Montag, 4. Oktober 2004


Pissing In A River

Should I pursue a path so twisted ?
Should I crawl defeated and gifted ?
Should I go the length of a river,
[The royal, the throne, the cry me a river]
What about it, what about it, what about it ?
Oh, I'm pissing in a river.
(Patti Smith, "Pissing In A River".)



Es kommen die dunkleren Tage. Morgens locken mich die Klänge von Monolith zu dekorativ gefärbten Frühstückseiern, draußen machen sich die Laubsaugerarmeen bereit zur fröhlichen Igelhatz und Zwangsbeschallung friedlicher Nachbarn.

Selbst die von uns allen heiß geliebte Frau Sonne macht mal Pause und verzieht sich hinter die Wolken der finsteren Wiener Wälder. Manchmal tief in der Nacht, wenn nur ich sie erwische, bastelt sie heimlich in ihrem Blog. Denn ich wandele ja regelmäßig selbst schlaflos wie selig Dr. Wilbur Larch nicht nur durch endlose Gewerbegebiete auf dem Weg nach Hause, sondern auch durch die labyrinthischen Gänge meiner Seele oder den Ariadnefäden irgendwelcher Linkverkettungen entlang durch das Internetz und berausche mich am Äthergeruch obskurer Bildungsinhalte mit 1-a-Katzencontent.

Da hilft oft nur die Kunst, und sei es nur ein freundlicher Cézanne oder ein klangerfüllter Ausflug zum Maschinenfest. Am Wochenende aber war Köln voll mit Fotofritzen und Fotografie, denn es war Photokina. Muß man natürlich alles kaufen, denn das entspannt ungemein. Man mag in der Abteilung Kunst auch andächtig jungen Männern mit agiler Prostata zuschauen, aber erwähnenswert bleibt auf jeden Fall die diesjährige Photo-Fair. Da konnte man auch Bilder von Joel-Peter Witkin kaufen, entsprechende platinfarbene oder schwarze Karte vorausgesetzt. Ich hätte so was ja schon gerne im Eßzimmer, denn Witkins Werke sind im Original einfach auf einem technisch und ästhetisch so hohen Niveau, daß es jedem Freund der Schwarzweißfotografie regelmäßig die Sprache verschlägt. (Link hier, aber bitte nicht beim Essen. Danke.)

Eindrucksvoll auch die Arbeiten aus St. Petersburg von Alla Esipovich. Porträts zwischen Armut, Verfall und nicht verblasster Würde. Akte und Selbstdarstellungen der Alten, der Randständigen und Ausgestoßenen- immer respektvoll, nie voyeuristisch. In Deutschland vertreten durch die Galerie Artobes. Darf man im Auge behalten.


 


Samstag, 2. Oktober 2004


Liebe im ICE

Seit kurzem nutze ich an den Wochenenden öfter mal die Fahrdienstleistungen der Deutschen Bahn. Man könnte fast sagen, ich sei eine coole Sau, denn ich hab' jetzt Bahncard. Tolle Sache, bis ich feststellte, daß ich mit Surf&Rail günstiger weg- und auch wieder ankomme. Aber ich liebe den Nah- und auch den Fernverkehr, und am schönsten ist es natürlich, wenn man sich aus der Ferne ganz nah kommt.

In den Zügen verliert man nicht den Kontakt zu seinen Mitmenschen, das bereitet mich auf kommende Prüfungen vor, die unter anderem lauten könnten: "Bald stelle ich dich meinen vierzig engsten Freunden vor." So etwas erfordert eine besondere Art von Stamina, die sich der soziophobe Mensch am ehesten am öffentlichen Orte erarbeiten mag.

Der völlig leere ICE-Waggon war für diese Aufgabe nicht hilfreich, mir aber äußerst angenehm. Ein wenig einsam vielleicht, während draußen die Nacht hereinbrach. Doch dann umfing mich eine dunkelgefärbte Stimme, die mit leicht österreichischem Akzent durch das Bordsystem säuselte. "Guten Abend", schwang es wie einst bei Elmar Gunsch. "Wir erreichen in Kürze Solingen-Ohligs, vorraussichtliche Ankunftzeit in zwei Minuten. Außentemperatur 13 Grad. Wir wünschen Ihnen alles Liebe in Solingen..." (Es entstand eine längere, melancholische Pause) "... Ihre Deutsche Bahn."

Verblüfft und ein wenig irritiert sank ich derart anmoderiert in meinen ICE-Sessel und hing so meinen Gedanken nach. Wie aufmerksam von der Deutschen Bahn. Wie sanftmütig, gedankenvoll und scheinbar auch ein wenig herzensschwer von diesem so häufig gescholtenen Dienstleister, der sich im übrigen "freuen würde, bald wieder mein Begleiter auf meiner Reise zu sein."

