Donnerstag, 17. November 2005


Der gefundene Satz, 24

"Find out who you are, and then do it like mad."
(Quentin Crisp)


 


Dienstag, 15. November 2005


Vorstellungen

Persönliches Tageshoroskop von Dienstag, 15. November 2005

Unüberlegtes Handeln provoziert ernste Störungen im emotionalen und häuslichen Leben oder auch bei der Arbeit, da Sie jetzt nur ungenaue Vorstellungen über sich selbst und Ihre Bedürfnisse haben. [...] Vermeiden Sie langfristige Engagements, damit Sie später nicht die Konsequenzen unbedachter Handlungen ausbaden müssen, die Sie unter dem Einfluß kurzzeitiger Illusionen begangen haben.

In diesem Sinne dann in das Vorstellungsgespräch morgen früh.


 


Sonntag, 13. November 2005


You'll Speak When You're Spoken To

People are fragile things,
You should know by now.
Be careful what you put them through.

(Editors, "Munich")

In meinem extendierten Wohnzimmer spielten am Samstag die Editors, neuester britischer Düsterpop über no-nonsense Postpunk-Rhythmen. Die Jungs aus Birmingham haben angenehmerweise Joy Division und die Bunnymen zum Pausenbrot ihrer Elementary School gehabt und schwitzen das nun aus jeder zwanzigjährigen Pore.
Im vollgepackten Molotow (Ah, bring your own air!) war die Spannung allerdings nicht für jeden zu ertragen. Ein kleiner Trupp nervte durch wildes Gehampel ziemlich ab.

Ist eben doof, wenn man zu weit hinten steht. So ein Gehemmt-Aggressiver fand zwar nichts dabei, alle anzurempeln (Oh, Pogo, [m], der: Hüpftanz mit Anfassen), als es bei Munich ein wenig wilder wurde und ich zurückhüpfte, mochte der das aber gar nicht. Eher ansatzlos sprang mir zum zweiten Mal innerhalb zweier Wochen ein Typ fast an die Gurgel. Erst verstand ich nur was von "Mach Platz" (hardhearing), aber dieses "Isch mach dich platt!" war nun wirklich nicht nett.

Zum Glück habe ich aber nicht mehr die vorlaute Klappe wie vor 20 Jahren und mache keine Kußmünder oder rotze frech "You'll speak when you're spoken to" (Editors) zurück. Mittlerweile neige ich dünnes Hemd halt eher zu pastoralen Beschwichtigungs- und Demutsgesten. Ist besser so. Für mich. Auch wenn vollgepackte Rockschuppen den Vorteil haben, daß eigentlich immer irgendwelche Umstehenden alert genug sind, ihre Muskeln schon mal prophylaktisch vorzupumpen und notfalls Ausfällige zurückzuhalten.
Na ja, vielleicht hatte der Typ schlicht sein Lithium nicht genommen. Egal. Und, he, ich habe ihn nun wirklich ein wenig provoziert. Bißchen. So im Nachhinein betrachtet. Aber er hat angefangen. So. Wie es übrigens stressfrei geht, zeigte der Typ von der Roadcrew, der sich britisch höflich durch die Menge schob. Auch bezeichnend, wenn die Band netter ist als ihre "harten" Fans.

Damit zurück zu den Editors, die von Anfang an keine Gefangenen machten, mit überraschendem Druck und wirklich hervorragenden Sound (Ich sag ja, dieser Typ von der Crew hatte es drauf) die Hamburger zum Rocken brachten. Gitarrengeschredder von einem wobbligen Rickenbacker-Bass unterlegt, dazu ein kraftstrotzender Tom Smith - da waren gleich alle Hände in der Luft und Haare elektrisiert. Mir fiel auch gleich auf, warum ich Interpol nicht ausstehen kann. Wenn Rocker mit Flecken auf der Hose die Bühne betreten, dann bitte, weil da grad noch Leben war. Und nicht, weil man backstage prätentiöses Selbstbefummel treibt. Diese aalglatten Interpolen tragen zwar schicke Anzüge, haben darin aber keinen Platz mehr, ihren Erfolg würdevoll zu verdauen. Muß auch mal gesagt werden, auch wenn das jetzt dem ein oder anderen weh tut. Außerdem überlegt man bei deren Konzerten, ob man nicht besser die Isomatte ausrollen und ein wenig meditieren sollte. Mitsummen, vielleicht.

