
Montag, 4. September 2006
Alternativ können Sie auch die Vorgangsnummer
(unter dem Barcode oben rechts) manuell eingeben.
(Alternativ könnte ich auch einen Schreikrampf bekommen)
Wenn man so quer durch Europa fliegt, zwei Wochen sonnenflirrende Entspannung im Rücken, hier zwischenlandet, dort übernachtet, ist es manchmal nicht auf Anhieb klar, wo man sich gerade befindet. Noch da, schon hier oder womöglich in seiner eigenen Traumsequenz.
Als ich heute morgen an Deutschlands modernsten, aber nicht schönsten Bahnhof ein Ticket am Automaten kaufen mußte wollte, wurde mir aber bewußt: Wo immer ich auch bin, dort bin ich dann - und das kann nur hier sein.
Auf der Fahrt dann versöhnt mit dem Himmel. Graue Wolken, dazwischen aus aufgerissenen Schlündern tastende Finger der Sonne, vielleicht ein Schrei (Grita, Grita, Grita!), vielleicht eine mecklenburger Landschaft von einem Meister der Delfter Schule gemalt. Zu Hause dann leichter Niesel, weiteres Grau, Stapel voller Zeitungen, Briefe, Nachrichten und Geschehnisse in ihrer immer gleichen Trübnis. Und nicht einmal ein Käsebrot im Haus.
Chame depressa um médico! Ich gehe jetzt erst einmal einkaufen.

Donnerstag, 17. August 2006
Und auch nicht nach Hawaii.
Und niemals nicht nach Umbrien
Noch nicht mal an die Schlei.
(Aus: Lieder für fröhliche Trinker,
oder Tausend Tage ohne Käsebrot.
Hamburg, o.J.)
Ich bin absent. Ich nehme Täschchen, Sack & Pack und eine begleitende Hand (das eiskalte? Wir werden sehen), meinen Arzneimittelschrank gegen das Gelbe und das Blaue Fieber, die Dr.-Benway-Reiseambulanz für alle Fälle großer Not und das Bordbuch für die Stadt des Lichts. Eine Handtuch selbstverständlich. Mal zwei Wochen raus aus dem Ho-Ho und dem Buh-huh und hoffentlich auch aus dem Hö Hö. Wenn Wörter mit "Bl" anfangen, dann nur, weil man "blinkende Sterne" rufen will und nicht: "He took me off his blogroll, bloody bastard!" Lieber mal Sterne gucken, Kacheln zählen, an tote Seefahrer denken, die weiter kamen als ich je zuvor. Und, wichtiger noch: Das Herz in beide Hände nehmen.
Seid schön artig. Am Ende werdet Ihr alle gefragt.

Mittwoch, 16. August 2006
Sätze einfliegen lassen wie edle Wildware aus ferneren Ländern. Rare Kost, schnell verderblich, eingepackt in hölzerne Kisten voller Eis und Salz. Dann wegschlürfen, die zarten Teile rauspicken, ein kurzer Genuß vielleicht. Die Reste dann wie immer.
Schweinefraß.

Montag, 14. August 2006
Like the blister gonna get you
From waiting it out
(The Kills, "Ticket Man")
Mal ein bißchen Lärm machen wieder. Finger strecken und, hoho, die Arme auch! The Kills sehen nicht nur aus wie die Band, die ich hätte haben müssen. Sie haben auch eine tolle Webseite mit Oui-Ja-Brett, vielen Polaroids und Trish und Trash. Morbide Eleganz, aber spell it like Lässigkeit, nicht als Geputztes. Das ist nämlich schön, weil es so einfach gehalten ist, zwei Simplizissten vom Schweißspendedienst, ausgebüxte Schelmen aus der Lärmanstalt.
Fast wie hier also, wenn ich Gerätschaften oder Mobiliar die vier Stockwerke rauftrage oder wieder runter, einfach so, nur um mal WAS ZU TUN. Man muß, sollte - so lange man kann, natürlich nur - nämlich immer was tun. Gleich gehe ich zum Finanzamt. Denen will ich nichts tun, aber die brauchen es bei mir gar nicht erst probieren. Ich muß mich zu keinem Elefanten flüchten. Ich habe andere Methoden. (Zum Beispiel mit dem Fuß aufstampfen und ganz laut "Rock'n'Roll!" zu rufen.)
Und nun wieder Regen.
>>> Fried My Little Brains auf YouTube.

Sonntag, 13. August 2006
Während der Staubsauger gurgelnd und schnorchelnd meine Teppiche abweidet, kann ich mit der freien Hand noch nach weiteren Resten der Teeparty suchen. Passend dazu zeigt den Ringelstrumpf der Woche "Machina" auf dieser komischen Fotoseite.
Eine Grimm im Wunderland, ein märchenhaftes Überkreuz. Nichts, bei dem man aus dem Knien und Staunen gar nicht mehr herauskäme. Aber das ist ja auch ein wesentliches Merkmal des Märchens: Ihm sind alle Wunder normal.

