Montag, 26. Juli 2004
Gerade erst erfahren. Bleu est morte.
Beklemmend, wenn die Meldungen unter "Vermischtes" plötzlich einen Namen bekommen.
Sehr schön. Sommerschlußbloggen.
Glückwunsch an Lyssa und Ligne claire.
Samstag, 24. Juli 2004
Der Nachtbus ist mir vor der Nase entwischt. Zu warten hatte ich keine Lust, darum ging ich zu Fuß. Ein Taxi nehme ich nie. Ich stamme aus einer armen Familie; Taxifahren galt als unerhörter und verschwenderischer Luxus.
Zweimal habe ich in Hamburg ein Taxi benutzt. Einmal kamen wir in einer kalten Dezembernacht von meiner eigenen Ausstellung. Sie war nur spärlich bekleidet, und außerdem war ich der Künstler an diesem Abend und benötigte eine große Geste. Noch ein anderes Mal nahm ich mir ein Taxi. Sie hat sich darüber lustig gemacht.
Zero, Zero, Zero.
Zu Fuß dauert es eine gute Stunde. Wenn man schnell geht, so wie ich. Der Weg durch die von spärlichen Lampen illuminierte Speicherstadt hat nachts seinen eigenen Reiz. Das Wasser der Kanäle ist tiefschwarz und übt eine besondere Faszination auf mich aus. Wie bei einem Wunschbrunnen voller Öl kann man den Grund nicht sehen. Ich würde jetzt gerne schwimmen gehen. Wirklich sehr gerne. Aber ich habe meine Betonschuhe nicht dabei. Nicht einmal ein paar Ziegelsteine, so wie in The Hours.
Zero, Zero, Zero.
Der Weg führt dann irgendwann durch endlose Gewerbegebiete. Um drei Uhr morgens, wenn die biologischen Funktionen auf ihren niedrigsten Stand absinken, plagen mich leichte Unterzuckerungen. Der Körper versagt. Aber auch ein angenehmes Gefühl, wie in Trance, mit schwammigen Knien und wackligen Beinen immer weiter zu gehen. Immer weiter, automatisch. Ich fühle mich wie der "unsichtbare Mann" aus Ralph Ellisons Roman. Ich gleite durch die Straßen, vereinzelte Autos rauschen wie ein Lichtstrahl an mir vorbei. Ich verschmelze mit dem Trottoir, den Wänden, den Unterführungen. Ich bin nicht da. Ich bin unsichtbar. Man kann in dieser Zeit über vieles nachdenken, sich an vieles erinnern. Dinge, die man niemals wissen wollte. In einer Hofeinfahrt sitzt ein weinendes Mädchen auf dem nackten Boden. Wochenendkrisen. Ich schleppe sie mit bis zum Bahnhof. Angeblich will sie noch irgendwohin.
Zero, Zero, Zero.
Die Briefe, die ich schrieb, waren so gut wie die Briefe, die ich nicht schrieb. Sie blieben alle unbeantwortet. Ich will Dir keine Hoffungen machen, meinte Sie auf einem der zahllosen Treffen, zu denen sie mich bat. Dann hielten wir weiter Händchen.
Ich hielt sie daraufhin für unnahbar, geheimnisvoll, zurückhaltend. Eine groteske Wahrnehmungsstörung. Erst später fand ich heraus, daß sie sehr wohl eifrig mit irgendwelchen Männern korrespondierte, die sie über das Internet und auf Parties kennenlernte, zu denen sie lieber alleine gehen wollte. Ihnen Fotos schickte.
Zero, Zero, Zero.
Silvester feierte sie lieber mit einem sogenannten Freund auf einer anderen Party. Die beiden warteten freundlicherweise bis viertel vor zwölf, ehe sie die Wohnung verließen. Dann war ich endlich allein.
Silvester. Zum Glück ein Tag, den man leicht vergißt. Als sie die Unordnung, die Flaschen und die zerstörten Sachen fand am nächsten Morgen dann, hatte sie nur eine Sorge. Ich hoffe, es trifft nicht meine Sachen, schrieb sie auf einen kleinen Zettel. Nein, schrieb ich zurück. Es trifft immer nur die anderen.
Sie wünschte mir kein frohes neues Jahr. Sie erzählte mir aber, mit unverhohlenem Stolz, daß sie ein "schönes" Silvester hatte. Sie sparte auch nicht mit den anderen Details.
