Mittwoch, 30. März 2005
Jede Trennung, raunt der Mund der Wahrheit, ist vielmehr richtig, sie ist befreiend und kein Weg führe zurück auf jene Schlachtfelder, denen man mit knapper Not und einigen Blessuren entkommen ist.
(Via Modeste)
Dienstag, 29. März 2005
Ich bedanke mich für die tolle Osterkarte . Die Lieben denken doch immer an einen ;-)
So. Ohne kleine bacchantische Passionsspiele ist Ostern eben doch nicht Ostern. Wichtigste Erkenntnis: Auf dem Küchenboden liegt Staub. Da muß ich auch mal wieder ran.
In der Zwischenzeit aber ein paar Findlinge und Ostereier:
Düster, makaber, surreal und kitschig-schön - die kleine Fotogalerie Derelict der The Solipsistic Gazette. Dortselbst übrigens auch ein hochinteressantes Blog mit völlig wirren solipsistischen Texten (auf Englisch).
The Hapless Writer: Viele Links zu Edward Gorey. News, Fonts, Bibliographie und Fotos aus seinem Elephant House.
Für verschrobene Mediziner ist auch die virtuelle Sammlung antiker chirurgischer Instrumente interessant. Man lernt so viel daraus. Beispielsweise, daß manche Operationen auch ganz einfach gehen.
Nur nicht die am offenen Herzen selbstverständlich.
Bitte die Türen heute leise schließen. Danke.
Als ich das Blut von den Badezimmerfliesen wischen durfte, hatte ich wenigstens einmal das Gefühl, hilfreich und nützlich sein zu können. Da begriff ich, was es heißt, ein echter Bataillist zu sein, ein Mensch, der alles als Schlacht versteht oder als Lore-Roman, je nachdem.
Frei, ja natürlich. So richtig frei, nicht etwa getrieben vom eigenen Schicksal, von den Leerstellen, dem Hunger und den Urschmerzen tief drinnen. Nein, selbstverständlich ungeheuer autark und schlau und stark ("Schön und jung und stark", DAF), frei genug, lästige Regeln, Abkommen und überkommene Moral zu verlachen. Nur wirklich allein sein, das war dann schon schwerer, denn da sollte ja einer sein, der das Brotmesser hinterher abspült und den Boden wischt. Bohème geht eben am besten mit Hauspersonal.
Montag, 28. März 2005
So in a manner of speaking
I just want to say
That like you I should find a way
To tell you everything
By saying nothing
(Tuxedomoon, "In A Manner Of Speaking")
Cuts like a knife.
Are you motherfuckers ready
for the new shit?
Stand up and admit it,
tomorrow's never coming
(Marilyn Manson, "This Is The New Shit")
Jetzt mal alle brav die Hände hoch, ihr Testikelkitzler und Fensterfarbenlecker. Ihr wollt doch gerne mal der Astarte unter den Rock fassen und die Hasen über die Felder jagen. Ein wenig brunftig am Ariadnefaden spielen und den Minotaurus aus dem Labyrinth locken. Da macht ihr mir nichts vor. Ein Hahaha und Hohoho und neckisch und kokett "Aber, Herr Kiiiid!" schabernacken.
© Dave Cooper
Mir doch egal, auf welche strammen Schenkel ich gleich meine großen Pranken lege. Ist jetzt halt die Jahreszeit, muß dann auch mal sein, kann man nicht immer in der Poetendachkammer sitzen und Lamento rufen. Dann muß man mal den Absinth in die Ecke stellen und raus und lachenden Baubos zuschauen, wie sie auf den borstigen Schweinerücken durch die von Gaffern schiefgetretenen Gassen reiten. Dann muß mal ein anderer Ton her, wenn einem längst das Moralgebälk überm Kopf zusammengebrochen ist, weil die heimtückischen Würmer, dieses Kroppzeug, tiefe Löcher hineingebohrt und gebissen haben, was das schadenfrohe Zeug hielt. Ja, macht doch nichts, weg mit den morschen Brettern, den angepinkelten Scheinheiligenschein mal kurz beiseite, so hieß die Parole, rauf auf den Schweinerücken, "Hossa" schallt es womöglich durch die engen Bürgergassen, ja meinetwegen, so jung wie heute und so weiter. Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut, und wie gerne würde er auch mal so richtig eine Hostie schänden, am besten gleich auf der biedermeierlichen Altardecke seiner Tetrapacküberzeugungen, immer hübsch alles gebrauchsfertig abgepackt. Alles muß raus, heißt es dann bei den einen. Nein, alles muß rein, rufen die anderen erwartungsfroh zurück, voller Gier und bereit ans große Sudelfon zu treten, an die C-Rohre des Lasterlebens. Und dann heißt es, große Schaumparty hier in Osterode, Westerstede, Hagenbeck-Süd. Oder besser gleich im Sachsenwald. Da geht die wilde Jagd durch den frischbetriebten Busch. Holdriho, Fanfarenklänge, da knöpft der Städter sich die Weste auf, fliegen blaue Strumpfbänder über grünbemooste Lichtungen, und später findet sich vielleicht irgendwo ein einzelner Ringelstrumpf. Junges Frollein, Sie allein? Läßt sich ändern, flugs zerrt sie an der Krawatte mich ins Holz.
