Montag, 16. August 2004
Auch wenn ich aus der Gegend von nirgendwo stamme, bin ich als Kind sozusagen in Schleswig- Holstein aufgewachsen. Meine Großmutter väterlicherseits bewohnte dort eine alte Bauernkate, in der sie nach dem Krieg sechs oder sieben Kinder großzog. (Da meine Mutter ebenfalls sechs oder sieben Geschwister hat, geht mir da schon mal der Überblick verloren. Wie das in solch großen Familien üblich ist, besteht auch nicht mehr zu allen Teilen Kontakt.) Als kleines Kind war ich die ganzen Sommer über da, später dann zumindestens die sechs Wochen in den großen Ferien.
Die Sommer früher™ waren bekanntlich heiß und endlos. Ich war die ganze Zeit draußen, hing wahlweise im Kirsch- oder Apfelbaum oder auf dem Plumpsklo in dem kleinen Schuppen vor dem Haus, wenn die Früchte noch nicht reif genug gewesen waren. Das Haus war ein langgezogener Flachbau, in dem links und rechts jeweils Familien wohnten. In der Mitte befand sich ein ehemaliger Kuhstall, damals dann Lagerort allerlei geheimnisvoller Schätze und Piratenkisten. Das Leben war einfach und für uns Kinder nicht hart. Das war die Gegend, wo man kilometerweit barfuß durch den Schnee zur Schule ging. Aber, he, es war Sommer, und ich hatte große Ferien. Vier Steckdosen gab es in dem Haus, in jedem Zimmer eine. Wollte man zusätzliche Geräte anschließen, wurde eine mürbegewordenes, baumwollumsponnenes Kabel durch den Raum gespannt. Eines nachts holte ich mir an der wackligen Steckverbindung den ersten Stromschlag meines Lebens.
Der Tag begann damit, daß man Wasser von der Pumpe auf dem Hof holen mußte. Zwei Eimer voll wurden geholt. Einen für Trinkwasser, den anderen für Waschwasser. Großes Abenteuer. Dann ging es raus in die ewige Sonne (geregnet hat es selbstverständlich nie oder nur nachts). Ich spielte auf dem Kopfsteinpflaster rings ums Haus (auf denen konnte man sich prima aufgeschlagene Knie holen, wenn man zu schnell um die Hausecken peste) oder sah den Schwalben zu, die unter der Dachrinne im meterabstand ihre Nester bauten. Oder ich traf mich mit den anderen Kindern aus der Umgebung. Dann rasten wir durch die Getreidefelder oder besuchten die Kälber in den Ställen. Häufig waren auch zwei meiner Cousinen dabei, von denen die eine immer wollte, daß ich mich auszog. Ich spielte aber lieber mit den Katzen vom Nachbarhof.
Als ich älter wurde, war die ländliche Einöde Schleswig-Holsteins nicht mehr wirklich interessant, und ich verlebte meine Ferien anderweitig. Dreißig Jahre bin ich nicht mehr dort gewesen.
Bis neulich. Von Hamburg aus ist es mit dem Auto nicht so furchtbar weit, und vor ein paar Tagen habe ich es denn endlich einmal geschafft, die Orte meiner Kindheit aufzusuchen. Dunkel erinnerte ich mich an den Namen des kleinen Dorfes irgendwo bei Neumünster. Von der Bundesstraße links ab, hatte ich ein diffuses Bild vor Augen. Und tatsächlich ging es von der Bundesstraße links ab. Und tatsächlich kamen da die Bauernhöfe, und dann gabelte sich der Weg, und statt der von mir erwarteten endlosen Reihen nutzloser Einfamilienhäuser, waren da immer noch die Felder, in denen sich meine Cousine verdächtig oft die Schlüpfer geraderücken mußte, während ich nach meinem Kätzchen suchte. Und dann war da immer noch der große Baum (nun ja, es waren sogar zwei. Keine Ahnung, woher der andere auf einmal kam), an dem sich der Weg erneut gabelte. Und wieder ging es links, und ich dachte, na, nun werden hier aber nutzlose Einfamilienhäuser stehen. Aber dann kam der Bauernhof, wo meine Großmutter und ich abends immer die Milch holten, und die Scheune, wo ich einmal fast im Stroh erstickt wäre. Und dann stand da die alte Kate.
