Dienstag, 13. Dezember 2005


Schwarzer Frost

Schwarzer Frost. Die Erde ist hart,
nach Bitterem schmeckt die Luft.
Deine Sterne schließen sich zu bösen Zeichen.

(Georg Trakl, "Winternacht")

Dann sitze ich in diesem Zug von Prag nach Hamburg, und im Abteil wälze ich den ein oder anderen kafkaesken Gedanken. Anders als das Pilsener Bier vom ratternden Service-Wägelchen sind die frei, wenngleich nicht immer frisch gezapft (darin wiederum gleichen sie den Pilsenern).

Ich lade Silvester alle zu einer Lambrusco-Party! schießt es mir durch den Kopf. Aber möglicherweise machen solche Vorschläge einsam. Andererseits, und davon bin ich überzeugt, war Silvester sicherlich ein ursprünglich ruhiges Fest. Damals, in den archaischen Weiten zwischen Hedinsau und Eddawinkel. Dann aber, so werden mich die ein oder anderen hochgelehrten Blogkollegen sofort konfirmieren, kamen die Christen, nahmen den Heiden ihr stilles Fest und ließen es ordentlich knallen.
(Notiz für mich: Theorie weiter verfolgen und als Habilschrift einreichen)

Ein paar Tage ohne Blogs und man öffnet die Tür zu einer wilden weiten Welt (www!): Da übertrumpfen sich Bildungsbürger und hochgelehrte Blogkollegen mit dem Knallen von Klavierdeckeln und hauen sich die Lateinzitate über den Kopf, als sei man in der Kneipe Zum goldenen Römer. Alte Helden schwärmen von Damals™ und recken stolz ihre Titel & Trophäen als seien sie beim Schützenfest. Überhaupt, diese Gedanken, aus denen sich Begriffe wie "zäh, Leder, hart & Stahl" exzisieren lassen. Schauder 2.0 und dazu eine Bach-Kantate.

Die eitle Pfauenschau, die Mob-Cliquen... "Übrigens reflektieren immer nur die anderen nicht", entatmet es Mal ums Mal frei nach Duchamp. Und bist du nicht willig, dann entlüfte ich meine Blogroll! Vergiss das Lüften nicht, geistert es durch die Beziehungsblogs. Richtig so. "Wir müssen unsere Schädel/Vom Pilzbewuchs befrei'n", skandierte Blixa B. vor 100 Jahren. Mitten in Berlin.

Ich hab' noch eine Puppe in Berlin: Am Montag war ich nämlich schnell noch in der Strychnin-Galerie im moribunden Friedrichshain. Yasha Young, mit der ich wirklich sehr nett über dies und das aus Arts & Crafts und Musique de Noir plauderte (Low brow and ballyhoo!), stellt da was auf die Beine, das mein Herz pochen läßt. Ab 2006, werden die Räume erweitert - und die Liste der Künstler to come sind wie Viagra für das alte Gothic-Dings. (Mußmannichtkopfüberhängen!). Ich hätte gerne die Puppe von Scott Radke (links), die zwar teuer ist, aber angemessen so.

Bis dahin wieder mal gucken, allemann: Colette Calascione (via the enchanting Miss Wurzeltod), das umfängliche Update vom großartigen Ernesto Timor und aktuell ein Blick ins immer mal wieder mit Perlen blitzende Fotoblog 1095 von "Naughty James" alias Craig Cowling.


 


Mittwoch, 30. November 2005


Schweigende Gefährten

Now this little voodoo dolly
has made you very lazy
you're anaemic from her sucking
and when you're dead she'll find another

(Siouxsie and the Banshees, "Voodoo Dolly")

Unbedingt vormerken, ihr Schnuffis: Ab dem 2. Dezember verführen in der Strychnin Galerie in Berlin die Puppenspieler Scott Radke, Kerry Kate und andere zum düster-verzückten Augenrollen.

