Donnerstag, 16. September 2004
Lauren Bacall feiert heute ihren 80. Geburtstag. Vielleicht schlägt sie noch einmal die Beine übereinander wie in The Big Sleep und fragt uns was. Mit rauchiger Stimme. Glückwunsch.
Donnerstag, 16. September 2004
Manchmal möchte man dazwischenhauen. Oder mit vorgehaltener Knarre zum weitermachen zwingen.
Dann, wiederum, geht es mich nichts an.
Ich stopfte mir eine Pfeife, ließ die Schachfiguren aufmarschieren, inspizierte sie auf französische Rasur und lose Knöpfe und spielte ein Meisterschaftsturnier durch zwischen Gortschakow und Meninkin, zweiundsiebzig Züge bis zum Remis, ein Musterbeispiel für den Kampf der unwiderstehlichen Streitmacht gegen das unbewegliche Ziel, eine Schlacht ohne Waffen, ein Krieg ohne Blut, und die komplizierteste Vergeudung menschlicher Intelligenz, die sich außerhalb einer Werbeagentur nur finden läßt.
Raymond Chandler. Der lange Abschied. 1954.
Dienstag, 14. September 2004
"Mir tut's leid um sie", sagte er langsam. "Sie ist einfach durch
und durch ein Biest und ein Flittchen. Könnte sein, daß ich sie irgendwo
auch wieder ziemlich gern habe. Eines Tages wird sie mich brauchen,
und dann werde ich der einzige in ihrer Nähe sein,
der keinen Schürhaken in der Hand hat."
(Raymond Chandler. Der lange Abschied. 1954.)
Der Schlaf vor Morgengrauen ist ja bekanntlich der erquicklichste; und so bin ich seit jeher wenig amüsiert, werde ich um vier Uhr nichtsahnend aus dem Schlummer gerissen. Ob die Ursache nun blutdürstige Frauen oder liebeshungrige Mücken oder umgekehrt sind, meiner Ungnade seien die Unglückseligen gewiß. Was sage ich: In solchen Momenten bin ich bereit zu töten.
Gewöhnlich liegt man nichtsahnend in irgendwelchen verrenkten Positionen zwischen Himmel, Erde und Deckengewirren, bevor man die Propellergeräusche eines kleinen Erkundungsmoskitos mehr erahnt als wirklich auf dem Akustikradar wahrnehmen kann. Ehe man die Bedeutungstiefe dieser luftaufklärerischen Aktivitäten noch richtig verarbeitet hat, übertönt schon das scharfe Sägen der Sturzkampfmaschinen - Stechrüssel voraus - jegliche strategischen Finessen der Obersten Heeresleitung. Flak ist angesagt, Sperrfeuer und zwar sofort. Wildes Gefuchtel mit den Händen also in der Luft, es ist Krieg, und alle Mann zu den Waffen. Natürlich bringt das unkoordinierte Gehampel der allerersten Flugabwehr gar nichts. Im Gegenteil. So mancher hat sich im Friendly Fire schon die eigene Ohrmuschel plattgehauen und kann sich mit dem Resthörvermögen das hämische Gezirpe des heimtückischen Feindes anhören, der schön längst seine provozierenden Runden in sicherer Deckenlampenhöhe dreht. Mein Gegner aber hat die Gefahr des ersten fahlen Morgenlichtes der bretonischen Sonne unterschätzt. "Resistance!" gellt eine Stimme in mir, als ich den pumpenden Körper einer Fokker-D III-Moskito an der weißen Wand neben mir erspähe. In grimmiger Entschlossenheit und wohlabgeschätzten Bewegungen greife ich zum Buch auf dem Nachttisch. Raymond Chandler. Der lange Abschied. Es ist ein kurzer Prozeß, Pour le Mérite, und Blut färbt den frühen Morgen rot. Schweigend nehmen wir Abschied, die Rote Baronin und ich.