Und was soll ich sagen? Die alte Kate ist sozusagen eine neue Kate. Hübsch hergerichtet, der Dachboden ausgebaut, die Tür in den Kuhstall versetzt. Alles noch da, bis auf die Pumpe. Aber selbst die Schuppen mit den Plumpsklos stehen noch, nunmehr als reine Lagerräume für Gartengeräte genutzt.
Das war natürlich Anlaß für tolle Erinnerungsrückstürze. Wie kurz doch der Weg vom Haus meiner Großmutter bis zu dem großen Baum, der eigentlich zwei ist, geworden ist! Da entlang kam einmal die Woche der fahrende Supermarkt, ein umgebauter Laster, mit vielen Regalen, auf denen Lebensmittel aller Art angeboten wurden. Meine Großmutter kaufte mir immer Lakritzschnecken. Die Packung hielt aber nie bis zur nächsten Woche. Einen Briefkasten gab es dort auch, aber kein Postamt. Man warf den Brief einfach hinein und zwanzig Pfennig für die Marke hinterher. Auf der Post wurde das dann alles abgerechnet. Soll noch mal einer sagen, die Deutschen könnten nicht lässig sein.
Die neuen Bewohner waren nicht daheim. Aber mit den direkten Nachbarn und mit den Leuten von gegenüber habe ich mich unterhalten. Zugezogene, die sich aber noch dunkel an den Namen meiner Familie erinnern konnten. Die Nachbarn ließen mich sogar hinters Haus in den alten Garten gucken. Da stand noch der Kirschbaum. Meine Großmutter hatte dort ein Bündel alter Blechdosen gehängt, an denen eine lange Schnur befestigt war, die bis zum Haus reichte. Kein Dosentelefon, um mich zum Essen zu rufen, sondern ein Schreckapparat, um die Vögel zu verscheuchen. Ab und an ging man im Haus ans Fenster, wo das Ende der Schnur verknotet war, zog ein wenig und ließ die Dosen klappern. Dann rauschten ungezählte beleidigte Kirschendiebe mit wildem Gezeter davon.
Ein schönes Gefühl. Es ist alles noch da. Nicht zu einem Haufen alter Steine zermahlen, sondern schöner denn je. Erinnerungen, mal nicht zertrümmert. Meine Cousine bekam früh ein Kind. Ich weiß aber nicht, was sie heute so macht.
Fragmentarische Anrisse, Splitter nur:
Ginger Snaps Unleashed (Kan. 2004). mehr...
Madame Edouard & Inspector Leon (F/B/Lux. 2004). mehr...
The Big Empty (USA 2003). mehr...
One Missed Call (J 2003). Takashi Miike, dieses Mal geschenkt.
Ginger Snaps Back: The Beginning (Kan. 2004). mehr...
La Peau Blanche (Kan. 2004). mehr...
Montag, 16. August 2004
Der dritte Teil der "Ginger"-Reihe schildert das Prequel der Geschichte. Anfang des 19. Jahrhunderts treffen die verirrten Fitzgerald-Schwestern Ginger (Katharine Isabell) und Brigitte (groß: Emily Perkins) auf die entlegene Handelsstation Fort Bailey irgendwo in den Wäldern Kanadas. Auf dem Fort lastet ein Fluch: Die Schwestern ("Together forever") werden erstmals mit blutrünstigen Werwölfen konfrontiert. Eine indianische Seherin macht ihnen eine Prophezeiung, das Fort birgt ein schreckliches Geheimnis... und am Ende sind alle tot. So oder ähnlich geht der bislang schwächste Teil der kleinen, feinen Horrorreihe.
