Freitag, 24. September 2004


House of 1000 Perversions

You can tell from the state of my room/
That they let me out too soon
(Dresden Dolls, "Girl Anachronism")

Huch huch, schon wieder Besuch. Putzen, tun, machen fast wie vor ein paar Monaten. Als ich vorhin in die Stadt fuhr, für letzte Besorgungen, und so in der U-Bahn meinen schmutzigen Phantasien nachhing Logarithmentafeln memorierte, fiel mir glühwarm ein, daß ich ja keine Rotweingläser besitze. Also eilte ich noch schnell in ein Glaswarengeschäft. "Entschuldigung, wo haben Sie denn hier die VodkaRotweingläser?"
Dann wurde mir das Grauen offenbart. Auch so Schwulettenteile für "Rosé" (wer trinkt sowas?). Gewundenes, Geschundenes, endlos geflochtene Bänder. Glitzer und Ritzer.

"Sagen Sie, haben Sie auch Gläser, die ich als Mann anfassen kann, ohne daß gleich alles zerbricht? Ich niete den ganzen Tag im Hafen Stahlplatten, da werden diese Glaszahnstocher nicht lange halten."
"Mein Gott, " rief sie, als sie meine Hände sah. "Sie haben recht. Sie sind kein Mann, sie sind ein Monster!"

"Mag sein. Aber nun bekomme ich Besuch. Und wenn wir uns gegenseitig aus der Logarithmentafel vorlesen, wollen wir vielleicht ein gepflegtes Glas Rotwein dazu trinken."

Versuchen Sie es doch drüben bei den Bierseideln, wurde mir beschieden. Man glaubt es nicht. Muß ich unbedingt noch einmal fotografieren. Der Horror zeigt dort offen seine rustikale Fratze, ohne daß es verboten wird.


Ja, so ist das. Gleich kommt Besuch. Erlebt mich geschockt. Und was mein Besuch noch nicht weiß: Das Hermetische Café wird intern nur noch Das Haus der 1000 Perversionen genannt.

Hier gibt es nämlich neuerdings auch alkoholfreien Pastis zu trinken. Aus Rotweingläsern.


 


Donnerstag, 23. September 2004


Dresden Dolls

Von Lichtern scheint es hell im Freudenhause,
Gewaltig tönt und singet das Clavier.
Auf einem Sofa sitzt der Cavalier,
Und öffnet einem Mädchen wild die Blause.
(Georg Heym. "Nachtgesang". 1911.)

Gestern baten im Molotow die Dresden Dolls zum Stelldichein. Im Publikum keine Absinth- oder Champagnertrinker, wie diese zwei mit ihren erotisch aufgeladenen Brecht/ Weill-Moritatenpunk vielleicht erwartet hatten. Immerhin wurden ein paar Homosexuelle gesichtet, damit wäre das Weimarer Kabarett-Klischee erfüllt. Herr Mequito war stilistisch wieder vorbildlich gekleidet. Nur Herr Sakanachan und Frau Malenita schützten kurzfristig anderweitige Verpflichtungen vor. Die fanden wohl nichts zum Anziehen. Otto Dix war nicht zum Malen da, stattdessen baten ein paar stadtbekannte Fotofuzzis zur Leistungsschau. Axel K. zeigte allen gleich, wer Herr im Ring ist. Mir ist nun auch klar, weshalb sich seine Kamera von Atlantikwellen nicht großartig beeindrucken läßt. Die ist salzhaltiges Schwitzwasser mittlerweile gewöhnt. Auch im lüftungsarmen Molotow wurden Mensch und Maschine wieder hart geprüft. Der kleine Starfotograf hingegen ließ vor lauter im Vorfeld induzierter Nervosität nicht nur seine Nikon fallen, sondern stellte daheim auch fest, daß er den guten alten Silberfilm vergeigt hatte. Äh ja. Bleibt hier also nur das übliche Digi-Geschredder. Immerhin: Die wirklich guten Fotos gibt es wie immer im Hamburger Restaurant.