You'll find me in the corner of a room with no windows oder mit beschwörenden Gesten die künstlichen Leiber animieren. Ich hoffe, es gibt dort nicht nur Fotografien zu sehen, sondern echte Objekte. Danach habe dann ich ja vielleicht mal wieder was zu erzählen. Von der alten Frau im Stiegenhaus. Oder dem Mädchen mit der Milchschüssel. Oder die Sache mit dem Auge, von dem man sagte, daß es niemals schlafen wollte. Bei den Puppen weiß man, daß kein Herz unter den Dielenbrettern schlägt. Denn selbst die sind in diesem Haus aus Wachs.

(Silent Companions. Vom 2.12. bis 2.1.2006. Strychnin Galerie, Berlin)


 


Dienstag, 29. November 2005


Eine Haselnuß für Herrn Kid



Neulich besuchte ich die Ausstellung der jungen Hamburger Künstlerin Moki und war erstens recht angetan, aber zweitens ein wenig traurig, da eines meiner Favoriten bereits verkauft war: Ein Mädchen im Ringelhemd füttert die Eichhörnchen und streicht damit an die herbstlichen Herzen.

Zum Original hätte mir wohl auch das Geld gefehlt, doch jetzt aber wurde ich regelrecht beschämt, denn die Künstlerin, durch meinen Blogbeitrag aufmerksam geworden, hat mir eine Fotokopie des Werks geschenkt.
Herzlichen Dank, ich bin sehr gerührt!

Und so sind es dann immer auch die flüchtigen Begegnungen, die Fäden und Netze, die sich spinnen. Aus dem Virtuellen wachsen sie herüber, sagen Guten Tag und machen Mut, ein wenig weiter zu wandern.
Zu lernen, zu hören, zu wachsen vielleicht. So ein Blog ist nicht nur schlecht.


 


Freitag, 18. November 2005


... don't accept excuses



Pop-Art ist gemeinhin nicht so mein Ding. Knallig, flächig, häufig seriell - und selbstredend viel zu bunt - so kann mein herbstliches Herz nicht pochen. Der Luxemburger Michel Majerus (1967 - 2002) hat demnach kein Heimspiel auf meinem Aufmerksamkeitsradar. Sein Sampling von moderner "POP"-Ikonographie, so Robert Fleck von den Deichtorhallen auf der Vernissage, mag neue Technologien nutzen, digital genährt und dann doch gemalt sein - eine "Überführung der Malerei in ein neues Jahrhundert" drängt sich mir nicht als vordergründige Assoziation auf.

Vielleicht ist mir zu wenig Sex in diesen Bildern, vielleicht betont Fleck auch zu sehr die Momente des "Konstruierten" und des "Aufwendigen" der aktuellen Hängung. Geschenkt. Es ist groß, monumental (einzelne Werke erreichen 10 Meter Kantenlänge), bunt und oft genug ein Schlag ins Gesicht. Doch der Supermarkt visueller Codes ist mir spontan zu sehr mit dem Kopf und zu wenig mit Bauch, Herz und Lenden entworfen. Malerei, die nicht den Akt des Malens repräsentiert, sondern eine reflektierte Welt, die selbst schon hohl ist. Platt und zweidimensional. Dritte Hand.

Aber dann: Muß man diese Bilder sehen und davorstehen, klein nämlich, kleiner als die niedliche Katze und die großen Augen. Dort, in der Rezeption, liegt die eigentliche sinnliche Erfahrung dieser Bilder. Kleingemacht, demütig unter den schäbigen Resten billiger Klebebildchen-Ästhetik, wie ein Wurm im Angesicht des Brillo-Boxen-Turms - entfaltet die ZEICHEN-Kunst ihre Kraft. Erdrückt von Ikonen und Versatzbildern wie Titeln von The Face oder Postern von Marilyn Manson mag man den täglichen Beschuß mit Pixeln, Infografiken, Werbung und Kunstzitaten , die Dialektik aus Fassade und Sein körperlich nah erfahren. Nur neu, neu finde ich das alles nicht. Man muß nur einen Gang durchs Museum Ludwig in Köln unternehmen, um zwischen warholisch-rauschenberg'schen Lichtensteinen und dem vostellpaik'schen Fluxus-Zirkus ganz ähnliche Ansätze zu finden.

