Mittwoch, 13. September 2006
eines Schiffes, das aus einem Hafen ausgelaufen ist,
den wir nicht kennen. Es ist unterwegs zu
einem Hafen, von dem wir nichts wissen;
wir müssen füreinander die Liebenswürdigkeit
gegenüber Reisebekanntschaften aufbringen.
(Fernando Pessoa. Buch der Unruhe.)
Anfang der 80er Jahre war ich das erste Mal dort, splitterjung, Daumen quasi im Mund - und habe nun den Eindruck, viel hat sich nicht verändert. Vielleicht habe ich damals auch viel geschlafen oder die Augen ganz schnell zugemacht, wenn wieder einer auf mich zukam, um mir etwas zu verkaufen, was wie alte Bananenschale mit Kameldung aussah. Keine schlechte Idee, in solchen Städten. Grundsätzlich. Der gemeine Tourist reist bald wieder ab und offiziell beschweren könnte er sich sowieso nicht.
Habemus Kid - Weißer Rauch überm Petersdom
So heißt Reisen irgendwann auch Zurückreisen in das eigene Gestern, dem Staub der Vergangenheit. Dann will man tasten in den Furchen der Gesichter und den Furchen einer Landschaft, die selbst schon zum Gesicht geworden ist. Die Augen geschützt vor dem Flirren der Sonne und dem Flirren der Erinnerung.
In den dunkleren Vierteln war es damals wie heute dunkel, und Spuren vom großen Brand 1988 sind kaum zu entdecken. Denn glücklicherweise waren die Stadtväter nicht so dumm, die Gelegenheit der Baulücken dafür zu nutzen, seelenlose Betonklötze in die alten Geschäftsviertel zu wuchten.
Für die kleine Wohnung mitten in der richtigen alten Altstadt reichte das Wort "bezaubernd" gar nicht aus. Verzückt in Alfama, so der Titel meines neuen Romans, zwischen schwarzweißen Fliesen, heimeligen Gasherden (Propangasflasche unten links, wie das so ist in südlichen Ländern), viel Kunst an den Wänden (Originale, bitteschön, wenngleich eher dekorativ) und via zweier französischer Fenster avec Austritt bezeugungsfreundlicher Zugang zu einer Alltagswelt, die lebendiger kaum sein könnte.
Dachterrasse, um auch mal leger sein zu können
Tagsüber schmusen unten in der Gasse Hunde, Katzen und Urlauber (gerne auch alle miteinander), gibt es freundliches Boa tarde! und fröhliches Gehämmer. Abends üblicherweise Kleinfeierlichkeiten in der Nachbartaverne, die bis in die frühen Morgenstunden dauern. (Es scheint als sei wie im Mittelalter wieder jeder dritte Tag ein Feiertag in Portugal. Damals, so berichtet mein Reiseführer, beschwerten sich Reisende über die "lähmende Untätigkeit" der Bevölkerung. Die wünscht man sich heuer als geplagter Tourist eher herbei.) Da macht es nichts, wenn nachts um eins die Müllabfuhr kommt und mit rumpelnder Tonne die Plastiksäcke vor den Türen einsammelt, um später dann mit brummenden Laster das Kopfsteinpflaster herunterzurasseln. Wenn man sich erst an die orangene Laterne vor einem der Fenster gewöhnt hat, findet man so drei, vier Stunden Schlaf, ehe morgens dann der Gasmann kommt. Der poltert und dengelt den Nachschub an Propangasflaschen in den Tante-Emma-Laden unten im Haus.
