Gone Baby Gone

A broom is drearily sweeping
Up the broken pieces of yesterday's life

(Jimi Hendrix, "The Wind Cries Mary".)

Wir leben in einer Zeit, in der bekanntlich selbst ein Handyvertrag länger dauert als die meisten Beziehungen (Mindestlaufzeit 24 Monate). Manche werden es also geahnt haben, als hier zuletzt nur noch wenige Beiträge erschienen. Sie hat mich verlassen. Sie hat auch keine neue Adresse hinterlassen. Ich stand dieser Tage nichtsahnend am Empfangstresen, traurige Augen schauten mich an, und eine Stimme sprach merkwürdig tonlos wie aus einem fernen Diazepam-Nebel zu mir heran. Sie sei nicht mehr da, hieß es. Und sie käme auch nicht wieder, als ich insistierte und etwas von Das ist ein Scherz jetzt, ist es nicht? murmelte.

Im Nachhinein bin ich nicht mehr ganz so überrascht, es fügen sich plötzlich Indizien zu einem Bild. Auch weiß ich um die, nun ja, gewisse Unbeständigkeit der großstädtischen Frauen und um den, ich möchte es ausnahmsweise diplomatisch sagen, Erlebnishunger, den man speziell den Damen aus der Hauptstadt nachsagt. Ihre letzten Worte an mich waren "War nett", denen ich ein "Äh, ja, war es" zurückstotterte, überrascht ob dieser persönlichen Wendung. Dabei war unser dem Grunde nach ja rein professionelles Verhältnis immer irgendwie persönlich gewesen. Jemand, der einem nicht nur die Zukunft aus einem Tropfen Blut lesen konnte, sondern auch wußte, was es mit den gestörten Herztönen auf sich hatte, kann einem ja nicht unpersönlich gegenüberstehen und die Druckmanschette überstreifen oder mit einer großen Stimmgabel die Nervenbahnen in den Füßen überprüfen. Was man halt so macht, wenn man sich mag oder zehn Euro bezahlt.

Vielleicht wollte sie zurück, da war immer dieser Glanz in ihren Augen, wenn sie von Wochenenden in der großen Stadt erzählte. Vielleicht gefiel ihr die Arbeit nicht. Ihren Terminkalender, sagte man mir, habe ein Kollege übernommen. Ich sagte, ich nehme das persönlich, und ich lehne das ab.

>>> Geräusch des Tages: Smokey Robinson, Gotta Dance To Keep From Crying

Homestory | 01:20h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
lady grey - Freitag, 7. Mai 2010, 08:58
Ach je. Dabei ließ sich das so gut an! Vielleicht trösten Sie die lyrischen Zeilen von Remmler/Kralle: "Kummer oooh Kummer / mein Herzl ist nicht mehr da / ist nicht mehr da / Trauer oooh Trauer / wie schön war's im letzten Jahr / jetzt ist sie nicht mehr da / ich habe Kummer."

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kid37 - Freitag, 7. Mai 2010, 12:25
"Heute hier/morgen dort/bin kaum hier/muß schon fort..." Das ist ja, als würde man seinen Beichtvater verlieren. Selten war mir eine Frau so nah. Jedenfalls, was meine Leberwerte angeht. Und dann sah die auch noch gut aus!

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monopixel - Freitag, 7. Mai 2010, 09:21
Ja, diese Bumble Bees, diese evil Bumble Bees.

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Lu - Freitag, 7. Mai 2010, 10:39
Ich komme diesen Monat wieder hoch, dann bringe ich ein weiches Taschentuch mit.

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kid37 - Freitag, 7. Mai 2010, 12:28
Jaja, von einer Blume zur nächsten, immer den schönen Blüten nach. Sie hat nicht einmal eine Nachricht hinterlassen. Also für mich.

Lu, ein ganzes Paket, bitte. Ach.

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lorilo - Freitag, 7. Mai 2010, 11:26
Irgendwie fühlt man sich als großstädtische Frau durch den Anwurf einer gewissen Unbeständigkeit und den - diplomatisch geäußerten - Vorwurf des Erlebnishungers leicht brüskiert, selbst wenn man die Gründe dafür ja hier nachlesen könnte und Ihr Schmerz über den Verlust der schwarzen Medizinfrau Ihnen die Feder führte.
(Nach Diktat eingeschnappt: Fräulein Lori [H. Rowohlt])

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kid37 - Freitag, 7. Mai 2010, 12:19
Ach, ich kann es ja ein wenig verstehen. Die hatte wohl ihre Freunde da. Und auch wenn ich ihr immer sagte, das stimme nicht, mit den glitzernden Lichtern dort, in Hamburg gebe es viel mehr und sogar auf dem Wasser, hat sie mich immer nur angelächelt und nicht diskutiert. Sich aber wohl (und dazu noch heimlich!) ihren Teil gedacht. Ach.