Der bretonische Spätsommer strotzt vor vitalem Saft. Draußen in der keltischen Natur überkommen selbst den verzärtelten Städter die archaischsten Gelüste. Was kann es also schöneres geben, als zwischen phallisch in die Höhe ragenden Menhiren wie ein halbnackter Pan durch die Botanik zu springen und den in der Sonne bratenden Eidechsen was auf meiner Flöte vorzuspielen? Und so genoß ich es - zum Zeichen meiner Manneskraft mit einem ungefähr drei Meter langen Baguette bewaffnet - wie ein junger Faun durch die Heide zu gaukeln und allerlei Unsinn auszuhecken. Leider war an diesem Tag auch Schwarmtag der Ameisen. In dichten grauen Wolken hatten sich hunderttausende flügge gewordener Prinzessinnen über ihren Nestern versammelt, bereit, sich mit jedem Ameiserich der Umgebung zu paaren. Die Hormone schienen den rolligen Biestern gehörig die Sinne vernebelt zu haben. Hielten mich vielleicht für einen Iren. Jedenfalls stürzten sich ganze Scharen der bissigen kleinen Emsen auf mich, bereit, mir gierig die Flöte zu zernagen. So müssen sich die Beatles gefühlt haben, wenn sie aus Versehen den falschen Bühnenausgang genommen hatten, dachte ich, und suchte schleunigst das Weite. Immer das Motto meiner Altvorderen gedenkend:
The man who runs away, lives to fight another day.
Am Strand unten war es jedoch nicht viel besser. Im Allgemeinen halten sich die Franzosen mit dem Oben-ohne-Baden ja gepflegt zurück. Aber natürlich mußte sich ausgerechnet am halbeinsamsten Strand der Bretagne auf dem Nachbarhandtuch eines dieser Gauloise-verrauchten Luder umständlich ihres Oberteils entledigen, Halleluja. Und während ich noch dachte, klar, und gleich noch die 0190-TV-Spot-Nummer und sich ausgiebig die Brüste mit Sonnenmilch einreiben, während ich im Urlaub bin, Halleluja, da fing sie an, sich ausgiebig die Brüste mit Sonnenmilch einzureiben. Ich begann schon Stimmen zu hören, so wie Quentin Tarantino in From Dusk Till Dawn, als er Juliette Lewis gegenüberstand, Halleluja. Zum Glück lag knapp vor meinen Füßen eine ziemliche Menge recht kalten Atlantiks. Der kühlte ziemlich schnell, Halleluja. Das stolze Baguette, das ich nach wie vor fest umklammert hielt, knickte rasch ein und verfiel in kurzer Zeit zu klumpigem Brei. Ich war sehr stolz auf mich, während ich mit kräftigen Zügen schaumiger Gischt und saugenden Wellen trotzte. Man hat als älterer Herr schließlich Vorbildfunktion. Halleluja.
Am nächsten Tag fand ich Absolution. Für böse Taten und schmutzige Gedanken. Auf dem großen Pardon, einer Art bretonischer Wallfahrt, von Ste.-Anne-la-Palud. Da werden im Anschluß an einen schlichten Dankgottesdienst in alten Trachten Heiligenbildnisse einmal um die Düne getragen. Und das ist wirklich ergreifend. Da findet alles seinen Platz und auch ein Spötter einmal Ruhe.
Montag, 13. September 2004
Arbeiten? Muß nicht sein.
Am Ende der Welt, finisterre, wartet die Belohnung: Wenn man nach 1600 Kilometern endlich den Weg zum Strand hinuntergehen und die nackten Füße in den Atlantik stecken kann. Bis dahin aber endlose Autobahn, das immer wieder prickelnde Abenteuer Périphérique bei Paris und regengepeitschte Routes Nationale, auf denen die Gischt nur so spritzt.
Halbverfallene Schindeldächer, ebenso von wildem Gesträuch halb überwucherte Natursteinhäuschen, die Umgebung ist pittoresk. Man sitzt im Garten auf einer alten Holzbank, zeichnet und schreibt ein wenig, genießt den Wind, während von ferne irgendwo ein Hund bellt. Die Blumen und Gewächse des Gartens sind mir leider kein Begriff. Das sind Mängel, die der Städter des Westens im allgemeinen mit sich herumträgt. Aber ich kann mich auch an Dingen erfreuen, die keine Namen tragen. Das Unbekannte.
Das, was kommen wird.
Nach einer Zeit in solchen französischen Ferienhäusern bekommt man ja das Gefühl, als sei man selbst der Eigentümer oder zumindest mit diesem gut bekannt. Nach Tagen des Müßiggangs fängt man dann an, sich für bauliche Mängel und nachlässig ausgeführte Installationen zu interessieren. Und wird im Lande des laissez-faire schnell fündig. "Ach," denkt man, "dem Pierre werde ich doch gleich mal die Elektrokabel ordentlich verlegen." Man selbst hat zu tun, und Pierre wird sich freuen, wenn er zurückkehrt.