Das Meer steht schief, damit die Schiffe schneller zum Atlantik kommen
Aber wie heißt es so schön, lieber lebendiges Alltagsleben als das Gepöhle eines Kegelvereines oder dauergeilen Pärchenclubs aus einer beliebigen deutschen Großstadt. Und überhaupt, wird es einem zuviel, setzt man sich in einen Vorortzug, läßt sich hinausbringen an einen der Strände, die sich in spuckweite der Stadt in Richtung Atlantik ausdehnen. Dort mag man dann dösen, zwischen Felsen und Sandmulden, Nixen und Seegetier, den Wellen lauschen oder langsam erlöschenden Echos vom Brüllen und Stampfen der aufgeregten Krawallposaunen, die einem hierzuland so oft die Luft zum Atmen, Denken und Tun abschnüren wollen. Die Letzte-Wort-Behalter und Fußaufstampfer, Hochrotanlaufer mit ihren vollgespeiten Krawatten und offengelassenen Hosenlätzen, die voller Angst um ihr lang schon brüchiges Geweih die sanfteste Berührung scheuen. Das wäscht sich fort im Sog der Brandung, da schnatzt dran höchstens noch der Kabeljau.
Natürlich ist manches auch nicht so schön. Generation Galão allerorten, immer wieder steht auch eine dieser Nixen vor dem sonnenuntergangsgetränkten Horizont. Doch üb' ich Nachsicht, da lass' ich den Kid mal einen guten Mann sein.
(Dröge Dias kommentarlos im Kommentar)
Dienstag, 5. September 2006
Bekanntlich habe ich eine Schwäche für Themen-Hotelzimmer. Für meinen nächsten Englandurlaub habe ich gleich mal das Hotel Pelirocco vorgemerkt.
via Kaltmamsell
Montag, 4. September 2006
Alternativ können Sie auch die Vorgangsnummer
(unter dem Barcode oben rechts) manuell eingeben.
(Alternativ könnte ich auch einen Schreikrampf bekommen)
Wenn man so quer durch Europa fliegt, zwei Wochen sonnenflirrende Entspannung im Rücken, hier zwischenlandet, dort übernachtet, ist es manchmal nicht auf Anhieb klar, wo man sich gerade befindet. Noch da, schon hier oder womöglich in seiner eigenen Traumsequenz.
Als ich heute morgen an Deutschlands modernsten, aber nicht schönsten Bahnhof ein Ticket am Automaten kaufen mußte wollte, wurde mir aber bewußt: Wo immer ich auch bin, dort bin ich dann - und das kann nur hier sein.
Auf der Fahrt dann versöhnt mit dem Himmel. Graue Wolken, dazwischen aus aufgerissenen Schlündern tastende Finger der Sonne, vielleicht ein Schrei (Grita, Grita, Grita!), vielleicht eine mecklenburger Landschaft von einem Meister der Delfter Schule gemalt. Zu Hause dann leichter Niesel, weiteres Grau, Stapel voller Zeitungen, Briefe, Nachrichten und Geschehnisse in ihrer immer gleichen Trübnis. Und nicht einmal ein Käsebrot im Haus.
Chame depressa um médico! Ich gehe jetzt erst einmal einkaufen.
Donnerstag, 17. August 2006
Und auch nicht nach Hawaii.
Und niemals nicht nach Umbrien
Noch nicht mal an die Schlei.
(Aus: Lieder für fröhliche Trinker,
oder Tausend Tage ohne Käsebrot.
Hamburg, o.J.)
Ich bin absent. Ich nehme Täschchen, Sack & Pack und eine begleitende Hand (das eiskalte? Wir werden sehen), meinen Arzneimittelschrank gegen das Gelbe und das Blaue Fieber, die Dr.-Benway-Reiseambulanz für alle Fälle großer Not und das Bordbuch für die Stadt des Lichts. Eine Handtuch selbstverständlich. Mal zwei Wochen raus aus dem Ho-Ho und dem Buh-huh und hoffentlich auch aus dem Hö Hö. Wenn Wörter mit "Bl" anfangen, dann nur, weil man "blinkende Sterne" rufen will und nicht: "He took me off his blogroll, bloody bastard!" Lieber mal Sterne gucken, Kacheln zählen, an tote Seefahrer denken, die weiter kamen als ich je zuvor. Und, wichtiger noch: Das Herz in beide Hände nehmen.
Seid schön artig. Am Ende werdet Ihr alle gefragt.