Musik wurde natürlich auch gespielt. Amanda Plummer (Piano, Gesang), die früher wohl mal Boston, Ma. mit ihrem Joy-Division-T-Shirt erstaunte, und ihr Partner Brian Viglione (Schlagzeug) rockten sich durch schmerz-herzhaft-vertrackte Songs. Nervös-abgehacktes Tastengeklimper zu aufmunterdem, rhythmischen Geklopfe mit großer dynamischer Reichweite. Mal peitschend, mal treibend, mal wieder verzögernd oder streng unterbrechend. Wie guter Sex eben. Ist natürlich irgendwie Theatermusik, mehr arty als 1,2,3,4. Ich habe mir schon das ein oder andere Mal überlegt, wie man da jetzt mit einer Gitarre reinschreddern könnte, zumal der Drummer ja ab und an eine schwere Rockkapelle im Ohr gehabt haben muß. Aber das ist ja grad wieder der Witz. Die beiden Gotik-Turteltauben werden sicher die eine Interviewfrage besonders hassen, denke ich mir: "Werdet ihr oft mit den White Stripes verglichen?". Nur weil da ein Kerl und eine Frau und ein Schlagzeug und ein Instrument...

Ich habe ja ein gewisses Faible für Frauen in schwarzweißen Ringelstrümpfen, für das ich nur eine Ausnahme mache: rotschwarze Ringelstrümpfe. Das war schon hilfreich. Das schwarze Samthängerchen mit dem aufgestickten koketten "A" für Adulteress auch. Überhaupt Mode. Da ich während des Konzerts überraschend etwas geschenkt bekam, das ich mir sonst teuer hätte kaufen müssen (merci bien), hatte ich noch etwas Geld für ein T-Shirt übrig. Es gab sogar Dresden Dolls-Höschen. Sicherlich keine schlechte Idee, dann hat man auch bei unvermuteten Gelegenheiten immer was Originelles drunter. Aber man soll in solchen Dingen nicht gleich gierig werden. Die Dolls spielen wohl noch in Köln und in Berlin. Einfach mal was Geringeltes anziehen und hingehen.

Radau | von kid37 um 05:22h | 8 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Mittwoch, 22. September 2004


Kontenklärung

Gestern war ich bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte. Eigentlich bin ich ja selbständig, aber zu klären gab es dennoch was: Rentenjahre.
Ein eher düsteres Kapitel in meinem unsteten Leben, das nach dem Motto geht
et hätt noch immer jut jejange. Passenderweise ließ ich ein wenig Sturzregen auf Hamburg herniederprasseln, damit auch alle Beteiligten in die richtige Stimmung versetzt wären, wenn sie meines Falles ansichtig würden. Meine Sachbearbeiterin, eine freundliche jüngere Dame (in meinem Alter sind bald alle Damen jüngere Damen), tat dann auch sehr gefaßt. Ihr Stirnrunzeln aber grub sich zusehends tiefer in ihre ansehnliche Gesichtshaut. Erst dachte sie, bei meinen Beitragszahlungen sei die Kommastelle nach vorne gerutscht, dann aber merkte sie, daß für wohlwollende Späße nicht der richtige Anlaß war.

Ich gehöre ja zu den sogenannten Geburtenstarken Jahrgängen™. Mit dieser angeblich rein rational-demographischen Umschreibung ist gemeint, daß wir alle im Arsch sind. Und im Weg. So grob mal für die letzten 35 Jahre gesprochen. Die Geburtenstarken lösten die Halbstarken der 50er Jahre als gesellschaftliches Phänomen ab und haben ein eher schlichtes Distinktionsmerkmal:
Wir waren immer zuviele.

Ob im Kindergarten oder in der Grundschule, es balgten sich immer zuviele Bälger (oder Blagen, wie das bei uns hieß) um die wenigen Plätze. Ich weiß, heute heißt das Kita und ist alles ganz schlimm, aber sorry, DAMALS™ war schlimmer. Neulich las ich es noch einmal in der Schulzeitung meines Gymnasiums: Es gab damals fünf fünfte Klassen - mit jeweils 40 Schülern. Nur mal so zum Vergleich. Als Knirps war ich bei der Kinderärztin. Tja, meinte die gutmütige Matrone vertraulich zu Mutter Kid. Der wird es später schwer haben. In dieser Generation gibt es einen großen Männerüberschuß.

Früher half dagegen Krieg, aber der wurde gerade abgeschafft. Vollgepumpt mit Napalmbildern und ewigen Wohlstandsversprechen schlug ich mich ein wenig verträumt durch überfüllte Klassen, mit selbstherrlichen 68er- und faschistoiden Altfaschistenlehrern, nymphomanen Deutschlehrerinnen und doppeltrechtsgewendeten DDR-Lehrern (die anscheinend alle an unserer Schule landeten, was in mir später den Wunsch weckte, die DDR mal wirklich kennenzulernen. So mit Ost-West-Beziehung und so.) Trotz Männerüberschuß knutschte ich irgendwann mit einer 14-jährigen deutlich übersexualisierten Blondine (Hallo Gugel, war alles legal!) und durfte auch einer anderen blonden unter den Pullover fassen. (Später stellte sich heraus, daß ich eigentlich auf schwarz- oder rothaarige geprägt bin, aber das ist jetzt sowieso nicht das Thema.)

