
Samstag, 22. Mai 2004
... you shouldn't have fallen in love with? (Buzzcocks)
You spurn my natural emotions
You make me feel like dirt
And I’m hurt
And if I start a commotion
I run the risk of losing you
And that’s worse
(The Buzzcocks, "Ever Fallen in Love". 1978.)
Tagsüber, wenn die Köche keine Zeit haben, weil sie auf dem Markt die Zutaten fürs abendliche Menü besorgen müssen, lustwandeln ihre Geliebten auf den Flohmärkten dieser Stadt. Sie zeigen dann eine sorglose, nonchalante Attitüde, sagen freundlich "Hallo" und demonstrieren, wie normal, ausgeglichen und gleichgültig alles geworden ist.
Doch, malheureusement, ist nichts normal, ausgeglichen und gleichgültig. Ich war schon immer hartnäckig. Zum Beispiel vier Jahre lang. Nach endlosen Demütigungen wurden mir am Ende die Sachen im Morgengrauen vor die Füße geworfen.
Was heißt da nun "Hallo"?
Auf dem Flohmarkt gab es heute vieles. Pardon war nicht dabei.
Und jetzt bitte für Herrn Kid die alten Buzzcocks-Platten rausgekramt, alle Regler auf 10 und wie ein Gummiball durch die Luft hüpfen.
Und alles niederreißen. Danke.
I can’t see much of a future
Unless we find out what’s to blame
What a shame
And we won’t be together much longer
Unless we realize that we are the same
Ever fallen in love with someone
Ever fallen in love
In love with someone ...
You shouldn’t’ve fallen in love with

Samstag, 22. Mai 2004
Vorletzten Sommer kam Lindy, eine dreizehnjährige Freundin von uns, außer Atem zum Haus gelaufen: ein kleines Mädchen war am Ertrinken, draußen, vor dem großen Strand. Lindy wußte, daß wir schwimmen konnten, und außerdem war Yvonne einmal Rettungsschwimmerin gewesen. Also rannten wir hinunter: es war zu spät. Das Ufer war gedrängt voll von Zuschauern, die nonchalant darauf warteten, daß etwas "auftauchte". Im Wasser war ein Mann, der nach dem Körperchen suchte.
"Wer ist es?"
"Some kid."
(Tomi Ungerer. Heute hier, morgen fort. Zürich, 1983.)

Donnerstag, 20. Mai 2004
Eines der wenigen Kunstwerke, die mich auf der documenta 11 beeindruckt haben, war die Installation "Homebound" von Mona Hatoum. Es handelt sich dabei um eine Art elektrisches Zimmer, bei dem ein Ensemble aus Küchenutensilien, Stühlen, Kinderspielzeug, Betten, Lampen und Metallsofas mit Drähten verbunden ist und einen Stromkreis bildet. In Intervallen fließt eine "Stromwelle" durch die Anordnung, erhellt nach und nach die Glühbirnen und verebbt. Begleitet wird dies akustisch durch einen an- und abschwellenden, tiefen Brummton, ähnlich dem Gebrizzel am Transformator eines Weidezauns.
Kurz vor Ende habe ich mir heute mal die Ausstellung von Mona Hatoum in der Hamburger Kunsthalle gegönnt. Erneut blieb das elektrische Zimmer eines der wenigen Werke, die mich beeindrucken konnten. Auch wenn ich für Objekte wie einen Rollstuhl aus Edelstahl und Krücken aus Gummi durchaus ein Herz habe.
Nett war allerdings der überdimensionierte Sandrechen, der sich in einem kreisförmigen Sandbecken unablässig dreht und mit der einen Seite feine Linien produziert, die seine andere Hälfte gleich wieder verwischt. Hier stelle ich mir eine Verwendung als angewandte Kunst vor. So ein kleiner batteriebetriebener Zen-Garten für den Wohnzimmertisch macht doch was her und beruhigt bestimmt ungemein.
Mona Hatoum: Over My Dead Body, 26.3. - 31.5.2004, Hamburger Kunsthalle.