In Solingen hatte ich selbst mal glückliche Stunden erlebt. Liebe muß man es wohl nennen, denn die war auch im Spiel. Das ist lange Jahre her und war nie so ganz unkompliziert, aber ich erinnere mich gerne. Ja, alles Liebe in Solingen.
Das wünschen wir.


 


Freitag, 1. Oktober 2004


Schlechte Erziehung

Wenn man die grottige Werbung mit ihren Geschichten, die sich wieder nur Werber haben ausdenken können, überstanden und sich im Passage-Kino die Leinwand entfaltet hat, dann beginnt die großartige Titelsequenz zu Pedro Almodóvars neuestem Film La mala educación: Schlechte Erziehung. Starke Kontraste, Rot und Weiß, Blut und Eier, tolle Typo, so ist Kino. Denkt man. Aber wie bei den aufgetakelten alternden Bühnentunten in Almodóvars Filmen, sollte man sein Urteil erst abgeben, wenn sich alles entblättert hat.

Es beginnt bunt, schräg in den 80er-Jahren, Kika grüßt von Ferne. Doch die Handlung ist astreiner Film noir: Amoralisch, korrupt und verschlungen genug, einen Philip Marlowe zur Verzweiflung zu treiben. Ins Büro von Regisseur Enrique (Fele Martinez) stapft eines Tages ein junger Mann, der sich als sein alter Jugendfreund Ignacio (Gael Garcia Bernal) ausgibt. Die beiden lernten sich Anfang der 60er Jahre in einer Klosterschule kennen und wurden Opfer des lüsternen Paters Manolo (Daniel Gimenez-Cacho, bzw. (Lluis Homar als eine Art spanischer Jack Nicholson). Ignacio nennt sich nun Angél, ist Schauspieler und will, daß Enrique eine Erzählung von ihm verfilmt: Die Geschichte "Der Besuch" führt zurück in die Jugend der beiden, in die Zeit der ersten Liebe, der ersten sexuellen und Kinoerfahrungen.

Eine reine Männergeschichte, ungewöhnlich genug für Almodóvar, dessen Filme bislang meist um starke Frauen kreisten. Schrille Figuren, verdrehte, völlig überzogene Geschichten - so kennt man das Enfant terrible des spanischen Kinos. Selbst "Sprich mit ihr", sein bislang ruhigster Film, lebte u. a. davon, eine im Grunde völlig unglaubwürdige Geschichte glaubhaft wiederzugeben.
Große Kunst eben.

In "Schlechte Erziehung" entfaltet er ein Geflecht aus Schein und Sein, Liebe, Gier und Eigennutz. Double Indemnity kam mir in den Sinn, kurz nur. Aber keine fatalen blonden Frauen, sondern amoralische dunkle Jungs (Alain Delon in "Nur die Sonne war Zeuge" wäre eine weitere Referenz) suchen hier mit tödlichen Mitteln den Kopf über Wasser zu halten, nachdem sie ihren Hintern längst verkauft haben.

Sonderlich gelungen ist das nur leider nicht. Schöne Hemden, denkt man ab und an. Oder "orange Socken, interessant". Glaubhaft, ja, irgendwie. Nur nie richtig spannend oder überzeugend. Die knackigen Männerhintern reißen da nichts raus. Zuviele Schauplätze, zuviele Zeit- und Handlungsebenen, aber zu wenig Witz, zu wenig Thrill.

In "Stardust Memories", meinem absoluten Lieblingsfilm von Woody Allen (den ich seit Jahrzehnten nicht mehr ausstehen kann), spielt Allen einen genervten Regisseur, der nach neuen Wegen sucht und von seinen Fans immer nur eins zu hören bekommt: "Wir lieben ihre Filme! Vor allem die frühen, komischen!"
Mal sehen, wohin es Almodóvar demnächst verschlägt.

La Mala Educación: Schlechte Erziehung. (Span. 2004) Regie: Pedro Almódovar.

Super 8 | von kid37 um 02:11h | ein Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Donnerstag, 30. September 2004


Es war schön und spannend

... es sah anders aus, roch anders.

Tentakel | von kid37 um 15:54h | noch kein Zuspruch | Kondolieren | Link

 



Hier noch mal die Regeln

So, ihr Mimosen, weiter geht's.

Das kann man sich übrigens mal merken:

1. Flohmarkt

2. Aktfotos

wird fortgesetzt


 


Mittwoch, 29. September 2004


Ablehnung

"Die Vereinsamung, in der ich lebe, ist ja doch sehr groß und über die helfen auch alle Briefe literarischer Anhänger, Männer und Frauen, nicht hinweg. Innen in einem ist es grau und fragwürdig und unaussprechbar, und hinter der Maske der Ironie und Höflichkeit nach außen zerreißen sich immer von neuem die letzten Bestände von Leben und Glück."