"The Beginning" ist konventioneller Monsterschocker: einsame Wälder, zwielichtige Burschen und ein leider allzu deutlich zu sehendes Rudel (!) Werwölfe. Bedauerlich. War die Stärke von "Ginger" bislang, den Fokus auf die weibliche Perspektive zu legen, ist der dritte Teil im Grunde ein Männerfilm. Die Fitzgerald-Schwestern sind hier weniger schnoddrige Heldinnen, sondern meist nur klassische "Damsels in distress", die in Nachtgewand und Kerzenschein mutterseelenallein finstere Kellerverliese erkunden oder einsam durch verschneite Wälder stapfen. Derart passiv haben sie auch nicht mehr den sexuellen Subtext der anderen beiden Teile in der Hand: Hier werden die beiden ständig bedrängt, mit Vergewaltigung bedroht, niedergeschlagen und beinahe als Hexen verbrannt. (Deshalb eben auch ein ganzes Rudel von Werwölfen - Metapher für das raue Rudel Burschen innerhalb das Forts. Nun ja.)
Ihr Triumph: Sie werden als einzige überleben - aber zu welchem Preis.
Ärgerlich nur, daß damit auch der Aspekt der Schuld in ein neues Licht gerückt wird. Wurden die Schwestern in den ersten beiden Teilen sozusagen schuldlos von der "bösen Natur" überwältigt, zeigt das Prequel, daß die beiden es in der Hand gehabt hätten, den Fluch zu brechen - aber bewußt versagten. Das Böse ist weiblich, als hätte man dies nicht schon seit Jahrhunderten gewußt. Denkt man zu lange darüber nach, wird damit eigentlich der ganze originelle Ansatz der "Ginger"-Filme diskreditiert.
Sei's drum. Als konventioneller Horrorfilm funktioniert das Ganze recht gut. Passabel sagt man wohl. Die Gothic-Aspekte schlagen hier noch mal den Haken in eine andere Teilnische dieser Subkultur:
War Teil 1 noch "Vorstadt-Gothic" und Teil 2 eher "Industrial", so holt Teil 3 schnell noch die Mittelaltermarkt-Szene ins Boot. Indianische Mystik, Traumfänger, Trinkhörner, Vogelschädelhalsketten, Kapuzengewänder, Ritualmesser - dieser ganze, nun ja, langweilige Tinnef wird als visueller Leckerbissen-Schwurbel über die insgesamt dünne und von Beginn an vorhersehbare, komplett lineare Handlung gelegt.
Nett, sagt man da. Und das ist ja bekanntlich ein Todesurteil. (Außer man will sich nicht in die Karten schauen lassen, aus Selbstschutz zum Beispiel. Aber das hat jetzt nichts mit dem Film zu tun.)
Und Emily Perkins ist in ein paar Jahren ein Star. Oder tot.
Ginger Snaps Back: The Beginning (Kan. 2004). Regie: Grant Harvey
Ausgang. Nachtwandelnd durch Gewerbegebiete, monotones, industrielles Grundrauschen. Versprechen im fahlen Licht einer Verkehrsunterführung. Eine Straßenlaterne zum Trunk einladen. Sieche Tiere. Wäre der ganze Körper doch aus Rost. Metallischer Zerfall. Berstende Schweißnähte, grünspanbewucherte Zähne aus schartigem Messing. Sich mit den zu dreckigen Sporen geformten Fingernägeln ein nächtliches Tier reißen. Rostiges Wasser aus brackigen Pfützen trinken. Wir schleichen rund um die Krankenbaracke und schlagen uns mit der blechernen Suppenkelle auf die rasierten Schädel. Die Tonsur für die Elektroden. Nicht mal das Stroboskoplicht direkt vor unserem Auge weckt uns aus mechanischem Halbschlaf. Eine aufgestörte Fliege jagt in verzweifelter Flucht in meinen Mund. Ein Kadaver der Landstraße. Glaubst du es diesmal? "She says all the things that make you sick/But do you believe her when she says she loves you?" (The Raveonettes, "Do You Believe Her?")