Mittwoch, 19. Mai 2004
Der Wiener Wurstlprater ist weltberühmt. Das Riesenrad gehört sogar zu den Wahrzeichen der Donaumetropole. 1897 gebaut, besitzt das 65 m hohe Rad seit einem Brand im Jahre 1945 nur noch 15 der ehemals 30 Waggons.
Die Wiesen, Gebüsche und Wälder gelten seit jeher als beliebte Verstecke für Liebespaare; die vielen Wege durchs Grün haben daran bis heute nichts geändert.
Mit Frau Sonne verabredete ich mich folglich an einer Bank unter dem Riesenrad. Ich kam etwas spät, geriet ich doch fast in eine Auseinandersetzung der verfeindeten Banden von Messer-Kratowil und dem fiesen Bratic, zwei Gangs, die vor allem des Nachts den Vergnügungspark unsicher machen. Zum Glück wartete Frau Sonne geduldig auf ihrer Parkbank. Zum Glück hatte ich meine Taschenzither dabei und spielte Poison Ivy zur Wiedergutmachung erst einmal das Harry-Lime-Thema vor. Bei dieser Melodie wird bekanntlich jedes Wiener Herzerl schwach, und so wunderte es mich nicht, daß unser nächstes Ziel Sibilla, die Wahrsagerin war.
Für geringe Münze ließen wir uns die Zukunft vorhersagen. Kurz gesagt: Diese sieht strahlend aus.
Normalerweise hätte ich nun einen Strauß voll Rosen an der nächsten Bude geschossen oder zwei, drei Lebkuchenherzen verschenkt. Aber Bratic und Messer-Kratowil wären sicher aufmerksam geworden. An der Seite von Frau Sonne fühlte ich mich sicher. Sie regte sogar an, mich beim Armdrücken besiegen zu wollen. Dabei trug sie noch nicht einmal ihren gelben Trainingsanzug.

Dienstag, 18. Mai 2004
Heute vor 24 Jahren hat sich Ian Curtis, Sänger und Texter der nordenglischen Band Joy Division, an der Garderobe seines Hauses in Macclesfield, Manchester, erhängt.
Er wurde 23 Jahre alt.
I'll observe with a pitiful eye
And humbly ask for forgiveness
A request well beyond you and I
Heart and sould, one will burn.
(Ian Curtis * 15. Juli 1956 † 18. Mai 1980 )

Montag, 17. Mai 2004
I went to Vienna and all I got was this Perlenbild:
Kaum daheim, lese ich in meinen Referrern: "Paar+sucht+Herrn+in+Wien".
Da hat man mich ja knapp verpasst. Ist das Schild aber nicht groß? Kann ich mir jetzt für das nächste Bloggertreffen um den Hals hängen. Ubercool.
Ich bin noch nicht richtig sortiert, um etwas halbwegs Zusammenhängendes zu berichten. Ich denke, die paar Tage weg von Hamburg haben mir gut getan. Wien hat mir sehr gefallen, der Flug war nach jahrelanger Aeroplan-Abstinenz ein beeindruckendes Erlebnis. Vielen Dank auch noch mal an Frau Sonne, die einen schrecklichen, schwadronierenden, dozierenden und permanent Pseudo-Wienerisch redenden Kid37 durch ihre Stadt geschleift hat. Wir haben es sogar geschafft, uns nicht allzusehr im Gartenlabyrinth von Schloß Schönbrunn zu verirren. Tatsächlich fanden wir uns sehr schnell. Die Sisi wäre stolz gewesen.
Danke auch, daß Frau Sonne mir die Feinheiten von FM 4 nahegebracht hat. Daran könnten sich die Öffentlich-rechtlichen hier in D ein großes Beispiel nehmen. Radio in Hamburg ist ja leider hoffnungslos im Gewässer des Seichten verloren gegangen.
In Wien aber liegt man abends züchtig im Bett und hört Fritz Ostermayer und seine "Neigungsgruppe Sex und Gewalt" mit ganz und gar nicht züchtigen Geschichten und noch schlimmeren Hörergedichten. Oder man hört den Eurosumpf.
Ich sortiere jetzt die Erinnerungen.
In den nächsten Beiträgen alles über: ++ Herr Kid fährt Tram und macht eine erstaunliche Entdeckung + Yvonne Sonne wagt sich an der Hand von The Kid ins Josephinum und ist schwer begeistert + Ein informativer Spaziergang durch den Park der Irrenanstalt + Herr Kid trifft alte Band-Kollegen und erinnert sich wieder einmal an die frühen 80er + Lilien-Geschirr, Flohmärkte und lange Nächte im Terminal Pub ++
Stay tuned.