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lorilo - Freitag, 7. Mai 2010, 12:47
Ihnen als spinnenhaftem Stoiker, den Neues entsetzt, wird Tolstoi nicht helfen, aber trotzdem: Wenn uns etwas aus dem gewohnten Geleise wirft, so denken wir, alles sei verloren. Aber dabei beginnt doch nur etwas Neues und Gutes.

(Vielleicht hätten Sie sie wirklich einmal fragen sollen.)

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kid37 - Freitag, 7. Mai 2010, 16:26
Was Neues? Sie meinen, die hat einen Neuen? Oje, oje, oje. Vielleicht ist sie mit einem jüngeren Patienten durchgebrannt. Wenn die aber irgendwann urplötzlich wieder auftauchen sollte und mir mit treuherizgem Augenaufschlag was von "da war aber nix!" erzählen will, haue ich der meine Versicherungskarte um die Ohren.

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lorilo - Freitag, 7. Mai 2010, 18:02
Manchmal entscheidet doch die Schnelligkeit, mit der man über seinen Schatten springen kann; statt sie anzuschmachten, hätten Sie ggf. einfach mal den Verlobungsring hervorkramen sollen, vielleicht wäre sie dann noch da. Jetzt hat sie möglicherweise tatsächlich einen neuen Patienten, ob das Alter eine Rolle spielte, wage ich da mal zu bezweifeln, aber auch das gibt's - aber 37 ist ja nun eigentlich auch kein Alter ...

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kid37 - Freitag, 7. Mai 2010, 19:32
Schnelligkeit? So kamen Sie also unter die Haube. Die jedoch sollte mich doch behandeln, nicht heiraten. Und ein letztes Gespräch kann man ja wohl verlangen. Ich meine, da bleiben doch Fragen!

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lorilo - Sonntag, 9. Mai 2010, 22:40
Die jedoch sollte mich doch behandeln, nicht heiraten.
Manchmal ist der Unterschied ja gar nicht sooo groß.
Und nein, bei mir war es ja nur Grund Nr. 17, die Geschwindigkeit war wohl einfach lebensbedingt. Und ja - unbedingt: ein letztes Gespräch kann man ja wohl verlangen.

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mark793 - Freitag, 7. Mai 2010, 12:43
Hartes Hauptstadtpflaster
In der großen Stadt sollen für 10 Euro noch ganz andere Vergnügungen zu haben sein, so hört man. Insofern mutig von der Dame, sich der harten Konkurrenz im Unterhaltungssektor zu stellen.

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kid37 - Freitag, 7. Mai 2010, 16:29
Ich muß darauf hinweisen, daß es bislang nur eine Vermutung ist. Heimweh vielleicht. Hätte ich es gewußt, hätte ich auch gewarnt. Das ist ein ganz anderes Pflaster, Mädchen. Aber ein ganz anderes.

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kristof - Freitag, 7. Mai 2010, 13:34
Oh weh, ich fühle mit Ihnen. Ich bin ja mal von meiner Bäckereifachverkäuferin verlassen worden, und das ganz ohne "letzte Worte".

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kid37 - Freitag, 7. Mai 2010, 16:30
Auch schlimm. Man hat sie gerade so weit, daß sie "Mohnbrötchen wie immer?" fragen, schon lockt sie eine Aufbackkette in einen anderen Stadtteil.

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vert - Montag, 10. Mai 2010, 17:41
bei mir in der wohnheimnahen kneipe hing das kilkennyglas schon unter dem zapfhahn, wenn ich nur in die nähe der tür kam, ganz ohne worte.

dafür ein tränenreicher abschied bei auslaufen des pachtvertrages.
(jetzt kindertagesstätte - verdammte studentische gentrifizierung)

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kid37 - Dienstag, 11. Mai 2010, 01:53
Am sozialen Halt wird unentwegt gesägt. Muß morgen unbedingt zu Penny, nachschauen, ob meine Lieblingskassiererin noch dort ist.

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alea torik - Sonntag, 9. Mai 2010, 23:30
Ach,
den Damen der Hauptstadt sagt man Erlebnishunger nach?
Vielleicht, meine Herren, wenn Ihnen die Bäckereifachverkäuferinnen und die Arzthelferinnen und Sprechstundenhelferinnen eine nach der anderen weglaufen, machen Sie da etwas falsch?
Das Problem in Ihrem Fall ist doch wohl eher das Geld: wenn man sich mag, muss man sich nicht bezahlen! Weder mit zehn Euro noch mit 0,70 Cent (fürs Mohnbrötchen). Sie zweifeln, ob sie zurückgeliebt werden? Vielleicht hätten Sie Ihrer Liebe etwas früher Ausdruck verleihen sollen. Zum Beispiel mit der inständigen Weigerung, die zehn Euro zu bezahlen!
Ich habe genau das getan und dabei einen ganz netten Herrn von einer „Kassenärztlichen Vereinigung“ kennengelernt, der mir einen ganz netten Brief geschrieben hat, in einem ganz netten Ton, wo irgendwas von einer ganz netten Verabredung mit einem ganz netten Inkassobüro stand.
So viel zum Thema Erlebnishunger! So lernt man Männer kennen! Und mit den Frauen ist das sicher nicht anders: einfach weigern, die 0,70 Cent zu bezahlen. Dann lernt man diese Leute auch mal richtig kennen und muss Ihnen nicht später ewiglang nachtrauen.
Aléa

