Montag, 17. Oktober 2022
Das Netz des Fischers: eine Antenne für krumme Signale
Nach meiner wilden Zeit in einer Punkband an der Uni namens The Dental Fricatives (Albumtitel "ThThTh") spielte ich noch ein paar Jahre bei Rauhes Haus (Albumtitel "Hau es raus!"). Danach habe ich es musikalisch ruhiger angehen lassen. "Mit dem 4/4-Vierteltakt bin ich fertig!" (wäre auch ein hübscher Song-Titel), skandiere ich öfter angeregt über einem Glas Wein oder Apfelessig oder was sie einem im Sommer so verkaufen. Wie in der Kunst, in der Literatur und im Film interesiert mich in der Musik mehr und mehr die Störung. (Wäre auch ein super Bandname. Die Störung.)
Während ihr da draußen auf sozialen Medien herumlungert und Zeit verschwendet, habe ich unterdessen eine spezielle Antenne gebaut, um Medien anzuzapfen, die unerkannt ums uns herumlungern. Der geheimnisvolle Äther und Frequenzen, die als "krumme Wellen" bekannt sind und Botschaften transportieren, die zugleich freigeistig, aber auch gespenstisch sind. Über einem Glas Ektoplasma sinniere ich über statische Entladungen, elektrische Schwingungen, verwispernde Signale, dem verzerrten Gong eines durch Reflektionen in der Ionosphäre verbogenen Radiosenders.
Analog generierte Prüfungen mit unerhörten Botschaften
Als Musiker und Künstler will man sich natürlich einmischen, hineinmixen, störsendern und selber ein "Hallo Welt!" hinauspiepsen. Eine Prüfung generieren für sich und andere. "Hallo, ich bin deine Störung!" telegraphiere ich dann in den Äther, lausche dem Stöhnen der Gespenster und erschauere über die Lumiszenz der Tapetennähte, die im nächtlichen Zimmer unterm Dach (des besseren Empfangs wegen) grünlich schimmern und auf- und abschwellende Muster erkennen lassen. An der Wand siebenundreißig offen verbaute, mit hart aufgehängten Membranen versehene Lautsprecher, die Knistern und Knirschen, Knacksen und Knarzen und frikative Botschaften abstrahlen. Neulich hörte ich, ich bin da sehr sicher, "Kid, es ist noch Kuuuuchen im Kühlschrank", eine klagende Stimme aus dem Jenseits, die sich aber irrte. Es war kein Kuchen mehr da.
Field recording für Gespenster, doch mit dem Sterben der Radiosender auf den längeren Wellen, sterben auch diese. Viele statische Signale sind lokaler Natur, der Wlan-Router, der Handmixer der Nachbarn. Es wird nichts mehr an einen herangetragen. Auf Twitter vielleicht vereinzelte Geister-Bots, die niemand programmiert hat, die sich einst abgespalten haben wie Tumorgewebe eines umfangreicheren Programmcodes und nun in der Lallperiode ihres Spracherwerbs anleitungslos herumirren, Kekse versprechen, die keine sind. Informationsmüllhalden für Dada-Spiritisten der nächsten Generation.
Sonntag, 4. September 2022
Schwebender Stein I (Acryl, Tinte, Papier, 2022. 1000,- Mark)
Ich bin jetzt in eine neue Werkphase eingestiegen. "Schwebender Stein I" heißt mein Bild von dieser Woche. Es zeigt ein Element, das eigentlich schwerer ist als das ihn umgebende Element und dennoch in ihm zu schweben scheint. Ein Planet vielleicht im All, ein kalzifizierter Gedanke im Gedächtnis oder ein hartes Wort, das im Raum steht. Oder aber auch ein endloses, lichtloses Schwarz (eine besonders reflexionsarme Acryl-Tinte-Mischung), das etwas gebiert wie einen Eiterpickel, einen schmelzenden Camembert, einen neuen Stern oder ein glupschiges Auge, das durch einen Spalt in einer Holztür schaut. Eine ganze Note in einem Klangteppich aus doomig-drohnigem Schwarz.