Unsere rostigen Körper schleifen über die Straßen, schreddern aneinander. Zerfetztes Metall. Man meint, es sei die Krankheit, doch im Institut haben sie nichts für mich. Wir werden nichts mehr glauben müssen.
Samstag, 14. August 2004
Warum sagt mir wieder keiner was? Muß erst wieder die formidable Miss Monolog daherkommen und mir "Bescheid" ins Ohr brüllen?
Also für Menschen, die z.B. in den 80ern die Primitives gehört haben oder als zweite Grobrichtung Naked Lunch stimmlich ganz gut finden, die können sich mal bei den Raveonettes umschauen. Melancholie mit Eiern.
Ich geh jetzt mal eben den Motorradführerschein machen.
Den Vergleich mit David Lynch, den das Presseheft erhebt, vergessen wir gleich mal wieder. Jedermann "Joe Person" (Jon Favreau) ist arbeitsloser, verschuldeter Schauspieler. Aus Not nimmt er einen obskuren Auftrag an: einen blauen Koffer irgendwo in einem Wüstenkaff übergeben. Dort im Big Empty begegnet er einigen bizarren Einheimischen. Sein Motelwirt hat eine Sthalplatte im Kopf, Barfly Dan quatscht ihn mit Alien-Geschichten voll, White-Trash-Göre Ruthie (Rachel Leigh Cook) macht ihn heiß und ihren durchgeknallten Freund (Adam Beach) rasend eifersüchtig. Einzig Ruthies Mutter, Barfrau Stella (cool: Daryl Hannah), scheint einigermaßen geradeausdenken zu können.
Dann aber passiert ein Mord, hinter dem Joes Kontaktmann, der "Cowboy" (Sean Bean), zu stecken scheint. Und Joe hat plötzlich das FBI und die Aliens im Nacken... oder auch nicht.
Vorab: Die Musikauswahl ist echt daneben. Statt die "Mystery"-Stimmung zu unterstützen, kommt so Lala Marke Cajun-Country-Lustiggedudel. Dann wird zuviel erklärt, statt uns mit offenen Fragen und einem offenen Ende zurückzulassen. Ganz ordentlich, hätte man aber mehr daraus machen können.
The Big Empty (USA 2003). Regie: Steve Anderson
Ach ja. Belgisch, schwarz, makaber. Aus Belgien kommen ja viele merkwürdige Sachen. Aber hier spielt das St.-Pauli-Volkstheater eine Version von "Kottan ermittelt". Skurril, sicher. Exzentrisch, auch. Witzig hier und da. Aber auf Dauer ist der Plot dann doch ein wenig arm. Albern sicherlich. Insgesamt leider nur TV-Niveau.
Stärkste Szene eigentlich, wie das Mädchen nach zwanzig Jahren das erste Mal seinen Vater trifft.
Madame Edouard & Inspector Leon. (F/B/Lux. 2004). Regie: Nadine Monfils
Freitag, 13. August 2004
In den letzten Tagen ungefähr 300 Pferde, 500 Samurai, tausende Menschen und Menschenähnliche mit schlechter Haut und starkem Unterbiß sterben gesehen. Kleinwüchsige notorische Barfußläufer dabei beobachtet, wie sie mit gestohlenem Schmuck durch unwirtliche Landschaften ziehen, mit technischem Schnickschnack aufgebohrte Taxis über Skipisten donnern gesehen, einen verrückt-spielenden Mafiaboss Songs aus "Westside Story" singen hören und einen Architekten um seinen kleinen Sohn kämpfen sehen, nachdem die Ehe im Arsch war, während gleichzeitig eine russische Kofferatombombe in Miami für jede Menge Ärger sorgte (muß man sich erst einmal vorstellen!). Dann war da noch ein schwerbewaffneter, schwarzgewandeter Mann, der so gut Gitarre spielen konnte, daß einem ehemaligen Piraten, der nun beim CIA angeheuert hatte, die Augen rausfielen. So konnte er den Kalender mit den netten, nackten, älteren Damen nicht sehen. Ein anderes Pferd, das ich oben vergessen habe mitzuzählen, fiel in Panik von einer Fähre. Das war aber nichts im Vergleich zu dem, was sich dann rund um den Leuchtturm und in dem alten Brunnen abspielte. Und wenn jemand am Telefon sagt, "noch sieben Tage" - dann sollte man das verdammt ernst nehmen.
