
Freitag, 24. Dezember 2010
Wir werden sieben. Was hält im Leben sonst schon so lang? Was wir schenkten, wie wir uns verschenkten, wie wir liebten, uns immer verrieten. Es heißt, in dunklen Zeiten müssen wir selber ein Licht werfen. Durch Fotoalben blättern, mit Sternen werfen, ein Funkeln sein. Alles erinnern. Frohes Fest, ihr Rocker.

Dienstag, 21. Dezember 2010
Kaum war der Schnee geschmolzen, stand schon die zweite Hälfte des Himmels Jahres vor der Tür, und plötzlich stehen sogenannte "Ereignisse" dichtgedrängt, während ich wie die 8-er Kugel beim Billard hin- und hergestoßen werde und versuche, erst als letzter versenkt zu werden.
Juli
Kunst kommt vom Angucken, da macht die Jahresausstellung in der HfbK keine Ausnahme. Summender Sommer mit Picknick am See, leichten Tagen und geringeltem Besuch, bei dem ich denke, ach Freunde, jetzt braucht ihr auch nicht mehr ankommen. Schwitzen bei der großen Rock & Wrestling-Kapitänsmesse. Verloren und doch gewonnen, am Ende aber, das muß man so sagen, wieder verloren.
August
Väterchen Kid ist zu Besuch, ich baue ein Schloß und Brüderchen heiratet. Es summt wie ein weiterer Wespenschwarm: Neben viel Aufregung habe ich jetzt eine Schwägerin und eine lustige Schwippschwägerin. Zum Einjährigen erzähle ich bei Feuerlöscher TV ganz staatsstragend was übers Gängeviertel, werde aber trotzdem nicht zum neuen Kultursenator ernannt. Schlingensief ist plötzlich tot.
September
Bloß raus jetzt, die Luft wird knapp! Zur spätsommerlichen Frische geht es nach Ahrenshoop, ich lebe quasi auf dem Rad, entdecke das Verunsichern von Waldwegen und schaue den Schwalben bei Sturzflügen zu. Noch mal Peter Hein, R'n'R-Kunst und das Gefühl, den Wagen über die letzten Meter bringen zu müssen. Die Bilanz ist gemischt, und am Ende reicht es nur für den zweiten Platz.
Oktober
Dann endlich Herbst. Ari Up ist tot. Grinderman aber lebt. Mit verbundenen Augen tippe ich auf das Buch auf meinem Schreibtisch, auf dessen Titelumschlag "Istanbul" steht, und fliege nach Istanbul.
November
Nachwirkungen: Ich schreibe ganz viel über Istanbul und hätte wie Sheherazade noch weitere 1001 Geschichten erzählen können, will aber nicht langweilen. Hamburg soll ja auch sehr schön sein.
Dezember
Nachdem schon Katzen Eingang in dieses Blog fanden, schreibe ich über Essen. Und als sei dies nicht schon bedenklich genug, falle ich einen weiteren, bislang unerwähnt gebliebenen Sturz ins Leere: Ich schreibe meine erste Rezension bei Amazon. Das war's dann wohl. Am Ende aber darf man den Glauben nicht verlieren, ob im Privaten, ob im Politischen: We're no longer their obedient toys. Denn auch wenn es die Apologeten anders sehen: We Shall Overcome.
Am Ende das zerknirschte Gefühl, mich nicht für alle Geschenke, die ich dieses Jahr auf die ein oder andere Weise erhielt, adäquat bedankt zu haben. Man hätte so gerne alles im Lot. Aber wie heißt es? Blogger are people, too, der Rest ist Aufgabe für 2011:
Patti Smith's humility and sincerity is a nice lesson for people who try and be cool.
Immer weitermachen.

