
Montag, 31. Oktober 2005
Are distant now
I wear my memories like a shroud
I try but words collapse
Echoing
"Trick or Treat"
(Siouxsie and the Banshees, "Halloween")
Das Wochenende zeigte, daß das hermetische Café offline doch rockbar ist. Erst wurde, wie bei anderen Menschen der Römertopf, das Gelächter aus dem Keller geholt. Das flog bald wie ein Halloween-Gespenst durch die weitläufigen Räume und schüttelte sein zerschnittenes Bettlaken, wo es nur konnte. Dann wurden Bierflaschen zum Baden geschickt und dem Rotwein echt mal der Stock aus dem... Korken aus dem Hals gezogen. Später wurden Tintenfische mißbraucht (Sorry, folks!), und Herr Mequito sang eine ergreifende Kantate, daß sich Piratenbräute die Tränen aus den Augen wischen mußten. Frau Lu jedenfalls warf sofort mit religiöser Erbauungsliteratur nach mir. (Bericht wird folgen.) Nur Herr K. blieb ruhig wie immer und bewahrte die Fassung.
Es gäbe Geschichten zu erzählen. Denn die fallen ja immer wie Brosamen von den niedrigen Tischen der Zubloggemeinschaften: Zum Beispiel die Geschichten von nicht-bloggenden Menschen, denen die Katzenbilder nur so auf den Nägeln brennen. Was Kerstin13 lässig mit den schärfsten Blümchenbildern der Welt kontern könnte, wenn sie denn nur wollte. Starke Sache, man darf da gespannt sein. Oder wie man dann wartet, daß endlich mal ein Boot nachts über die schwarzen Wasser des Kanals tuckert, um zu zeigen, daß es sie wirklich gibt, die schwarzen Wasser vor meinem Haus. Frau Grau jedenfalls öffnete die Schublade, die mit "So klein ist die Welt" beschriftet ist, und entlockte mir folglich manches staunende "Ach". Oder auch ein "Sieh an", wenn ich die Zeit für etwas Abwechslung für gekommen hielt. Ja, es gäbe Geschichten zu erzählen. Von atemberaubenden Überraschungsgästen und sympathischen Zeichnern und der schärfsten Chili-Köchin der Welt. Geschichten eben. Nur die Gerüchte mit den venerischen Krankheiten habe ich wohl verpaßt.
I wander through your sadness. Gazing at you with scorpion eyes...
Nette Abende sind eben nicht blogbar.

Freitag, 28. Oktober 2005
Die Reklame lehrt: Drei Dinge braucht der Mann. Eine Identität, das Gefühl von Nähe und Zuneigung und ab und an die Ansicht eines Ringelstrumpfs. Wie Herr Burnster schon richtig vermutete. Gut, dann ist da noch die Sache mit dem Alkohol.
Die Sache mit der Symbiose klingt verlockend, aber das Zauberrezept besteht ja aus Nähe und Distanz.
Also Obacht.
Manchmal muß man die Dinge auch nicht so plump von vorne, sondern von hinten betrachten. Pseudo-Retro statt Ringelstrümpfe, aber ebenfalls entzückend, wie der Volksmund sagt. Am Ende bleibt alles ein Spiel. Wohl dem, der sich das noch bewahren kann. Ich, zum Beispiel, werde immer jünger.

Donnerstag, 27. Oktober 2005
He watches all the time
While all around him wallpaper dies
(And Also The Trees, "Wallpaper Dying")
Eines Tages, wenn die alten Tapeten heruntergekratzt sind oder neu eingefärbt, wenn Raum ist für neues Ach und Weh, dann werde ich durch die staubigen Zimmer schreiten, dort, wo nur noch feiner Gipsstaub im Gegenlicht der tiefstehenden Sonne wirbelt. Vielleicht ein letzter Hauch noch oder eine Riefe im Putz. Die werden meine Finger spüren, wenn ich über die Wände taste. Wenn ich gedankenverloren über die Stelle streiche, wo sich Messer, Gabel, Schere, Licht und ein bißchen Blut verteilten.
Eines Tages dann, wenn ich längst weitergezogen bin, werden es nur noch Hieroglyphen sein, kryptische Zeichen auf der Wand. Wenn ich den Hafen verlassen habe auf einem anderen Schiff, wird es neue Mieter geben.
Aber keinen Stein von Rosette.