Die Editors machen dafür so richtig Tempo, wie das halt schon mal so war mit den Fehlfarben und den Gang of Four und Wire und diesen jungen Menschen von vor 25 Jahren. When I was young und hatte dunkles Haar. Und wir hüpften alle und schlugen uns nicht aufs Maul. Und wenn, dann nur zum Spaß.
Tolle Sache.

Wenn man dann nach dem Konzert von der Reeperbahn aus runter zum Hafen spaziert, in betörender Begleitung am besten, kann man ein wenig verschwitzt und mit pochendem Herzen die Queen Mary 2 anschauen. Die liegt da, bunt illuminiert, in den Docks, wird bedengelt und beklopft und läßt sich das in majestätischer Ruhe gefallen.

With one hand you calm me
With one hand I'm still
.

Radau | von kid37 um 18:52h | 11 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Freitag, 11. November 2005


Zum Glück ist es Freitag

Passend dazu: die Fotos von Desirée Dolron.

Und für das verregnete, morbide Novemberwochenende mit ein bißchen Sex, Tod und Rührung empfehle ich die makabre Schönheit von Humandress.

Nachtrag: Vor einiger Zeit berichtete ich von meinen Schwächen bei Operationen am offenen Herzen. Hier kann ich (und jeder, der ein pulsierendes Interesse mitbringt) mich ein wenig als Herzchirurg üben. Schöne Sache.

Vergeßt heute abend nicht Eure Gebete.


 



Hopp'ditz

Seit 11.11 Uhr weht hier ein anderer Wind. Heute abend schnitze ich einen Kasper in Linol und mache Allotria. Wir sehen uns Aschermittwoch.

Nachtrag - die Ringelstrümpfe der Woche: The Buttersprites,
eine New-Wave-Band mit, huch, japanischem und, doppelhuch, krankenschwesterlichem Einschlag:



Ich bin dann mal ein paar Tage nicht ansprechbar.


 


Dienstag, 8. November 2005


A schöne Leich

Ach, der arme Victor! Der schüchterne, ungelenke Tropf wird von seinen Eltern, neureiche Fischhändler von Beruf, in sein größtes Abenteuer gestürzt: Er soll heiraten! Victoria, so die Auserwählte, ist von blauem Blut und schönem Antlitz – doch, zum Unwissen der auf sozialen Status bedachten Eltern Victors, bitterarm. Das schert aber Victor und Victoria nicht, die überraschend Gefühle füreinander entwickeln – zum Entsetzen der kungelnden Eltern.

Da setzt sich ein Drama in Gang: Herr Kid Victor flieht nach der mißratenen Hochzeitsprobe (So was probt man nicht, remember Kill Bill?) in den Wald, übt die ehelichen Schwüre und steckt den Ring an einen knorrigen Zweig, der sich - und nun kömmts! – als die Knochenhand von Miss Wurzeltod Emily entpuppt. Da lachen die Krähen, und Victor sieht sich in der mißlichen Lage, gleich zwei tollen Bräuten sein Versprechen gegeben zu haben. (Ist eben Kino und nicht realistisch, was soll's.) Emily ist so eine Gothic-Braut, durchtränkt von morbider Sinnlichkeit – und leider ziemlich tot. Einst brutal unter die Erde gebracht worden, wartete sie auf einen Liebhaber, der sie im Reich der Toten zur Frau nehmen möge.

Dortselbst geht es recht vergnüglich zu, gar nicht grau und bitter, wie oben unter den Lebenden. Es wird gesungen und musiziert (Musik: Danny Elfman), gelacht und getanzt und so mancher Humpen geleert. Selbst seinen treuen, verstorbenen Hund trifft Victor wieder. Unverständlicherweise aber will unser Held zurück zu den herzenskalten Menschen ("Ich habe ein Problem: Ich bin nicht tot.") – wegen Victoria, natürlich. Aber Emily hat nunmal ihr loses Auge auf ihn geworfen...

