchtrupp mich findet, Bernhardiner ihre Fäßchen nicht bringen. Wie der Schnee unter den Schritten knirscht, quietscht und knarzt und harscht. Wie es nicht hell wird, wie jeder Schritt in den Neuschnee gleich alles Unbefleckte zerstört. Destroy everything you touch.

Montag, 4. Januar 2010
Fröhlicher Frost voraus, stundenlang kann man stapfen, wie verlorene Waisenkinder über endlose Deiche Muster schlurfen, Eiszapfen lutschen, die Strickmütze bis über die Nase ziehen. Absurde Anekdoten, Schnee von gestern, kullern den Hang zum Ufer hinunter, knirschenden Schritts aber tollt man wie ein spielender Hund in die andere Richtung. Man kann so lange gehen, über Schnee und Eis, immer weiter bis hinab zum Wasser. Dort dann wartet eine einfache Erkenntnis: Es gibt nur eines, über das man nicht hinwegkommt, und das ist die Unverfrorenheit.
Nach drei oder vier Stunden ist die Kälte durch die letzten Hühnerknochen gezogen, Dämmerung und eine gewisse Müdigkeit setzen ein und man spürt, warum der Kältetod ein angenehmer sein soll. Vom Robert-Walser-Gedächtnismarsch aber kehrt man besser zeitig zurück zu einem Heißgetränk für Tisch Nr 6. Das Knistern hören, wenn die gefrorenen Gefäße tauen.

Donnerstag, 31. Dezember 2009
Gefeudelt und gewischt, Fenster lasse ich mal gut sein, ich denke, es ist soweit geschafft. Ich reite also gleich hinaus aus diesem seltsamen, überraschenden Jahr, das vielleicht gut daran tat, nicht die ganz großen Geschenke rüberzureichen. Man wäre ja sonst gleich wieder durchgedreht.
Doucement, das ist auch ein Motto. Seht zu, daß ihr um Mitternacht mit jemandem anstößt, der es mit euch auch will und nicht lieber mit irgendwelchen Fremden. Notfalls mit euch selbst, man kann da ruhig erfinderisch sein. Dann raus, mit leichtem Gepäck, links den Hügel runter und dann immer weiter.

Donnerstag, 24. Dezember 2009
Drüben auf der anderen Wasserseite liegt tatsächlich alles voller Schnee. Hier sind es mehr so Schleifen und Bänder und Klebefilm, Kordeln und hektisch zerwühlte Adressbücher. Dieses Jahr komme ich ja zu nichts, von wegen, ich bastel euch allen ein Lebkuchenhaus. Das hat früher die Großmutter übernommen, als der Schnee an Weihnachten sechs Meter hoch lag und die Gäste mit dem Pferdegespann... oder war das in einem Film? Ich komm jetzt nicht drauf, es geht hier alles ein wenig durcheinander.
Sechs Jahre Hermetisches Café sind es heute, bald kann ich Fenster einbauen. Frohes Fest also, und denkt dran, Geschenke gibt es erst, wenn das Glöckchen klingelt.