Sonntag, 19. Dezember 2010
...gehackt legen.
is perhaps the oldest
preoccupation of man.
(Patti Smith)
Badlands. Fahle Nachtstraßen, durch die nur der Geruch von toten Fischen fiel, der Schein einer gelben Straßenlaterne, ein glänzender Ölfilm auf dem Kopfsteinpflaster, dein gewispertes Versprechen, ein Hauseingang, in den ich dich zog.
Der Geschmack auf der Zunge, eine Erinnerung an Kerosin, ich sagte, laß uns ein Kunstwerk sein oder überhaupt gar nichts, dein Feuerzeug flammte auf, du sagtest, gut, los geht's und ich, also bitte, das war jetzt nur ein Gedankenspiel.
Die Feigheit der Männer, und wie die mit der schönen Stimme Jahre und Jahre später sagte, pff, du hast dich halt nicht getraut, und wir nicht einmal mehr über Freundschaft reden mußten, denn nach Abschied und Trennung geht das Eigentliche doch erst los. Und wie ich feststelle, daß ich am schönsten mit denen zusammen bin, mit denen ich längst nicht mehr zusammen bin. Weil man nur da unverwundbar lacht.
Wie über das Pflaster der Straße die zerbrochenen Splitter gestreut lagen, wie ein halber Mond über unsere Jugend schien, unser Heulen, unser Klagen, weil draußen ja immer mehr zu liegen schien als in unsere klammen, diebischen Hände paßte. Wie man nie genug einatmete.
Einmal versuchte ich, die Energie dort am Rand zu erklären, den Geruch von Schweiß und Ozon und Blut da vorne, wo es fast gefährlich wird. Wo die kräftig gebauten Männer sofort untergehen, weil sie an ihre eigene Stärke glauben und nicht eins werden können mit den Elementen, der Energie und der Hingabe.
Now I'm ready to close my eyes. Now I'm ready to close my mind. Wie man alles haben kann, wenn man sich erst traut, nichts und niemandem zu trauen. Wie die Asche zum Leben taugt. Wie die Schätze verschenkt werden. Ihr glaubt das nicht. Ihr habt die Demut nicht. Ihr habt die Lautstärke nicht richtig aufgedreht.

Freitag, 17. Dezember 2010
Ich glaube, die letzten anderthalb Jahre waren die arbeitsreichsten seit langem. Nebeneffekt: Nach Zeiten eher prekärer Einkommens- und Beschäftigungsverhältnisse bleibt am Ende des Monats zur Abwechslung etwas übrig, das nicht gleich in Altersvorsorge oder ähnlich dunkle Kanäle versickert. Macht auch nicht glücklich, füllt aber den Schuhschrank Kühlschrank. Und: Ich kaufe jetzt auch bei Edeka. Die Balance Arbeit - Lebenszeit allerdings kippt. Andererseits kann nächstes Jahr in diesem Wechselwindgewerbe eh alles wieder anders sein.
Neben der Arbeit noch sogenannte "Projekte", Zeit der Ernte ist aber noch lange nicht. Auch keine Zeit für Theaterspiele, mir ist nach klaren Strukturen, Menschen, die Ja und Nein sagen und dies auch so meinen. Kleine Reisen, Ausflüge, und mehr mit Hunden denn mit Katzen gespielt. Ein gutes Jahr, es hätte ruhig länger dauern dürfen.
Januar
Jahreswechsel, man sollte sich Momente merken. Rheinischer Sound locker aus dem Sessel gelesen. Unverdrossene Schneespaziergänge: Schneidender Wind, frostige Luft, die wie Nadeln in die Haut dringt. Es wird Zeit, Zeichen zu setzen.
Februar
Amphibienmonat, vorsichtiges Stapfen auf Eis, ein kurzer Gruß aus der Ferne, der mich noch einmal seufzen läßt, dann soll aber auch gut sein, beschließe ich. In 20 Jahren werde ich recht behalten haben. Mit Ulrich Wickert bei 24 gewesen, meine Mutter wäre aus dem Häuschen gewesen. Wegen Wickert, nicht wegen "24". Herrn Krüger und den famosen Happy Grindcore zugeschaut, wie sie das Haus wegrocken und dabei lustige Hüte tragen. ("Ist das was mit Kunst, he?" schreit einer.) Anschließend taub. Den ganzen Monat über gab es zudem so etwas wie einen Skandal, bei dem sich der Betrieb bis aufs vergilbte Unterhemd entblößte. Sehr lustig.
März
Menschen äffen den Titel meines neuen Bestsellers nach, was ich belustigt zur Kenntnis nehme. Das wird der Durchbruch! Ein kurzer Spuk in der kleinen Stadt, man hätte einen tchechischen Puppentrickfilm daraus drehen können. Während auf der komplett anderen Seite des Empfindens immer noch kaum eine Spur von Frühling zu vermerken ist. Auch daran aber sei erinnert: Your hair is beautiful.
April
Der macht, was er will. Ich aber auch. Endlich wieder Anradeln, dann hungrig nach Hause und das Osterlamm bewundern. So viel Anmut war selten, Tränen im Knopfloch, stilles Gebet. Zum Chorgesang dann Leatherface. Hamburg sein.
Mai
Plötzlich ist der Frühling da, meine Güte, so bunt muß man es doch auch nicht gleich treiben. Der Frühling kommt, die nächste geht. Reisende halte ich schon lange nicht mehr auf, ja oder ja, nein oder nein, und wer lieber mit anderen Männern tanzt, soll halt gehen. Ich bin trotzdem sauer, was ist mit diesem geschworenen Eid? Ich flüchte mich zu Mama, die ist aber gar nicht da. Andere Menschen, wie diese Zeit immer vergeht, sind schon 30 Jahre tot. Die Hamburger Kulturbehörde trägt ebenfalls eine Schaufel in der Hand. In Ohlsdorf ist noch Platz!
Juni
Die, habe ich beschlossen, bleibt. Die Achse Hamburg-Wien indes hält ihr Jahrestreffen in Wuppertal ab. Kleines Kind, das ich manchmal bin, werfe ich Klötzchen, schaue die Trööööt-WM und keuche selbst durch die wetterleuchtende Landschaft. Himmel, so viel Sport. Schnell was essen.