Mittwoch, 12. Mai 2004
Ein kurzer Bericht aus Wien. Frau Sonne brutzelt gerade ein Käsebrot, und ich spiele mit ihrem Hello-Kitty-Powerbook.
Wenn man von Hamburg nach Wien fliegt, schafft man es gerade, das Feuilleton der FAZ und den halben Sportteil zu lesen, dann heißt es schon wieder: Wir sind im Landeanflug. Erhebend, nach langer Zeit mal wieder in den Lüften gewesen zu sein. Grandiose Wolkenformationen. Sieht plötzlich alles ganz nichtig und klein aus, wie es in dem Lied heißt.
Die Wiener machen ja alle schwer in Kunst. Mein Freund H., bei dem ich wohne, dessen Freundin - und Frau Sonne sowieso. Ich habe mittlerweile Schmucksachen von ihr in natura gesehen und kann nur sagen: Kauft das alles!
H. lebt in einer formidablen Altbauwohnung im Zentrum, unweit des Museumsquartiers. Es ist übrigens immer wieder schön, in Wohnungen zu kommen, die so eingerichtet sind, daß man denkt, das hätte jetzt auch von mir so gemacht worden sein. Man fühlt sich direkt heimisch. Tolle Küche, ein riesiger Eßtisch, bei dem man einen Sehkraftverstärker braucht, um bis ans Ende sehen zu können, großformatige Kunst an den Wänden, ein Gästezimmer voller Bücher.
Frau Sonne wohnt ja passenderweise in einem alten Kloster, sozusagen. Deshalb, Frau Ella aufgepasst!, trägt sie auch immer einen riesigen Schlüssel mit sich herum. Dicke, hohe Wände, schwere, uralte Holztüren mit monströsen Schlössern, ganz großartig. Ihre Küche hätte bei Interieur einen Sonderpreis verdient. Man kann sich wirklich gepflegt dort einen anhängen. Man braucht quasi das Haus nicht zu verlassen, was aber in Wien schwer fällt, weil es so viel zu sehen gibt.
Selbst das Standard-Touristenprogramm ist exaltierend: Am ersten Tag bereits jagte mich Poison Yvy den Turm zum Stephansdom hoch. 343 Stufen auf dem Weg zum Glück. Man geht im Halbdunkel eine enge, steinerne Wendeltreppe hoch und wird nach 15 Stufen schon ziemlich weich in den Knien. Aber immer weiter geht's, hastend, torkelnd. Anfänglich stolpert man noch ineinander, bis die Körper ihre eigene Harmonie gefunden haben und man sich fortan in einem gemeinsamen Rhythmus immer weiter nach oben arbeitet. Der Blutdruck steigt, der Puls ebenfalls, man wird schwach, legt eine Pause ein - und treibt sich und den anderen wieder an. Weiter! Weiter! Höher! Höher! Es wird immer härter. Anstrengender. Aber irgendwann ist man über einen bestimmten Punkt hinaus. Man kann nicht mehr umkehren. Man will jetzt nach oben, zum höchsten Punkt. Weiter, weiter! Man keucht, man hechelt, man schnappt nach Luft. Immer enger windet sich die Treppe, immer steiler geht es hinauf. Immer wieder denkt man, jetzt ist es so weit. Aber dann geht es noch ein Stückchen und noch ein Stückchen weiter. Weiter, weiter! Dann endlich, wie soll man sagen? stößt man hinaus über eine kleine steile Treppe und hat tatsächlich gemeinsam den höchsten Punkt erreicht! Aaah! Keuchend, taumelnd fällt man sich in die Arme, muß sich stützen. Der Puls schlägt hart im Hals. Das Gesicht ist mit roten Flecken übersät. Der ganze Körper ist mit Schweiß überzogen.
Und doch empfindet man pures Glück: Man kann vom Turm die Fernsicht über Wien genießen, die Gedanken treiben lassen. Sehr schön. Ich schlug vor, dies nun jeden Tag zu machen.
Im nächsten Beitrag: Wie ich mich mit Frau Sonne unter dem Riesenrad im Prater traf und wir gemeinsam den dritten Mann suchten. Wie wir die höchst umstrittene Ausstellung des Wiener Aktionisten Otto Muehl besuchten und beschlossen, eine aktionistische Sex-Kommune zu gründen. Wie wir uns im Sigmund-Freud-Museum Frau Ellas Träume erklären ließen. Wie ich mich an die Landessitten anpasste und fortan nur noch im Wiener Dialekt redete.
