Sonntag, 3. April 2005


Aus dem Osten in den Süden

It’s all we’re skilled in
We will be shipbuilding
With all the will in the world
Diving for dear life
When we could be diving for pearls

(Elvis Costello, "Shipbuilding")

Schrei oder nicht, das ist doch egal. Genau deshalb ging ich lieber aus dem Osten in den Süden auf die Vernissage der gleichnamigen Ausstellung von Larissa Bertonasco. Bei Feinkunst Krüger zeigt die Hamburger Künstlerin recht plakative, bunte und kleinformatige Illustrationen. Oststylige Warenwelt gepaart mit italienischem Hang zur guten Küche (ein von ihr illustriertes Kochbuch gibt es in der Galerie zu erwerben) sind die Sujets, die Anke-Feuchtenberger-Schule ließ auch nett grüßen von einigen Bildern.

Der Abend versammelte wie gewohnt halb- abgeranztes Hamburger Kunst- und Szenevolk. Die nette Siebdruckerin, die ich neulich auf einer Party traf, sprach mich an. Rotwein und Astra hatten aber ihren Namen aus meinem Gedächtnis gelöscht. Aber man freut sich schließlich auch so.


Das kleine Porträt, das mich als Piraten zeigt, war leider schon verkauft. Da hat mich die Künstlerin ein wenig im Stich gelassen. Aber ihre Zartheit bremste meinen Tadel. Überhaupt: Blassgesichtige Kunststudentinnen! Fast könnte ich die Ringelstrümpfe vergessen.
Oder mich.

Am Ende aber entfloh ich der Russendisco des DJs und lief mit Robert Wyatts Version von "Shipbuilding" im Player und dem letzten Astra am Hafen entlang. Die Geschichte vom Vater und dem Sohn in der verarmten nordenglischen Hafenstadt. Nach Jahren werden die Werften wieder aufgemacht, weil nämlich Krieg droht. Und so findet der Vater, der nichts anderes gelernt hat, wieder Arbeit beim Schiffsbau. Nun kann er seinem Sohn zum Geburtstag ein Fahrrad kaufen. Vielleicht sogar ein richtig neues, keines vom Flohmarkt. Er wird die Kriegsschiffe bauen. Sein Sohn sagt, er werde eingezogen zur Marine. So hat alles seinen Preis. Geben, nehmen.

Die Nachtluft verriet einen Anflug von Milde. Draußen an der Kehrwiederspitze war das Wasser sehr schwarz. Positionslichter tanzten auf den Wellen, nur ich hatte keine gesetzt. Bald kann man hier wieder sitzen, mit einem Mädchen und zwei Flaschen Wein. "Besser zwei Mädchen und eine Flasche Wein", kalauerte ich für mich selbst. Vielleicht eine mit schwarzweißen und eine mit rotschwarzen Ringelstrümpfen. Der Abwechslung halber. Nachts höre ich jetzt gerne Nils Petter Molværs "Khmer". Ein Geschenk. Aber nun war es "Shipbuilding".

Vielleicht besser kein Kriegsschiff bauen, dachte ich. Auch wenn ich nichts anderes gelernt habe. Keine Machtproben mehr. Auch keinen Walfänger. Wozu den bösen weißen Wal noch jagen? Soll er tauchen und auftauchen wo er will. Für ein grimmiges "Thar she blows!" nagel ich keine Dublone mehr an den Mast. Nein, ein Fischerboot vielleicht, einen kleinen Trawler. Oder einfach nur Segeln. Rausgleiten in die schwarze Nacht, elegant, leicht und lautlos.

Auf einer Barke glitt ein schwarzgekleideter Mann den Strom hinab. Ich winkte hinüber. Aber da wußte ich es ja noch nicht. Der Papst ist tot.

("Aus dem Osten in den Süden", Arbeiten von Larissa Bertonasco. Noch bis zum 23.4.2005 bei Feinkunst Krüger.)


 


Samstag, 2. April 2005


Fundsache

This blog is dedicated to my last three ex-girlfriends
(Frei nach Robbie Williams. Via Sebas)

Herrliches Wetter. Herrliches Flohmarktwetter, vor allem. Das Rheinland wimmelt jetzt bestimmt von ringelbestrumpften Frauen. Viel Krims, noch mehr Krams, aber seit ich diese Uhr suche, die es früher ständig und überall gab, finde ich sie nicht. Tja, ihre Zeit ist dann wohl abgelaufen, mögen die ersten jetzt hämisch rufen. Ach was, rufe ich den zwanghaften Händereibern und den Jungs mit den elektrisch betriebenen Einmischquirls fröhlich zu. Zeit ist nicht für alle linear. Zeit ist auch kreisförmig. Schaut euch den Wechsel der Jahreszeiten an. Immer geht alles rundherum. Wie die Streifen an einem Ringelstrumpf. Oberwasser, Unterwasser - die Tide ist ein rhythmisches Geschäft.
Kommt Zeit, kommt Rat, kommt Attentat, zitierte eine Freundin von mir früher gerne. Ich wähle die Mitte, folge dem weisen Rat und heuchel Interesse für schäbige Wasserkessel. Aber nur, damit das Kind mich nicht sieht.


