
Montag, 31. Mai 2004
Ok, Donnie ist wirklich verrückt. Mit Beginn des Films ist Donnies Krankheit gegeben. Ihre Ursachen bleiben im diffusen Hintergrund. Donnie wird medikamentiert, befindet sich in Therapie. Seine Therapeutin ist - nicht untypisch - leicht überfordert. Aber auch nicht völlig inkompetent. Am Ende ahnt sie immerhin die Gefahr.
Ok, Donnie imaginiert einen unsichtbaren Freund. Der ist ein Hase, heißt nicht Harvey, sondern Frank. Der verrät Donnie, daß die Welt in 28 Tagen untergehen wird, pünktlich zu Halloween. Zeit also, noch ein paar Dinge zu erledigen. Bösewichte zum Beispiel.
Ok, „Donnie Darko“, der Film, ist ebenfalls verrückt. Eine verschobene, verschrobene Geschichte, die harmlos beginnt wie David Lynchs „Blue Velvet“. Das Grauen lebt im sonnendurchfluteten Suburbia. Die Sonne scheint, und Echo and the Bunnymen singen „The Killing Moon“. Es ist 1988 in Middlesex, Virginia. (Memo: Synchronizität? Middlesex? Virgin Suicides?) Damit haben wir einen netten kleinen Coming-of-age-Film, dessen Protagonist daran scheitert, seine Initiationsreise ins Erwachsenwerden zu bestehen. Kommt vor.
„Dabei wirkt „Mad World“ wie eine musikalische Madeleine, die Bilder aus der eigenen Jugend hervorruft“, schreibt Harald Staun* in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. (Und in welchem blog habe ich vor ein paar Tagen etwas über „musikalische Madeleines“ gelesen? Alles Proust-Leser hier? Synchronizitäten?) Der Song, der nie auf meiner persönlichen Liste stand, gehört tatsächlich untrennbar dazu. Dennoch ist „Donnie Darko“ kein nostalgisches Drama, kein „Quadrophenia“ für die 80er.
Der Film könnte jederzeit spielen und dann wieder nicht. „Donnie Darko“ ist ein Echo auf die 80er Jahre, weil er das aufgreift, was damals, vielleicht erstmals, das „Lebensgefühl“ hieß. Donnie Krankheit ist die Krankheit der 80er. Das schizophrene Jahrzehnt. Zerrissen, kaputt, immer einen Schritt am Weltuntergang. Die Rede ist natürlich nicht von der unsäglichen, sogenannten „Generation Golf“, sondern der (geburtenstarken) Jahrgänge davor, der „No-Future“-Generation. Jugend und Todestrieb, nur ein scheinbarer Widerspruch in diesem zerrissenen, widersprüchlichen Jahrzehnt. Die Symbole waren das Dreieck, das ZickZack-Muster, die diagonale, zerschneidende Neonröhre. Die etablierte Welt blieb skeptisch – und produzierte ungehemmt noch größere Schizophrenien.
Nato-Doppelbeschluß. Aufrüsten um abzurüsten. Hat man etwas Gespalteneres je gehört? Doppelzüngiges Neusprech wie in Orwells „1984“. Ähnliches Dichotomien durchzogen andere gesellschaftliche Diskurse und Reizthemen wie die Atomkraft (selbst ein Spaltungsprodukt) und Anti-Atomkraft-Bewegung. Harte Bruchkanten, Kalte-Kriegs-Szenarien, Nein-danke-Antwort im Standardrepertoire. Zum Abitur gab uns unser Schuldirektor mit auf den Weg: „Euch braucht man nicht. Ihr seid zuviele.“ Bitte, Danke, Wiedersehen.
Geistig-moralische Wende, und die „Rente war sicher“. Das Jahrzehnt der zynischen Lüge. Das Jahrzehnt des Zusammenbruchs, wenn man den Zusammenbruch des Eisernen Vorhangs und die Wiedervereinigung als Endmarke akzeptiert.
Allgemeiner Sinnverlust, also. Thatcher, Reagan und Kohl: Abbruchbirnen. Ich gegen das System. Die Illuminaten schlagen zurück. Die Zeit der Verschwörungstheorien. Der Synchronizitäten. Robert Anton Wilson. Karl Koch, Hackerkönig. „23“ hat mit Donnie Darko einiges gemeinsam, aus dieser Warte betrachtet.
Fickt das System, hieß, penetriert, infiltriert die Herrschafts- und Lügenstrukturen. Träume oder Datennetze. Steuert oder laßt euch steuern. Alles ist Manipulation, ist Traum. Ein „Tanz der Teufel“, so die Anspielung in „Donnie Darko“. „Und im Gegensatz zu einigen Blumenkindern vor ihnen sind die damals gerne als „Null-Bock-Generation“ bezeichneten Zeitgenossen nicht auf dem Kindlichkeitstrip hängengeblieben, sondern irgendwo am Wegesrand, wundervoll schlecht gelaunt und chronisch zynisch. [...] Im Umgang mit trostlosen Zeiten sind sie geübt: da fängt man wegen einer kleinen Wirtschaftskrise nicht gleich das Jammern an“ (Harald Staun).
Das Problem der Politik mit unserer Generation: Wir haben den Weltuntergang überlebt. Lasst ruhig Turbinen auf unser Haus fallen.
"...and I don't care." (Pistols).
"A nuclear error, and I have no fear." (Clash)
"Vielleicht solltest du dich mal fragen, warum Frauen keine Kinder mit dir haben wollen."
Das ist nicht die Frage. Das ist die Antwort.
Der Film ist Zitatkino. „Donnie und wie er der Welt sah“ (das abstürzende Flugzeug eine Reminiszenz an „Garp“), „Mein Freund Harvey“, der eingeübte Kanon an Horrorklassikern, die David-Lynchianische Entblößung, Abschälung der sauber lackierten Oberfläche bürgerlicher Vorstadtexistenz. Wann konnte man sagen, einen Film gesehen zu haben, in dem Patrick Swayze eine gute Figur macht? Abgesehen von "Waking Up In Reno"?
Noch was?
Ja, Hasen sind wirklich böse. Träume manchmal auch. „And I find it kind of funny. I find it kind of sad. The dreams in which I'm dying are the best I've ever had.“ (Tears for Fears, „Mad World“)
(USA 2001, Regie: Richard Kelly)
(* Harald Staun, „Wer will schon erwachsen werden?“ Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 25.1.2004. Dem Autor möchte ich an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich für seine angebotene Hilfe für das Finden der Zitate danken. Aber ich habe meinen Zettelkasten aufgeräumt und den Artikel doch noch gefunden.)
PS: Für die Quizfans: "Which Donnie Darko Character Are You?"

