
Montag, 10. Mai 2004
Folgende Überlegung. Wenn es 500 m von meinem Haus schon recht nett ist,
wie angenehm muß es dann erst so ca. 1000 km weit weg sein? Eben.
Also, so geht es nicht weiter. Ich muss mal ein paar Tage hier raus.
Ein wenig Sonne tanken.
Looks like rain, though.
Haus wird gehütet, Enten gefüttert. Melde mich aus dem Terminal Pub.

"Außerdem schien der einzige Weg, die Vergangenheit zu exorzieren, darin zu liegen, eine neue zu beginnen."
(Tomi Ungerer. Heute hier, morgen fort . 1983.)
Auch dieses Pathos bitte ich mir nachzusehen.
De profundis. "From the depths of the ocean..." (Joy Division). Nein. Besser nicht. All systems up and running.
Der Moment, ein paar Tage später, als ich ihre Narben sah. Den kann keiner nachvollziehen und muß es auch nicht. "Ich habe alles im Griff." Sicher doch.
Für ihre Freunde war alles normal.
"Ist das bei euch etwa immer noch ein Thema?" Geil. Plötzlich aufwachen und merken, man ist nicht nur im falschen Film, sondern auch im falschen Kino.
All systems up and running. Komische Einbrüche in letzter Zeit. Phasen offensichtlich. "Was haben Sie denn da auf dem Rücken?"
Oh. Das wußte ich gar nicht. Nein, keine Messerstecherei. Ich verlasse ja kaum das Haus.
"Aha. Gut, Sie können sich wieder anziehen."
Verhüllen. Das ist es wohl. Gut verhüllt. Mehr nicht, aber immerhin. All systems up and running. War nur eine Phase. Denn heute bin ich hier, und morgen bin ich fort.
Fuck you.

Sonntag, 9. Mai 2004
"Everything else is broken" (Radiohead, "Planet Telex")
Das rote Grausen setzt hier spätestens jeden zweiten Samstag im Monat ein. Da nutzt auch kein süffisantes "He, lass doch die Vergangenheit ruh'n, schau doch nach vorn..." Einfach mal das Maul halten. Es ist nicht jeder stumpf. Und bar jeder Grenze. So.
Heute also noch Vollmond genug und Hafengeburtstag. Auch so eine Spackonautenveranstaltung. Aber als ich frisch nach Hamburg gezogen war und sowieso erstmal in der schönen Talstraße gleich auf der Reeperbahn um die Ecke gastierte, bildeten sich erste Rituale. Rund ums ehemalige "Störtebecker", den "Pudel" und das "Hafenklang". Zum Hafengeburtstag wird an der Hafenstraße ein Soundsystem aufgebaut und ein, zwei Bühnen drumherum. Da kann man dann ungepflegt abhängen, ein Bier oder drei trinken, passiv mitrauchen und sich schäbig fühlen. Kann man jetzt endlich wieder machen.
Auf Bühne 1 war das wohl gerade "Bitchfinga", wenn ich die Ablaufliste richtig interpretiert habe. Straighta Konkret-Punk mit No-Nonsense-Sängerin. Korrekt vorgetragen, viele Arme in der Luft.
Unten rockten bei "SensiSoldier" MCs aus Heidelberg das House. Kompromißloser In-die-Fresse-Drum'n'Bass mit knüppelharten Tieftonattacken. Taugt auch fürs vierte Bier. "I say mo' er - you say fugger!" Fickt euch die Knie, hier tobt die Straße. Kehrwiederspitze? Nicht im Traum.
No more emotional black-mail. "I am crazy for you but not that crazy", Magnetic Fields.
"With friends like these, who needs enemies?" (Powderfinger, "DAF")
Genau. Braucht kein Mensch. Von der oberen Bühne trollten derweil nämlich irgendwelche finsteren finnischen Langhaarträger wirklich lustiges Death-Metal-Zeug herunter. Name war nicht zu erkennen, endete irgendwie auf "...goth", kann aber auch ganz anders gelautet haben. Schwer frontal headbanging und natürlich ein cooler Gegensatz. Enthemmte Weiber rockten am Bühnenrand. Die haben heute Nacht bestimmt noch was vor. Wohl mit finnischen Death-Metal-Trollen. "I'm so evil" grunzten die Jungs in ihre Mikros. Dann wieder elektrisch verstärktes Brutal-Kopfnicken. Hätte eine Betonmauer vor ihnen gestanden, man hätte es auch für ein Gruppentreffen der örtlichen Anonymen Borderliner halten können.
"A smack on the head is what you'll get for asking" (The Smiths).
Dann mit vollgekotzten öffentlichen Nahverkehrsmitteln nach Hause.
"Hamm und Horn schuf Gott im Zorn", heißt es in Hamburg. Tja, irgendwo muß die B-Ware ja wohnen. Die zweite Wahl. Hier bin ich richtig, hier bin ich zu Haus. Geiler Abend also. Schade, habe Herrn AxelK nicht getroffen. Von dem hätte ich mich heute gern zum Volltanken überreden lassen. Next time.
Jetzt zehn Aspirin und ausschlafen. Voll aggro.