Ihre Bekannten wurden ebenfalls brühwarm informiert. Die zeigten sich selbstverständlich schockiert. Über die Unordnung. Mich könne man ja nicht mehr einladen. Nachher randalierte ich auch in fremden Wohungen ab.
Zero, Zero, Zero.
Vielleicht war es das, was sie wollte. Sehen, wie andere zu Boden gehen. So wie die Männer, mit denen sie zusammengelebt hatte. Von denen sie verächtlich sprach und die in irgendeiner Form alle Gescheiterte waren. So wie ich nun. Und so zeigte ich mich ihr, entblößt, auf dem Boden. Und erzählte ihr von der Sache, dem eigenen Urschmerz, unter Tränen, am Boden. Etwas, was ich erlebt hatte, als ich ein kleines Kind war. Eine Sache, nur deshalb so groß und so weitreichend, weil sie im Grunde ganz furchtbar banal war. Eine Sache, von der ich vermutete, sie, die sich selbst ihr halbes Leben so abgelehnt fühlen mußte, könne es verstehen.
Wenige Wochen kamen wir auf das Thema zurück. Sie hatte es vergessen.
Na, meinte sie, erzähl es mir halt noch mal.
Zero, Zero, Zero.
Freitag, 23. Juli 2004
"Ich habe mich damals doch absichtlich ein wenig zurückgezogen."
"Oh, das habe ich gar nicht gemerkt."
Wenn der Goldrausch vorüber ist, bleibt ein schaler Geschmack zurück.
Der Mann, der Frau und Kind verriet, lebt mit dem Bewußtsein seiner Schande. Tag für Tag. Ein alter Patriarch, dessen Reich zerfällt. Ihm bleibt der Tod, nur "Hope" überlebt.
Das Zeitenrad dreht sich.
The Claim (GB/F/Kan. 2001). Regie: Michael Winterbottom.
Donnerstag, 22. Juli 2004
Heute ist ein besonderer Tag.
Mittwoch, 21. Juli 2004
Mangelnde Impulskontrolle wird als eine mögliche Ursache angesehen. Vor allem in Verbindung mit Kommunikationshemmung. Ängste, Probleme und Gefühle z.B. werden nicht oder nicht ausreichend [Anm.: auf sozial akzeptierte Weise] kommuniziert.
Dienstag, 20. Juli 2004
Vor einigen Jahren erstand ich in einer dieser wunderbaren kleinen französischen Buchhandlungen ein Werk des französischen Comixzeichners Joann Sfar. Hierzulande ist er hauptsächlich durch die "Don Jon"-Serie bekannt, die mir aber nicht so gefällt. Im Grunde ist Sfars Zeichenstil gar nicht der meine. Ich bin ein Freund der ligne claire, Sfar ist mir schon zu krikelig.
Aber der "Petit Vampire" hatte es mir sofort angetan. Die Geschichten um einen kleinen Waisenjungen, der ein Vampirkind kennenlernt und fortan aufregende Abenteuer und tolle Monsterparties erlebt, sind ganz nach meinem Geschmack. Und da ich ja schon ein älteres Kid bin, war ich regelrecht beglückt, als ein Kollege mich auf die Serie "Le Grand Vampire" aufmerksam machte. Der kleine Vampir ist erwachsen geworden und darf jetzt auch mit Gothic-Bräuten flirten, mit ihnen nachts über den Friedhof ziehen, sich über Marilyn Manson und "le gothic punk" unterhalten... Und - ganz wie im richtigen Leben - Sex gibt es natürlich nicht.
Fernand der Vampir hat nämlich Kummer. Seine Freundin, die druidische Baumfrau, hatte ihn schnöde verlassen. Das war ein eher bedrückender Moment im lebenslangen Leben des Vampirs. (Später ist es die Baumfrau, die Fernand eine "zweite Chance" geben will. Vorausgesetzt, er spioniere ihr nicht wieder nach. Als Fernand sich ereifert, er hätte ihr nicht hinterherspioniert, sondern sie bei einem Besuch seines Freundes Michel in dessen Bett vorgefunden, kontert die Baumfrau kühl, mit ihm könne "man ja nicht reden, er sei ja cholerisch". Groß!)