Ab jetzt heißt es Augen schweifen lassen, diese runden Dinger, diese eiförmigen Körper der visuellen Lust, Spaßfastenzeit zu Ende, jetzt mal raus an die frische Luft, Tore auf, Schlüssel her von der Landesheilanstalt. Ein frohes Osterfest, ab heut' ist alles auferstanden, also steht auf, wenn ihr Eier habt.
Sonntag, 27. März 2005
I am the spring, the holy ground,
the endless seed of mystery,
the thorn, the veil, the face of grace,
the brazen image, the thief of sleep,
the ambassador of dreams, the prince of peace.
I am the sword, the wound, the stain.
Scorned transfigured child of Cain.
(Patti Smith, "Easter")
The witch is dead, the witch is dead...
Mist, wieder zu spät. Die Hexe war schon verbrannt, als ich kam. Fröhliche Funken tanzten die Elbe entlang, der Winter besiegt, trunkene Menschen saßen im Sand. Eigentlich muß man dahin, um zu knutschen. Aber Frau Gaga war so freundlich, mich auf einige Wissensdefizite hinzuweisen, weshalb das mit mir und dem Knutschen irgendwie schlecht bestellt ist. Aber ab heute heißt es Auferstehung, und das kann man den Ungläubigen nicht laut genug in die Ohren trommeln. Osterbefeuerung.
Niemand wird auf ewig siegen. (Fehlfarben, "Rhein in Flammen")
Vernunft und Vertrauen, Geduld und Distanz - Worte des vereisten Winters.
Nun vielleicht mal wieder draufmachen, rumschreien, Begehren äußern.
In der Menge frohgelockter Gestalten aber wieder die alten Gefühle. Plötzlich verschiebt sich der Blick, das nette Mädchen mit der Flasche Astra sieht auf einmal aus wie eine alte Vettel voller Geschwüre, der Typ neben ihr wie ein Großkopferter aus einem Gemälde von George Grosz. Mit bleckenden Zähnen gaffen sie mich an, ihre kreischenden Stimmen zu laut, ihre Physiognomien bizzar erleuchtet im Schein der knisternden Flammen. Fremde, bösartige Monster, die sich bedienen am frischen Fleisch, am Unbekannten.
Kurz blitzt er auf, der prahlerische Stolz auf wilde Parties, Silvestereskapaden, die man als genußvolle Abenteuer sich bewahrt, damit herumprotzt, wie der Oberliga-Stürmerstar: "In dem Spiel habe ich zwei Tore auf einmal geschossen!" Ganz egal, ob dieses Spiel den Abstieg seines Gegenübers besiegelte, hier zählt nur ein Gesetz, das der Lust, des Siegs, des Stärkeren. Fuck you, denke ich. Und weiche zurück in die dunklere Ecke, weg vom Feuer, vom Markthallentreiben der Spieler und Händler, die ihre eigenen Körper wie belanglose Ware als Monstranz vor sich hertragen.
Again I am the salt, the bitter laugh.
I am the gas in a womb of light, the evening star,
the ball of sight that leads that sheds the tears of Christ
dying and drying as I rise tonight.
Fuck you, denke ich. Heute kriegst du mich nicht mit deinem Mutantengeschrei. Heute ist Licht. Ich werfe ein Relikt ins Feuer, die Flammen brüllen auf, aber nur kurz, dann verschlingen sie es, es verglüht, zerfällt. Morgen wird es Asche sein.