"Wie kommen Sie nur immer auf diese Ideen?" werde ich als Künstler häufig gefragt. Ja, wer mag mir da den Pinsel geführt haben. Eine höhere Existenz vielleicht, eine von modrigen Pilzen überwucherte Erinnerung, der Klang eines Hundes, der in der Ferne bellt. Ich vermag das nicht zu entscheiden, ich sehe mich selbst als Werkzeug einer unergründlichen Imagination, eines Traums, in dem ich geträumt werde. Vielleicht war ich niemals da und lag doch ruhig wie ein Stein.
Montag, 8. August 2022
Werkstatttagebuch III/22, Sek. 37. Für die in vivo-Testphase habe ich nun seit einigen Tagen die Traummaschine neben meinem Bett platziert. Auch wenn meine Nächte meistens schlaf- und traumlos verlaufen, gibt es hie und da REM-Phasen mit besonders gesteigerter Traumaktivität, die ich mit meiner Maschine aufzeichnen konnte. Es sind meistens etwas undeutliche, erinnerungslose Bilder wie Tränen im Regen, die am Morgen für die Menschheit verloren sind. Für immer.
Nun aber bin ich in der Lage, diese Daten aufzuzeichnen, von Fehlspuren (Magengrimmen, äußere Einflüsse, Zufallsindikatoren, elektromagnetische Spitzen durch vorbeifahrende Autos) zu bereinigen und auszuwerten. Zum Ende bleiben endlose Ströme kodierter Zeichenkolonnen, für die man früher Dutzende Linguisten und Code-Knacker hätte beschäftigen müssen, um sie zu dechiffrieren.
Heute gibt es dafür zum Glück Maschinen mit künstlicher Intelligenz. Diese wurden gefüttert und antrainiert mit Milliarden von Träumen anderer Menschen, um einen Korpus von dem zu schaffen, was man gemeinhin unter "Traum" versteht. Die KI hat leider kein Bewusstsein, folglich auch kein Un-bewusstsein kann daher auch nachts nicht abschalten und vor sich hinträumen. (Und auch keine "elektrische Schäfchen" zählen, wie es im Volksmund immer heißt.)
Die KI (hier handelt es sich um eine Maschine namens "Midjourney") kann die von mir und meiner Traummaschine aufgezeichneten Daten aber interpretieren und analog Trilliarden von anderen Träumen nachmalen. Sich ausmalen. Übersetzen. Wie man es auch immer bezeichnen möchte. Jetzt allerdings habe ich Angst bekommen. Den offensichtlich ist die Maschine in der Lage, in meinen Kopf zu schauen. Und zwar schmerzhafter und genauer, als ich es selbst zu tun vermag. Ich fürchte, die Maschine wohnt dort bereits. Und so wie ein Staubsaugerroboter exakte Karten von den von ihm befahrenen Wohnungen und vor allem vom dort gefundenen Müll aufzeichnet und an eine andere Maschine funkt, so hat die Traummaschine auch meine Hirnwindungen und den Müll darin, die sogenannte Plaque des Denkens, kartografiert. Da sitzen offenbar deformierte Menschen auf derangierten Stühlen, tanzen viktorianische Roboter vor Grosz-teskem Publikum, singen Affenmädchen verzerrt aus trüben Gläsern.
Es ist also tatsächlich sinnvoll, dass man meist schläft, wenn man träumt. Dass man Traumgebilde und Phantasmagorien sich selbst im Schlaf überlässt, im kindlichen Vertrauen darauf, dass der Spuk am nächsten Morgen vorbei ist und alles in alltagskodierte Formen und Gebärden zurückgefasst ist. Damit man den gemeinsanen Traum weiterträumen kann. Und die Schläuche und Sensoren und die trüben Gläser, in denen wir alle stecken, nicht bemerkt.
