Montag, 18. Januar 2010


Goldene Globen

Bizarrer Film von Los Mirlos:

Extraterrestrisch große Produktionsbudgets, 3D-Brillen, blau anlaufen und um Bäume tanzen - meine Güte, das geht doch alles einfacher, beschaulicher und doch bewegender, schwingender, liebreizender, exotischer, verblüffender - und runder, sogar ohne Sehhilfen. Die Handlung ist kurz erzählt: eine außerirdische Schönheit vom Planeten Claire landet auf der Erde, um Frieden zu stiften unter den streitenden Menschen. Sie bedient sich dafür einer insektoiden Tanzsprache, die nur wenige verstehen können - weshalb es sich lohnt, diesen Film mehrmals zu schauen. Sie sagt: Wenn es wirklich Liebe ist, werden dich meine Fühler auf dem Kopf nicht stören. Wenn es wirklich Liebe ist, wird sie alle Grenzen überwinden.

Das ist die Botschaft. Danke. Und jetzt die Oscars.

Super 8 | von kid37 um 21:31h | 3 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Sonntag, 17. Januar 2010


El Casa del...

Frau Milk hatte geladen, da laß ich mich nicht lumpen, nur die Sache mit der Uhrzeit muß ich noch üben. Aber am Ende einer trubeligen Woche, Schneeschieben, Rumschubsen, Wachbleiben, führen die Zeiger auf der Uhr manchmal ein Eigenleben. Und man kann in der Zeit ja auch was dazuverdienen. Carsten Klatte in der Hasenschaukel, Intensivfolk, ein Mann, eine Gitarre, ein Auftrag. Sehr angenehm. Frau Milk ist furchtbar nett, erzählte aber immer was von "Sperrstunde", ein Begriff, den wir Matrosen hier so nicht kennen. Ich habe das überprüft. Um dann auch mal ein wenig Nikotin in die vom Winterfrost geklärten Lungenflügel zu drücken, schlitterte es sich anschließend untergehakt, damit man gemeinsam fällt, und immer schön quer zur spiegelblank gefahrenen Spurrille von Tür zu Tür. Ich werde gehänselt ob meines dicken Wintermantels (Typ erschossener Bär), aber der wird wenigstens nicht gestohlen. Am Ende stehe ich, kurz mir selbst überlassen, in einem Pulk motorölverschmierter Rockabillytypen, channele jedoch spontan den Geist von Gene Vincent, und man rückt respektvoll auseinander. Einen Witz habe ich auch noch erzählt, und der Laden hier ist ja eine echte Entdeckung.

Radau | von kid37 um 20:20h | 9 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Freitag, 15. Januar 2010


Punkt für Punkt






Als ich noch recht jung war, so mit schwarz gefärbten Robert-Smith-Zauseln und düster umflorten Zügen, war ich ja Fan von Xmal Deutschland, wahrscheinlich einer von 3-en in Deutschland, wahnsinnig bekannt waren die jedenfalls, anders als in Großbritannien, hierzulande nicht.

Die Sängerin Anja Huwe hat sich dann irgendwann wieder der Kunst zugewandt, Punkte setzt sie, viel Simultankontrastiges und immer abstrakt. Normalerweise nicht so ganz mein Ding, aber der Abend war recht vergnüglich, großer Bahnhof, viel Gebrumm, Manuela Rickers habe ich, glaube ich, gesehen, die früher Gitarre bei Xmal Deutschland spielte. Es sind ja auch Klassentreffen nach all diesen Jahren. Huwes Bilder haben so etwas hübsch fluroeszierendes, diese bunten Punkte schwingen wie ein Teller Smarties, auf den man zu lange geschaut hat. Vielleicht ist es auch die Müdigkeit in den Augen, und dann hat es natürlich auch etwas Dekoratives. Aber die doch recht großen Tableaus haben eine sinnliche Wirkung, nur haben bloß wenige ein Zimmer dafür.

Zurück durch die Kälte, daheim hat sich unter meiner Spüle Wasser gesammelt. Die Abenteuer nächtlicher Heimarbeit. Das große Still- und Trockenlegen, Abwasserrohre neu verbinden, die Dinge durchgängig ,machen. Und immer im Fluß.

(Anja Huwe. "Listen To The Pictures". Im Westwerk, Hamburg, bis zum 24. Januar 2010.)

>>> Interview mit Anja Huwe von 2005.


 


Donnerstag, 14. Januar 2010


Heinwerken

Ich schau mich um
und seh' nur Ruinen.