Michel Majerus kam 2002 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Seine Bilder jedoch sind überlebensgroß.

(Michael Majerus - demand the best, don't accept excuses.
Hamburg, Deichtorhallen - 18.11.2005 - 26.1.2006)


 


Mittwoch, 26. Oktober 2005


Tote Tiere an der Wand

Das Wetter ändert sich, die Menschen stehen wieder vorwärts in den Straßen. Oder gehen entzwei.
Am Samstag will ich bloß unverfänglich zur Vernissage, gerate aber schon auf der Straße in eine böse blöde Auseinander- setzung. Ein psychopathischer Spacko Typ in einer psychischen Extremsituation rangelt da mit seiner baldigen Exfreundin (hofft man) und verbittet sich höflich jede Einmischung springt mir fast an die Gurgel. Ob ich keine eigenen Probleme hätte, fragt er besorgt brüllt er mich an.

"Klar, habe ich die", sage ich, erzähle ihm von meinem Jammerblog und gebe klein bei versuche, ihn zu beschwichtigen. Irgendwann kommt die Polizei. Irgendwann.

Im Knust singt Bernadette, aber ich fühle mich an diesem Abend nicht knarf genug, mich von fremden blonden Frauen anrocken zu lassen. Andererseits gibt es viel Auflauf beim Helium Cowboy. Junge Menschen, schöne auch und übriggebliebene. Meine Begleiterin will sich gar nicht von mir die Kunst erklären lassen, daher mache ich mich nützlich und hole Getränke. Mokis Bilder sind mir streckenweise ein wenig zu illustrativ, so eine Art plakativer Hyper-sur-Realismus. Aber oben auf der Galerie sind die wahren Schätze verborgen: Sehr hübsche Zeichnungen auf Sperrholz, z.B. Mädchen in Ringelhemden, die Eichhörnchen füttern. Bild Nr. 37 ist bereits verkauft, sonst wäre ich unter Umständen dabei gewesen.

Herzerwärmend sind die taxidermisch aufgepimpten Plüschtrophäen. Vielleicht ehemalige Insassen der Anstalt, wer meint das schon, genau zu wissen. Die kleinen anondulierten Monster strecken einem zudem schneller die pelzige Zunge in den Mund als man "Ääääh" sagen kann. Aber dann will man ja eh immer nur tief in die Augen schauen. Sehr anheimelnd und ein würdiges Ende für den alten Streichelzoo.

Auf dem Boden liegt Laub, herbstliche Wälder im pumpenden Artspace. Gegenüber hat Frau Hengst mittlerweile zu Ende geschwitzt. Die Bühne ist leer, nur die eine, die ich kenne, steht noch mit britischem Lächeln am Mischpult und wartet.

(Moki - Fox in the Snow. Helium Cowboy Artspace, Hamburg. Bis 4. November 2005.)


 


Montag, 10. Oktober 2005


Der Tod, das Mädchen und ich

Honey, I'm a prize
And you're a catch
And we are a perfect match -
Like two bitter strangers

(Pavement, "Spit On A Stranger")

"Bau mir ein Haus aus den Knochen von Cary Grant" (Foyer des Arts).
Den Abschied vom Palast der Republik begleitet die Fraktale IV, die sich diesmal mit dem Thema Tod auseinandersetzt. Da sieht man eine Fliege auf dem Seziertisch, die auf eine Nähmaschine (aber keinen Regenschirm) trifft, vermüllte Bastelzimmer wie bei Dieter Roth, ein angeschnittenes, etwas körperweltliches Mammut, Fotos von toten, wenn nicht gar zerstörten Kriegs- und Gewaltopfern mit der undekorierten Offenheit von Rotten.com, dazu allerlei Skulpturen und Gewerke, deren inhaltlicher Zusammenhang mit dem Ausstellungsthema sich erst auf dem zweiten oder dritten Blick erschließt.