Mittwoch, 3. August 2022
Wichtig ist ja immer auch der Feldversuch. Der Moment, wenn das Kunstwerk wie eine Raupe aus dem Kokon der Werkstatt schlüpft und die Umwelt erkundet. In diesem Fall war dies im Rahmen einer kulturintervenistischen Aktion ein Stück Brachland inmitten der Großstadt, Oase zwar nicht für Insekten (gab kaum welche), aber Gedanken. Wir sehen hier in einer ortsspezifischen Installation den Prototypen (daher noch nicht ausbalanciert, was natürlich die ersten Traumergebnisse verfälschen wird) mit seiner Trichterfalle, in der die von den Röhren gebündelten Erinnerungsstrahlen (ein zuvor genutztes Brachland eigent sich daher gut für erste Experimente) gesammelt werden. Eine Art Field recording für Spiritisten.
Sollten die Ergebnisse befriedigend ausfallen (ich habe mich noch nicht getraut, den Fangkasten zu öffnen, hielt aber bereits ein Stethoskop daran), werde ich die Installation auf einem Friedhof erneut aufstellen. Im Ergebnis sollten die dort viel stärker vorhandenen Erinnerungsstrahlen ("memory beams") zu einer größeren Ausbeute führen. Dann folgt auch der Test der Wiedergabefähigkeit, bei der ein exakt ausgependelter, an einem menschlichen Haar befestigter spitzer Bleistift über einem Blatt Papier schwingen wird und Bilder skizziert, die als "Träume der Toten" zu betrachten sind.
In Traummaschine III werden wiederum kleine Lautsprecher in die Röhren platziert werden, die aus dem Gerät heraus (ex ovo) den Gesang ausgestorbener Vogelarten in das von Nutzen und Gebrauch befreite Brachland abstrahlen werden. Eine Reflektion über Vergänglichkeit im Zeitalter technischer Reproduzierbarkeit am Ende des Erdzeitalters, das wir kannten.
Sonntag, 31. Juli 2022
Nachdem ich neulich noch einmal Ken Russells Gothic mit einigem Vergnügen gesehen habe, eine Arbeit über die Erschaffung eines Schöpfers aus dem Geist traum- und albtraumhafter Abgründe, dachte ich weiter nach über das Leben als Créateur, wie man am Genfer See, also dort, wo der Film spielt, vielleicht sagt, und beschloss, eine weitere Traummaschine zu bauen.
Diese hier erinnert ein wenig an die Intonarumori -Krachmaschinen der Futuristen, wie man sie hier betrachten kann. Und in der Tat ist diese Maschine gedacht, um Gedanken und Träume mit Klängen zu beinflussen. Das Funktionsprinzip von Twitter brachte mich auf die Idee, vielstimmige Geräusche in einen Echoraum abzustrahlen, eine ortsspezifische Klanginstallation, deren Energie einen Gedanken denken lassen soll.
Wenn man die Regler auf Elf stellt, geht auch ordentlich was ab. Es bildet sich eine Art brodelnde Pizzaoberhaut auf der Hirnrinde, ein Fusionsgenerator der Klänge, den ich wie ein Tesla der Moderne nur mühsam im Zaum halten kann. Ist aber alles sicher, und von TÜV Süd geprüft. Denke ich jedenfalls, aber das kann sich, je nach in meine Maschine induzierten Klang kurvenartig verändern - mal Sinus, mal Rechteck, mal Sägezahn, ihr kennt das Muster. Rhythmisch pumpende Lavageysire, Assoziationsbilder, Rorschach-Muster, aus denen sich die Zukunft lesen lässt. Die sieht, wie man weiß, für uns alle auch nicht gut aus.