(Fehlfarben, "Paul ist tot")



"Am Rhein lebt man erst, wenn es nebelt und näßt", behauptete er einst, aber vielleicht reichte der Hamburger Winter, sich im sehr gepflegten und mir aus der benachbarten Heimat eben gut bekannten Mißmut einzurichten und in einstudierter Lustlosigkeit in den Sessel zu fläzen. "Jetzt, wo das Bier schon mal offen ist", deutete seine offensiv demonstrierte Unvorbereitetheit Spontaneität an, "können wir ja auch mal was lesen und über alte Zeiten sprechen". Ganz leicht machte es Peter Hein seinem Publikum nicht. Mitreißen war nicht das Motto, mitreisen mußte man schon selbst. So las er launige On the Road-Anekdoten und ätzende Ortsbeschreibungen aus "Geht so", sehr Richtiges und vom Publikum anerkennend Goutiertes über Hamburg in der irrigen Meinung, nun eine Beleidigung ausgesprochen zu haben (Nein, Herr Hein, es stimmt, hier ist tatsächlich immer Dom - und wenn nicht Dom ist, dann wird er gerade auf- oder abgebaut). Er riß zahlreiche Erinnerungsfetzen an, erzählte die Düsseldorfer Punk-Historie im Schnelldurchgang, textete sich von Charley's Girls, Mittagspause bis Family Five, allesamt Bands, bei denen er dabei war, und kreiste natürlich immer wieder um die Fehlfarben, die gleichsam bejubelte und immer wieder vergessene letzte große, wichtige deutsche Band seit den Ton, Steine, Scherben.

"Lärm nur mit Drähten und toten Tieren macht nicht sooo viel Sinn" erläuterte er seinen Weg zum Mikro. Seine Geschichte ist die einer ewigen Verweigerung. Ausstieg aus der Band, nachdem diese gerade ihr wichtigstes Album aufgenommen hatte und am Vorabend einer Tournee stand, rastlose Kehrtwenden, andere Anzüge, neue Namen. "Letzter Aufruf Peter Hein", titelte einst die Spex und wünschte sich einen Star herbei. "Fehlfarbe" Hein fügte sich aber nicht ein - was man gut finden kann oder wenig mutig, seine Sache. Oft amüsant, heute aber, die kleinen Seitenhiebe gegen Kollegen und Weggefährten, manches nur in angedeuteten Anekdoten, bei denen es hilfreich war, wenn man die Verhältnisse damals um die 80er herum zwischen Ratinger Hof , Düsseldorf und Wuppertal zu kennen, sich an die kleinen Geschichten und Geschichtchen, Lieben und Liebschaften, Bewunderung und Feindschaften zu erinnern. Jetzt ist alles später, grauer, langhaariger, und als Hein begann, dachte ich für eine Millisekunde, Jürgen Becker eröffne einen Kabarettabend. Aber der ist ja nun Kölner. Der rheinische Sound jedoch ist selten genug hier in der Stadt, und Hein hatte wirklich lustige Geschichten dabei. Erinnerungsware, Rock'n'Roll wird ja immer gern genommen.

Heute lebt er in Düsseldorf und Wien, alles richtig gemacht also. Am Ende schrieb er mit eine nette Widmung unter die andere Widmung in meiner Ausgabe von Geht So. Erinnerungen aus dem Tal . Das war vor Jahren.

>>> Geräusch des Tages: Fehlfarben, Das war vor Jahren


 


Mittwoch, 13. Januar 2010


Heymwerken

Das Wetter ist ja hervorragend geeignet zum Schneeengelmachen. Oder lesen. Die alten Vertrauten, Georg Heym - ich bin da ein großer Freund - Schöpfer solch unvergessen reflektierter Tagebuchzeilen wie "Mag die juristische Scheiße links liegen bleiben, mag ich durch das Scheiß-Lause-Sau Examen durchscheißen, das ist ja schließlich nicht so wesentlich - Es ist viel wesentlicher, daß ich mir treu bleibe." [Eintrag vom 18.11.1910] Der kleine Berliner Literaturrabauke gab sich offensichtlich privatschreibend eher nicht so als der Feinziselierte, aber Gott, er war jung - und wie waren denn zum Beispiel die Sex Pistols in dem Alter drauf. Dafür, wir schlagen den Schlenker zur Jahreszeit, versuchte er, seinen Freund Balcke aus dem Eis zu ziehen, ist wie so vieles im Leben eben manchmal trügerisch, das war am 16. Januar und danach waren gleich beide tot. Viele Seiten einer Person also und viele noch nicht recht fertig. Aber die Gedichte, Mann! Knaller.