Oder auch gar nicht. Von der Terrasse der Fraktale-Lounge jedoch kann man einen Sonnenuntergang genießen, der sich offenbar gewaschen hat. Es liegt nämlich überhaupt kein Grauschleier mehr über der Stadt.

"In den 80ern hatte ich sogar Sex", erkläre ich meiner Begleitung, die in diesem Jahrzehnt in die Grundschule kam, gewichtig. "In den 90ern nicht, da hatte ich keinen Sex. Bis auf den heißen Sommer 1995, da hatte ich sogar zweimal Sex. Einmal davon habe ich es mir allerdings selbst gemacht."

Meine Begleitung mag die 80er nicht, und ich merke, daß meine Generation auch bereits ein Thema für diese Fraktale-Ausstellung wäre. Gerade aber spiegelt sich mein schales Gesicht golden in der verrotteten Außenhaut des Glaspalastes.
Ich sage, ich könnte das Hermetische Café verpfänden und von dem Geld ein Schiff kaufen. Das würde ich trunken machen und den großen Fluß hinuntersteuern. Wie in dem Film Drei Blogger und ein Boot.

"Mach mal", sagt meine Begleiterin und hält ihr schönes Gesicht in die letzten warmen Strahlen der Sonne. Ich beschließe, noch in der ersten Nacht die beiden anderen Blogger über Bord zu werfen, gleich hinter der ersten Schleuse. Dann würde ich mein Schiff nur noch von schönen Begleiterinnen entern lassen.
Als das Gewissen mich wegen der Schlechtigkeit meiner Gedanken übermannt, beginne ich ein wenig zu weinen. Meine Begleiterin sieht mich aufmerksam an, und ich rede etwas von der Sonne, die mich irritiert hätte.

A connection was made
Through a shared love of science

(The Faint, "Birth")

Ich merke, wie ich manche Fragen nicht beantworten kann mit Worten. Weil ich dazu lieber eintauchen würde in eine orgiastische Wolke aus Lärm. In eine diffuse Wand aus dem Feedback einer sehr lauten elektrischen Gitarre. Sie würde unter meinen Händen wimmern und stöhnen, die harten Membranen der Lautsprecher mit einem Ächzen nach außen stülpen und einen Klang schweben lassen, der sich nicht beschreiben ließe. Er würde mich einhüllen wie ein schützender Mantel aus reiner Energie, eine Welle bilden, die mich forttrüge, Segel mit Wind füllte - und zwar solange, wie es mir gelänge, den Sog des Klangs, das Feedback nicht abreißen zu lassen.

Aber gleich wie man nie Zeugen aus Zeit und Geschichte, auf die man sich für seine absurden Behauptungen beruft, bequemerweise am Nebentisch sitzen hat, so steht nie ein solches Instrument in Griffweite, wenn man mal eins braucht, um ein Gefühl zu erklären. So trägt man Rätsel, weicht aus in Sprachen, unentzifferbar wie der zeichenhafte Flug der sich sammelnden Zugvögel am abendlichen Himmel. Ein großes Fragezeichen.

Vielleicht aber ist die Antwort diesmal auch ganz einfach. Vielleicht nämlich ringt man dem Tod einfach etwas Zeit ab.

(Fraktale IV: Tod. 25 Positionen zeitgenössischer Kunst zum Phänomen Tod. Palast der Republik, Berlin. Noch bis zum 22.10.2005)


 


Freitag, 7. Oktober 2005


Dada est mort, vive Dada!