Als später dann die rothaarige Goth-Punkette Aspirine bei ihm einziehen will, die sich sehr rauh und kühl gibt, aber in Wahrheit leicht verletzlich, jähzornig und einsam ist, reagiert der Fernand der Vampir wie es sich für einen Hagestolz gehört: "Tu t'installes pas chez moi. Pas question. Ça fait même pas une nuit que je suis célibataire, alors j'aimerais bien être un peu tranquille." Aspirine ist nämlich eine kleine Drama-Queen. Ihre Freunde, die laut, roh und reichlich stumpf ständig Gothicparties auf Friedhöfen feiern, gehen dem sensiblen Schöngeist Ferdinand rasch gehörig auf den Sender. Ich weiß nicht, woher Sfar mein Leben kannte, aber es ist schön, so etwas schön bebildert zu lesen. Da braucht es kein Tagebuch.
Tranquille. Ruhe. Es gibt nichts schöneres. Gleich mal alle drei Panzerriegel vorlegen, die Zugbrücke zum Kanal hochziehen und - lesen.
Bebändert stürzt ein Mar durch ihre Betten,
der ihre Köpfe schlagend, sie erschreckt.
Wie gelbe Schlangen auf verrufnen Stätten,
So wiegt ihr fahles Haupt, von Nacht bedeckt.
(Georg Heym, "Die Irren". 1912.)
Oha. Und ich dachte, ich wäre durchgeknallt. Aber es geht immer noch doller.
Hingegen düster und schön und bedrohlich.
Vielleicht etwas versöhnlicher, ein Zimer mit Ausblick.
(Von Yoko Ono gab es das mal. Eine Karte mit einem kleinen, kreisrunden Loch in der Mitte. "A hole to see the sky through.")
Doch dann, für den Weg in die dunklere Nacht. Entblätter das Raubtier,
the pussy still fertile, the fangs fixed into the wind.
Montag, 19. Juli 2004
Jetzt ist es da. Bald ist es weg.
Nicht alles ist natürlich so weg, wie es sein sollte. Irgendwo gibt es bestimmt einen Durchschlag, und dann taucht es bei eBay, dem Flohmarkt oder im Google-Cache wieder auf. Wenn das die Stasi schon gewußt hätte! Aber auf diese Weise erfahre ich, daß das Hermetische Café auf Platz eins im Google-Ranking unter "auswärts essen" ist. Dabei stehen hier nur Butterbrote auf der Karte.
Ich bin schwer begeistert.
Wie schon gesagt, war der eigentlich offiziell gelöschte Beitrag wenig originell, aber Google speichert ja jeden Müll. Vor allem montags, wenn der Cache aktualisiert wird. Montags ist ja auch Berichtstermin, da gibt es dann ja wieder einiges zu erzählen. Wieviel einfacher wäre doch ein RSS-Feed!
Halb Hamburg ist heute eher nicht arbeiten. Weil nämlich dieses große Schiff im Hafen liegt. Über nacht sind dort Fischbuden und Boogie-Woogie-Klaviere aus dem Boden gewachsen und hundert oder hundertzwei Menschen recken dort den Kopf in die Höhe. So groß sieht es erstmal gar nicht aus - bis man das SAP-Gebäude daneben sieht.
Zuhause dann auch schön. Eine liebenswürdige Dame hat mir ein Päckchen geschickt. Und während ich - so wie jeden Montag - meine Ellbogen in Zitronenwasser badete, überlegte ich voller Vorfreude, was darin wohl sein könnte. Getragene Unterwäsche? Schokolade? Gute-Nacht-Tee? Was immer es auch wäre, es würde Glückhormone ausschütten, so viel war sicher.
Und das hat es nun auch, vielen Dank! Sehr schick, sehr motivierend.
Seit Wochen habe ich Suchanfragen der Art
+ Armdrücken + mit + Frau
Zwei Worte dazu: Das kann mann nicht gewinnen und so sieht ein gleich Verlierender aus. (Oder worum geht es dabei?)
Jetzt erst Re-entdeckt: Scheinriese mit irreführender Ameisen-Adresse (soweit ich das überblicke) und Tonnen an kühlen Links zu Grafik, Design, Kunst, Literatur, New Wave-Reminiszenzen, Film, Mac-Gelaber et al.
Dortselbst gefunden: Lost Bands of the New Wave Era mit kruden Informationen über Bands, die kein Schwein kennt, und Sugar'n'Spicy, kommentierte Links für visuell Interessierte. Alles aufsaugen!
Immer wieder und zu allem Überfluß hielt sie auch die Details nicht zurück.