Dann gab es kurz mal Rebellion für alle, ich beschloß, von nun an immer Schwarz zu tragen, so lange nicht der letzte Indianer zu seinem Recht gekommen ist, dann kam dieser Dings und mit ihm die Generation Jetta. Im Gefolge - und nun zurück zum Thema - dieser fröhliche Kurzgewachsene, der bei jeder Gelegenheit krähte: "Die Rente ist sicher!"

Klaropan, dachten wir. DEINE Rente ist sicher, sonst aber mal gar nix. Denn wir sind viele, und die werden nicht alle satt. Zum Abitur gab uns unser Direktor in unverblümter Weitsicht mit auf den Weg: "Euch braucht keiner, ihr seid zu viele." Ja, liebe Montagsdemonstranten. So war das. Da wurde nicht groß gekuschelt. Uns Bombenlegern war das aber egal, weil wir nach der Schule nicht nur Häuser besetzten und ganz schön im Recht waren, sondern auch der festen, antrainierten Überzeugung, daß bald eh alles, na was, im Arsch ist. "Deutschland, Deutschland, alles ist vorbei." (DAF/Fehlfarben, "Kebap-Träume".) Und wir dazu. Wegen Atom natürlich. Gorleben, Zaunanlagen gucken, DDR-Grenzschutzboote (schon wieder die!), Bonn, Hofgarten, diese Sachen. Kennt ihr ja alles. Live fast, die young, und bald wäre ich echt ein wenig hops gegangen, das ging aber nur bis zur Intensivstation.

Das wiederum war nun von Vorteil. Denn wie mir meine freundliche Sachbearbeiterin gestern erklärte, könnten Krankheitszeiten sich noch strafmildernd auf meine LebensRentenerwartung auswirken. Also dreifuffzig mehr. Mark oder Lira oder was wir dann haben werden. Ansonsten schüttelte sie immer wieder den Kopf, während wir uns durch Tage und Jahre meiner kleinen Geschichte bewegten. Wo waren Sie denn 1990? Wie jetzt? Na, vor der Wiedervereinigung? (Die schon wieder!) Nü, ich bin gelernter Besserwessi.
Ach so, meinte sie, und Studienzeiten zählen ja auch nicht mehr. Und davon haben Sie leider viele. Macht nichts, sagte ich. Dafür verdienen wir Akademiker ja alle ein irres Geld. Und dann lachten wir beide ein wenig dreckig. Und dann wurde sie wieder ein wenig traurig, als sie auf meine Zahlen blickte. Ja, meinte sie. Nach der Wende wurde ja auch viel in den Osten transferriert. Ist ja klar, daß der Topf mal leer sein würde. Versicherungsfremde Leistungen und so. Na klar, meinte ich. Stasi-Jahre sind doch sicher Ausfallzeiten. So ein alter Spion, der braucht doch auch Rente. Ham die Nazis hier ja auch. Da werf ich meine Studienzeiten gerne in den Topf. Wieder schüttelte sie betrübt den Kopf.

Die Zeiten in der Legion zählen natürlich ebenfalls nicht. Die ganzen Liegestütze über aufgestellten Klappmessern - umsonst. Ja, wenn ich als Altnazi nach Argentinien gegangen wäre! Da gebe es ein Abkommen, meinte sie. Oder als Steuerhinterzieher nach Kanada, ja dann! Wieder senkte sie den Kopf und starrte ungläubig auf meine Zahlen. Deshalb besitze ich ja auch nur Bücher, erzählte ich freimütig. Denn Bücher sind nicht pfändbar. Noch. Wer weiß, was denen noch einfällt. Bücher sind ja brennbar. Gutes Heizmaterial, wenn man so will. Insofern ein Vermögen, ein geldwerter Vorteil oder wie das in der Sprache der BWLer heißt. Die werden vielleicht noch eingezogen. Sie zog fröstelnd die Schultern hoch.

Wissen Sie, meinte ich, auf meine tröstende Art. Sie sind noch jung. Sie können sich noch absichern. Sie müssen auch nicht so Lehrerparteien wählen, die im Grünen wohnen und von ihrer pofig abgesicherten Position auf andere schließen. Für Sie ist doch Altersarmut kein Thema!
Dankbar und ein wenig beruhigt schaute sie mich an.

