Donnerstag, 5. August 2004
Lebensbejahender Macho und tragischer Clown zugleich, brillant und mit Tiefgang, der mit Vergnügen über sich selbst sprach - und es sympathischer Weise auch noch zugab: "Andere gehen zum Psychiater, ich gebe Interviews."
Heute vor 20 Jahren starb Richard Burton, ein Schauspieler, der mir aus verschiedenen Gründen wesentlich näher steht als beispielsweise Marlon Brando. Anders als der Spiegel behauptet, heißt es natürlich "Der Widerspenstigen Zähmung". Aber so wenig wie der Spiegel Dramentitel von Shakespeare gezähmt bekommt, so wenig bekam Burton die Widerspenstige an die Leine: Er hatte sie einst vor den Augen ihres Ehemanns "entführt" - später ritt sie vor seinen Augen mit dem Reitlehrer davon. Unrecht Gut gedeiht nicht gut. Aber eben ein origineller Weg der Selbstzerstörung.
Mittwoch, 4. August 2004
Die kalifornische Kleinstadt Visalia ist ein Vorortkaff im Nirgendwo. Fünf Jugendliche verbringen hier mitten in der Tristesse von Suburbia ein Leben zwischen Skaten, Drogen, bindungslosem Sex und sich eruptiv entladender Gewalt... Abgeschottet von der Welt der Erwachsenen, leben die Jugendlichen wie in einem Kokon: eine hermetische Subkultur zwischen HipHop, Kiffen, Langeweile, Frustration und Selbstzerstörung.
Eine Stadt, die wir alle kennen.
Mitte der 80er wurde ich das erste Mal auf den Fotografen Larry Clark aufmerksam, als ich von seinem Projekt "Tulsa" hörte. In den 60ern fotografierte er sich und seine Peer-Group beim Herumlungern, Drogenkonsum, bei Sex und Gewalt. Den Hippie-Aspekt fand ich langweilig, die Radikalität aufregend. Vor ein paar Monaten sah ich auf einer Ausstellung der Sammlung F. C. Gundlach ein paar Originalprints aus "Tulsa". Diese Fotos sind immer noch von einer verstörenden Kraft. Rotze im Gesicht des amerikanischen Traums.
Ähnlich verhalten sich auch seine zwei bekannteren Filme "KIDS" (1995) und eben Ken Park. Zugespitzt und übertrieben, aber doch authentisch glaubwürdig, darstellend, aber nicht moralisierend. Dies ist wohl auch das "Provozierende", was viele Kritiker in seinem Werk finden. Sie meinen natürlich die expliziten Sexszenen, die Amoralität in seinen Fotos. Aber Clark - ein Peter Pan der Subkultur - befindet sich selbst in dieser hermetischen Welt. Provozieren will nur, wer sich auf das "Außen" bezieht, über sich hinausverweist. Clark aber ist selbst-referierend. So erklärt sich auch das naive Ende von "Ken Park". Natürlich gibt es keine Utopie. Die Kids wollen einfach nur ihre Ruhe.
Vor Großmüttern, vor Kritikern. The Kids Are Alright.
Ken Park. (USA 2003). Regie: Larry Clark
Der französische Fotograf Henri Cartier-Bresson ist am Montag in Südfrankreich gestorben. Am 22. August wäre er 96 Jahre alt geworden.
Die Fotolegende, Mitbegründer der Agentur Magnum, wurde berühmt für seine Straßenaufnahmen und Alltagsszenen. Bekannt war sein Credo vom "entscheidenden Augenblick" - er machte den künstlerisch-gestalteten "Schnappschuss" salonfähig.
Für Nachwuchsfotografen hielt er auch einen tröstenden und motivierenden Tip bereit: "Deine ersten 10000 Fotos sind die schlechtesten."
Man kann viele Worte machen so wie ich. Oder es kurz und bündig sagen so wie der Herr Sweetmaker.