Samstag, 26. März 2005
Burning my bridges
And smashing my mirrors
Turning to see if you're cowardly
Burning the witches with mother religious
You'll strike the matches and shower me
In water games
(Echo & The Bunnymen, "Seven Seas")
Man kann sich ja nicht von überall vertreiben lassen, deshalb war heute wieder Floh- markttag. Meiner Vorliebe für Kistchen und Kästen aller Art gehorchend (Ja, liebe Freudianer, macht was draus!), erstand ich dieses bezaubernde, senffarbene Näh- kästchen. Das paßte gut, denn mein eigenes ist mir neulich kaputtgegangen - und woraus soll ich denn (Achtung, jetzt kommt's!) sonst nun plaudern? Eben.
Ich glaube, ich habe einen ganz wunderbaren Behälter gefunden für Nadel, Zwirn, Augen und Ohr. Für die Zeit, wenn ich es mir mit dem schönen morbiden Mädchen gemütlich mache und wir gemeinsam Tiere basteln.
Vielleicht gelingt es mir, den ein oder anderen heute abend beim Igel braten Osterfeuer angesengten Nesthocker bis Pfingsten wieder flott zu kriegen.
Freitag, 25. März 2005
So ist das und nicht anders.
(Via Spreepiratin. Zu Richard Prince siehe auch hier.)
Donnerstag, 24. März 2005
Sie sind wie Staub, der hält noch eine Weile,
Die Haare fallen schon auf ihren Wegen,
Sie springen, daß sie sterben, nun in Eile,
Und sind mit totem Haupt im Feld gelegen.
(Georg Heym, "Die Menschen stehen vorwärts in den Straßen", 1912.)
Mit einer Lenore-Stimme, die direkt aus den dunkelsten, salpeter- verkrusteten Kellern des efeuumwölkten Hauses Usher zu kommen schien, gab sie mir Antwort. Ein grabestiefes, völlig unmoduliertes Hauchen, wie das leichte Stöhnen des Windes, der durch ein verwittertes Mausoleum fährt. "Wow", bemerkte meine Begleiterin trocken. "Die klingt, als hätte sie erst gestern einen Selbstmordversuch unternommen. Das wäre doch mal eine Frau für Dich!"
Leider sprach ich das schwarzgewandete morbide Mädchen an der Kasse nicht an, weil die Ausstellung mich ablenkte und auf andere Gedanken brachte. Das zeigt, daß die Kunst immer über der Liebe steht und auch recht daran tut.
Aber schön wäre es doch, das aufregend morbide Mädchen mit nach Hause zu führen und mit ihm einen gemütlichen Sonntagnachittag zu verbringen. Ich stellte die Flaschen mit dem zimmerwarmen Selbstmitleid ins hintere Regal, holte die Grüne Fee für die Liebe zu Dritt und zündete - der romantischen Stimmung wegen - ein, zwei Grablichter an. Wir sähen uns tief in die schmerzgeprüften Augen, vertrieben uns die Geister der Vergangenheit, prosteten uns zu und überlegten, wie wir sogar die Toten mit unserer Liebe zum Leben erwecken könnten.
Dann würden wir ein Auge oder zwei in den Katalog von
Van Dyke's Taxidermy werfen und überlegen, welches Zubehör wir noch bräuchten, um Saatkrähen, Ratten oder Eichhörnchen präparieren zu können, ohne daß ausgerechnet deren unschuldige kleine Körper für immer in sich zusammenfallen oder ihr Aussehen ins Unschöne verändern würden.
Unsere Liebe wäre ewiglich, die des schönen morbiden Mädchens und meine. Irgendwann legte ich ihr eine Hand auf den ringelbestrumpften Oberschenkel und strich ihr durchs opheliarote Haar. Wir verglichen unsere Narben und ich flüsterte "Niemalsmehr". Sie sähe mich an, ein wenig scheu vielleicht oder mit dem Anflug eines Lächelns, und hauchte mit ihrer lebensleeren Stimme "Hast du noch was von dem Zwirn?" oder "Reich mir bitte mal das andere Auge" - so was in der Art. Wir wären glücklich in unserer kleinen, zerstörten Welt. Ich würde sie zeichnen oder fotografieren, wie sie die kleinen Rattenkörper stopft und in putzige Positionen formt. Dann sähen wir uns eine Folge der Addams-Familie an und abends, in meinem schmalen Krankenhausbett, lägen wir eng aneinander- geschmiegt, und ich würde zum Einschlafen eine Geschichte von Edward Gorey lesen. Die vom Glücklosen Kind, vielleicht.
Sie würde mir alles glauben. Weil sie weiß, daß ich alles erfunden habe.