Sonntag, 30. Mai 2004
Ich habe heute meinen Wagen beim Hamburger Restaurant geparkt.

Samstag, 29. Mai 2004
"So einen Kapselriß hätte ich auch gerne."
"Wenn die in London das Wembley-Stadion wieder aufbauen, vielleicht nennen die das dann 'Unser englisches Berlin'."
(Johannes Baptist Kerner während des Pokalfinales 2004 Werder Bremen - Alemannia Aachen, 3:2.)

Irgendwie komme ich mit meinen Beiträgen nicht so recht hinterher. Heute wollte ich etwas über den schleichenden Niedergang meines Lieblingsflohmarktes schreiben.
Der liegt nämlich in einer unhippen Gegend, wo die feschen St.-Pauli-Szenemobster nicht tot über'm Zaun hängen möchten. Das macht mir nichts, denn ich bekomme dafür coole Teile für'n Euro. Nun ist es aber mittlerweile so, daß die Coyoten dazulernen: Wenn man sich morgens um neun schon auf diesen Flohmarkt begibt, dann sieht man clevere Händler, die die Stände nach günstigen Schnäppchen abgrasen. Die schönsten Dinge erwerben sie dann für einen Apfel und ein Ei, nur um diese Fundstücke dann auf den Szene-Flohmärkten jenseits der Alster für das Zehnfache an verpennte Karo-Viertel-Spackonauten zu verticken.
Die Anbieter meines Flohmarkts, meist gewiefte Händler aus den Balkanländern, haben nun rasch dazugelernt und leider Gottes ein Auge für die Rarissima entwickelt.
Die Preise ziehen an und verderben die Kunden.
Darüber schreibe ich also ein anderes Mal. Meine Aggression darob werde ich nächste Woche niederringen. Danke für die Erinnerung, Herr K.!