(Gottfried Benn, Briefe. 1954.)

Ex Libris | von kid37 um 02:03h | | Link

 


Dienstag, 28. September 2004


Unkenrufe

Heute wieder Regen. Vollmond. Müde.


 


Dienstag, 28. September 2004


Der gefundene Satz, 9

Geh nach Westen, junger Mann! sagte man früher. Heute müssen wir sagen: Erschieß dich, junger Mann, für dich gibt es keine Hoffnung! Ich kenne einige, die sich damit abgefunden und es zu einer Spitzenposition gebracht haben - also Hollywood -, was nicht viel anders ist, als spreche man von der Spitze eines Zirkuszeltes. [...] Inzwischen hat mir ein anderer junger Schriftsteller in einem Brief mitgeteilt, sein Verleger habe ihm einen Job als Mann für alles gegeben, er arbeite vierzehn Stunden am Tag an der Schreibmaschine, in der Buchhaltung, bringe Pakete zur Post, schleppe Ascheimer, spiele den Chauffeur, etc., etc. Sein Verleger, reich wie ein Krösus, preist den jungen Schriftsteller als Genie. Er meint, es sei gut für den jungen Mann, einmal ehrlich zu arbeiten.

(Henry Miller. Der klimatisierte Alptraum. 1945.)

Ex Libris | von kid37 um 01:33h | ein Zuspruch | Kondolieren | Link

 



Das Mädchen mit dem Perlenohrring

Ach ja. Wie hatte das fragile Zusammenspiel zwischen Scarlett Johannsson und Bill Murray in Lost in Translation doch eine zarte Erotik entfaltet gleich einem kleinen Vogel, der munter und verletzlich zugleich durch den Kinosaal schwirrte.
Ach nein. Wie platscht doch einem plumpen Pinguin gleich eine dumpf-konstruierte Spannung durch das Kinodebüt von TV-Regisseur Peter Webber. Scarlett Johannsson, heiße Anwärterin auf "Miss Lippe 2004", spielt die 17-jährige Griet, Hausmagd des Delfter Malers Johannes Vermeer (Colin Firth). Der lebt mit seiner Frau Catharina (Essie Davis), von der man gleich weiß, daß sie eine hysterische blöde Kuh ist, und deren geschäftstüchtiger Mutter Maria (Judy Parfitt mit dämlichen Kontaktlinsen) recht kommod im wohlhabenden niederländischen Städtchen.
Das gleichnamige Bild von Jan Vermeer (1632-1675), war Ausgangspunkt der fiktiven Story: Maler "entdeckt" seine Magd, macht sie zu seinem Modell und - wer hätte es gedacht - es liegt erotische Spannung in der Luft. Der künstlerische Schaffensprozeß erreicht über den Geist die Sinne und den Körper, Kreativität geht mit dem Erzeugen Hand in Hand.
Nur leider kriegen wir in dem Film nichts davon mit.

Vermeer sitzt zumeist dumpf vor sich hinbrütend und in die Ferne starrend auf einem Stuhl . Magd Griet bewegt sich mit großen Augen, offenem Mund und überlaut atmend durch die (zugegeben) exquisit ausgestattete Szenerie. Wie Kunst entsteht, bleibt außen vor. Ob Griets Eingreifen und (nicht belegtes) Stühlerücken nun Vermeers Bilder verbessert haben oder nicht - wir erfahren darüber nichts. Als er ihr endlich näher kommt und ein Ohrloch sticht - eine schmerzliche, blutige Pentrationsszene - gelingt Peter Webber das Kunststück, die sexuelle Symbolik völlig zu verschenken. Man stelle sich das in einem Greenaway-Film vor.

Webber steuert mal hierhin, mal dorthin. Eine Studie über Macht, Abhängigkeit und Ausbeutung hätte es werden können. Das Porträt eines Mädchens, eines Künstlers, einer ganzen Gesellschaft, die sich gegenseitig mit Intrigen, Erpressung, sexuellen Übergriffen und Versprechungen in Schach hält. Aber zu bildverliebt wird alles und nichts gestreift. (Die nachgemalten Vermeers werden den Originalen übrigens kaum gerecht, wurde mir glaubhaft versichert.) Überflüssiges Personal (dieser Fotoromanhafte Fleischersohn!), überflüssige Szenen (diese Vorgeschichte, die nie wieder aufgegriffen wird)... ein Fernsehspiel im Kinoformat. Es wird ein Bild gemalt. Aber darüber erfahren wir ja leider nichts.

Das Mädchen mit dem Perlenohrring. (GB/Lux. 2003). Regie: Peter Webber.

Super 8 | von kid37 um 17:32h | 5 mal Zuspruch | Kondolieren | Link