Mittwoch, 6. April 2005
Ich war nie ein besonderer Fan von Saul Bellow. Ich habe einige seiner Romane gelesen, konnte aber zu seinem Stil nie recht den Zugang gewinnen. In Herzog (1960) erzählt er die Geschichte eines kleinen, verzweifelten Geschichtsprofessors. Von seiner bösartigen Frau verlassen, stürzt er in tiefe Verzweiflung und beginnt als therapeutische Maßnahme, Briefe zu schreiben.
Ein pikareskes Treiben, ziellos das Schicksal befragend, um die Themen Sex, Macht, Tod und Erfolg kreisend. Heute hätte Herzog ein Blog, so weit ist das klar. Ein Held in der Krise, tragikomisch verstrickt im Chaos, nie am Ziel.
Jetzt ist Saul Bellow angekommen.
Was Dich schmerzt, ich sag es im Bösen:
Und uns quält ein fremdes Wort.
Unsere Hände werden im Dunkeln sich lösen,
Und mein Herz wird sein wie ein kalter Ort.
(Georg Heym)
7.2. bis 1.4.2005 (Dazu Die Ärzte: "Teenagerliebe".)
Haben die beiden kein Blog? Vielleicht hätte auch ein Blick in meine neue Broschüre das Schlimmste verhindern können.
Haltet Euer Herz fest, gerade jetzt im Frühling!
[Nachtrag: Seit dem 1. Mai scheint Olli wieder herzlicher geworden zu sein. Wie ich immer sage: Geduld und Distanz wirken oft Wunder. Ich wünsche viel Glück.]
Dienstag, 5. April 2005
Jede Geschichte hat drei Seiten.
Deine. Meine. Die Wahrheit.
(Robert Evans, The Kid Stays In The Picture.)
Under Byen im Molotow
Ihr Album heißt übersetzt ungefähr so viel wie "Ich bin es, der die Bäume zusammenhält". Heute ließen Under Byen (Unter den Städten) Klanglandschaften im Molotow wachsen, wabernde Nebel und gierige Triebe und Tentakel, die sich durchs Halbdunkel schlängelten. Vielleicht nicht ganz so vampirisch, wie Herr Sweetmaker meint, aber definitiv eine düstere Erotik, von skandinavischer Schwermut durchtränkt.
Das Album höre ich seit ein paar Wochen. Es wächst. Wie die Bäume.
Montag, 4. April 2005
What's that? Punk? You wanna fuck up the system? Go to business school!
Haha, großartig. Ghost World. Thora Birch, absolutely loveable. Heirate ich übermorgen.
(Ghost World. USA 2000. Regie: Terry Zwigoff)
Sonntag, 3. April 2005
It’s all we’re skilled in
We will be shipbuilding
With all the will in the world
Diving for dear life
When we could be diving for pearls
(Elvis Costello, "Shipbuilding")
Schrei oder nicht, das ist doch egal. Genau deshalb ging ich lieber aus dem Osten in den Süden auf die Vernissage der gleichnamigen Ausstellung von Larissa Bertonasco. Bei Feinkunst Krüger zeigt die Hamburger Künstlerin recht plakative, bunte und kleinformatige Illustrationen. Oststylige Warenwelt gepaart mit italienischem Hang zur guten Küche (ein von ihr illustriertes Kochbuch gibt es in der Galerie zu erwerben) sind die Sujets, die Anke-Feuchtenberger-Schule ließ auch nett grüßen von einigen Bildern.
Der Abend versammelte wie gewohnt halb- abgeranztes Hamburger Kunst- und Szenevolk. Die nette Siebdruckerin, die ich neulich auf einer Party traf, sprach mich an. Rotwein und Astra hatten aber ihren Namen aus meinem Gedächtnis gelöscht. Aber man freut sich schließlich auch so.
Das kleine Porträt, das mich als Piraten zeigt, war leider schon verkauft. Da hat mich die Künstlerin ein wenig im Stich gelassen. Aber ihre Zartheit bremste meinen Tadel. Überhaupt: Blassgesichtige Kunststudentinnen! Fast könnte ich die Ringelstrümpfe vergessen.
Oder mich.
Am Ende aber entfloh ich der Russendisco des DJs und lief mit Robert Wyatts Version von "Shipbuilding" im Player und dem letzten Astra am Hafen entlang. Die Geschichte vom Vater und dem Sohn in der verarmten nordenglischen Hafenstadt. Nach Jahren werden die Werften wieder aufgemacht, weil nämlich Krieg droht. Und so findet der Vater, der nichts anderes gelernt hat, wieder Arbeit beim Schiffsbau. Nun kann er seinem Sohn zum Geburtstag ein Fahrrad kaufen. Vielleicht sogar ein richtig neues, keines vom Flohmarkt. Er wird die Kriegsschiffe bauen. Sein Sohn sagt, er werde eingezogen zur Marine. So hat alles seinen Preis. Geben, nehmen.
