Donnerstag, 25. März 2004
Was für ein deprimierender, niederschmetternder Film.
Fotolaborant Sy (das reimt sich nicht von ungefähr auf "Eye" und "I") ist ein Einsamer wie Travis Bickle in Taxi Driver. Er ist ein Jedermann, ein Durchschnittstyp, für den selbst die Klamotten aus dem Walmart zu stylish wären. (So jedenfalls bezeichnete es die Kostümdesignerin des Films, Arianne Phillips.)
Seine Unfähigkeit, wirkliche Beziehungen zu anderen Menschen aufzunehmen, bewirkt seine Flucht in ein perfektionistisches Streben. Seine sozialen Beziehungen holt er sich über Fotos von Fremden. Er eignet sich auf verschiedene Weise die Familienfotos anderer Leute an, um daraus eine eigene "Geschichte" zu schaffen. Er kopiert sich die Bilder einer fremden Familie, um sie ins eigene Wohnzimmer zu hängen. Der einzige Schmuck in seiner karg möbilierten Wohnung. Sy konstruiert seine Welt. Und wird eins mit der Illusion.
Als die Perfektion, die er sich erdacht hat, zu zerbrechen droht, bleiben ihm nur noch die Fotografie und die Gewalt als letzte Ausdrucksformen. He can simply not relate. Leider finde ich keine guten deutschen Worte dafür.
Sy ist der fleischgewordene, oftmals flüchtige Gedanke, den jeder ab und an hat. "Der Stein ist ein Stein; er ist nicht ich!" schrie angeblich die fünfjährige Sylvia Plath, als sie das erste Mal spürte, daß eben nicht alles eins ist. Daß alles getrennt von einander existiert. Wie du. Und wie ich.
(USA, 2002). Regie Mark Romanek, der auch das tolle Video zu "Hurt" von Johnny Cash gemacht hat. Der Fotograf gönnte sich übrigens einige Injokes als er für Nebenrollen Namen wie "Yoshi Araki", "Mrs. von Unwerth", "Mr. Siskind" und "Paul Outerbridge" wählte.

Dienstag, 23. März 2004
...
"Da kommen Sie zu früh. Aber die Spur ist richtig."
(Quincy, RTL)

Donnerstag, 18. März 2004
Durch eine mäandrierende Linkverkettung bin ich heute an einem Punkt in diesem Internetz gelandet, an dem ich die Zukunft des Films gesehen habe.
Um den Imagewechsel vom Experimentalfilmer weg hinzubekommen, sollte ich vielleicht überhaupt erst einmal ein paar solcher Filmchen im Giftschrank haben. Meine russische Normal-8-Kamera habe ich letztes Jahr entsorgt, weil hier ist ja kein Fotomuseum (braucht noch jemand günstig eine EXA?). Bei dem Format wäre es für einen störrischen Analogfotografen wie mich auch schwierig mit dem Verbrauchsmaterial geworden.
Also sollte ich mir auch so eine kaputte Digicam kaufen. Wenn ich mal wieder Geld habe, heißt das. Dann werde ich der Jan Svankmajer des unanimierten Films.