Samstag, 8. Juli 2006
Nachdem ich fleißig geübt habe, begebe ich mich heute auf eine kleine sportaffine Reise. Durch kreuz- und querverkettelte,nachgerade wundersame Zufälle bin ich nämlich in den Besitz einer Karte für das bedeutsame Spiel um den dritten Platz gekommen. Da macht es irgendwie Sinn, dann auch nach Stuttgart zu fahren, um das Duell der Verlierer mitanzuschauen.
Schließlich liegt im Fußballspiel, das wußte schon Albert Camus, eine philosophische Tiefe, die den Blogs dem Leben abgeguckt zu sein scheint. Aber das nur nebenbei. Fahne und fantypisches Rauchwerk besitze ich zwar nicht, aber sollten sich die Jungs auf dem Platz an so etwas stören, dann pfeife ich gleich wieder ab.
Mittwoch, 3. Mai 2006
scharlachfarbenem Tier
die Wollstrümpfe hängen ihm über Bord.
Elend sieht der Mensch aus, gelbblaß,
die klaffenden Linien um den Mund,
die schrecklichen Querfalten über die Stirn.
Er holt sich noch eine Tasse Kaffee
und eine Limonade.
(Alfred Döblin. Berlin Alexanderplatz. 1929)
Auch schon zurück (auf Strümpfen) aus der großen Stadt. Das Biest empfing mich natürlich wie immer mit Regen, Kälte und Abweisung. Und schicksaltrotzenden Fußballfans. Erst sangen die Frankfurter "Zieht den Bayern die Lederhosen aus". Später am Abend sangen allerdings die Bayern "Mer ham noch da Lederhoasn an". Und immer rund um den Bahnhof Zoo. Die armen Kinder dort, was sollen die denken.
Dann aber 1. Mai, schnell ein Arbeiterlied gesungen unter der Dusche, an die jungen Menschen gedacht, die in Kreuzberg grillen und an die älteren, die zur selben Zeit im Internet surfen. (Heute in der FAZ gelesen: "Die komplementäre Redensarten der Industrie, ältere Arbeitnehmer könnten mit dem rasanten Wandel der Wissensgesellschaft nicht mehr Schritt halten, stammen im allgemeinen von Leuten, die älter als fünfzig sind, und sollten entsprechend eingeschätzt werden." - Jürgen Kaube)
Berlin tat dann ganz freundlich (drauf falle ich nicht mehr herein, eigentlich) und lüpfte die Wolkenröcke, um ein paar saftige Sonnenstrahlen kokett hervorzuschieben. Mir zur Freude. Also schnell raus, mich an die Hand begeben und leise und anteilnehmend mit Blogger-Tours ("Da beginnt der Spaß schon auf der Anfahrt") die heimlichen und unheimlichen Tränken und Absackstätten der A-List-Blogger-Schickeria angeschaut. Von "Laß uns mal schön nach Hause geh'n" über "Plüschmutti 3000" und "Mach meinem Kumpel ein Nest" hin zur "Gute Wohnstube", einen Kuchen essen. Überall zaghaft das Baumwollleinentäschchen aufs Trottoir gestellt, umständlich den Fotoapparat herausgewrungen und andächtig mir ein Bildnis gemacht. Zur ehrfurchtsblühenden Erinnerung.
Kuchen also bei "Hier wohnen wir, bis wir 30 39 sind". An den Nebentischen kann man Gesprächen lauschen und dabei wertvolle Tips für sich selbst destillieren. Da erzählt eine ihren zusehends (~hörends) stiller und ungläubiger werdenden Begleitern von dieser Geldanlage. Weil ja "alles nix bringt" und sie doch bald die Wohnung kaufen wolle, habe sie sich mal umgehört. Und dieser seriöse Typ, dieser Immobilienmakler (es gibt Menschen, für die wäre das schon ein Oxymoron), der hätte nun wiederum einen gekannt, Geschäftsmann und gut betucht, der brauchte schnell einen privaten Kredit. (Leider, leider sei der gute Mann nämlich nicht liquide, all sein vieles Geld so feste angelegt, mit Fischerdübeln verschraubt, daß er nun glatt acht Prozent bieten wolle.) Und während man noch denkt, gleich lacht sie laut und ihre Begleiter mit und sagt so was wie "netter Versuch", fährt sie mit unverrückter Miene fort. Bald nämlich bot man ihr sogar zehn Prozent, wenn das Geld nur sofort überbracht würde. Und "natürlich" hätte sie das gemacht, war ja alles ganz seriös und einen Zettel hätten sie auch aufgesetzt, also so einen Vertrag und ob denn - hier ein kurzer nervöser Blick zum Begleiter - private Darlehensgeschäfte hierzulande verboten wären?