Man träumt ja von solchen Projekten: Zehn Jahre hat Tim Burton seine Mannschaft in einer alten Fabrik in London die Puppen tanzen und nach Nightmare before Christmas einen weiteren Puppentrick-Langfilm aus seinem Frankensteinfilmlabor entkommen lassen. Liebevoll, detailliert und voller Charme des Handgemachten – schon der irre Spaß Team America bot den ewig gleichen Computeranimationen die Pappmaché-Stirn. Corpse Bride ist stilistisch der feuchte Traum des Gothic-Fans und hat zudem eine wirklich anrührende Geschichte über Liebe und Verzicht zu bieten.
Wie das wahre Leben eben.

Wer die Möglichkeit hat, sollte sich die Leichenbraut im Original anschauen. Mit den Stimmen von Johnny Depp, Helena Bonham-Carter und Tracey Ullman macht das Grusical gleich noch mal soviel Spaß.

(Tim Burton's Corpse Bride. USA 2005. Regie: Tim Burton, Mike Johnson)

Super 8 | von kid37 um 14:11h | 12 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Freitag, 4. November 2005


We used to run and hide

I'll be there for you when you want me to
I'll stand by your side like I always do
In the dead of night it'll be alright
Because I'll be there for you when you want me to

(New Order, "60 MPH")

New Order 511. Zurück auf den Füßen, aufrecht, wenn möglich. Steven Morris, der übrigens am selben Tag wie ich Geburtstag hat, was ich viel zu selten betone, klopft mit der etwas angestrengten und schweratmigen Präzision eines alten angerosteten Weckers den Takt, Sumner springt ab und an wie ein Gummiball um den coolen alten Mann herum, der wie der Pirat Hook seinen Säbel, den Bass unten in den Kniekehlen hängen hat.

Die DVD "Finsbury Park" mit dem Konzert von Juni 2002 kommt mit einer tollen Setlist daher: "Transmission", "Ceremony", "She's Lost Control" und "Atmosphere" greifen weit in eine Zeit zurück, als Beton noch grau war und leider nicht brannte und das fahlgelbe Neonlicht in vollgepißten Fußgängerunterführungen alles war, was uns jemals scheinen wollte.

Dagegen wummern die Hits wie "Blue Monday", "True Faith", "Bizarre Love Triangle" und das einzige Stück, was man jemals gehört haben muß - "Temptation" - sowie Schmeichler wie unter anderem "Crystal" vom damals aktuellen Album. Und: "You've got to pull yourself together, man" - die Zeile singe ich doch jeden Morgen, kurz nach dem Aufwachen. Überhaupt, die damals neuen Stücke, wuchten sich über den Bühnenrand, über die Rampe quer durchs Publikum ins heimische Zimmer, das man kurz noch einmal 17 wird. Und wenn Sumner zum Uber-Hit "LWTUA" die Rickenbacker spielt, ist alles verziehen.

Die Magie kommt niemals wieder. Wenn Musik nicht nur Erinnerung ist, sondern der Soundtrack zu einem Leben, das die ganze Zeit immerzu "JETZT" schreit. Wenn der Klang genau 1-zu-1 ins eigene Erleben fällt. Jetzt, 25 Jahre und tausend Gründe und Erklärungen und Entschuldigungen später... everyday my confusion grows.

All die Worte, die ich sagte. All die Versprechen, die ich brach.
All die Augen, die ich sah. Blau, grün, grau. All die Orte, die ich verließ und - mehr noch - die Orte, die ich zu spät verließ.

We will never meet again.

Radau | von kid37 um 13:24h | 27 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Mittwoch, 2. November 2005


Zwischen Samstagnacht und Sonntagmorgen

Am Rhein lebt man erst,
Wenn’s nebelt und nässt,
Wenn die Sommergeilheit sich endlich legt.

(Fehlfarben, "Der Fremde")

Während die Ratten den sinkenden Ewer Berlin verlassen, sich plötzlich fragen: Gibt es eigentlich das ostdeutsche Mädchen noch? In der Hektik der Tage vergißt man so leicht. Vielleicht auch führt bald der Napoleon von der Saar die alte Tante wieder als Tischherr zum Tanz. Wenn das mal so weitergeht.

Ich fahre mit dem nassen Finger um den Rand eines Glases und lausche dem Ton. Und ziehe nur gute Karten. "Sie werden ein unbeschwertes und langes Leben haben", jubelte mir der Glückskeks vom Samstag unter. We'll see to that.