Dienstag, 3. August 2004
Mal so ganz schlicht gesagt: Ich hasse es, wenn in Hemden, die ich kaufen will, kein Warenetikett eingenäht ist. Ich hasse es auch, wenn ich dringend in der Stadt Fotokarton kaufen muß und dort nur welcher angeboten wird, auf dem auf einer Seite ein Barcode aufgedruckt ist. Schon mal gehört, daß es Leute gibt, die Fotokarton beidseitig benutzen können wollen?
Ich hasse es am allermeisten, wenn die überdies reichlich fehlplaziert und unengagiert wirkende "Fachverkäuferin" meinen Hinweis auf die Unbenutzbarkeit ihrer Ware mit "Ist von ganz oben angeordnet" kommentiert. Dann sagen Sie denen ganz oben mal, daß hier ganz unten Kunden stehen und maulen.
Aber nachher wieder in der Zeitung jammern, daß keiner mehr was kauft und deshalb die Wirtschaft lahmt. Ganz schlicht.
Samstag, 31. Juli 2004
Einer der meistgelesenen Beiträge bis dato im hermetischen Café ist der kleine Ausflug zur Meerschweinchen-Ausstellung. Ob "Penisstrangulation", "Perinealtaschenreinigung" oder vor allem der mittlerweile berühmt gewordene "Rosettenbock" - bis heute finden gemütvolle Google-Anfrager auf diese Seiten, um ihre durch welche dunklen Urgründe auch immer geprägte Neugierde hier zu befriedigen. Regelmäßig wurde auch der Vorschlag an mich herangetragen, Herr Kid, Sie kennen doch immer so heiße Veranstaltungen. Kann das nächste Bloggertreffen nicht auf einer Kleintierschau stattfinden?
Ich aber möchte heute den Blick weg von den Nagern und hin zu den Unpaarhufern werfen. Preisbloggen war nämlich gestern. Wenn die werte Frau Lyssa und ihre zahllosen Konkurrentinnen wirklich mal was reißen wollen, dann bietet sich doch unzweifelhaft nur ein Wettbewerb an, der wirklich die elementarsten Fähigkeiten abruft: DER LOCKRUF DES ESELS!
Nur die fähigsten Stimmen sind hier gefragt. Wird der Deckhengst antworten?
Man könnte gleich einen Nebenwettbewerb für Brotspinnen einführen. Wäre doch interessant zu sehen, ob die wenigstens "Cäsar" für sich interessieren können. So manche schwelende, stichelnde Dauerdiskussion könnte hier in einem fairen Wettsttreit im olympischen Geiste entschieden werden. (Wie in der Antike könnten die Kontrahenten zur Erquickung des schauenden Volkes gerne auch nackt zum großen I-Aaaah antreten.)
Und wenn "Cäsar" dann Hufe, Ohren oder ganz was anderes hebt oder senkt, steht der Sieger dieses Sommers fest. Ein Blog, dessen Stimme wirklich würdig ist.
And The Ass Saw The Angel.
Freitag, 30. Juli 2004
Als altmodischer Mensch besitze ich keinen MP3-Player. Ich habe schon öfter einen dieser rundgelutschten Stifte in der Hand gehalten, hin- und herüberlegt, aber die Sache dann doch als zu teuer verworfen. Ich besitze aber einen alten Walkman, einen mit Radio und der Möglichkeit aufzunehmen, und den habe ich mir heute umgeschnallt. Premium Content war eine alte Mix-Kassette und mir fiel wieder auf, daß wo andere Menschen Jeanette Kübelböck und Britney Aguillera hören, mein Guter-Laune-Mix über Smashing Pumpkins und New Order nicht hinauskommt. Der Rest liegt stimmungsmäßig weit darunter.