Die Nachtluft verriet einen Anflug von Milde. Draußen an der Kehrwiederspitze war das Wasser sehr schwarz. Positionslichter tanzten auf den Wellen, nur ich hatte keine gesetzt. Bald kann man hier wieder sitzen, mit einem Mädchen und zwei Flaschen Wein. "Besser zwei Mädchen und eine Flasche Wein", kalauerte ich für mich selbst. Vielleicht eine mit schwarzweißen und eine mit rotschwarzen Ringelstrümpfen. Der Abwechslung halber. Nachts höre ich jetzt gerne Nils Petter Molværs "Khmer". Ein Geschenk. Aber nun war es "Shipbuilding".
Vielleicht besser kein Kriegsschiff bauen, dachte ich. Auch wenn ich nichts anderes gelernt habe. Keine Machtproben mehr. Auch keinen Walfänger. Wozu den bösen weißen Wal noch jagen? Soll er tauchen und auftauchen wo er will. Für ein grimmiges "Thar she blows!" nagel ich keine Dublone mehr an den Mast. Nein, ein Fischerboot vielleicht, einen kleinen Trawler. Oder einfach nur Segeln. Rausgleiten in die schwarze Nacht, elegant, leicht und lautlos.
Auf einer Barke glitt ein schwarzgekleideter Mann den Strom hinab. Ich winkte hinüber. Aber da wußte ich es ja noch nicht. Der Papst ist tot.
("Aus dem Osten in den Süden", Arbeiten von Larissa Bertonasco. Noch bis zum 23.4.2005 bei Feinkunst Krüger.)
Samstag, 2. April 2005
This blog is dedicated to my last three ex-girlfriends
(Frei nach Robbie Williams. Via Sebas)
Herrliches Wetter. Herrliches Flohmarktwetter, vor allem. Das Rheinland wimmelt jetzt bestimmt von ringelbestrumpften Frauen. Viel Krims, noch mehr Krams, aber seit ich diese Uhr suche, die es früher ständig und überall gab, finde ich sie nicht. Tja, ihre Zeit ist dann wohl abgelaufen, mögen die ersten jetzt hämisch rufen. Ach was, rufe ich den zwanghaften Händereibern und den Jungs mit den elektrisch betriebenen Einmischquirls fröhlich zu. Zeit ist nicht für alle linear. Zeit ist auch kreisförmig. Schaut euch den Wechsel der Jahreszeiten an. Immer geht alles rundherum. Wie die Streifen an einem Ringelstrumpf. Oberwasser, Unterwasser - die Tide ist ein rhythmisches Geschäft.
Kommt Zeit, kommt Rat, kommt Attentat, zitierte eine Freundin von mir früher gerne. Ich wähle die Mitte, folge dem weisen Rat und heuchel Interesse für schäbige Wasserkessel. Aber nur, damit das Kind mich nicht sieht.
Schönes Fotoblog bei Milo mit Doppelbelichtungen, Cross-Entwicklungen und Toy-Camera-Fotos.
Dann hat mich Herr Nase gestern glücklich gemacht. Diesen Link auf die australischen Wunderkammer kannte ich schon, hatte ihn aber verbummelt.
Dies wäre meine Vision eines Blog-Arbeitszimmers. Die allegorischen Symbole verweisen auf die Beschäftigung mit der Vergangenheit, den Stimulanzien, dem Verarzten alter Wunden und dem Erforschen neuer Ideen.
Nicht umfassend, aber für einen Überblick ausreichend ist die Seite über
Man Ray, der lange Jahre mein Lieblingsfotograf war. Man kann durch Fotos, Objekte und Gemälde stöbern, die allerdings nur recht klein abgebildet sind.
Zum Frühlingswetter was Buntes vom weißen Kaninchen. Danielle Bedics hat sich im Laufe der letzten fünf Jahre zu einer ziemlich interessanten Studiofotografin entwickelt, die bonbonbunte, fidele Szenarien zwischen
Moulin Rouge und Alice im Wunderland entwirft.
Die guten Besen fangen vor der eigenen Türe an.
Freitag, 1. April 2005
Heute darf der Kasper wieder raus und tüchtig spielen. Schabernack und die ganze Chose. Heute könnte man zum Beispiel sagen, "Verzeihung" oder "Es tut mir leid", und jeder hielte dies für einen prächtigen Witz. Mit mir aber treibt keiner Scherze. Solche nicht.
Freitag, 1. April 2005
Hier habe ich das Foto eines Lesers, das mir freundlicherweise zur Verfügung gestellt wurde. Sieh an, eine frischgefallene Elster im März! Wieder so ein Allesfresser, der nun selbst für etwas anderes ein Fraß wird.
Frau Zorra, wenn das nicht was für unseren Kalender ist. Vielleicht kann man noch eine Bauernweisheit darunter malen. Etwa so in der Art wie "Ist die Elster tot im März, wird der Sommer auch ein Scherz."
Das wird bestimmt ein Verkaufsschlager auf dem nächsten Gothic-Mittelaltermarkt.
Bald, so hoffe ich, ist dann wieder Zeit für freundlichere Beiträge. Schließlich ist das Leben so schön. Die Frauen zeigen wieder Knie, ehrlich wahr. Ich habe es heute gesehen, als ich frei wie ein Vogel durchs Städtchen schlenderte, ein Lied pfoff und dachte, wär' ich eine Elster, ich würde die Welt stehlen.