 



Blitze auf der Retina

Schönes Fotoblog bei Milo mit Doppelbelichtungen, Cross-Entwicklungen und Toy-Camera-Fotos.

Dann hat mich Herr Nase gestern glücklich gemacht. Diesen Link auf die australischen Wunderkammer kannte ich schon, hatte ihn aber verbummelt.

Dies wäre meine Vision eines Blog-Arbeitszimmers. Die allegorischen Symbole verweisen auf die Beschäftigung mit der Vergangenheit, den Stimulanzien, dem Verarzten alter Wunden und dem Erforschen neuer Ideen.

Nicht umfassend, aber für einen Überblick ausreichend ist die Seite über
Man Ray, der lange Jahre mein Lieblingsfotograf war. Man kann durch Fotos, Objekte und Gemälde stöbern, die allerdings nur recht klein abgebildet sind.

Zum Frühlingswetter was Buntes vom weißen Kaninchen. Danielle Bedics hat sich im Laufe der letzten fünf Jahre zu einer ziemlich interessanten Studiofotografin entwickelt, die bonbonbunte, fidele Szenarien zwischen
Moulin Rouge und Alice im Wunderland entwirft.


 



Raumpflege

Die guten Besen fangen vor der eigenen Türe an.


 


Freitag, 1. April 2005


Narrentag

Heute darf der Kasper wieder raus und tüchtig spielen. Schabernack und die ganze Chose. Heute könnte man zum Beispiel sagen, "Verzeihung" oder "Es tut mir leid", und jeder hielte dies für einen prächtigen Witz. Mit mir aber treibt keiner Scherze. Solche nicht.


 


Freitag, 1. April 2005


Schak-karack

© Jimmy WeedHier habe ich das Foto eines Lesers, das mir freundlicherweise zur Verfügung gestellt wurde. Sieh an, eine frischgefallene Elster im März! Wieder so ein Allesfresser, der nun selbst für etwas anderes ein Fraß wird.

Frau Zorra, wenn das nicht was für unseren Kalender ist. Vielleicht kann man noch eine Bauernweisheit darunter malen. Etwa so in der Art wie "Ist die Elster tot im März, wird der Sommer auch ein Scherz."
Das wird bestimmt ein Verkaufsschlager auf dem nächsten Gothic-Mittelaltermarkt.

Bald, so hoffe ich, ist dann wieder Zeit für freundlichere Beiträge. Schließlich ist das Leben so schön. Die Frauen zeigen wieder Knie, ehrlich wahr. Ich habe es heute gesehen, als ich frei wie ein Vogel durchs Städtchen schlenderte, ein Lied pfoff und dachte, wär' ich eine Elster, ich würde die Welt stehlen.


 


Mittwoch, 30. März 2005


Augen geradeaus

Jede Trennung, raunt der Mund der Wahrheit, ist vielmehr richtig, sie ist befreiend und kein Weg führe zurück auf jene Schlachtfelder, denen man mit knapper Not und einigen Blessuren entkommen ist.

(Via Modeste)


 


Dienstag, 29. März 2005


Tod und Nebel

Ich bedanke mich für die tolle Osterkarte . Die Lieben denken doch immer an einen ;-)

Tentakel | von kid37 um 19:54h | ein Zuspruch | Kondolieren | Link

 



Freaks Like Us

So. Ohne kleine bacchantische Passionsspiele ist Ostern eben doch nicht Ostern. Wichtigste Erkenntnis: Auf dem Küchenboden liegt Staub. Da muß ich auch mal wieder ran.

In der Zwischenzeit aber ein paar Findlinge und Ostereier:

Düster, makaber, surreal und kitschig-schön - die kleine Fotogalerie Derelict der The Solipsistic Gazette. Dortselbst übrigens auch ein hochinteressantes Blog mit völlig wirren solipsistischen Texten (auf Englisch).

The Hapless Writer: Viele Links zu Edward Gorey. News, Fonts, Bibliographie und Fotos aus seinem Elephant House.