Pathos wirkt ja, so hört man, leicht peinlich, man soll in unserer Ich-bin-meine-eigene-Pressemitteilung-Gesellschaft ja alles locker weglächeln und nicht einen auf Krawallbruder machen oder Rumgreinen. Aber das dunkle Grollen! Der hämmernde Ton eines düster mahlenden Aufgestanden ist er/Welcher lange schlief! (Jeden Morgen!) Das möchte man sich ungeschützt gar nicht von der Bühne herunterdeklamieren lassen. Da möchte man anschließend doch gleich mit jemandem Schlitten fahren! Leider, man begreift jetzt langsam meinen tiefen Kummer, besaß ich keine adäquate Ausgabe der Werke des jungen Explosionsdichters. Irgendwas Hübsches, Gebundenes, Haltbares zum gelegentlichen Nachlesen, Nachsprechen, Bilder klauen. Schaut man aber bei den einschlägigen Antiquariaten vorbei, sieht man, daß die Preise dort leicht in kongenial pathetische Höhen gehen.

So blieb mir dieser Klotz von 2001, der zwar alles enthält, aber unhandlich ist wie ein Telefonbuch, höchstens in den Augen seiner Mutter schön aussieht und die Anmutung eines Abreißkalenders ausstrahlt. Jetzt jedoch erreichte mich dieses tolle Geschenk: der Reprint von Umbra vitae, die Ausgabe von 1924 mit den Holzschnitten von Ernst Ludwig Kirchner, liebevoll betreut und gemeinsam mit einem fußnotenbewehrten Materialbändchen in einen schicken Schuber gepackt. Zu loben ist der Reclam-Verlag, der sich für dieses Wagnis auf unternehmerisch dünnes Eis begab, denn Bestseller sehen natürlich anders aus. Hätte Heym Bücher geschrieben wie Geh, wohin das Eis dich trägt oder Nachteis in Lissabon... es wäre eine andere Geschichte. So ist es ein großer, seltener Schatz zum Blättern und Staunen, zum Nachlesen und sich selbst halblaut in den Schlaf deklamieren.


 


Montag, 11. Januar 2010


Spuren legen





Dem Rotkäppchen in den Winterwald folgen. Ein Frostlied auf den Lippen, während ich mit jedem Schritt größer werde, so sammelt der Schnee sich unter den Sohlen. Ein frostiger Riese, Eiszapfen in den verwaigelten Augenbrauen, grimmig puste ich Atemwolken in das weiße Geflirr. Am Grenzhäuschen vorbeipumpen, sich im Hochwald verlaufen, verwalsern, spurlose Waisen, mit klammen Fingern die letzte Leuchtrakete suchen. Sich so eingraben, daß kein Suchtrupp mich findet, Bernhardiner ihre Fäßchen nicht bringen. Wie der Schnee unter den Schritten knirscht, quietscht und knarzt und harscht. Wie es nicht hell wird, wie jeder Schritt in den Neuschnee gleich alles Unbefleckte zerstört. Destroy everything you touch.


 


Sonntag, 10. Januar 2010


Nicht genug Winter

You held at arms length.
You so afraid.
You by the waterfront.

(The Black Heart Procession, "Waterfront".)

Die Rüge der Freundin, die Mahnung. Die Erinnerung, als man noch betrunken bloggen konnte wie ein wettergegerbter Fischer aus Kanada, der nicht weiter als bis zu seinen Stiefeln spuckt. Ohne Mütze, Hut und Mantel, und ohne Rahmengeflecht. Morgens zieht die Bahn ihr verwischtes Bild am Fenster. Schnee im Hafen, Grau unter Grau, gegenüber kichert eine Gruppe Mädchen, die fröhlich die Schule schwänzen. An den Landungsbrücken stolpern sie hinaus mit ihren sternenbeklebten Schuh'n. Schnuppen im Schnee, stapfende Waisen, und irgendwann so bald schon eine weitere verfrorene Erinnerung. Ich erinnere nichts, male jeden Raum neu, mit schleppendem Gesang, die Wände, die Decken, schleife die frostigen Böden ab. "But memories can walk." (Rowland S. Howard, "Marry Me")

Es sind die Momentaufnahmen, die anatomischen Splitter, strukturlos, keine Reise, auf die man jemanden mitnimmt. Die schönen blonden Russinnen hier in der U-Bahn, wie man immer gleich "Mafia" mitdenkt, wie man selbst nur ein Moment in der Nacht ist.

Leidenschaft (Beta Version), dazu die Ratgeberseite "Lachen ohne Führerschein". Das letzte Bild, der letzte Satz, den man veröffentlicht, wenn die Bombe fällt. Weißt du ihn? Ach ja, weißt du ihn? Alles ist tragbar. Die Musik ist tragbar. Das Telefon ist tragbar. Der Kaffee ist tragbar. Nur die Liebe nicht. Die ist nicht tragbar. Die will ihren Platz.


>>> Geräusch des Tages: The Black Heart Procession, Waterfront