Samstag, 16. Juli 2022
In meinen bereits länger dauerndem Hiatus blieb ich fingerrege und habe eine Maschine gebaut, die meine Träume verarbeiten kann. Die komplexe Konstruktion (Details erspare ich an dieser Stelle, auch aus Sicherheitsgründen, da die Konstruktion nicht in allen Teilen die gängigen DIN-Normen erfüllt und für Laien, die ihr seid, gewisse Gefahren beim unsachgemäßen Betrieb bereithält) passt von den Dimensionen her so eben noch in den Musiksalon und summt und kröchelt dort so vor sich hin.
Auf dem Bild sehen wir das sogenannte Traumnetz auf der rechten Seite, den eigentlichen Reaktor links (nur von geschultem Personal zu bedienen!) und einem Projektionskondensator im Vordergrund. Man muss sich nur ins Traumnetz stellen und in eine meditative Trance begeben, vielleicht ein Lied singen oder tiefe Töne auf Herzfrequenz. Die Traumwellen werden vom Reaktor verarbeitet (Transmutation) und zum Projektionskondensator geleitet, der die Träume für den gewöhnlichen Betrachter sichtbar macht. Ganz simpel eigentlich, wenn man mal darüber nachdenkt.
Ich träume viel von Fischen, wie sie durch dunkle Gewässer treiben, durch die Kiemen atmen, ins Unergründliche tauchen oder aufblubbern und Blasen schlagen, Ideenfragmente seufzen oder Wünsche erfüllen oder das Leuchten anfangen in den Schwärzen der Tiefsee. Wenn man vom Tage aufgewühlt, jeder Kopf seine eigene Sargassosee, in so einem Maschinenraum zur Ruhe kommt, Sphärenklänge und unentzifferbares Gewisper, sich verfängt im Traumnetz, Ideen nachgreift, Nervenspannung, dann kann an sehen, wie sich die Fäden aufladen und anfangen zu leuchten. Ganz hübsch eigentlich, wie eine Rauminstallation mit Medusenleuchte und Schleiertänzerinnen. Ein illuminiertes Séancen-Hinterzimmer.
Dienstag, 21. Juni 2022
Ich mag ja Fische. Leider sind die oft schnell zickzackweg und abgetaucht, ehe man ihnen die Flosse gereicht hat. Nun hält mich aber bekanntlich nur wenig auf dem Weg meiner Träume zurück und so habe ich mir kurzerhand in geduldiger Laubsägearbeit ein Aquarium gebaut. Eine Traumverlorenheitsmaschine für abschweifende Blicke. Perfekt bemessen, bleibt auch der scheueste Gründler stets in Beobachtungsposition und im Grunde ansprechbar.
Dabei sind Fische oft stumm. Aber halt wie Ideen ständig im Fluß. Ein Orakel vielleicht, wenn man ihre Blicke zu deuten weiß. Nachts schlafen die Fische doch, lassen sich davon aber nichts anmerken. Die Ilsebill ging dem Fisch auf die Nerven, das war nicht schön. Ich stelle mir mein Aquarium ins Zimmer so wie andere einen Kanarienvogel. Fische können nicht singen. Und doch ist ein Fisch ein guter Freund. Er hört zu und fällt einem nicht ins Wort. Fischen muss man ab und zu den Kopf waschen, denn wenn (und ich sage: wenn!), dann stinkt er von dort. Meiner shampooniert sich täglich. Mal Butter bei: Wenn dir das Leben einen Fisch schenkt, gib Zitrone dazu.
So weit die Erzählungen der anderen. Ich aber schaue entspannt ins blubbernde Traumfischfernsehen und lasse mir stumme Ideen erzählen. Atemlose, pantomimische Berichte aus der Tiefe, dort wo die Fische leuchten. Mir ein biolumineszierendes Nachtlicht.
Mittwoch, 23. Februar 2022
"U-Boot taucht auf!" 2022. Wasserfarben, Papier, Bleistift. 1000,- Mark.