Im stillen dachte ich, nun kürz' es schon ab, erzähle die Pointe und laß uns Mitleid schenken. Aber es folgte eine längliche erzählerische Odyssee über vergessene und verschlampte Rückgabetermine, geplatzte Überbringungsversuche, die allesamt plötzlichen Todesfällen in der Familie, Krankheiten oder Motorschäden anderer Art geschuldet waren. Und während bei mir Geduld und Kuchenstück immer kleiner wurden, wartete ich auf das Bekenntnis und die Einsicht, dieses Mein Gott, puta madre, die Kohle ist weg und ich ein Idiot!, und auch die Begleiter rutschten immer peinlicher berührt auf ihren schmalen Sitzen hin und her, starrten mal hierhin, wünschten sich bald dorthin und warteten mit offenem Mund auf das Ende der Geschichte.
"Ja", meinte die Frau. Es hätten sich wohl bald einzelne Unstimmigkeiten gezeigt, glatte Lügen auch, die den mantrisch wiederholten "Geld kommt Dienstag"-Formeln zusehends so etwas wie Glaubwürdigkeit absprachen. Sie hätte mittlerweile Nachforschungen angestellt (Mittlerweile! Nachforschungen! Auf eigene Faust!) und einen Hauch verspürt... Zweifel schlichen sich wohl ein. Jedenfalls, nun wurde eine Meinung erbeten, fragte sie sich, ob sie denn nun noch warten solle, vielleicht doch eine Frist setzen oder... oder einfach mal zur Polizei gehen? Oder, schlimm, lachten die sie am Ende nur aus?
Meine Begleitung, deren längst verdrehte Augen nur durch einen medizinischen Trick wieder anatomisch einigermaßen korrekt in die Höhlen zu bekommen waren, röchelte: "So redet nur eine, die dieses Geld nicht selbst verdient hat." Während ich noch überlegte, mir vielleicht selbst ein wenig Geld von dieser Frau zu leihen. Wenigstens für den Kuchen.
Mittwoch, 18. Januar 2006
Mittwoch, 11. Januar 2006
I'm really not lying
I'm so scared
I'll have to stop my crying
Now she's dead
(The Chills, "Pink Frost")
Seit einigen Jahren feiere ich Silvester bekanntlich immer besonders wild, mit Papphütchen, Durcheinandertrinken und -küssen, Damen anfallen und sonstigen Träumereien. Ein Gespräch über Moral und Ethik kurz nach Mitternacht blieb mir noch im Gedächtnis, zudem ein finnischer Silvesterritus, der stark nach in Vodka aufgelöstem Hustenbonbon schmeckte und Perlenketten, die sich in Champagner lösten... dann ging es schon los zum obligatorischen Eistauchen an Neujahr.
Die Ostseeinsel im frostigen Gewand, scharf knirscht das Eis unter den schweren Schuhen. Stämmige Ponys drängen ihr krauses Winterfell gegen warme Hände. Ich sehe mich am Leuchtturm, die Augen geschlossen im schneidigen Wind. So ein grauhaariger Kopf muß doch mal frei werden von den zotteligen Gedanken. An der nordöstlichen Spitze säumen Eis und Schnee die Wasserlinie. Bernstein glitzert in der Sonne, pink frost. Das, was ich tat, vergangenes Jahr. Das, was ich tun werde, dieses Jahr.
Die alten Hemden, das vergessene Gesicht. Das scharfe Wort, beißender Wind, Bäume im Frost. Die Fähre bricht sich durch die eisigen Schollen, der Rumpf knirscht und ächzt, und ich blicke hinüber und zweifele keinen Augenblick.