Für verschrobene Mediziner ist auch die virtuelle Sammlung antiker chirurgischer Instrumente interessant. Man lernt so viel daraus. Beispielsweise, daß manche Operationen auch ganz einfach gehen.
Nur nicht die am offenen Herzen selbstverständlich.

Bitte die Türen heute leise schließen. Danke.


 



Immerhin

Jeder nur einsAls ich das Blut von den Badezimmerfliesen wischen durfte, hatte ich wenigstens einmal das Gefühl, hilfreich und nützlich sein zu können. Da begriff ich, was es heißt, ein echter Bataillist zu sein, ein Mensch, der alles als Schlacht versteht oder als Lore-Roman, je nachdem.
Frei, ja natürlich. So richtig frei, nicht etwa getrieben vom eigenen Schicksal, von den Leerstellen, dem Hunger und den Urschmerzen tief drinnen. Nein, selbstverständlich ungeheuer autark und schlau und stark ("Schön und jung und stark", DAF), frei genug, lästige Regeln, Abkommen und überkommene Moral zu verlachen. Nur wirklich allein sein, das war dann schon schwerer, denn da sollte ja einer sein, der das Brotmesser hinterher abspült und den Boden wischt. Bohème geht eben am besten mit Hauspersonal.

The Mercy Seat | von kid37 um 03:15h | | Link

 


Montag, 28. März 2005



So in a manner of speaking
I just want to say
That like you I should find a way
To tell you everything
By saying nothing


(Tuxedomoon, "In A Manner Of Speaking")


 



Gangrän

Cuts like a knife.

The Mercy Seat | von kid37 um 18:10h | | Link

 



The Story of an Ei

Are you motherfuckers ready
for the new shit?
Stand up and admit it,
tomorrow's never coming

(Marilyn Manson, "This Is The New Shit")

Jetzt mal alle brav die Hände hoch, ihr Testikelkitzler und Fensterfarbenlecker. Ihr wollt doch gerne mal der Astarte unter den Rock fassen und die Hasen über die Felder jagen. Ein wenig brunftig am Ariadnefaden spielen und den Minotaurus aus dem Labyrinth locken. Da macht ihr mir nichts vor. Ein Hahaha und Hohoho und neckisch und kokett "Aber, Herr Kiiiid!" schabernacken.
© Dave Cooper

Mir doch egal, auf welche strammen Schenkel ich gleich meine großen Pranken lege. Ist jetzt halt die Jahreszeit, muß dann auch mal sein, kann man nicht immer in der Poetendachkammer sitzen und Lamento rufen. Dann muß man mal den Absinth in die Ecke stellen und raus und lachenden Baubos zuschauen, wie sie auf den borstigen Schweinerücken durch die von Gaffern schiefgetretenen Gassen reiten. Dann muß mal ein anderer Ton her, wenn einem längst das Moralgebälk überm Kopf zusammengebrochen ist, weil die heimtückischen Würmer, dieses Kroppzeug, tiefe Löcher hineingebohrt und gebissen haben, was das schadenfrohe Zeug hielt. Ja, macht doch nichts, weg mit den morschen Brettern, den angepinkelten Scheinheiligenschein mal kurz beiseite, so hieß die Parole, rauf auf den Schweinerücken, "Hossa" schallt es womöglich durch die engen Bürgergassen, ja meinetwegen, so jung wie heute und so weiter. Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut, und wie gerne würde er auch mal so richtig eine Hostie schänden, am besten gleich auf der biedermeierlichen Altardecke seiner Tetrapacküberzeugungen, immer hübsch alles gebrauchsfertig abgepackt. Alles muß raus, heißt es dann bei den einen. Nein, alles muß rein, rufen die anderen erwartungsfroh zurück, voller Gier und bereit ans große Sudelfon zu treten, an die C-Rohre des Lasterlebens. Und dann heißt es, große Schaumparty hier in Osterode, Westerstede, Hagenbeck-Süd. Oder besser gleich im Sachsenwald. Da geht die wilde Jagd durch den frischbetriebten Busch. Holdriho, Fanfarenklänge, da knöpft der Städter sich die Weste auf, fliegen blaue Strumpfbänder über grünbemooste Lichtungen, und später findet sich vielleicht irgendwo ein einzelner Ringelstrumpf. Junges Frollein, Sie allein? Läßt sich ändern, flugs zerrt sie an der Krawatte mich ins Holz.

Ab jetzt heißt es Augen schweifen lassen, diese runden Dinger, diese eiförmigen Körper der visuellen Lust, Spaßfastenzeit zu Ende, jetzt mal raus an die frische Luft, Tore auf, Schlüssel her von der Landesheilanstalt. Ein frohes Osterfest, ab heut' ist alles auferstanden, also steht auf, wenn ihr Eier habt.