Samstag, 8. Mai 2004
Jetzt kommt sie nicht mehr raus.
Sehr geehrtes Fräulein Alice: Es ist schon mal vorgekommen, daß man beim Versuch, das Lebenswerk eines anderen zu zerstören, das eigene gleich mit aufs Spiel gesetzt hat. (Edit: Frau auch.)
Mit geneigten Grüßen

Weißes Ballett 1 - Bremen 3
Yep. Ich hätte noch Lotto spielen sollen. Pech in der Dings, Glück im Spiel.
Zur Feier des Tages läuft jetzt: Die Mimmies: "Deutscher Meister ist der SVW".

Heute mal als Wort zur Nacht. Morgen bitte nicht wecken.
"A man should always keep two things in mind:
one is that he is a fool; the other is that he is going to die."
(Gurdijew)

Freitag, 7. Mai 2004
So, Kinners. Letzte Chance morgen. Sonst müßt ihr Sonntag früher aufstehen und noch ein Gedicht reimen oder ein Bildchen malen.
Denkt dran, ihr habt nur die eine!

Magdalena Diercks zeigt ab 8. Mai um 20.oo Uhr ihre Bilder wie gemalt unter dem Motto "Approximately Unreal" beim Heliumcowboy. Um gesittetes Verhalten auch unter Alkoholeinfluß wird gebeten.
Mal sehen, ob Hafengeburtstag und dieses und jenes einen Besuch zulassen.
(Ausstellung bis zum 29. Mai 2004 im Heliumcowboy Artspace)

"Aus den Tagen waren Wochen geworden, und ich begann einzusehen, daß ich abreisen müsse. Nicht, daß mich irgendeine Pflicht rief, aber Lolitas übergroße, gefährliche Liebe flößte mir Furcht ein. Als ich ihr diese Eröffnung machte, sah sie mich mit einem unbeschreiblichen Blick an und nickte stumm. Dann griff sie schnell nach meiner Hand und biß mit der ganzen Kraft ihres kleinen Mundes hinein. Diese Narben der Liebe haben selbst fünfundzwanzig Jahre nicht auszulöschen vermocht."
(Heinz von Lichberg (= Heinz von Eschwege). "Lolita". 1916.)

Donnerstag, 6. Mai 2004
Aus der Reihe, zehn Situationen, in denen du merkst, daß deine Beziehung im Arsch am Ende ist:
2. Welcher Mann kennt das nicht? Kommunikationsentzug und Katzenentfremdung bei häuslichen atmosphärischen Störungen.
Manchmal hilft Katzenminze. Schlaue oder ganz miesepetrige Kätzchen aber durchschauen das.