Together we may get away.
Freitag, 23. September 2005
Nachdem meine Urlaubsplanung dieses Jahr aus dem ein und auch anderen Grund ein wenig schwierig wurde, fiel die Wahl eher spontan auf Ich hab keinen Plan und O Gott, wo fahre ich hin?. Den Ausschlag gab tatsächlich Frau Gaga, die mich auf die Idee brachte, mein Glück im Osten zu versuchen. Deren Bilder von Hiddensee setzten mich dann sofort in Bewegung. Leider verpasste ich sie um eine Fährenbreite, sonst hätten wir womöglich gemeinsam das Hexenhaus in Vitte zum Epizentrum ritualistischer Blogger-Schwingungen gemacht oder einfach nur gemeinsam eine Flasche Wein geleert.
Hiddensee also. Ich besaß einmal ein Kinderbuch, Hittin der Pirat, hieß es, glaube ich. Das spielte in den Sommerferien irgendwann in den 30er oder 40er Jahren, schätze ich. Weil die Eltern ihre Ruhe haben wollten, kam der Vater auf eine pfiffige Idee. Für seine beiden Kinder versteckte er abends am Strand eine Flaschenpost mit der "echten" Schatzkarte von Hittin dem Seeräuber, die der Vater natürlich selbst gezeichnet hatte. Am nächsten Morgen war die Aufregung groß, als die Kinder die Flasche fanden. Bald zogen sie mit Karte, Kompaß und Schaufel los, und die Eltern wähnten friedliche Ferien anbrechen. Doch wie es das Schicksal in Büchern will: Die falsche Karte führt die Kinder auf die Spur echter Schmuggler und schnell ist die Ruhe vorbei. Ich bin mir nicht sicher, ob das Buch noch auf einem elterlichen Speicher liegt, es wäre eine Suche wert.
Eine seemannsgarnige Geschichte also, die ich im Hinterkopf hatte, als ich im in Kloster an Land ging. (Seit langem plane ich ja, im "Haus der Stille" Urlaub zu machen, um dort in der strengen Regelmäßigkeit des Klosterlebens ein wenig meditative Ruhe zu finden.) Der Ort Kloster auf der autofreien Insel ist da schon ein Anfang. Gottfried Benn war dort, der Hauptmann natürlich, Asta Nielsen, Ringelnatz, die ganze Bande.
Wohl instruiert von Blogger-Tipps, fühlte ich mich gleich zuhause, kaum, daß ich einen Fuß auf das schmale Eiland gesetzt hatte. Muß man dann sofort alles ansehen, aufsaugen, sich mit einreiben. Am nördlichsten Ende der Steilküste liegt der "Tote Kerl" mein Lieblingsplatz. Der Name sagt schon, warum. Hier werden nämlich die Männer mit dem grimmigen Blick, die Schufte und die zum Teufel gewünschten zur See bestattet. In der Nähe, am Enddorn, hatte Frau Gaga einen Ritualplatz zurückgelassen. Aus Ästen, Steinen und Federn gebastelte, magische Kultobjekte wiesen den Weg.
Man sieht hier so einige solcher Plätze unten am Strand im Schutze der Steilküste. Da sitzen dann junge Leute und trinken Alkohol. Vielleicht rauchen sie auch eine Zigarette oder machen im Rhythmus der Brandung ein Liebe.
Ich aber war nun alleine dort. Darum konnte ich mir von niemandem eine Zigarette schnorren. Das stimmte ein wenig traurig, aber ich aß schnell eine Banane und betrachtete Sonnenuntergänge, äsende Rehe und schnürende Füchse. Ein wenig merkwürdig ist es schon, wenn einem aus 30 Metern Entfernung ein Fuchs anstarrt. Aber genügend Leute behaupten, wenn es um Tollwut ginge, müsse das Tier eher Angst vor mir haben.