Sehen Sie, fuhr ich fort. Ich stelle mir das ja so vor. Wir - die ganzen vielen, die zuvielen - werden später nach Mecklenburg verkarrt mit dem Mehdorn seine Transporter und dann geht es in so ein altes Stasi-Heim. Da stehen dann links so zwanzig angerostete Eisenbetten und rechts so zwanzig angerostete Eisenbetten (alte NVA-Bestände). Da liegen dann vierzig hustende alte Männer mit Dauerkatheter und dann kommt Lagerschwester Gerda mit der Suppenkelle und hat für jeden noch einen Blechnapf dünner Suppe. 20.30 Uhr Licht aus und fertig. Traurig und ein wenig entsetzt blickte sie mich an, und ich sah ihre Augen feucht werden.

Nun kann ich ja keine Frauen weinen sehen, ohne nicht gleich mitzuheulen, weil ich als Matrose nahe am Wasser gebaut habe und gleich immer so ergriffen bin von allem. Und so weinten wir ein wenig, aber still. Dann riß sie sich als erste zusammen, weil sie solche Geschichten ja nun täglich erlebt. Sie fülle das jetzt mal aus, sagte sie etwas gefaßter. Und dann geht das nach Cottbus. (Schon wieder die!) Gehen Sie eigentlich auf die Montagsdemo?

Noch nicht, gute Frau. Ich habe einen Tip von Herrn Semmel. Ich trage auch immer eine Kapsel Salatdressing von McDonalds unter der Zunge. Wenn es soweit ist, mache ich es wie Tommi Stumpf.

Mich kriegt ihr nicht.


 


Dienstag, 21. September 2004


Schon mal Rute binden

Von draußen vom Lidl, da komm ich her.
Und ich muß Euch sagen, es weihnachtet sehr.
All über all im Regalgehäuse
Sah ich buntverpackte Nikoläuse.
Auch Lebkuchen, Spekulatius, Kalender zum Advent
- ist der Sommer vorbei, der Herbst schon verpennt?


 



Fréquence Mutine

Ich persönlich glaube ja, daß die freie und Hansestadt Hamburg das schlechteste Radioprogramm dieser Welt hat. Möglicherweise hielte Berlin wie so häufig auch in dieser Hinsicht noch eine Überraschung für mich parat, aber dort war ich schon länger nicht mehr. Jedenfalls nicht zum Radiohören. Weichgespülter aber als im Norddeutschen habe ich es nirgends erlebt. Ich habe GEZahlt, da darf ich auch mal vom Leder ziehen. (Zum Glück gibt es den Deutschlandfunk. Wortbeiträge als letzte Ausfahrt aus Hammerbrooklyn.)

Dann aber fährt man in die Bretagne und kann dort einen Sender hören, der 24 Stunden am Tag alte Punkscheiben, Independent Rock, Dance-Hall-Reggae, Dub, Dark Wave und sogar Industrial (in der Mittagsschleife wohlgemerkt, nicht versteckt in der Nacht) zu einem aufpeitschend-düsteren Potpourri mischt. Ich meine, Küstenfunk! Man macht einen auf leger und nasse Badehose an einsamen Sandstränden und wird mit Adrian Sherwood, Gun Club, Pixies, Sonic Youth, Current 93 oder Queen Adreena (oder waren es doch Daisy Chainsaw?), The Cure, „Nü Ordörr“ oder irgendwelchem Undergroundzeug beschallt, das ich nicht identifizieren konnte. (Kennt übrigens noch jemand E.S.G. aus den frühen 80ern?)

Morgens um 7 ist die Urlaubswelt in La France nicht nur in Ordnung, sondern meldet sich mit den Cramps zu Wort. Dazwischen kommen exquisit-schrummelige 60er-Jahre Ye-Ye-Beat-Scheiben französischer Provenienz oder auch mal ein Stück von den Beatles oder den Doors. Kein Gequatsche dazwischen (sonst die große Domäne des Franzosenfunks), dafür abends redaktionell mit Hingabe betreute Spartenprogramme. Da rotzt dann schon mal zwei Stunden Death Metal durch die Membranen. "Gorrrrrgoroth!" "Berserrrrrker!" "Our Bodies Decomposed" und so ein Dreck. Beim NDR würden die sich bei solchen Vorgaben ja gleich Angsttröpfchen ins Höschen machen. Oder meinetwegen bei NoEnjoyFFNDeltaAlster95Nora. Aber nein, statt mit Axtgitarren oder Stahlgeschredder terrorisiert mich diese elektromagnetische Schundfunk-Bande mit Klingeltönen und jaulendem Top-40-Brei. Und glaubt nicht, daß Freie Stotterkombinat wäre besser. Stockend vorgetragene Proseminarreferate über die Probleme homosexueller Migrantinnen im Maghreb interessieren mich alten Sack doch nicht - auch wenn ich ehrlich überzeugt bin, daß diese Sache ein ganz heißes Eisen ist. Ehrlich: Guglielmo Marconi hat das nicht gewollt! Hört Bretonen jetzt!