So greift man - zumindest in Gedanken - verschönernd und erhaltend ein.
(Außer bei meinem zweiten Ferienhaus. Ein Trauma bis heute. Bei diesem dachte ich bereits am ersten Tag daran, es einfach in die Luft zu sprengen. Selbstverständlich im festen Glauben, den geschmacksverirrten Besitzern auf diese Weise etwas Gutes zu tun.)
Die üblichen langweiligen Urlaubsbilder anderer Leute in den Kommentaren...
Donnerstag, 26. August 2004
Liebe Mitverschwörer, der Zeitpunkt hätte aus verschiedenen Gründen nicht ungünstiger gewählt sein können. Aber ich muß hier mal raus, das denken eifrigere Leser sicher schon lange. Die Ringel-T-Shirts, Schwimmflügel und Sonnenschutzcreme regenabweisende Vaseline sind gepackt, die Wohnung und Pflanzen in behütende Obhut gegeben. Gerne hätte ich eine alte klapprige Reiseschreibmaschine dabei, damit ich endlich den großen, nostalgisch- melancholischen Adoleszenzroman zu Ende bringen kann. Aber nun muß es irgendwie anders gehen, wenn ich dann oben am Fenster sitze und den Wellen von Alpha Plage lausche. Die siebte soll die größte sein, so wie jeder siebte Gedanke. Den werde ich meinen Lesern widmen, die daheimbleiben und ihren beschissenen kleinen erfüllenden Jobs nachgehen müssen. Und wenn ich abends im Chez Coco sitzen werde über einem Glas der Fée verte, werde ich an das denken, was ich zurücklassen mußte. Das eine mit zusehender Gelassenheit. Das andere aber, das zarte, mit großem Bedauern.
Denn es gibt zwei Arten von Schmerz: den bitteren und den süßen.
In zwei Wochen schauen wir weiter.
Mittwoch, 25. August 2004
"Entweder diese Einsamkeit ohne Überfluß oder das Gewitter der Liebe, nichts anderes interessiert mich auf dieser Welt."
(Albert Camus)
Dienstag, 24. August 2004
Immer wieder samstags trudeln einem ja die erstaunlichsten Dinge ins Haus. Als gut erzogener Konsument blättere ich alle Prospekte brav durch, denke "aha" und verklappe den Stapel in der Kiste mit dem Altpapier. Ab und an jedoch vermag das ein oder andere Produkt meine Aufmerksamkeit etwas länger zu beschäftigen. So auch bei dem hier links abgebildeten Aufmacher einer Baumarktkette.
Ich gebe zu, zuerst bei dem Wort "Blasfunktion" hängen geblieben zu sein. Loriot, Ehrendoktor übrigens meiner Alma Mater, hat ein ähnliches Gerät mit einer ähnlichen Funktion für die deutsche Literatur unsterblich gemacht. Hier aber sehen wir keinen "Heinzelmann" für Mutti, sondern Mutti mit einem "Zyklon 2000".
Leicht verklemmt trägt ein blondes, wie soll man es sagen, holdes Wesen eine irgendwie obszön wirkende, phallische Apparatur mit einem zu allem Überfluß, wie ich finde, braundeutschen Namen.
Nennen wir sie Heidi, nein Eva, und schauen, was sie dort vor dem Mutterschoß hält: Der "Zyklon 2000" überzeugt nicht nur mit seinem "Vorabscheider für 6-l-Grobgut" (was heißt das jetzt für die Igel?), sondern vor allem mit seinem imposanten "40-l-Fangsack". Ich denke, mit 30 Zentimeter gibt sich Eva gar nicht erst ab. Diese Frau weiß, wie man die Gartenzwerge mit ihrer Blasfunktion gefügig macht. Die kleine blonde Häcksel hat das dicke Rohr voll im Griff und Zeit dazu, den Nachbarn mit schiefgelegtem Köpfchen anzukichern.
Alles machbar, Herr Nachbar. Ich bin grün vor Neid. Ich will auch sofort einen 40-l-Fangsack. Und eine Blasfunktion.
Die andere Wand klebt auch voll. Chemiegeruch in der Luft. Papier alle. Befriedigung. Ergebnisse so la la. Egal.
Und wenn Web.de noch einmal Mails von mir nicht weiterleitet, wird dieser Account endgültig erschossen. Ihr Testsieger.