Wer noch Wodka im Gefrierfach hat, sollte die richtige Geräusch-Untermalung wählen.
Nastrovje!
(via Sweetmaker und Axel K)

Freitag, 28. Mai 2004
Vor meinem Besuch in der schönen Stadt Wien, bin ich ja von Frau Beyond ein wenig gewarnt worden. Unwirsche, grantelnde Gestalten in verdächtig besudelten Regenmänteln habe ich folglich erwartet.
Aber weit gefehlt. Nicht nur wurde ich sehr nett mit Blumen am Flughafen empfangen, auch die übrigen Einwohner zeigten sich von ihrer freundlichsten Seite. Eines morgens wankte ich leicht übernächtigt aus Wiens schönsten nicht-öffentlichem Pub und wollte mit der Straßenbahn zurück in den 7. Bezirk fahren. Die Tickets zieht man dort in der Tram an einem Automaten gleich vorne beim Fahrer. Wie in solchen Momenten üblich, hatte ich nicht genügend Kleingeld und beugte mich deshalb ratsuchend zum Fahrer.
"Entschuldigung, ich habe kein Kleingeld für den Automaten. Was kann ich jetzt machen?"
"Na passen's hoalt oaf, daß kaan Kontroalle koammt."
"Äh, ja. Gut. Ich bin Tourist. Was macht man denn normalerweise, um an einen Fahrschein zu kommen?"
"Es gibt Stoationen, doa können's Tickets ziehan."
Oh. Pause.
"Wo müssen's denn hian? Setzen's sich. I soag ihnen B'schaad."
Austria: 12 Points.

Donnerstag, 27. Mai 2004
Wie ich gerade in Spiegel Online lese, ist in London die berühmte "BritArt"-Kunstsammlung von Charles Saatchi verbrannt.
Unter den zerstörten Arbeiten sollen auch weltbekannte Werke von Avantgarde-Künstlern wie Tracey Emin, Damien Hirst, Sarah Lucas und den Brüdern Jake und Dinos Chapman sein.
Wahnsinn. Ich habe einige dieser Werke noch in Berlin ("Sensation") und Hamburg sehen können, darunter Damien Hirsts Haifisch und das Zelt von Tracey Emin ("Everyone I have ever slept with"), das für mich zu den eindruckvollsten und emotional berührendsten Kunstwerken der letzten Jahre zählte.
Zum Bericht in der Netzeitung, die den Titel von Tracey Emins Installation allerdings reichlich mißverständlich wiedergeben.

Dienstag, 25. Mai 2004
Look what your love has done to me
Come on baby set me free
You just keep on pushing my love over the borderline
You cause me so much pain, I think I'm going insane
What does it take to make you see?
You just keep on pushing my love over the borderline
(Madonna, "Borderline")
Fast jeder weiß, daß oftmals die genauesten, treffendsten Beobachtungen und Lebensweisheiten nicht bei den tiefsinnigsten Geistern, sondern in den unscheinbaren und unprätentiösen Formen des Volkslieds, der Bauernregel, der Redewendung zu finden ist. Im Schlager erkennen wir die Welt, und sei es nur unsere eigene, kleine innere.
Die Transzendentalisten sagten, verschwende deine Zeit nicht mit Büchern, sei kein Bücherwurm, der an den Gedanken kaut, die andere vor ihm gedacht haben. "Books are for the scholars idle times". (Und diese Zeiten kommen auch.) Geh hinaus in die Natur, erkenne Gott dort, wo er sich offenbart, in der Natur nämlich, in den kleinen Dingen.
Als deutsche Übersetzung einiger der wichtigsten Essays von Ralph Waldo Emerson besitze ich seit einiger Zeit eine Ausgabe von, laut Widmung, ca. 1917.
Ein kleines Signet rät: "Arbeiten und nicht verzweifeln". Das gefällt. "Be of use", heißt es bei diesen sehr pragmatischen, sehr amerikanischen Philosophen. Immer weitermachen.
"Die Sonne segnet die Welt", heißt der Band [sic! Ha! Synchronizität!] und trägt das Motto: "Was wir lieben, haben wir. Aber durch Begehren rauben wir uns selbst der Liebe."
"I don't want to be your prisoner, so baby won't you set me free", heißt es in dem kleinen Schlager der amerikanischen Sängerin Madonna. Borderline.
Das Begehren bleibt. Und das raubt alles. Wie nutzlos.

"... mit der Plötzlichkeit eines unter dem Fuß knackenden Zweiges."
(T. C. Boyle. América. 1995)
Aber heute geht es aufwärts.

(siehe auch hier.)

Sonntag, 23. Mai 2004
Herr AxelK hat sich eine hübsche neue Idee bei Interieur ausgedacht:
Zeig mir deinen, ich zeig dir meinen.