Überrascht war ich daher von einem echten ditty, einem Jahre alten peinlichen Lieblingssong, der mir aus den Ohrstöpseln entgegenblecherte. Die Rede ist von Olive, "You're Not Alone". Dieser kleine abgefeimte Tanzhallenschlager nutzt geschickt alle Kniffe, die es für eine ehrsame Discoschnulze braucht. Hypnotische Drums, Wehmut, künstliche Geigen, harmonische Mollakkorde - und ein paar widerhakenbewehrte Textpassagen, die die richtigen Sehnsuchtsknöpfe der Scheidungskindergeneration drücken. "It is the distance/That makes life a little hard/Two minds that once were close/Now so many miles apart" - zu solchen Zeilen läßt es sich wunderbar auf dem plüschtierverwucherten Bett im Kinderzimmer ein wenig traurig vor sich hin pubertieren. Ich stelle mir einsame Gestalten im Licht der örtlichen Techno-Rave-Tanzdiele vor und schüchtern vorgetragene Sätze wie, willste noch 'ne Coca?
"You're not alone, I'll wait till the end of time for you."
Ich habe auch einmal lange gewartet. Und mir fällt auf, daß so etwas auch wie eine Drohung klingen kann. "Das ist ja auch nicht normal", mußte ich mir sagen lassen. Von jemanden, der selbst nicht lange fackelte. Aber eben auch schlecht allein sein konnte. Das zu allerletzt.
"I will not falter though/I'll hold on till you're home/
Safely back where you belong/And see how our love has grown."
Donnerstag, 29. Juli 2004
... und geht entzwei." (Jakob van Hoddis, "Weltende")
Rauhkraftputz! Fließwasserpumpe! Bolzenschußgerät!
Nicht nur Frau Monolog und ich gehen gern in Baumärkte. Nun hat auch die expressionistische Stimme der Autobahnunterführungen seinen Weg dorthin gefunden. Blixa Bargeld spricht, nein rezitiert Werbung für Hornbach. Demnächst auf Viva. 13 Mal.
Yippie ya ya...
Mittwoch, 28. Juli 2004
Letzte Woche bin ich endlich in den langersehnten Besitz eines Buches gekommen, um das ich schon lange herumgeschlichen war. Leider war es immer sehr teuer. Nun ist es nur noch teuer, und da mußte ich es haben. Der Augenarzt und Sammler von Fotografie Stanley B. Burns hat seit den 70er Jahren eine beeindruckende Kollektion medizinischer Fotografie zusammengetragen. Kuratiert von Joel Peter Witkin hat der überhaupt sehr empfehlenswerte Verlag Twin Palms eine gewohnt edel gedruckte Auswahl vorgelegt. Die oftmals ruppig wirkende, ursprünglich als rein dokumentarisch intendierte Medizinfotografie streift mit dem heutigen Blick oft das Künstlerische. So ähneln die spontanen Muster bestimmter Hautkrankheiten rituellen Tribal-Tattoos oder mit Henna gefärbten Mendis. Aus dem Blickwinkel der Ästhetik des Häßlichen offenbaren selbst grausame Kriegsverletzungen und Körperdeformationen ihren eigenen Reiz. Im Zeitalter der mutwilligen Body modifications durch Brandings, Scarification und kosmetischen Amputationen wirken diese Dokumentationen wie eine bestürzende Spiegelung. Vorbildlicherweise ist jedes der fast 130 Fotos in einem Register ausführlich dokumentiert. Eine interessante Reise in die Frühzeit der modernen Medizin und die (heute oft unterdrückte) Vielgestalt des menschlichen Körpers. Einige Beispiele gibt es hier. (Achtung: Explizit)
Während des Studiums habe ich ja zwei bewußtseinserweiternde Jahre in der Pathologie gearbeitet. (Nein, nicht als Sektionshelfer.) Leider gab es an diesem Ort keine Rechtsmedizin, möglicherweise hätte ich noch einmal umgesattelt. Mein Interesse für die Welt des Dr. Quincy war auf jeden Fall geweckt. Passend dazu erwarb ich noch die Crime Album Stories: Paris 1886 - 1902. Das liebevoll gestaltete Buch führt in die Zeit von Jack the Ripper und die Frühzeit der modernen Kriminalistik. Tatortfotos und ausführliche Dokumentationen versprechen eine spannende Lektüre.