Blick zurück auf Lissabon

Wir leben alle in dieser Welt an Bord
eines Schiffes, das aus einem Hafen ausgelaufen ist,
den wir nicht kennen. Es ist unterwegs zu
einem Hafen, von dem wir nichts wissen;
wir müssen füreinander die Liebenswürdigkeit
gegenüber Reisebekanntschaften aufbringen.

(Fernando Pessoa. Buch der Unruhe.)

Anfang der 80er Jahre war ich das erste Mal dort, splitterjung, Daumen quasi im Mund - und habe nun den Eindruck, viel hat sich nicht verändert. Vielleicht habe ich damals auch viel geschlafen oder die Augen ganz schnell zugemacht, wenn wieder einer auf mich zukam, um mir etwas zu verkaufen, was wie alte Bananenschale mit Kameldung aussah. Keine schlechte Idee, in solchen Städten. Grundsätzlich. Der gemeine Tourist reist bald wieder ab und offiziell beschweren könnte er sich sowieso nicht.


Habemus Kid - Weißer Rauch überm Petersdom

So heißt Reisen irgendwann auch Zurückreisen in das eigene Gestern, dem Staub der Vergangenheit. Dann will man tasten in den Furchen der Gesichter und den Furchen einer Landschaft, die selbst schon zum Gesicht geworden ist. Die Augen geschützt vor dem Flirren der Sonne und dem Flirren der Erinnerung.

In den dunkleren Vierteln war es damals wie heute dunkel, und Spuren vom großen Brand 1988 sind kaum zu entdecken. Denn glücklicherweise waren die Stadtväter nicht so dumm, die Gelegenheit der Baulücken dafür zu nutzen, seelenlose Betonklötze in die alten Geschäftsviertel zu wuchten.

Für die kleine Wohnung mitten in der richtigen alten Altstadt reichte das Wort "bezaubernd" gar nicht aus. Verzückt in Alfama, so der Titel meines neuen Romans, zwischen schwarzweißen Fliesen, heimeligen Gasherden (Propangasflasche unten links, wie das so ist in südlichen Ländern), viel Kunst an den Wänden (Originale, bitteschön, wenngleich eher dekorativ) und via zweier französischer Fenster avec Austritt bezeugungsfreundlicher Zugang zu einer Alltagswelt, die lebendiger kaum sein könnte.


Dachterrasse, um auch mal leger sein zu können

Tagsüber schmusen unten in der Gasse Hunde, Katzen und Urlauber (gerne auch alle miteinander), gibt es freundliches Boa tarde! und fröhliches Gehämmer. Abends üblicherweise Kleinfeierlichkeiten in der Nachbartaverne, die bis in die frühen Morgenstunden dauern. (Es scheint als sei wie im Mittelalter wieder jeder dritte Tag ein Feiertag in Portugal. Damals, so berichtet mein Reiseführer, beschwerten sich Reisende über die "lähmende Untätigkeit" der Bevölkerung. Die wünscht man sich heuer als geplagter Tourist eher herbei.) Da macht es nichts, wenn nachts um eins die Müllabfuhr kommt und mit rumpelnder Tonne die Plastiksäcke vor den Türen einsammelt, um später dann mit brummenden Laster das Kopfsteinpflaster herunterzurasseln. Wenn man sich erst an die orangene Laterne vor einem der Fenster gewöhnt hat, findet man so drei, vier Stunden Schlaf, ehe morgens dann der Gasmann kommt. Der poltert und dengelt den Nachschub an Propangasflaschen in den Tante-Emma-Laden unten im Haus.


Das Meer steht schief, damit die Schiffe schneller zum Atlantik kommen

Aber wie heißt es so schön, lieber lebendiges Alltagsleben als das Gepöhle eines Kegelvereines oder dauergeilen Pärchenclubs aus einer beliebigen deutschen Großstadt. Und überhaupt, wird es einem zuviel, setzt man sich in einen Vorortzug, läßt sich hinausbringen an einen der Strände, die sich in spuckweite der Stadt in Richtung Atlantik ausdehnen. Dort mag man dann dösen, zwischen Felsen und Sandmulden, Nixen und Seegetier, den Wellen lauschen oder langsam erlöschenden Echos vom Brüllen und Stampfen der aufgeregten Krawallposaunen, die einem hierzuland so oft die Luft zum Atmen, Denken und Tun abschnüren wollen. Die Letzte-Wort-Behalter und Fußaufstampfer, Hochrotanlaufer mit ihren vollgespeiten Krawatten und offengelassenen Hosenlätzen, die voller Angst um ihr lang schon brüchiges Geweih die sanfteste Berührung scheuen. Das wäscht sich fort im Sog der Brandung, da schnatzt dran höchstens noch der Kabeljau.