Soll noch mal jemand sagen, Fabrikarbeit sei eintönig.
Freitag, 13. August 2004
Nur ein paar Splitter, sehr ungeordnet:
Vor drei Jahren war der Film Ginger Snaps die Entdeckung auf einem ansonsten eher überraschungsarmen Festival. Die Geschichte zweier pubertierender Schwestern, Außenseiter in der schaurigen nordamerikanischen Suburbia, die lieber sterben wollen, als erwachsen zu werden. Bis sich die Natur auf blutige Weise ihre Bahn bricht - und eine der Schwestern zum Werwolf wird.
Die Fortsetzung Ginger Snaps Unleashed setzt die Handlung fort und rückt nach dem Tod von Ginger ihre jüngere Schwester Brigitte (großartig: Emily Perkins) ins Zentrum. Die Goth-Thematik steht nicht mehr so im Vordergrund (von einzelnen Insignien wie der Vogelschädelhalskette abgesehen). Man merkt dies auch am Soundtrack: brachialere Industrial- und EBM-Sounds, wahrscheinlich recht nach Miss Monologs Geschmack, unterlegen hier die Handlung. Die Hauptschauplätze sind diesmal ein heruntergekommenes, (natürlich) labyrinthisches Sanatorium und ein aus gutem Grund dreigeschossiges Haus am Stadtrand. Der Film setzt ziemlich viele Kenntnisse über den ersten Teil voraus (die Traumbilder über die tote Schwester bleiben völlig unerklärt), ergeht sich zudem in einigen recht überflüssigen Filmzitaten (Alien 3) und Genremotiven (Jagd durch das Gängelaybrinth, Flucht durch die Ventilationsschächte).
Die Horrorelemente waren aber nie die Stärke von Ginger Snaps. Wie in vielen (schwächeren) Pendants liest sich der Film natürlich am besten als Metapher und Allegorie auf diverse Pubertätstraumata und weibliche Sexualität (Zyklen/Vollmond/Blutsymbolik). "Unleashed" ist stärker als der erste Teil pures Borderlining. Grenzgänge (Wolf-Mensch), unvermittelte Aggressivität, fehlende Impulskontrolle, SVV, Wahrnehmungsdefizite, verminderte soziale Kompetenzen, Drogenproblematik, "Unbestimmtheit" sexueller Identität (anders als die im wahrsten Sinne des Wortes männermordende Ginger im ersten Teil, wird hier angedeutet, daß Brigitte möglicherweise lesbisch ist - oder auch nicht) - was man will. Selbst die wissenschaftliche, kühle Rationalität, die hinter Brigittes zerschnittenen Armen steckt, ist hier grausiger Spiegel. Das Mißbrauchsthema (sowohl in sexueller als auch struktureller Form durch die "Institutionen" Pfleger/Sanatorium) spielt hier ebenfalls rein.
Das haarige Monster (übrigens wird bewiesen, daß Onanie wirklich zu Haarwuchs an den Handinnenflächen führt, also: Don't try this at home, kids!) wäre bei John Irving eine Frau im Bärenkostüm. Hier sucht die ungezähmte, triebhafte Es-Natur nach gewaltsamer, blutiger sexueller Vereinigung. Kein Wunder, daß das Es-Tier am Ende in den Keller gesperrt wird (wo es rumrandalieren kann), während die neue zweite weibliche Hauptfigur mit dem sprechenden Namen "Ghost" (Tatiana Maslany) im ver-rückten Oberstübchen/Speicher sitzt. "Ghost" ist als kleines Mädchen die einzige "entkörperlichte" Bewohnerin des Sanatoriums (wenn man mal von ihrer total verbrannten Großmutter absieht, fällt mir gerade ein. Aber Großmütter gelten ja im allgemeinen auch nicht gerade als sexuelle Wesen.) - sie wird als bunte, "lichte" Gestalt eingeführt. But then, people, this is a horror movie.