Ich erzählte hier bereits, daß ich früher mal eine Karriere als erfolgreicher U-Boot-Maler anstrebte. Eine tolle Zeit, viel Wind, viel Wetter, Gischt und Seemannschöre. Nun überlege ich, mit zunehmend wohlwollendem Blick auf die Vergangenheit, ob ich nicht 2022 wieder vermehrt auf Tauchfahrt gehen sollte. Um dann mit kühnem Bugschwung und seevogelumschwirrt aus den Wogen zu steigen.
Neulich habe ich geträumt, eine Bekannte wäre zu Kaffee und Kuchen zum Besuch gekommen und hätte mich freundlich gefragt, ob ich vielleicht ihre neuen Tattoos sehen wolle. Und ich sagte, gern, und überlegte, wo ich meine Lesebrille abgelegt hatte oder ob ich eine Lupe brauchen würde für all die Texte, die sie vielleicht aufgetragen hätte, oder ein Periskop - jedenfalls bin ich dann leider aufgewacht aus diesem tätowierten Traum bzw. in eine andere Schlaf- oder Wachphase gerutscht, was schade ist, auch um des Berichts hier wegen.
Das ist so, wie wenn man frische Narben herzeigt, OP-Wunden, Herzwunden, kleine Imperfektionen, das Wunder des Körpers, des Überlebens zwischen Intrusion und Heilung. So, wie wenn man sich als Arzt oder regelmäßiger Zuschauer von Medizinsendungen im Fernsehen zu erkennen gibt und auf Partys um Gutachten und Meinung gefragt wird, wie man dieses oder jenes in seiner Ernsthaftigkeit und Bedeutung einschätzen würde.
Die Exegese des Körpers, der sich morgens immer beschwerlicher aus den aufgewühlten Wogen der Bettlaken erhebt, wie so ein submarines, tätowiertes und von den Haken der Jäger und den Zähnen der Raubfische zerschrammtes Tier oder verloren geglaubtes U-Boot. Die Gischt nurmehr Sabber, da bläst er!, singt der Seemannschor, weil man nachts schnarchend und mit offenem Mund... aber auch dagegen, das lehren Medizinsendungen im Fernsehen, gibt es Hilfe. Zunächst aber muß alles gelesen werden: Narben, Geräusche und Funksprüche aller Art.
Donnerstag, 17. Februar 2022
In meinem launigen Erinnerungsbuch Die Bohème lebt unterm Dach - und macht Krach beschreibe ich, wie ich morgens nach dem Aufwachen oft noch fünf Minuten im Bett liegenbleibe, um den richtigen Spirit zum Aufstehen zu finden. Dabei atme ich hin und wieder geistesabwesend Ektoplasma aus, einfach, weil ich es kann, so wie andere gelangweilt Kaugummi kauen oder eine rauchen, materialisiere also irgendwelche Geister, meist die der Vergangenheit, tobende Chefs etwa, die mit dem Zeigefinger auf ihre Armbanduhren klopfen, oder klagende Frauen, die mir aus irgendwelchen kargen Nebellandschaften heraus vergessene Einkaufslisten hinterherrufen.
So mancher, der wie ich im Herbst seines Frühlings steht, interessiert sich vielleicht für mein neues Buch Der Tod traf mich lebend an. Dies wird in einer zugigen Kate im schottischen Hochmoor entstehen, wo ich - nur von einem Raben begleitet, der mir zum Aufstehen Schicksalslieder singt - ein paar Herbstwochen lang Lebensmaximen und -weisheiten zusammentragen werde. Zum Beispiel im Kapitel "Ein Tier, das faucht", Erkenntnisse aus dem Leben mit einer Katze. Der Volksmund sagt, die Katze habe neun Worte, wenn ihr also plötzlich eines fehlt, hat sie lange Zeit ein weiteres bereit. Das ist praktisch in öffentlichen Diskussionen, in denen es einem häufiger mal die Worte verschlägt. Die Katze bleibt hier unbeeindruckt, leckt ihr Fell und greift sich das nächste.
