
Freitag, 11. November 2005
Passend dazu: die Fotos von Desirée Dolron.
Und für das verregnete, morbide Novemberwochenende mit ein bißchen Sex, Tod und Rührung empfehle ich die makabre Schönheit von Humandress.
Nachtrag: Vor einiger Zeit berichtete ich von meinen Schwächen bei Operationen am offenen Herzen. Hier kann ich (und jeder, der ein pulsierendes Interesse mitbringt) mich ein wenig als Herzchirurg üben. Schöne Sache.
Vergeßt heute abend nicht Eure Gebete.

Seit 11.11 Uhr weht hier ein anderer Wind. Heute abend schnitze ich einen Kasper in Linol und mache Allotria. Wir sehen uns Aschermittwoch.
Nachtrag - die Ringelstrümpfe der Woche: The Buttersprites,
eine New-Wave-Band mit, huch, japanischem und, doppelhuch, krankenschwesterlichem Einschlag:
Ich bin dann mal ein paar Tage nicht ansprechbar.

Dienstag, 8. November 2005
Ach, der arme Victor! Der schüchterne, ungelenke Tropf wird von seinen Eltern, neureiche Fischhändler von Beruf, in sein größtes Abenteuer gestürzt: Er soll heiraten! Victoria, so die Auserwählte, ist von blauem Blut und schönem Antlitz – doch, zum Unwissen der auf sozialen Status bedachten Eltern Victors, bitterarm. Das schert aber Victor und Victoria nicht, die überraschend Gefühle füreinander entwickeln – zum Entsetzen der kungelnden Eltern.
Da setzt sich ein Drama in Gang: Herr Kid Victor flieht nach der mißratenen Hochzeitsprobe (So was probt man nicht, remember Kill Bill?) in den Wald, übt die ehelichen Schwüre und steckt den Ring an einen knorrigen Zweig, der sich - und nun kömmts! – als die Knochenhand von Miss Wurzeltod Emily entpuppt. Da lachen die Krähen, und Victor sieht sich in der mißlichen Lage, gleich zwei tollen Bräuten sein Versprechen gegeben zu haben. (Ist eben Kino und nicht realistisch, was soll's.) Emily ist so eine Gothic-Braut, durchtränkt von morbider Sinnlichkeit – und leider ziemlich tot. Einst brutal unter die Erde gebracht worden, wartete sie auf einen Liebhaber, der sie im Reich der Toten zur Frau nehmen möge.
Dortselbst geht es recht vergnüglich zu, gar nicht grau und bitter, wie oben unter den Lebenden. Es wird gesungen und musiziert (Musik: Danny Elfman), gelacht und getanzt und so mancher Humpen geleert. Selbst seinen treuen, verstorbenen Hund trifft Victor wieder. Unverständlicherweise aber will unser Held zurück zu den herzenskalten Menschen ("Ich habe ein Problem: Ich bin nicht tot.") – wegen Victoria, natürlich. Aber Emily hat nunmal ihr loses Auge auf ihn geworfen...
Man träumt ja von solchen Projekten: Zehn Jahre hat Tim Burton seine Mannschaft in einer alten Fabrik in London die Puppen tanzen und nach Nightmare before Christmas einen weiteren Puppentrick-Langfilm aus seinem Frankensteinfilmlabor entkommen lassen. Liebevoll, detailliert und voller Charme des Handgemachten – schon der irre Spaß Team America bot den ewig gleichen Computeranimationen die Pappmaché-Stirn. Corpse Bride ist stilistisch der feuchte Traum des Gothic-Fans und hat zudem eine wirklich anrührende Geschichte über Liebe und Verzicht zu bieten.
Wie das wahre Leben eben.
Wer die Möglichkeit hat, sollte sich die Leichenbraut im Original anschauen. Mit den Stimmen von Johnny Depp, Helena Bonham-Carter und Tracey Ullman macht das Grusical gleich noch mal soviel Spaß.
(Tim Burton's Corpse Bride. USA 2005. Regie: Tim Burton, Mike Johnson)

Freitag, 4. November 2005
I'll stand by your side like I always do
In the dead of night it'll be alright
Because I'll be there for you when you want me to
(New Order, "60 MPH")
New Order 511. Zurück auf den Füßen, aufrecht, wenn möglich. Steven Morris, der übrigens am selben Tag wie ich Geburtstag hat, was ich viel zu selten betone, klopft mit der etwas angestrengten und schweratmigen Präzision eines alten angerosteten Weckers den Takt, Sumner springt ab und an wie ein Gummiball um den coolen alten Mann herum, der wie der Pirat Hook seinen Säbel, den Bass unten in den Kniekehlen hängen hat.
Die DVD "Finsbury Park" mit dem Konzert von Juni 2002 kommt mit einer tollen Setlist daher: "Transmission", "Ceremony", "She's Lost Control" und "Atmosphere" greifen weit in eine Zeit zurück, als Beton noch grau war und leider nicht brannte und das fahlgelbe Neonlicht in vollgepißten Fußgängerunterführungen alles war, was uns jemals scheinen wollte.
Dagegen wummern die Hits wie "Blue Monday", "True Faith", "Bizarre Love Triangle" und das einzige Stück, was man jemals gehört haben muß - "Temptation" - sowie Schmeichler wie unter anderem "Crystal" vom damals aktuellen Album. Und: "You've got to pull yourself together, man" - die Zeile singe ich doch jeden Morgen, kurz nach dem Aufwachen. Überhaupt, die damals neuen Stücke, wuchten sich über den Bühnenrand, über die Rampe quer durchs Publikum ins heimische Zimmer, das man kurz noch einmal 17 wird. Und wenn Sumner zum Uber-Hit "LWTUA" die Rickenbacker spielt, ist alles verziehen.
Die Magie kommt niemals wieder. Wenn Musik nicht nur Erinnerung ist, sondern der Soundtrack zu einem Leben, das die ganze Zeit immerzu "JETZT" schreit. Wenn der Klang genau 1-zu-1 ins eigene Erleben fällt. Jetzt, 25 Jahre und tausend Gründe und Erklärungen und Entschuldigungen später... everyday my confusion grows.
All die Worte, die ich sagte. All die Versprechen, die ich brach.
All die Augen, die ich sah. Blau, grün, grau. All die Orte, die ich verließ und - mehr noch - die Orte, die ich zu spät verließ.
We will never meet again.