Dienstag, 14. Dezember 2010
Und dann sage ich, da habe ich von gehört, das lesen nicht nur Freunde von mir, sondern sogar Leute, die ich schätze. Und vielleicht sollte ich also auch einmal einen Versuch wagen. Heimlich natürlich, damit nicht gleich wieder eine unkontrollierte, hysterische Begeisterungswelle über mir zusammenschwappt, alles zu verderben.
Man will doch die eigenen weißen Flecken der Kulturlandkarte ungestört entdecken, mit einer Machete das Dickicht der eigenen Unkenntnis selbst durchtrennen und nicht wie auf einer Festtagswiese oder wie im Sportstadion in dichtgedrängten, schubsenden Massen gaffen. Die Stille des Staunens sich bewahren, das Leise.

Mittwoch, 8. Dezember 2010

Nach ein paar Tagen in Istanbul kann ich keine tanzenden Derwische mehr sehen. Auf Tellern, Tassen, Taschen wirbeln sie einem entgegen und dann, großes Unglück, bin ich leider auch für den John-Peel-Abend zu spät dran. Ein internationaler Nenner, auf den man sich offenbar einigen kann. Es soll sogar eine gewisse Punk-Tradition in der Türkei geben, allein, die Überlieferung ist verschlungen wie ein endlos gewundenes Ornament. In schummrigen Lederjackenbars trägt man das Haar lang und offen, hört Motorradmusik, die Straße runter blipt und piept flexibel gebogenes Elektrogedudel und sehr viel Mainstream. Der King indes wird überall gepriesen.



Dienstag, 7. Dezember 2010
The name and the address
Of everyone I've ever known
It's nothing I regret
(New Order, "Regret")
Nur für den Fall, daß sich jemand fragt, welche Hausnummer dies hier war.
Dort, wo wir die Herzen zeichneten, uns Schnurrbärte malten. Dort, wo wir uns Hüte aufsetzten, durch dunkle Gassen flohen, die immergleichen Fragen nach dem "what's your name? where are you from?" mit immer wilderen Geschichten beantworteten. Wie wir uns einander als Touristen vorstellten, und ich vor lauter Zurechterfundenem irgendwann deinen wahren Namen nicht mehr wußte. Der Rost wird bleiben, die Narben auf der Wand. Ein paar Zahlen werden bleiben und Antworten, die ich mittlerweile weiß. Wo du damals herkamst, an diesem Tag im Café, wohin du gingst. Warum das Telefon drei Tage schwieg und was hinter der verborgenen Türe war. Das alles weiß ich. Sag nicht, daß da nichts gewesen sei.