Freitag, 5. März 2004
Komödie. Komödie. Ich hör' nur Komödie. Das ist keine Komödie. Das ist ein zarter, melancholischer Film über eine ungewöhnliche Männerfreundschaft. Einer der wenigen zarten Filme, in denen gar keine Frauen mitspielen. Doch. Eine bedient den Projektor. Eine andere pißt in den Schnee und steigt wieder betrunken in ein Flugzeug. Was sie dann mit dem Doktor Soundso (mein Namensgedächtnis!), dem Leiter dieser skurillen Forschungstruppe, treibt, können wir nur anhand ihrer gurrenden Lockrufe und ihres derangierten Lachens erahnen. Gezeigt bekommen wir es glücklicherweise nicht.
Also, merken: Frauen arbeiten nur an Illusionsmaschinen oder schweben in silberglänzenden Flugzeugen durch die Lüfte. Anwesend sind jedenfalls nur die Männer.
Eine schwedische Hausarbeitsforschungsgruppe macht sich in den späten 40er-Jahren mit einer Buckelvolvo-Kolonne (für Kenner: Baureihe 444) auf den verschneiten Weg nach Norwegen. Der alleinstehende Norweger soll am lebenden Objekt studiert, beobachtet werden. Dazu setzen sich die Schweden zu ihrem "Gastgeber" in die Küche auf eine Art Hochstuhl und zeichnen akribisch die zurückgelegten Wege und Art der Arbeiten auf. Jeglicher sozialer Kontakt hat zu unterbleiben aus Angst, die Forschungsergebnisse zu verfälschen.
So sitzt man stumm, beäugt sich gegenseitig mißtrauisch. Mahlzeiten nehmen die Schweden in ihren mitgebrachten kleinen Wohnwagen (Stichwort: Ei) zu sich, wo sie auch schlafen.
Der Film zeigt, wie sich schweigsame Männer in der nordischen Einöde doch annähern. Aus Beobachteten werden Beobachter, aus stummen Teilnehmern eines wissenschaftlichen Experiments beredte Komplizen, die sich heimlich Tabak und Alkohol teilen.
Ja, man darf viel Lachen in dieser kleinen, großartig fotografierten Geschichte. Darf staunen über die Ressentiments der Nordländer (die Enttäuschung der Norweger über die zaudernde, ewige Neutralität der Schweden im 2. Weltkrieg). Sarkastische Bemerkungen sind fällig, wenn diese uber-neutralen Schweden nun als uniformierte Invasionstruppe unter der Flagge der Wissenschaft ins Nachbarland einfallen.
Man darf aber auch ergriffen sein, wie sich diese skurrilen, ungleichen Männer, die vom Leben beide nicht belohnt wurden, langsam näher kommen. Wie ihre Freundschaft wächst, Eifersucht und Mißtrauen weckt. Und wie sich schließlich - wie in allen großen Geschichten - noch der Tod dazugesellt.
"Schöner Film über eine Männerfreundschaft", meinte meine Bekannte. "Den solltest du dir vielleicht mal mit Herrn maz anschauen." - "Nee, lieber nicht", antwortete ich. "Der will ja nur fummeln." Nein, zum Fummeln ist "Kitchen Stories" zu poetisch. Und schön. Monochrome Farbflächen in sehr skandinavischen Blau- und Grüntönen dominieren in den kargen Räumen. Innen und Außen. Und habe ich die Buckelvolvos schon erwähnt?

Montag, 23. Februar 2004
für diejenigen, die überhaupt einen Fernseher haben und arte empfangen können. Ab 22.20 Uhr läuft eine interessante Doku über den jüdischen Schriftsteller und Grafiker Bruno Schulz und seine Wandmalereien in der Villa einer SS-Größe.
Zitat (sinngemäß): "Der war doch Masochist, der hatte nichts mit Frauen."
"Aber Masochisten haben doch auch was mit Frauen?"
"Jaa, aber nicht so."

Montag, 16. Februar 2004
Auge um Auge. Väter und Söhne. Sozusagen die atavistischen Fadenkreuze, mit denen die Geschichte abgesteckt ist. "Gott steh uns bei," sagt Paul Newman.
"Dieses Haus ist nicht mehr unser Haus," sagt Tom Hanks.
Dysfunktionale Familien aus sehr männlicher Sicht. Frauen haben stereoptype Rollen: die Nonne. Die Mutter. Das Animiermädchen. Hure, Heilige, Gebärende.
Das männliche Prinzip ist ein kaufmännisches. Das Beziehungsdreieck Schuld, Sühne, Rache. Zahn um Zahn.
Eine ganz einfache Geschichte also.
"Bring me the huddled masses", heißt das Versprechen Amerikas. Die Einlösung heißt: Des Einzelgängers Familie ist der Tod. Das aber, bitteschön, ist eine Metapher.
Wir haben alle noch eine Rechnung offen.