Natürlich ist manches auch nicht so schön. Generation Galão allerorten, immer wieder steht auch eine dieser Nixen vor dem sonnenuntergangsgetränkten Horizont. Doch üb' ich Nachsicht, da lass' ich den Kid mal einen guten Mann sein.

(Dröge Dias kommentarlos im Kommentar)

Ausfallschritt | 11:23h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
kid37 - Mittwoch, 13. September 2006, 11:48


 link  
 
pappnase - Mittwoch, 13. September 2006, 13:23
aber warum schaun sie so missmutig?

 link  
 
mark793 - Mittwoch, 13. September 2006, 13:53
Missmutig?
Ach was, es blendet nur das ungewohnte Licht. Ich kenn das, ich werde beim Sichten der Urlaubsbilder nämlich auch immer gefragt, warum guckstn da so mistig, was war denn da schon wieder los? Dabei befand man sich zum Zeitpunkt des Ablichtens grad voll im mediteranen easy-going-Modus...

 link  
 
kid37 - Mittwoch, 13. September 2006, 14:44
Mißmut ist doch Programm, ausweislich des Untertitels im Blog ;-)
(Ich glaube, das war noch der Blick zurück, in die Heimat. Danach ging es entspannter, ich habe auch nur einmal im Internetcafé in diese Welt gelinst.)

 link  
 
saxanasnotizen.blogspot.com - Mittwoch, 13. September 2006, 13:21
So stelle ich mir Ferien vor. Ich glaube ich fahre doch noch dahin. Wunderschön, wunderschön.

 link  
 
kid37 - Mittwoch, 13. September 2006, 14:47
Ist sehr empfehlenswert, wenn man eine Mischung aus Stadt- und Strandurlaub will. Kann man dann nach Lust, Laune und Sonnenbrand abwechseln.

 link  
 
novesia - Mittwoch, 13. September 2006, 13:42
Sie ham ja richtig Farbe, Herr Kid. Und das obwohl einige Bilder beinahe _herbstlich_ anmuten - für portugisische Verhältnisse :-D

Bilder und Text für sehr schmerzhaft-schönes Fernweh. Obrigado.

 link  
 
kid37 - Mittwoch, 13. September 2006, 14:46
Wo ich bin, ist immer... Dabei schien jeden Tag die Sonne, und es war warm oder aber noch wärmer. Es muß an meiner Aura liegen. Die vielen Tiere, die zu meinen Füßen lagen (entseelt) kann ich gar nicht alle hier dokumentieren. Desculpe. Ich jedenfalls könnte gleich schon wieder losfahren.

 link  
 
ana - Mittwoch, 13. September 2006, 15:15
Gestern kam zwar nicht Herr Kid, aber Papst Benedikt nach Bayern. Von daher fing die Schule, damit die Kinder ihm fröhlich zuwinken konnten, im ganzen Freistaat einen Tag später als gewöhnlich an. Es gibt ihn also doch noch, den guten, ferienverlängernden Gott. ( Damals, als das große Erdbeben in Lissabon sämtliche Kirchen zerstörte und nur die Alfama, das Hurenviertel, unversehrt ließ, begann man aber an seiner Güte zu zweifeln und Leibniz These, dass Gott die denkbar beste aller möglichen Welten geschaffen habe, geriet schwer Verruf. )

 link  
 
c17h19no3 - Mittwoch, 13. September 2006, 15:43
jetzt konnte ich mich gerade so schön mit meinem matthäus-text anfreunden, da schüren sie mit ihren fotos schon wieder die sehnsüchtige unmöglichkeit, in bendiktbayern auf dem hosenboden zu bleiben und in mönchsgleicher ruhe kühe zu melken. ;)

 link  
 
fishy_ - Mittwoch, 13. September 2006, 17:18
Es war
Mitte der 80er als ich mich auf den ersten Blick in diese Stadt und das Land verliebte. Seither zieht es mich alle paar Jahre dorthin. Die Verbindung von Schönheit, Wärme und Saudade ist einmalig. Um der fernen Liebe näher zu sein und aus der Ansammlung vokalloser sch-Laute schlau zu werden, stand die Sprache im Studium mit auf dem Lehrplan. Leider verrostet die Zunge zunehmend. Zeit für einen Auffrischungsbesuch.