Mittwoch, 26. Oktober 2005
Das Wetter ändert sich, die Menschen stehen wieder vorwärts in den Straßen. Oder gehen entzwei.
Am Samstag will ich bloß unverfänglich zur Vernissage, gerate aber schon auf der Straße in eine böse blöde Auseinander- setzung. Ein psychopathischer Spacko Typ in einer psychischen Extremsituation rangelt da mit seiner baldigen Exfreundin (hofft man) und verbittet sich höflich jede Einmischung springt mir fast an die Gurgel. Ob ich keine eigenen Probleme hätte, fragt er besorgt brüllt er mich an.
"Klar, habe ich die", sage ich, erzähle ihm von meinem Jammerblog und gebe klein bei versuche, ihn zu beschwichtigen. Irgendwann kommt die Polizei. Irgendwann.
Im Knust singt Bernadette, aber ich fühle mich an diesem Abend nicht knarf genug, mich von fremden blonden Frauen anrocken zu lassen. Andererseits gibt es viel Auflauf beim Helium Cowboy. Junge Menschen, schöne auch und übriggebliebene. Meine Begleiterin will sich gar nicht von mir die Kunst erklären lassen, daher mache ich mich nützlich und hole Getränke. Mokis Bilder sind mir streckenweise ein wenig zu illustrativ, so eine Art plakativer Hyper-sur-Realismus. Aber oben auf der Galerie sind die wahren Schätze verborgen: Sehr hübsche Zeichnungen auf Sperrholz, z.B. Mädchen in Ringelhemden, die Eichhörnchen füttern. Bild Nr. 37 ist bereits verkauft, sonst wäre ich unter Umständen dabei gewesen.
Herzerwärmend sind die taxidermisch aufgepimpten Plüschtrophäen. Vielleicht ehemalige Insassen der Anstalt, wer meint das schon, genau zu wissen. Die kleinen anondulierten Monster strecken einem zudem schneller die pelzige Zunge in den Mund als man "Ääääh" sagen kann. Aber dann will man ja eh immer nur tief in die Augen schauen. Sehr anheimelnd und ein würdiges Ende für den alten Streichelzoo.
Auf dem Boden liegt Laub, herbstliche Wälder im pumpenden Artspace. Gegenüber hat Frau Hengst mittlerweile zu Ende geschwitzt. Die Bühne ist leer, nur die eine, die ich kenne, steht noch mit britischem Lächeln am Mischpult und wartet.
(Moki - Fox in the Snow. Helium Cowboy Artspace, Hamburg. Bis 4. November 2005.)

Dienstag, 25. Oktober 2005
Die Formen moderner Autos transportieren als subliminale Botschaft einiges - nur echte Erotik will nicht mehr aufkommen. Geschwungene Formen, bauchige Kurven, schnittige Linien? Das war einmal. Die heutige windkanalgeprüfte Langeweile im Karosseriebau läßt keinen mehr stramm stehen.
Man sollte mich mal nackt vor einem Buckelvolvo fotografieren. Da würde aber mein Schal wegwehen.

Montag, 24. Oktober 2005
Auch völlig bekloppt. Ich fahr am Sonntag mit dem Einsatzwagen der Tierrettung. Doch die Katze will gar nicht sterben, sondern hat anscheinend einfach nur durchgemacht.
"Beim nächsten Mal machen Sie erstmal eine Atemkontrolle, junger Mann", ermahnt mich der Tierretter und steigt belustigt in seinen Wagen zurück. "Junger Mann" hat er allerdings nicht gesagt, fällt mir gerade ein.
Jetzt muß ich erstmal was essen. Ich fühle mich, als hätte ich die Nacht durchgemacht.

Samstag, 22. Oktober 2005
From the window
Warm and strange, i can't remember
Where the heartbreak mends
When the fevered remains
(The Stills, "Fevered")
Die rot und schwarz geringelte Markise zeigte mir einst gleich: Hier befindet sich das beste Geschäft der Stadt. Warmen Herzens hieß man mich willkommen, reichte Kaffee und änderte für mich die Ladenzeiten. Und gleich am Anfang der Geschäftsbeziehungen gab es beachtlich viel Kredit. Bis herauskam, das ich nur mit ungedeckten Schecks bezahlen konnte. Und am Ende nur Schulden blieben.
Am Ende kontrollierten auch zuviele externe Buchprüfer und Wirtschaftsberater den Kassenbestand und gaben Prognosen. So mag ich keine Geschäfte machen. Denn externe Berater wissen doch immer noch einen besseren Anlagetip. Das ist bekannt. Manche Schulden kann man am Ende auch nicht begleichen. Auf manchen muß man auch sitzenbleiben, damit man nicht vergißt.
Nun heißt es: Gebongt ist gebongt. Die Geschäftsziele haben sich verändert, die Öffnungszeiten sind mir nicht bekannt.
Manche Lektionen müssen auch eiserne Geschäftsleute lernen, die nur die Spielsucht ins Casino treibt. Es ist nicht möglich, alles auf die 37 zu setzen.
Was bleibt, sind Lektionen, die man voneinander lernt. Loyalität und Nähe, Fragen und die Fragen nach den richtigen Fragen. Intensität und Vertrauen, das sich nicht schenkt, sondern erarbeitet ist. Interessen und Interessantes, Unaussprechliches und einen Blick, der tiefer geht als das Auge.
Was bleibt, sind Berührungen. Die bleiben. Zart, flüchtig, zu kurz, wie es immer ist, mit den wichtigen Berührungen.
Die Bilanz? Ich bin dankbar für so vieles und kann doch nur raten:
Laß niemals mehr anschreiben. Bestehe auf Barzahlung und gib Lumpen wie mir keinen Kredit.
Dieser Tag ist Deiner. Halte ihn fest.