Sonntag, 1. Februar 2004
So, ich stelle fest, daß hier in unserer Kuschel-Community zu selten wirklich ernste Themen behandelt werden.
Neulich sah ich Pedro Almodóvars "Sprich mit ihr - Hable con ella". (Zwei Männer freunden sich im Krankenhaus an, als ihre Freundinnen durch einen Unfall ins Koma fallen. Als die eine schwanger wird, gerät deren Freund in große Bedrängnis.) Beim Blättern im Presseheft stieß ich auf eine interessante Geschichte, die Almodóvar zu seinen Quellen für diesen Film zählt.
Ich schalt' schon mal mein Handy aus.
"In Rumänien fühlte sich der junge Nachtwächter eines Leichenschauhauses zu einem toten Mädchen hingezogen. Die Einsamkeit des Todes und die Einsamkeit der Nacht münden in "zu viel Einsamkeit", weshalb der Wächter seiner Sehnsucht nachgibt und mit der attraktiven Leiche schläft. Die folgenden Ereignisse sind eines jener Wunder menschlicher Natur, die der Papst wohl nicht allzu sehr schätzen dürfte. Als Reaktion auf die amouröse Belästigung erwacht das Mädchen wieder zu Leben, da sie an einer Art Katalepsie litt und nur scheintot war. [...] Obwohl die Familie des wiedererweckten Mädchens dem Vergewaltiger dankbar war, konnten sie ihn nicht vor dem Gefängnis bewahren. Sie brachten ihm Lebensmittelpakete und beschafften ihm einen Anwalt. Die ungewöhnliche Situation führte zu einem kuriosen Dilemma: Vor dem Gesetz war der Junge nur ein Vergewaltiger, aber nach Ansicht der Familie, die sich von ihren Gefühlen hinreißen ließ, hat der Junge die Tochter wiederbelebt. Es war von Anfang an eine wunderbare Geschichte, die mich rundum inspiriert hat, einschließlich des "moralischen Dilemmas", das auch in Sprich mit ihr - Hable con ella vorkommt." (P.A.)

Samstag, 31. Januar 2004
Gerade eben sinngemäß im "Wort zum Sonntag":
"Schalten sie ihr Handy aus - nur Gott ist immer erreichbar."

Dienstag, 27. Januar 2004
Ist bestimmt auch eine lohnende Rubrik.
Teaser für so eine Gerichtspathologen-Serie, gerade eben:
"Der Uterus einer Stute ist so groß wie ein Fußball. Genug Platz, um darin einen Beutel Diamanten zu transportieren."
(Der zweite Satz ging eventuell ein wenig anders)
Und jetzt stelle ich mir vor, es ist - sagen wir - 1963.
Und dieser Satz läuft im deutschen Fernsehen.

Dienstag, 20. Januar 2004
Leider nicht ganz gesehen. Das bedaure ich allein schon wegen der sehr stilisierten Bilder. Emmetts Wohnung sah aus wie die von Brad Pitt in "Sieben". Dieser graugrüne Farbton. Ich glaube, ich streiche noch mal neu.
Sehr angenehm die Sterbeszene. Angenehm ruhig, ohne Gequatsche. Sonst wird ja immer noch ein bedeutungsschwerer Spruch losgelassen. Ach was, in amerikanischen Filmen folgt meistens noch eine ganze Rede aus "Philosophy 101". Geradezu vorbildlich folglich dieser Abgang.
Sofort notieren: Beim Sterben unbedingt das Maul halten.
Wahrscheinlich werde ich es wieder nicht schaffen, ich rede einfach zu viel. Im übrigen wußte ich gar nicht, welche Folgen das Tätowieren noch haben kann. Ich mache mir etwas Sorgen wegen des Viermasters.
