Heymwerken

Das Wetter ist ja hervorragend geeignet zum Schneeengelmachen. Oder lesen. Die alten Vertrauten, Georg Heym - ich bin da ein großer Freund - Schöpfer solch unvergessen reflektierter Tagebuchzeilen wie "Mag die juristische Scheiße links liegen bleiben, mag ich durch das Scheiß-Lause-Sau Examen durchscheißen, das ist ja schließlich nicht so wesentlich - Es ist viel wesentlicher, daß ich mir treu bleibe." [Eintrag vom 18.11.1910] Der kleine Berliner Literaturrabauke gab sich offensichtlich privatschreibend eher nicht so als der Feinziselierte, aber Gott, er war jung - und wie waren denn zum Beispiel die Sex Pistols in dem Alter drauf. Dafür, wir schlagen den Schlenker zur Jahreszeit, versuchte er, seinen Freund Balcke aus dem Eis zu ziehen, ist wie so vieles im Leben eben manchmal trügerisch, das war am 16. Januar und danach waren gleich beide tot. Viele Seiten einer Person also und viele noch nicht recht fertig. Aber die Gedichte, Mann! Knaller.




Pathos wirkt ja, so hört man, leicht peinlich, man soll in unserer Ich-bin-meine-eigene-Pressemitteilung-Gesellschaft ja alles locker weglächeln und nicht einen auf Krawallbruder machen oder Rumgreinen. Aber das dunkle Grollen! Der hämmernde Ton eines düster mahlenden Aufgestanden ist er/Welcher lange schlief! (Jeden Morgen!) Das möchte man sich ungeschützt gar nicht von der Bühne herunterdeklamieren lassen. Da möchte man anschließend doch gleich mit jemandem Schlitten fahren! Leider, man begreift jetzt langsam meinen tiefen Kummer, besaß ich keine adäquate Ausgabe der Werke des jungen Explosionsdichters. Irgendwas Hübsches, Gebundenes, Haltbares zum gelegentlichen Nachlesen, Nachsprechen, Bilder klauen. Schaut man aber bei den einschlägigen Antiquariaten vorbei, sieht man, daß die Preise dort leicht in kongenial pathetische Höhen gehen.

So blieb mir dieser Klotz von 2001, der zwar alles enthält, aber unhandlich ist wie ein Telefonbuch, höchstens in den Augen seiner Mutter schön aussieht und die Anmutung eines Abreißkalenders ausstrahlt. Jetzt jedoch erreichte mich dieses tolle Geschenk: der Reprint von Umbra vitae, die Ausgabe von 1924 mit den Holzschnitten von Ernst Ludwig Kirchner, liebevoll betreut und gemeinsam mit einem fußnotenbewehrten Materialbändchen in einen schicken Schuber gepackt. Zu loben ist der Reclam-Verlag, der sich für dieses Wagnis auf unternehmerisch dünnes Eis begab, denn Bestseller sehen natürlich anders aus. Hätte Heym Bücher geschrieben wie Geh, wohin das Eis dich trägt oder Nachteis in Lissabon... es wäre eine andere Geschichte. So ist es ein großer, seltener Schatz zum Blättern und Staunen, zum Nachlesen und sich selbst halblaut in den Schlaf deklamieren.

Ex Libris | 12:13h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
nnier - Mittwoch, 13. Januar 2010, 17:05
Oh, das sieht ja sagenhaft schön aus - Kirchner! Ich bin begeistert. Und das Tagebuchzitat: Weltliteratur. Wahrlich ein großartiges Geschenk.

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milk - Mittwoch, 13. Januar 2010, 18:20
Doordeal
Entschuldigen Sie den Überfall,

darf ich Ihren (Künstler)Namen auf die jungfräuliche Gästeliste schreiben und Ihre Anwesenheit erbeten?
Diesen Freitag in der "Hasenschaukel".

http://pics.livejournal.com/tflglobal/pic/00164et8/s640x480

Haben Sie einen Kurschatten? Möchte der mit? Plus 1 geht immer.

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kid37 - Mittwoch, 13. Januar 2010, 19:44
Das ist ja wunderbar, sehr gerne, vielen Dank. Ich hatte das schon entdeckt und angekreuzt, für den Fall, daß die Schneeverwehungen mich passieren lassen. Gerne mit Kulturschatten.

Herr Nnier, man hat selbst den einen farbigen Holzschnitt von Kirchner reproduziert, das ist wirklich erstaunlich aufwendig gemacht. Schade, daß es nicht weitere Bände gibt. Das Tagebuchzitat habe ich aus dem ansonsten ebenfalls sehr tollen "Georg Heym Lesebuch" von Heinz Rölleke, das derzeit aber vergriffen ist. Meine Ausgabe ist vor lauter Annotationen und Unterstreichungen aber nicht mehr gut lesbar.

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milk - Donnerstag, 14. Januar 2010, 16:56
nach Berliner Art
Wir machen's dann doch wieder anders.

Es wird kein Eintritt verlangt, jeder darf rein und mitmachen. Am Ende schreite ich dann langsam und erhaben die Reihen ab und halte einen Hut hin.
Eben typisch berliner "haste mal?" Art.

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kid37 - Donnerstag, 14. Januar 2010, 18:28
Mitmachen? Vergessen Sie nicht die "Hamburger Härte", nachher wird laut gesungen. Prima, klingt gut, ich halte Kleingeld bereit.

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milk - Freitag, 15. Januar 2010, 09:33
so ein Shanty Chor kommt immer gut!

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vert - Mittwoch, 13. Januar 2010, 18:32
lalala!
[hier stand ein ziemlich debiler kommentar, der mich ernsthaft an meinen lesefähigkeiten zweifeln ließ.]

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kid37 - Mittwoch, 13. Januar 2010, 19:35
No Games with Names, bitte.

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kid37 - Donnerstag, 14. Januar 2010, 18:29
Ich wunderte mich schon und überlegte, ob Sie irgendeine Überleitung zu "Stefan + George" basteln wollten.

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vert - Donnerstag, 14. Januar 2010, 18:58
das war mir offenbar eine nummer zu grosz.

(~17:30, da erwache ich gerade aus dem büroschlaf und wanke dann benommen nach hause. das nächste mal erst eine paar hände kaltes wasser ins gesicht!)

und hey, es hat noch niemand von heymwerkerkönigen schwadroniert...
(wenn sie mich nicht hätten.)

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kid37 - Freitag, 15. Januar 2010, 00:07
(Ja, da habe ich meine eigene Maxime bereits im Titel unterlaufen, da kann man mal wieder sehen.)

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vert - Freitag, 15. Januar 2010, 11:10
so sieht's aus.;-)
aber holzschnittartig gesehen geht das noch durch.

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gaga - Mittwoch, 13. Januar 2010, 23:58
Schneeengel machen
Schlingel.

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kid37 - Donnerstag, 14. Januar 2010, 11:27
Spuren legen. Und hoffentlich keine falschen Fährten.

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schachblaetter - Donnerstag, 14. Januar 2010, 12:50
Danke für das Juristenzitat, das ich zwischendurch jahrelang verblättert hatte.

Selbst benutze ich noch die Beck-Ausgabe, muss wohl aus den 1960-iger Jahren sein. Unglaublich, so ein kurzes Leben und vier Bände! Ich würde so gern wissen, was er noch geschrieben hätte. Man weiß so wenig.

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kid37 - Donnerstag, 14. Januar 2010, 18:30
Ach so, dann basiert wohl die Auswahl von Rölleke auch darauf, die ist jedenfalls auch aus dem Beck-Verlag. Alles vergriffen, schade.

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