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kristof - Montag, 10. Mai 2010, 15:46
Liebeswerben mittels Ladendiebstahl? Das ist eine Option, die ich bisher noch nicht in Erwägung gezogen habe. Wenn sich die nächste Gelegenheit bietet, werde ich das mal versuchen.

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kid37 - Dienstag, 11. Mai 2010, 01:48
Das hat eben den Hauch des Rebellentums. Der letzte Outlaw stiehlt ein Mohnbrötchen. Aber - auch das wird die Bäckereifachverkäuferin bedenken müssen: "Einen wilden Mann/Kann man nicht halten" (Bernadette Hengst). Aber Frau Alea will wahrscheinlich nur sagen, daß nur "ganz nett" eben nicht reicht.

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modeste - Montag, 10. Mai 2010, 01:30
Dem geschätzten Gefährten ging einstmals eine (nein: die) Friseurin auf diese Weise verloren. Sein Haupthaar von einer anderen Dame, gar von einem Herrn scheren zu lassen, lehnte der J. entrüstet ab und verließ den Friseursalon mit der vagen Auskunft, die Entschwundene arbeite im angrenzenden Boxhagener Kiez.

Um keine langen Worte zu machen: Der J. hat sie wiedergefunden. Nach ungezählten Telefonaten in allen Friseursalons dieser an solchen nicht armen Gegend fand sich die Dame wieder an und frisiert den geschätzen Gefährten bis heute.

Vielleicht sollten Sie das auch versuchen. Wenn Sie dann in Berlin auftauchen, melden Sie sich doch auch einmal wieder. Blut abnehmen kann ich nicht, aber ein Käsebrot sollte möglich sein, zur Stärkung auf der Suche nach der schönen Ärztin.

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lorilo - Montag, 10. Mai 2010, 02:10
Blut abnehmen könnte ich blind; Käsebrote sind sowieso drin, aber das ist ja auch manchmal nicht die Frage :)

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kid37 - Dienstag, 11. Mai 2010, 01:52
Haare und Männer sind bekanntlich (s. Samson) eine heikle, intime und sehr sensible Verbindung. Das wird von Frauen leicht unterschätzt, sonst würden sie nicht immerfort durch irgendwelche Männerlocken strubbeln wollen oder - wenn man ihnen das Vertrauen des Schneidenlassens gewährt hat - sich einfach von Mann und Haar davonmachen. Der J. hat gut gehandelt, Einsatz und Beharrlichkeit bewiesen. Meiner Ärztin, sollte sie tatsächlich in die große Stadt gegangen sein, werde ich da nicht so leicht folgen können. Die wollte mich auch schon mal ganz früh morgens sehen. Nüchtern. Ohne Käsebrot!

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alea torik - Dienstag, 11. Mai 2010, 10:37
Frau Aléa
wollte vermutlich sagen, dass der schlimme Erlebnishunger, der einen manchmal überfällt, nur schwerlich mit einem Mohnbrötchen zu stillen ist. Allerdings kommt es auch darauf an, wer es einem kredenzt. Es gibt ja Männer, die können Mohnbrötchen anrichten wie andere nicht einmal ein Sieben-Gänge-Menue.
Aber ganz sicher ist das nicht: was Frau Aléa da sagen wollte. Und wenn ein Menschenschlag meine Skepsis erregt, dann der, der immer ganz genau weiß, was er (sagen) will.

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kid37 - Dienstag, 11. Mai 2010, 11:36
Genau! Von mir bekommen die Menschen ein Mohnbrötchen, die sich auch verwirren lassen, sprachlos sind oder überwältigt. Es sind ja die kleinen Gesten, die das Große oft ausmachen. Und nie hat jemand so einfühlsam (und gleichzeitig unbekümmert beherzt) meinen Blutdruck gemessen.

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alea torik - Mittwoch, 12. Mai 2010, 00:37
Ich vermute
der Bludruck war bei hundertachtzig oder noch drüber, nicht wahr? Eigentlich hätte die Frau Sie aus dem Verkehr (sic!) ziehen sollten.

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kid37 - Mittwoch, 12. Mai 2010, 00:58
Ach was. Kühl wie eine rostige Maschine. 110:75, damit kann ich 45 werden.

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alea torik - Mittwoch, 12. Mai 2010, 09:48
Das wären dann zusammen
185. Mit dem Herzschlag werden Sie auch genauso alt.

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