Oder auch das Kapitel "Klaviererzählungen" mit einzelnen Klängen zum Nachhallen und Nachhören, wie in einem Traum. Einer dieser Selbsterzählungen beginnt so: "Als ich eines morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand ich mich in PJ Harvey verwandelt und führte fortan ein recht interessantes Leben mit zwei Klavieren und mehreren Gitarren, die mir selbst gehörten." Seither übe ich über Rollen von Notenpapier gebeugt magisches Denken, unterteile das Leben in schwarze Tasten und weiße Tasten und probiere dazu einen Moll-Akkord. Momm.
Im sogenannten "wahren Leben" stattdessen aber Sturm, Geklapper unterm Dach, losgezerrte Segelboote, Notizzettel und Sätze voller Doppel-Konsonanten (wer hier mal nachzählen möchte). Will man da raus und aus Büchern deklamieren? Korken in den Wind spucken, um nicht deutlich, aber eben lauter zu sprechen? Windsbräute am Kragen packen oder vom Wind verwehte Möwen abwehren? Alter Mann, müde, murmle ich. Stopfe Kleider, putze Schuhe, mach den nächsten Plan.
Montag, 11. Oktober 2021
Transformiere nach wie vor vor mich hin (eine der wenigen Satzkonstruktionen im Deutschen mit zwei aufeinanderfolgenden "vor", achtet mal drauf). Was mir bislang fehlte, so meine knochenharte und unerbittliche Analyse, war das Ziel von einer Fabrik der Ideen, ein Powerhouse of Ideas, wie man heute so sagt. Ich werde mich nun in einen dampfenden Kessel verwandeln, aus dem die Visionen und Ideen und sogar fantastischen Ideen nur so herausdampfen, aus Poren und Schornsteinen. Über einen Transmissionsriemen (ist Physik) kann ich dann alles und alles drumherum so dermaßen transformieren, daß die Erdkruste knackt.
Die Ideenfabrik? besteht erstmal nur als Modell im Maßstab 1:1000000, soll aber bald am südlichen Ende der Hamburger Hafen-City - da wo heute schon Kräne und Betonmischer stehen - projektiert werden. Dann grüßt zum Eingang der Stadt demnächst nicht nur der im Volksmund "große Primmel" genannte Megatower vom österreichischen Großgroßinvestor, ein 800-Meter-hohes-Bürogebäude (derzeit noch unerigiert), sondern gewaltige Rauchwolken aus dem ebenso gewaltigen Schornstein meiner Fabrik. Damit man sieht: Hier in dieser Stadt wird groß gedacht!
Das Modell habe ich zwar aufwendig, aber doch schnell gebaut. Eine frühere Lebensgefährtin hat so etwas immer für Fotos gebastelt, da habe ich alles Tricks des Gewerbes abgeschaut. Geduldig ein paar Pflastersteine auf dem Tisch verlegt und einen Nachthimmel installiert, mir in der Kita nebenan vom Laternenbasteln eine Pappe mit Transparentpapier besorgt, Papprohr bemalt - zack, war das Foto fertig. Anschließend habe ich es natürlich noch mit dem Computer bearbeitet (dezent), wie man das heute so macht. Dann die Filmkameras aufgebaut, Gimbal, Dolly, Stative, Licht, Best Boy und Gaffer, Script-Girl, wirklich nur kleines Team - und los ging es.
Wegen allerlei Lizenzen und Trara und Geheimniskrämerei durfte ich keine Innenaufnahmen machen, aber bereits jetzt scheinen mir die Generatoren in der Fabrik mehr Saft zu liefern als die bald durchelektrifizierte märkische Heide mit ihrem Mobilitätswendemogul. Ich hoffe, im nächsten Jahr mit dröhnender Lache und gebrochenem Englisch eine Pressekonferenz zur Eröffnung geben zu können. Von Ideen und Arbeitsplätzen werde ich sprechen, von Metropolis, Politiker werden klein neben mir stehen, und dann gibt es frisch geräucherten Elbelachs aus dem Schornstein.