Mittwoch, 5. Mai 2004
Die Geschichte des jüdischen Klaviervirtuosen Wladyslaw Szpilman (Adrien Brody), der nur durch unwahrscheinliches Glück das Warschauer Ghetto überlebt.
Kritiker warfen Regisseur Roman Polanski, selbst Überlebender des Holocaust, vor, den Film merkwürdig distanziert inszeniert zu haben.
Dabei ist gerade dies seine Stärke. Kaum vorzustellen, dies wäre eine Hollywoodproduktion gewesen. So schwebt über den grauenvollen Ereignissen eine gewisse Lakonie, einem chronologischen Bericht näher als eine rührselige Verdichtung.
Die historischen Fakten sind bekannt. Meint man. Und erkennt erst als zur Stille verdammter Beobachter eines Einzelschicksals die wahren Dimensionen der Ereignisse zwischen 1939 und 1945. Die beinahe beiläufige, völlig willkürliche Gewalt der SS, die auch den Zuschauer ganz unvermittelt trifft. Interessant das Sound-Design. Während die Waffen in Hollywoodfilmen in jaulenden Querschlägern pfeifen, in Subwoofer-forderndem Krachen explodieren oder als sanftes, schallgedämpfes Ploppen ejakulieren, bellen die Pistolen der Waffen-SS wie nervöse deutsche Schäferhunde kurz vor dem Kollaps. Ein unangenehmer, beißender Klang, der beunruhigend echt wirkt.
Die Atmosphäre brutaler Abgestumpftheit, der nahezu unbeteiligt wirkenden kaltblütigen Morde, wird selten durchbrochen. Fast wirken die Auspeitschungen des Aufsehers wie ein merkwürdig verschobenes comic-relief Element, so deplaziert mutet die Szene in ihrer Groteskheit an. Thomas Kretschmann als musisch interessierter Wehrmachtsoffizier - ein deus ex machina. Aber die Geschichte beruht auf einer wahren Begebenheit. Möglicherweise auch die irritierende, allegorische St.-Martin-Episode am Ende. Völlig deprimierend aber schleicht sich die Hoffnung ein: Szpilman, nach Jahren im Versteck krank, erschöpft und halb verhungert, bekommt zu hören: "Sie müssen nur noch ein paar Wochen durchhalten."
Keine Minute länger, möchte man rufen. Aber man ist - zum Glück - nur Zuschauer.
Großes Kino.
Der Pianist. (GB/F/D/Pol./NL 2000). R: Roman Polanski.

Dienstag, 4. Mai 2004
Aus der Reihe, "Zehn Situationen, in denen du merkst, daß deine Beziehung im Arsch am Ende ist":
"Es war richtig von ihm, sich rauszuhalten - sie ist ihre Mutter -, aber jetzt wünschte Brock, er hätte sie davon abgehalten. Er muß Tara nur selten anschreien, wenn sie zusammen sind; sie ist ein braves Kind. Annie sagt, er habe leicht reden, weil er nicht für sie verantwortlich sei, was bedeutet, daß er es nie sein wird, daß er irgendwann gehen muß."
(Stewart O'Nan. Engel im Schnee. 1994.)
Eine im Grunde banale Vorstadtgeschichte, die sich - zumindestens in ihrer deutschen Übersetzung (die an ein, zwei Stellen zudem schwer danebenliegt) - in merkwürdig sperrigen, nicht aber komplizierten, Satzgefügen entfaltet.
Zwei Paare (vielleicht drei, je nachdem wie man die Zählung ansetzt), Trennungen, Scheidungen, Affären, Liebhaber, Betrogene... ein totes Kind. Ein Mord.
Die Zutaten sind alle da, das Menü aber will nicht gelingen. Vielleicht, weil er es ja nicht gelernt hat. Der Mann ist Ingenieur. Dann muß er sich daraus nichts machen.
Als Debütroman nicht wirklich schlecht, keineswegs. Aber die Psychologie der Charaktere, ihre Motivation erscheint seltsam fragmentarisch; abgeschaut, aber nicht erlebt.
Der Hype um O'Nan ist mir nach seinem Debüt jedenfalls nicht erklärlich.