Wer die Aufführung eines Dada-Balletts im Stile Jacques Tatis sehen will, begebe sich in Hamburg zur Mittagszeit zur Kreuzung Dammtor.

Hamburger Autofahrer, schon immer nach der Devise verkehrend "Wie, Kreuzungsbereich freihalten? Was soll das heißen?", versammeln sich dort zur großen Atonale. Von allen Seiten fahren sie unbeirrt von Ampelphasen mit ihren Autos auf die Mitte der Kreuzung und stehen bald verkeilt und fest und durcheinandergewürfelt wie Ravioli in der Dosensuppe.

Sogleich geht es fröhlich los mit dem Hupkonzert. Denn Hupen befreit, denn Hupen beschleunigt, Hupen levitiert blockierende Fahrzeuge aus dem Weg. (Das ist wissenschaftlich erwiesen.) Und so legen die Hamburger - sonst mit der ihnen eigenen Kaufmannszurückhaltung gesegnet - los mit einer Verve, die man sonst nur in Rom auf der Piazza vermuten würde. Da wird wild gestikuliert, mit beiden Händen auf das Lenkrad getrommelt, vereinzelt sogar die Seitenscheibe heruntergekurbelt. Man redet, flucht und schreit. "Vive Dada! Mach weg, du Arsch!"

Ein Fest! Eine anarchistische Sause, bei der ab und an sogar Streifenwagen der Polizei mitschwofen. Die Beamten bleiben meist gelassen. Sie sind nur Ordner und weisen die Plätze. Loge links, Parkett rechts. Herr Kid steht am Rande, träumt und mümmelt sein Pausenbrot.


 


Freitag, 9. September 2005


Magic Light



Wer bislang dachte, oh, moderner Tanz, das ist was für mich. Aber leider habe ich fürs Schauspielhaus zu dreckige Turnschuhe, dem ist nun oder niemals mehr zu helfen.

Besitzer dreckiger Turnschuhe treffen sich nämlich nun abends ungezwungen auf dem Hachmannplatz am Hauptbahnhof und schauen sich bei einer Bionade oder einem vergorenen Getränk ein Tanzprogramm in 15 Containern an.
Da wird zur Musik von Richard von der Schulenburg, Schnappi dem Krokodil und weiteren Ausflügen in Rock, HipHop und Klassik ein <feuilletonmode>bunter Strauß</feuilletonmode> aus allerlei Tanzprogrammen gezeigt. Da steht man dann mit angeranzten Menschen wie Du und ich zwischen Campers und Doc Marten's auf dem betriebsamen Platz vor dem Schauspielhaus, sanft umschmeichelt von der Restwärme des Tages, die aus den Steinplatten kriecht. Wer mag, kuschelt an tätowierter Haut und sieht für lau und umme ein ziemlich kurzweiliges und hochprofessionelles Programm.

Da beklagen bleichhäutige Frauen den Kontrast zu Cameron Diaz und Nicole Kidman zu David Bowies "Five Years" - bekanntlich einem der schönsten und tragischsten Lieder überhaupt -, werden sehr dünne Damen in glitzernden Paillettenkleidern erst zu den Klängen von Rammstein in wilde Verrenkungen versetzt und dann von einem einsamen Saxophonspieler zum, öh, Höhepunkt vibriert, während zwei übergymnastische junge Herren im Schlangen-on-Extacy-Modus breakdancen.

Als Auftakt eines genußreichen, körperbetonten weiteren Septemberabends in der Hansestadt sehr zu empfehlen.

(Magic Light: Tanz in 15 Containern. Jeden Abend ab 20.30 Uhr, Hachmannplatz. Bis 11.9.2005)


 


Donnerstag, 25. August 2005


Smoke My Cigarette

As loud as hell
A ringing bell
Behind my smile
It shakes my teeth
And all the while
As vampires feed
I bleed

(The Pixies, "I Bleed")


Sarah Lucas, neben ihrer engen Weggefährtin Tracey Emin, einer der herausragenden Vertreterinnen der mittlerweile fürs Feuilleton kanonisierten Brit-Art-Szene, macht sich derzeit einen Heiden-Spaß im wie so oft sehr engagierten Hamburger Kunstverein.

