
Sonntag, 27. März 2005
I am the spring, the holy ground,
the endless seed of mystery,
the thorn, the veil, the face of grace,
the brazen image, the thief of sleep,
the ambassador of dreams, the prince of peace.
I am the sword, the wound, the stain.
Scorned transfigured child of Cain.
(Patti Smith, "Easter")
The witch is dead, the witch is dead...
Mist, wieder zu spät. Die Hexe war schon verbrannt, als ich kam. Fröhliche Funken tanzten die Elbe entlang, der Winter besiegt, trunkene Menschen saßen im Sand. Eigentlich muß man dahin, um zu knutschen. Aber Frau Gaga war so freundlich, mich auf einige Wissensdefizite hinzuweisen, weshalb das mit mir und dem Knutschen irgendwie schlecht bestellt ist. Aber ab heute heißt es Auferstehung, und das kann man den Ungläubigen nicht laut genug in die Ohren trommeln. Osterbefeuerung.
Niemand wird auf ewig siegen. (Fehlfarben, "Rhein in Flammen")
Vernunft und Vertrauen, Geduld und Distanz - Worte des vereisten Winters.
Nun vielleicht mal wieder draufmachen, rumschreien, Begehren äußern.
In der Menge frohgelockter Gestalten aber wieder die alten Gefühle. Plötzlich verschiebt sich der Blick, das nette Mädchen mit der Flasche Astra sieht auf einmal aus wie eine alte Vettel voller Geschwüre, der Typ neben ihr wie ein Großkopferter aus einem Gemälde von George Grosz. Mit bleckenden Zähnen gaffen sie mich an, ihre kreischenden Stimmen zu laut, ihre Physiognomien bizzar erleuchtet im Schein der knisternden Flammen. Fremde, bösartige Monster, die sich bedienen am frischen Fleisch, am Unbekannten.
Kurz blitzt er auf, der prahlerische Stolz auf wilde Parties, Silvestereskapaden, die man als genußvolle Abenteuer sich bewahrt, damit herumprotzt, wie der Oberliga-Stürmerstar: "In dem Spiel habe ich zwei Tore auf einmal geschossen!" Ganz egal, ob dieses Spiel den Abstieg seines Gegenübers besiegelte, hier zählt nur ein Gesetz, das der Lust, des Siegs, des Stärkeren. Fuck you, denke ich. Und weiche zurück in die dunklere Ecke, weg vom Feuer, vom Markthallentreiben der Spieler und Händler, die ihre eigenen Körper wie belanglose Ware als Monstranz vor sich hertragen.
Again I am the salt, the bitter laugh.
I am the gas in a womb of light, the evening star,
the ball of sight that leads that sheds the tears of Christ
dying and drying as I rise tonight.
Fuck you, denke ich. Heute kriegst du mich nicht mit deinem Mutantengeschrei. Heute ist Licht. Ich werfe ein Relikt ins Feuer, die Flammen brüllen auf, aber nur kurz, dann verschlingen sie es, es verglüht, zerfällt. Morgen wird es Asche sein.

Samstag, 26. März 2005
Burning my bridges
And smashing my mirrors
Turning to see if you're cowardly
Burning the witches with mother religious
You'll strike the matches and shower me
In water games
(Echo & The Bunnymen, "Seven Seas")
Man kann sich ja nicht von überall vertreiben lassen, deshalb war heute wieder Floh- markttag. Meiner Vorliebe für Kistchen und Kästen aller Art gehorchend (Ja, liebe Freudianer, macht was draus!), erstand ich dieses bezaubernde, senffarbene Näh- kästchen. Das paßte gut, denn mein eigenes ist mir neulich kaputtgegangen - und woraus soll ich denn (Achtung, jetzt kommt's!) sonst nun plaudern? Eben.
Ich glaube, ich habe einen ganz wunderbaren Behälter gefunden für Nadel, Zwirn, Augen und Ohr. Für die Zeit, wenn ich es mir mit dem schönen morbiden Mädchen gemütlich mache und wir gemeinsam Tiere basteln.
Vielleicht gelingt es mir, den ein oder anderen heute abend beim Igel braten Osterfeuer angesengten Nesthocker bis Pfingsten wieder flott zu kriegen.

Freitag, 25. März 2005
So ist das und nicht anders.
(Via Spreepiratin. Zu Richard Prince siehe auch hier.)