Nach wie vor großartiger Ansatz, eine der wenigen Horrorgenrefilme mit dominierenden weiblichen Hauptpersonen.
Ginger Snaps Unleashed. Kan. 2004. Regie: Brett Sullivan.
Danke, Herr Frisbee!
Donnerstag, 12. August 2004
Seit geraumer Zeit bin ich in der Gartenzwergfabrik ja nur noch freier Mitarbeiter. Das hat verschiedene Gründe, die Wirtschaftskrise ist nur eine davon. Der andere Grund ist, daß ich jederzeit bereit sein möchte, wenn meine Chance auf den Docks hier im Hafen kommen sollte. Einmal im Leben will ich nämlich so richtig in der Produktion arbeiten, und was wäre da besser geeignet als ein Job im Schichtdienst als Nieter im Schiffsbau?
Bis dahin aber bleibe ich der Gartenzwergfabrik treu, und sollten noch soviele Menschen darüber lachen. In letzter Zeit ist man dort nett zu mir. Bei der Verteilung der Schokonikoläuse letztes Jahr wurden die Freien ja noch übergangen, aber nachdem ich mit diesem gewissen Blick in den Augen nicht nur von meiner Schokoladensucht, sondern auch von meinen Ambitionen als schwertätowierter Metallwerker erzählte, ist man dort sanft wie ein Lamm.
So kommt es auch, daß ich dieses Jahr eingeladen wurde, die Gartenzwergmesse zu besuchen. Es gibt davon mehrere. Die wichtigsten finden in Cannes, Venedig und Berlin statt. Aber einmal im Jahr gibt es ein Gartenzwergfestival, bei dem die skurillen, subversiven, morbiden und kaputten Mützenträger vorgestellt werden. "Harter Stoff", wie die Kollegen immer sagen, und sicherlich nichts, was sich die große Masse in den Vorgarten stellen würde. Es gibt da Zwerge aus aller Herren Länder zu sehen, hauptsächlich aus Hongkong, Japan und Kanada. Vampirgartenzwerge und Serienmördergartenzwerge, welche mit Kettensäge und andere mit einem Fleischerhaken. Also mehr so was von der verregneten Seite des Gartens.
Letztes Jahr wollte ich mit meiner Freundin dorthin, weil die sich auch für sowas interessiert. Die lehnte aber überraschend ab und überraschte mich noch mehr, als sie mit ihrem sogenannten Duz-Freund dort auflief und nicht einmal "Hallo" sagte, als sie an mir vorbeiging. Dieser Freund auch nicht, aber der konnte eh nicht richtig reden, lesen oder schreiben. Irgendwie kam mir da schon der Verdacht, daß meine Freundin eventuell gar nicht mehr meine Freundin sein wollte, aber man soll ja nicht vorschnell und nach bloßem Augenschein urteilen.
Dieses Jahr scheint das Programm nicht ganz so überbordend. Aber mit diesem schicken Messeausweis kann ich mir ja einfach alles recht unverbindlich anschauen, kommen, gehen wie ich lustig bin. Und vor Überraschungen ist man ja nie sicher. Vielleicht berichte ich von den Höhepunkten und stelle die schönsten Exemplare hier vor.
Sonntag, 8. August 2004
Willst du was erleben, mußt du eine Reise tun. Am Wochenende lockten mich daher drei heiße Japanerinnen und die formidable Miss Monolog ins schöne Wuppertal. Und meine Mutter natürlich auch. Hallo, Mutter!