(Malheureusement: Die kennen noch kein Internetz. Folglich gibt es keinen Stream und nur den Zwang, dort öfter mal hinzufahren. Und sei es zum Radiohören.)

Radau | von kid37 um 02:10h | 15 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Montag, 20. September 2004


Kleine Revolution

Nach meiner Heimkehr gestern nacht vergaß ich, Brot aufzutauen.
Nun mußte ich eben Kuchen essen.


 



Darts Of Pleasure

Fahrt über die Kölner Rheinbrücke bei Nacht

Der Schnellzug tastet sich und stößt die Dunkelheit entlang.
Kein Stern will vor. Die ganze Welt ist nur ein enger, nachtumschienter Minengang,
Darein zuweilen Förderstellen blauen Lichtes jähe Horizonte reißen: Feuerkreis
Von Kugellampen, Dächern, Schloten, dampfend, strömend...
nur sekundenweis...
Und wieder alles schwarz. Als führen wir ins Eingeweid der Nacht zur Schicht.
[...] Und dann die langen Einsamkeiten. Nackte Ufer. Stille. Nacht. Besinnung. Einkehr. Kommunion. Und Glut und Drang.
Zum Letzten, Segnenden. Zum Zeugungsfest. Zur Wollust. Zum Gebet. Zum Meer. Zum Untergang.
(Ernst Stadler. 1914.)


Drei tolle Tage in Köln. Nach Jahren wieder und außerhalb der jecken Saison. Leider war die Cartier-Bresson-Ausstellung im Museum Ludwig schon beendet. Dafür gab es eine kleine Schau mit reichlich anzüglichen Zeichnungen von Picasso und die sowieso recht ansehnliche Dauerausstellung. Dummerweise war ich ein wenig malade, so daß ich auch vergessen habe, mir den Namen eines Objektkünstlers zu notieren, über den ich noch etwas nachlesen wollte. Überdies sah ich zwei schöne japanische Filme: Dolls von Takeshi Kitano, eine symbolgeladene, traurige Studie über die Liebe. Und IKU, ein schriller Pink Eiga, diesmal im Gewand eines skurrilen japanischen Sci-Fi-Pop-Art-Pornos. Barbarella in Cyberland mit hübschen Referenzen u. a. an Blade Runner.
Miss Monolog übrigens kann sehr gut kochen, auch wenn es für mich natürlich wie immer auch ein Käsebrot hätte sein dürfen. Aber wer sich in diesen und anderen Dingen so viel Mühe gibt, wird eben mit einem hungrigen Esser belohnt.


 


Sonntag, 19. September 2004


Rheinterrasse

Es gibt eben auch schöne Tage.


 


Freitag, 17. September 2004


Ja, sischer dat

Im Rahmen eines selbstfinanzierten Forschungsstipendiums hat es mich gerade nach Köln verschlagen. Gelegenheit, ein wenig rheinische Luft zu schnuppern. Und kölsche Tön' zu hören. Bei einem kleinen Rentnertreff vor einer Kirche setzte ich mich solidarisch zu den alten Leutchen auf die Bank. Hier wird ja noch viel geredet. Nicht wie bei den norddeutschen Opis, die den ganzen Tag auf der Bank sitzen und höchstens mal "jo jo" oder gesteigert "och jo" herausbringen.
Die Hausfrauen klären selbstbewußt die Mittagsfrage auf der Straße ("Isch henn noch wat von jestern, det muß auch ens weg."), dazwischen wird Lokalpolitik verhandelt ("Un' dat mit'm Effzeh, dat is' ne Affenschaand!"). Man ist hier im Veedel nicht allein.

Im Dom lauschte ich einer Orgelprobe. Allein dafür hat sich der Bau dieses Mammutwerkes schon gelohnt, sollte mal jemand fragen. Diese Architektur führt ja dazu, daß man selbst sich ganz klein fühlt. Aber ein wenig Demut soll ja nicht schaden. Und auch das verklemmte "a" dieses gekaperten iMacs soll mich nicht von weiteren Forschungen abhalten.
"Bleiben Sie dran, Herr Kid?" - "Ja, sischer dat."