Die launige Retrospektive rund um ihren bissigen Kommentar auf die liebe Kollegenszene ("Complete Arsehole"), zeigt Porträts der notorisch breitbeinig sitzenden Bananenlutscherin und einen guten, morbid-lustvollen Schwung ihrer uber-sexualisierten Installationen.

Da wird allerlei Obst und andere Lebensmittel in pubertär-eindeutigen Posen drapiert, liegen tote Hühner in Bondage-Pose ("Spread Eagle") auf Bettgestellen, da penetrieren Leuchtstofflampen versiffte Matratzen und zerfließen Eier und Nylonstrumpfhosen in Badewannen mit phallischen Sanitärinstallationen, daß es eine Schweinerei Pracht ist. All überall: Zigaretten. Eine fröhliche, allesdurchdringende Assemblage aus Ei, Blut, Kakao, Schlafstätte und dekorierten Urinalen. Ein wenig monothematisch, möchte man vielleicht rufen. Aber natürlich nicht uninteressant. Meine Begleiterin scheut vor Ekel-Content nicht zurück. Anfassen sei kein Problem, meint sie und ich nicke zustimmend. Gemeinsam sinnieren wir über die Einsatzmöglichkeiten geschändeter Schweinehälften und -pfoten im sozialen Miteinander.

Was fehlt, ist ein Raucherzimmer, in dem man sich nackt in zerschlagenen Eiern wälzen kann, denke ich. Oder den Tisch besteigen, der als "Bitch" deklariert ist. Aber nun, wir sind in Hamburg, da lebt man - trotz angedeuteter Darkrooms auf der Ausstellung - gesittet. Die phallischen Objekte aus Beton ("Zum Glück ist es...") sind zum Spielen sicher auch zu schwer.

(Sarah Lucas. Hamburger Kunstverein, bis 9.10.2005)


 


Mittwoch, 17. August 2005


Rammeln und Hopsen

Mit Tieren hat man ja oft den größten Spaß. Regelmäßige Leser werden sich noch an den berühmten Rosettenbock erinnern, andere an den Wettbewerb im Ia-Rufen. Doch Meerschwein hin, Esel her - dem gemeinen Stallhasen gebührt der größte Dank für Allotria und Neckereien. Als ich nämlich heute auf meinem Ausflug durch die versiegelte Welt der Subkulturen diesen Anschlag las, war ich gleich verzückt.

Rammlerball! Welche Lockungen und Versprechungen gehen doch von diesem Wort aus. Ich vermute, da werden die am Tage ausgestellten Hasen und Häsinnen besoffen gemacht und mit Musik zum Schwofen bedröhnt. Und dann:
Kanin Hop WettKAMPF. Sogleich hatte ich Bilder von Känguruhs im Boxring vor Augen. Würden da puschelige Widderkaninchen mit kleinen, possierlichen Boxhandschuhen auf einander eindreschen? Die albinoroten Augen von Tribal-Make-up wild umrändert? Und was käme als nächstes? Boxhamster? (Oh, dafür bekomme ich bestimmt persönlich eins mit dem Handschuh, in dem womöglich ein Hufeisen verborgen ist.)

Aber dann maßregelte ich mich selbst. Beim Kanin-Hop werden die munteren Nager sicher nur zum aufpeitschenden Klang von Aggro-Reimen durch brennende Reifen springen, während die kleinen Gartenfreunde - als Indianer verkleidet - mit Pfeil und Bogen auf die Rammler anlegen. Und für den Besitzer des Verlierers heißt es dann: Mensch ärgere dich nicht. Ich bin dabei.