Da gibt es auch ein Lied von Nena drüber. Nur mal so jetzt
Überhaupt: Steilküste! Da kann man dann wie in einem Indie-Rockvideo aus den 80er-Jahren mit pathetischem Blick, viel Donnerhall (Luftgitarre nicht vergessen!) und weit ausholender Armbewegung das Meer anschreien. Aber anders als in den 80ern schreit das Meer nicht mehr zurück, sondern macht, was es am Besten kann: es rollt unbeeindruckt vor und zurück, vor und zurück. Die Steilküste runter führt eine ziemlich lange, marode Holztreppe. "Machen Sie das ruhig, Herr Kid", hatte mir Frau Gaga eingeflüstert. Da fehlten zwar hier und da vier bis acht Stufen, aber das mache ja nichts. Am Ende der Treppe, als ich die eindringlichen Verbotsschilder las, beschlich mich ein leises Gefühl einer finsteren Bloggerverschwörung. Ich kann nur sagen: Try harder next time. Pah.
Am Strand spielten drei interessante Rothaarige splitternackt Volleyball. Einen Schiedsrichter brauchten sie wohl nicht, jedenfalls lehnten sie mein höfliches Anerbieten rundweg ab. Vielleicht hätte ich erwähnen sollen, daß ich gut baggern kann, öh, bloggen blocken, also Ballgefühl habe. Ich aß also schnell noch eine Banane und zog hinaus in die Heide, die gibt es dort nämlich auch. Jedes Jahr werden dort übrigens Blogger Besucher von Kreuzottern gebissen, weil die unbedingt barfuß dort herumlaufen müssen, statt beispielsweise ins einzige Internetcafé der Insel zu gehen. (ISDN-Anbindung, man lernt eben auch Demut an solch abgeschiedenen Orten).
Überraschend entspannt war die Bevölkerung dort. Inselbewohner eben, die wissen, daß es viele Dinge im Leben gibt, auf die man eh keinen Einfluß hat. Gezeiten, Wetter, Server-Performance. Also gibt man sich entspannt. Schlüssel steckt, gehen Sie rein, heißt es oder Bezahlen Sie das Rad einfach morgen oder irgendwann.
Während ich täglich die hundert Meter bis zur Boje und zurück geschwommen bin mit den Füßen im Wasser stand, die rüstigen, ebenfalls splitternackten Rentner betrachtete, die dort beherzt ihr Bad nahmen, beschloß ich, diesen Ort mal etwas fetter auf der Reisekarte zu markieren.
Beim nächsten Mal dann aber mit eigenem Volleyball-Team.
Ein gutes Dutzend Fotos im Kommentar
Montag, 4. Juli 2005
Heute mal endlich mein Fahrrad halbwegs flott gemacht und ein bißchen rausgefahren. In zehn Minuten bin ich unten am Billwerder Sperrwerk und am Entenwerder Stieg. Letzten Herbst war ich zuletzt dort hinterm Deich, in einer merkwürdigen Nacht zwischen Wahn, Regen und Kälte.
Hinter dem ehemaligen Sandfilterwerk kann man in Sichtweite des alten Holzhafens durch unwegsames Gelände fahren, außer unbeholfenen Kröten am Tage und Liebespaare in der Nacht kreuzt dort niemand den Weg. In der Nähe des Yachthafens parken Automobile der besonderen Klassen von SEK über SLK bis Mannschaftswagen, aber alle mit Stern. In einem ausrangierten Elbkahn befindet sich nun der Schießstand. "Zutritt verboten - Lebensgefahr", man glaubt es gerne, wenn man die Hunde und geparkten Ludenmobile Nobelkarossen dort sieht. Nur der grün-weiß lackierte irritiert, aber vielleicht ist die Besatzung nur im Restaurant "Zum Skipper", eine Brotzeit holen.
Die Gebiete dort unten, wo sich Speditionen an Schrottplätze und Chemiewerke reihen und stillgelegte Metallverarbeitungshütten hinter rostigen Toren liegen, haben ihre eigenen Gesetze. Frühstück ab sechs, verkünden windschiefe Tafeln an den Truckerrastplätzen. Davor und dahinter erfaßt das Auge nur Staub. Staub in der Sonne.