Stau und Stress strandeten mich bereits an der Autobahnausfahrt Oberbarmen, was mir - dem Mann, der kein Taxi fährt - um 2.00 Uhr nachts während eines interessanten Fußmarsches die landschaftlichen Beschaulichkeiten des Gewerbegebiets Nächstebreck näherbrachte. Das Wetter war aber danach, und außerdem fahren dort keine Taxis. Mütterchen Kid hatte auch weder etwas gegen nächtlich Anrufe noch gegen eine spontane Herrichtung einer Schlafstelle. Danke, Mütterchen Kid! Eben deshalb konnte ich den Lockungen des nahegelegenen Etap-Hotels mit verächtlichem Schnauben widerstehen und mich ganz geographischen Begriffen wie "Hottenstein", "Im Hölken" und "Vor der Beule" widmen. Man merkt, man ist im Bergischen. Dort, wo das Wasser weich ist und die Kerle nahe am selbigen gebaut haben.
In der ehemals schwerst mythenverwebten Tanzdiele mit der zerrupften Ente, dem U-Club, machten nämlich am Samstag die 5,6,7,8's ihr markerschütterndes "Woo Hoo". Kill Bill und die Folgen hatten schwersttätowiertes Rock'n'Roll- Jungvolk aus der bizarrsten Heimatstadt Deutschlands aus Schwebebahn und Wupperhöhlen gelockt, die alle einen Blick auf die Teenage Cavewomen from Tokyo werfen wollten. Nervös hielt ich nach einer Dame im gelben Trainingsanzug Ausschau und war mehr als angetan, als Miss Monolog in 18-ern und Mini-Raubtiertäschchen mir ohne gezücktes Katana entgegentrat. Selten ist einem alten Mann wie mir noch das Glück beschert, angesagte Rockschuppen in attraktiver Begleitung aufzusuchen, aber nun war ich mal King for a Day. (Ich also gleich Kaffee ausgegeben und Heldengeschichten erzählt. Kam bestimmt super an.)
Ein wenig uncharmant mußte ich dann aber während des Auftritts werden. Denn ich hege seit Jahrzehnten ein Faible für aufgedrehte Japanerinnen. Die müssen noch nicht einmal Schuluniformen tragen. Das zum einen. Dann waren die noch zu Dritt. Kurz gesagt: Meine Blicke blieben dann doch für die Dauer eines Rock'n'Trashigen Konzerts immer wieder auf der Bühne kleben.
Apropos kleben und feucht: Es hat überhaupt nichts Anzügliches, wenn ich berichte, daß einem in der nach kurzer Zeit nur noch mit dem R'n'R-Stilett zu schneidenden Luft schon vor der Veranstaltung das ausgeschwitzte und von anderen herumgespritzte bergische Hopfenwasser rauf- und runterlief. Zum Glück spielten nicht King Kurt, dann wäre auch noch Mehl dazugekommen.
Die drei durchgeknallt-sympathischen Japan-Air-Stewardessen legten irgendwann nach Mitternacht einen ziemlich mitreißenden Rockstomper-Auftritt hin. Aufgetürmte 60s-Style-Frisuren, Macho-Rocker-Gesten, Hintern- und Hüftgewiggel, trockene Bassläufe und angeschrilltes Wimmerhaken-Halbresonzgitarrengejaule hatte die Menge bald durchgekocht. Exaltierte junge Frauen rockten enthemmt in klitschnassen T-Shirts mit ihren sekundären Geschlechtsmerkmalen am Bühnenrand. Entrockt. Tits, hits, hair - and arms in the air. Und immer wieder: "Woo Hoo".
"Bomb The Twist" (umjubelt), "Harlem Shuffle" (im Rekordtempo), "Green Onions" (MG-style), "The 5,6,7,8s" (hymnisch)... zwei Zugaben - arigato - sayonara.
Anschließend verschleppte ich Miss Monolog ins Café du Congo. Dort war noch Nachtausschank, bis am Fujijama die Sonne aufging. Musik war eher buena nachtschwärmer fado-style, aber das ist ja das Nette in solchen angeranzten Cafés. Dort und gegenüber habe ich einen guten Teil meiner Jugend verschwendet. Dahin gehe ich immer wieder gern. Und erzähle Heldengeschichten.