 link  
 
kid37 - Donnerstag, 14. September 2006, 02:08
Wäre es nicht ein wenig pointiert heiß, es müßte der Saudade wegen überhaupt meine Heimat sein. Aber Sonne, Zischeln und der Hang zum Süßlichen bei Kuchen und Musik bremsen mich. Außerdem ist der Stierkampf dort so merkwürdig.

 link  
 
fishy_ - Donnerstag, 14. September 2006, 14:55
Stierkampf und Fado haben sich mir nie erschlossen. Aber man muss und kann ja auch nicht alles lieben. 'N bisschen Verschnitt ist immer...

 link  
 
kid37 - Donnerstag, 14. September 2006, 15:08
Ich habe mir das im Fernsehen angesehen. Der Stierkampf dort hat so was Burleskes. Das veralbert ja den Stier. Dann lieber in der Arena umbringen. (Aber die Pferde, die beim portugiesischen Stierkampf eingesetzt werden, sind grandios!)

 link  
 
brittbee - Mittwoch, 13. September 2006, 19:41
No Nixen to be seen.

Lisboa scheint mir die rechte Stadt für Hermetische Café-Fahrten zu sein. Unter all der Knuspersonne eine unverkennbar schwarze Seele. Also, mit Ihnen würde ich reisen.

 link  
 
croco - Mittwoch, 13. September 2006, 20:30
Was liebe ich dieses Portugal.....

 link  
 
Lu - Mittwoch, 13. September 2006, 20:42
knackig, sag ich da nur.

 link  
 
kid37 - Donnerstag, 14. September 2006, 02:05
Ein sehr angenehmes Urlaubsland, wenn man es nicht nach Frankreich schafft. Und die Lissaboner haben es gut, den Atlantik gleich hinter der Fußmatte.

 link  
 
modeste - Donnerstag, 14. September 2006, 02:09
Wie hübsch. Kennen Sie, fällt mir da ein, Die folgende Geschichte von Cees Nooteboom, wo ein ehemaliger Lateinlehrer von Porto aus in ein vergangen-überseeisches Jenseits reist? Ich habe das Buch vor Ewigkeiten gelesen und mochte es damals, und das Verwitterte, ein wenig schon sich Neigende meine ich auch auf Ihren Bildern zu sehen, aber ob ich sehe, was Sie gesehen haben, oder nur, was ich gelesen habe - wer weiß das schon.

(Und jetzt muss ich schlafen, sonst schreibe ich noch weiter wirr vor mich hin.)

 link  
 
kid37 - Donnerstag, 14. September 2006, 02:25
Das Buch kenne ich leider nicht, aber immerhin Porto. Ich habe das Land mal von Norden nach Süden bereist. Auf den alten Dias mit den mittlerweile ausgewaschenen Farben kommt das Jenseitige gut heraus. Vielleicht eine unterschwellige Aura, die nur nach und nach zutagetritt. In der Alfama jedenfalls schreiten die Sanierungsarbeiten nicht so schnell voran wie der Verfall. In einem weiteren meiner gewagten Vergleiche kann sich dort aber ein wenig wie Aschenbach fühlen... man kann dort sicher gut Abschied nehmen. Wenn es mal regnet, und die Nixen Fado singen.

 link  
 
ladys smock - Samstag, 16. September 2006, 00:28
:-)

 link  
 
neo-bazi - Sonntag, 17. September 2006, 13:30
Hauptsache, Sie haben nicht vergessen, im San Jeronimo vorbeizuschauen. Wegen der Sage. Ich habe es das letzte Mal versäumt und werde wohl nie mehr zurückkehren.

Ja, zurück, denn ich fühlte mich dort jedes Mal zu Hause.

http://neobazi.net/archives/3761

 link  
 
kid37 - Sonntag, 17. September 2006, 17:15
Der Anlaß Ihrer Reise war ja ziemlich bitter. Interessant, wie wir ähnliche Bilder ausgewählt haben: Ihres & meines

Das Kloster habe ich besucht, vor allem die Kirche ist äußerst eindrucksvoll. Ich schreibe wohl noch was dazu.

 link