Mittwoch, 2. November 2005
Wenn’s nebelt und nässt,
Wenn die Sommergeilheit sich endlich legt.
(Fehlfarben, "Der Fremde")
Während die Ratten den sinkenden Ewer Berlin verlassen, sich plötzlich fragen: Gibt es eigentlich das ostdeutsche Mädchen noch? In der Hektik der Tage vergißt man so leicht. Vielleicht auch führt bald der Napoleon von der Saar die alte Tante wieder als Tischherr zum Tanz. Wenn das mal so weitergeht.
Ich fahre mit dem nassen Finger um den Rand eines Glases und lausche dem Ton. Und ziehe nur gute Karten. "Sie werden ein unbeschwertes und langes Leben haben", jubelte mir der Glückskeks vom Samstag unter. We'll see to that.

Montag, 31. Oktober 2005
Are distant now
I wear my memories like a shroud
I try but words collapse
Echoing
"Trick or Treat"
(Siouxsie and the Banshees, "Halloween")
Das Wochenende zeigte, daß das hermetische Café offline doch rockbar ist. Erst wurde, wie bei anderen Menschen der Römertopf, das Gelächter aus dem Keller geholt. Das flog bald wie ein Halloween-Gespenst durch die weitläufigen Räume und schüttelte sein zerschnittenes Bettlaken, wo es nur konnte. Dann wurden Bierflaschen zum Baden geschickt und dem Rotwein echt mal der Stock aus dem... Korken aus dem Hals gezogen. Später wurden Tintenfische mißbraucht (Sorry, folks!), und Herr Mequito sang eine ergreifende Kantate, daß sich Piratenbräute die Tränen aus den Augen wischen mußten. Frau Lu jedenfalls warf sofort mit religiöser Erbauungsliteratur nach mir. (Bericht wird folgen.) Nur Herr K. blieb ruhig wie immer und bewahrte die Fassung.
Es gäbe Geschichten zu erzählen. Denn die fallen ja immer wie Brosamen von den niedrigen Tischen der Zubloggemeinschaften: Zum Beispiel die Geschichten von nicht-bloggenden Menschen, denen die Katzenbilder nur so auf den Nägeln brennen. Was Kerstin13 lässig mit den schärfsten Blümchenbildern der Welt kontern könnte, wenn sie denn nur wollte. Starke Sache, man darf da gespannt sein. Oder wie man dann wartet, daß endlich mal ein Boot nachts über die schwarzen Wasser des Kanals tuckert, um zu zeigen, daß es sie wirklich gibt, die schwarzen Wasser vor meinem Haus. Frau Grau jedenfalls öffnete die Schublade, die mit "So klein ist die Welt" beschriftet ist, und entlockte mir folglich manches staunende "Ach". Oder auch ein "Sieh an", wenn ich die Zeit für etwas Abwechslung für gekommen hielt. Ja, es gäbe Geschichten zu erzählen. Von atemberaubenden Überraschungsgästen und sympathischen Zeichnern und der schärfsten Chili-Köchin der Welt. Geschichten eben. Nur die Gerüchte mit den venerischen Krankheiten habe ich wohl verpaßt.
I wander through your sadness. Gazing at you with scorpion eyes...
Nette Abende sind eben nicht blogbar.

Freitag, 28. Oktober 2005
Die Reklame lehrt: Drei Dinge braucht der Mann. Eine Identität, das Gefühl von Nähe und Zuneigung und ab und an die Ansicht eines Ringelstrumpfs. Wie Herr Burnster schon richtig vermutete. Gut, dann ist da noch die Sache mit dem Alkohol.
Die Sache mit der Symbiose klingt verlockend, aber das Zauberrezept besteht ja aus Nähe und Distanz.
Also Obacht.
Manchmal muß man die Dinge auch nicht so plump von vorne, sondern von hinten betrachten. Pseudo-Retro statt Ringelstrümpfe, aber ebenfalls entzückend, wie der Volksmund sagt. Am Ende bleibt alles ein Spiel. Wohl dem, der sich das noch bewahren kann. Ich, zum Beispiel, werde immer jünger.

Donnerstag, 27. Oktober 2005
He watches all the time
While all around him wallpaper dies
(And Also The Trees, "Wallpaper Dying")
Eines Tages, wenn die alten Tapeten heruntergekratzt sind oder neu eingefärbt, wenn Raum ist für neues Ach und Weh, dann werde ich durch die staubigen Zimmer schreiten, dort, wo nur noch feiner Gipsstaub im Gegenlicht der tiefstehenden Sonne wirbelt. Vielleicht ein letzter Hauch noch oder eine Riefe im Putz. Die werden meine Finger spüren, wenn ich über die Wände taste. Wenn ich gedankenverloren über die Stelle streiche, wo sich Messer, Gabel, Schere, Licht und ein bißchen Blut verteilten.
Eines Tages dann, wenn ich längst weitergezogen bin, werden es nur noch Hieroglyphen sein, kryptische Zeichen auf der Wand. Wenn ich den Hafen verlassen habe auf einem anderen Schiff, wird es neue Mieter geben.
Aber keinen Stein von Rosette.