Donnerstag, 24. März 2005
Sie sind wie Staub, der hält noch eine Weile,
Die Haare fallen schon auf ihren Wegen,
Sie springen, daß sie sterben, nun in Eile,
Und sind mit totem Haupt im Feld gelegen.
(Georg Heym, "Die Menschen stehen vorwärts in den Straßen", 1912.)
Mit einer Lenore-Stimme, die direkt aus den dunkelsten, salpeter- verkrusteten Kellern des efeuumwölkten Hauses Usher zu kommen schien, gab sie mir Antwort. Ein grabestiefes, völlig unmoduliertes Hauchen, wie das leichte Stöhnen des Windes, der durch ein verwittertes Mausoleum fährt. "Wow", bemerkte meine Begleiterin trocken. "Die klingt, als hätte sie erst gestern einen Selbstmordversuch unternommen. Das wäre doch mal eine Frau für Dich!"
Leider sprach ich das schwarzgewandete morbide Mädchen an der Kasse nicht an, weil die Ausstellung mich ablenkte und auf andere Gedanken brachte. Das zeigt, daß die Kunst immer über der Liebe steht und auch recht daran tut.
Aber schön wäre es doch, das aufregend morbide Mädchen mit nach Hause zu führen und mit ihm einen gemütlichen Sonntagnachittag zu verbringen. Ich stellte die Flaschen mit dem zimmerwarmen Selbstmitleid ins hintere Regal, holte die Grüne Fee für die Liebe zu Dritt und zündete - der romantischen Stimmung wegen - ein, zwei Grablichter an. Wir sähen uns tief in die schmerzgeprüften Augen, vertrieben uns die Geister der Vergangenheit, prosteten uns zu und überlegten, wie wir sogar die Toten mit unserer Liebe zum Leben erwecken könnten.
Dann würden wir ein Auge oder zwei in den Katalog von
Van Dyke's Taxidermy werfen und überlegen, welches Zubehör wir noch bräuchten, um Saatkrähen, Ratten oder Eichhörnchen präparieren zu können, ohne daß ausgerechnet deren unschuldige kleine Körper für immer in sich zusammenfallen oder ihr Aussehen ins Unschöne verändern würden.
Unsere Liebe wäre ewiglich, die des schönen morbiden Mädchens und meine. Irgendwann legte ich ihr eine Hand auf den ringelbestrumpften Oberschenkel und strich ihr durchs opheliarote Haar. Wir verglichen unsere Narben und ich flüsterte "Niemalsmehr". Sie sähe mich an, ein wenig scheu vielleicht oder mit dem Anflug eines Lächelns, und hauchte mit ihrer lebensleeren Stimme "Hast du noch was von dem Zwirn?" oder "Reich mir bitte mal das andere Auge" - so was in der Art. Wir wären glücklich in unserer kleinen, zerstörten Welt. Ich würde sie zeichnen oder fotografieren, wie sie die kleinen Rattenkörper stopft und in putzige Positionen formt. Dann sähen wir uns eine Folge der Addams-Familie an und abends, in meinem schmalen Krankenhausbett, lägen wir eng aneinander- geschmiegt, und ich würde zum Einschlafen eine Geschichte von Edward Gorey lesen. Die vom Glücklosen Kind, vielleicht.
Sie würde mir alles glauben. Weil sie weiß, daß ich alles erfunden habe.

Donnerstag, 24. März 2005
Am 14. April eröffnet anläßlich der 3. Triennale der Photographie nach einjähriger Umbauphase das Haus der Photographie.
Zur Einweihung des Hauses werden zwei Ausstellungen gezeigt: "Martin Munkácsi: Think While You Shoot" und eine Auswahl zeitgenössischer Künstler aus der Sammlung F.C. Gundlach unter dem Titel "bildwechsel 01".
(U. a. mit Walter Dahn, Dokoupil, Nan Goldin, Martin Kippenberger (!), Nick Knight, Tracy Moffat, Sigmar Polke, Richard Prince (!), Lucas Samaras, Andy Warhol, John Waters (!))
Ausstellung vom 15. April bis 24. Juli 2005, Deichtorhallen, Hamburg.

Eckstein, Eckstein, einer muß versteckt sein! Jaja, wo ist er nur, der geheimnisvolle Text, den nur wenige sahen, der Google-Roboter allerdings nicht. Heute wurde eine kleine, sagen wir mal, Safari nach ihm veranstaltet. Ist er vielleicht hier?
Oder hier?
Hier könnte es sein!
Oder doch eher hier?
So interessant war das alles nicht. Ehrlich.
Und irgendwann erzähl' ich es halt noch mal.
Nachtrag: Haha, so liebe ich meine Leser. Die Suchanfragen kurze Zeit später:
1 Search request: kid37 der vollpfosten
1 Search request: kid37 ist doof :-D
1 Search request: kid37 so ist das wohl
Ja, so ist das wohl. ;-)

Dienstag, 22. März 2005
"She is trying to separate herself from a very traumatic event in her life, the end of her relationship with Tim," Ms. Ott added. "Her purpose is to move forward, and leave the past behind her."
Manchmal ist dies genau der richtige Weg. Zwei, drei Andenken, Fotos, etwas Persönliches - und dann Platz freischaufeln, weg mit dem bric-a-brac, den Infiltrationen, den feixenden Büchern, die fremde Gedanken atmen, dem aufgedunsenen Plunder aus einer fernen Galaxie. Andere Frauen wählen den Weg über eBay, aber so eine Haushaltsverkostung in der Garage hat vielleicht auch ihren Reiz.
Tim Burton war not amused, aber auch er wird dies ertragen wie andere Männer vor ihm.
Wäre bitte jemand so nett und gibt Ms. Lenora Claire meine Nummer? Danke.

Es wurde mir heute gewünscht. Zugedacht. Als Erinnerung, die unbeschwert und unbelastet ist. Erinnerungen tilgt man sowieso am besten, indem man einfach neue macht.
New Order Waiting For The Sirens' Call
(via Waldar)
Dank an k.tastrophe.

Sonntag, 20. März 2005
Statt Bussen verkehren im Hamburger Hafen Fähren, das liegt auf der Hand.
Seit letztem Jahr gehört es zu meinen unregelmäßigen Sonntagnachmittags- vergnügen, mit der Linie 62 die Elbe runterzutuckern und nach Finkenwerder überzusetzen. Hier kann man aussteigen, umssteigen - oder einfach sitzen bleiben, die Sonne genießen, die Aussicht auf Docks und gaffende Spackos an der Strandperle dazu. Manche ziehen sich eine Tageskarte und einen Vorrat an Reisegetränken und verbringen manch lustige Stunde an Bord von "Harmonie" und "Simba", dem König unter den Löwenfähren. Als Übung für meine Ambitionen als professioneller Kreuzfahrtbegleiter schon einmal ein guter Start. Beim nächsten Mal singe ich auch.
(Bilder im Kommentar)