Sonntag, 13. August 2006
Müde bin ich längst der Kellnerkerle,
Die uns mit blasierten Fratzen,
Höhnisch, schwarze Biere bringen
Und uns ganz verworren machen,
Daß wir nicht nach Hause finden.
(Alfred Lichtenstein, "Der Traurige". 1919.)
Lieber dem Regen lauschen, denke ich und setze mich ans offene Fenster. Der Sommer, der so groß war, hat sich etwas beruhigt. Die Tage sind kühler jetzt, die Nächte wieder dunkel. Nur ein paar Tage noch, dann will ich den letzten Schluck noch nehmen einer südlicheren Sonne. Heute schon einmal Lektüre herausgesucht, man nimmt sich ja immer so viel vor. Dostojevskis Aufzeichnungen aus einem Totenhaus, für lichterflirrende Stunden am Strand, eine Horst-Janssen-Biografie, um nach mal nachzulesen, wie das alles auch sein könnte. Onettis Leichensammler, für die trägen, heißeren Stunden ("Die Eröffnung eines Bordells in der Kleinstadt Santa María wird zum Skandal: Larsen 'Leichensammler', dem Besitzer des Etablissements, stehen nur drei ältliche Damen zur Verfügung.") Muß man mal sehen. Dazu noch ein Roman von Randy Taguchi, von dem ich jetzt schon weiß, daß ich ihn einfach dort lassen werde. Die Ausgabe hat ein gutes Format, um damit Mücken zu erschlagen.
Ich will von allem nichts mehr wissen. Ich will das Wissen nicht mehr wissen, brennende Flaggen, the days of love and torment/the nights of rock'n'roll, die Gebete voller Gewalt. Beim Aufräumen fielen mir alte Abzüge noch älterer Fotos in die Hände. Als hätte ich damals schon geahnt, daß mir die Negative dereinst gestohlen werden würden. Heute, drei oder vier oder zehn gefühlte Jahre später, voller anderer und eigener Fehler, Sünden und Vergehen, Jahre voller schlimmer und auch schöner Stunden, brauche ich nicht einmal mehr das schwarze Bier, kein dunkles Blut, um zu Vergessen und weniger noch, zum Erinnern.
"Rauch' nicht im Bett", sang Nina Simone zum Abschied und legte ihren Ehering auf die Kommode. Rauch' doch, wo du willst. Ich bin da sehr tolerant.

Freitag, 11. August 2006
Has Chewed & Spit Out my Heart
Unlock my Blood Pump
Unlock My Blood Pump
(Guitar Wolf, "Midnite Blood Pump")
Wie jedermann weiß, bin ich ein großer Freund gitarrengetriebener Energiemusik. Nur gepflegt muß sie sein, ist klar. Wie jedermann weiß, stehe ich auch gewissen japanischen Subkulturen nahe, ist ja keine Schande. Nun knüpft sich eins zum anderen, wenn man nur Guitar Wolf ins Haus läßt, sozusagen die Leningrad Cowboys Japans oder die Männerversion der 5, 6, 7, 8s. Mitsamt Kautschukkamm, Lederjacke und Link-Wray-Gitarre geben sie dem Rock das Roll zurück, und zwar selbst dann, wenn die Zombies kommen.
Der Film Wild Zero ist eine entsprechend launige Trash-Offenbarung und mixt ungeniert alle möglichen B-Film-Genres zu einem rasanten Motorrad-Kino-Fest. (Teenie-)Horror, Zombiefilm, Rock'n'Roll-Highschool, Gangstermovie, Ufo-Attacken aus dem All - du nennst es, du bekommst es. Unter der Regie von Tetsuro Takeuchi (gewieft als Musikclip-Regisseur) entpuppen sich die drei Jet-Generation-Rocker Guitar Wolf, Drum Wolf und der im letzten Jahr verstorbene Bass Wolf in slicke R'n'R-Helden, die bald die Welt vor übellaunigen Zombies retten müssen. Woher die kommen? Nun, eines Tages landet eine Armada fliegender Untertassen (Ed Wood läßt grüßen) und hinterläßt strahlende Meteorite mit fataler Wirkung. Das anschließende Geschlurfe, Gestöhne und Gesplatter ist für genreaffine Zuschauer sattsam bekannt, aber zum Glück mit abstrusen Storylinien unterfüttert, daß man gerne so lange ausharrt, bis sich der nächste Rocker lässig die Haare kämmt. Zur Hilfe eilt alsbald eine Art Burberry-Akimbo-Girl, das selbst unter der Dusche die Knarre nicht vergißt. Be prepared! - falls einmal nicht Norman Bates' Mutter, sondern blaugesichtige Zombies kommen. Sauber geduscht, frisch gekämmt, allzeit bereit - gegen solche Pioniertugenden können auch die Eltern nichts haben.
Dazwischen rocken Guitar Wolf immer mal wieder eine exaltierte Tanzschuppenmenge, schütteln das Riff zu Link Wrays "Rumble" aus dem Ärmel und schießen wütende Feuerstöße aus Mikrofone und Auspuffrohre. Großer hirnloser Spaß. Ganz wie im richtigen Leben also, denke ich bei mir, wenn ich abends noch schnell zur Nachttanke nebenan schlendere, um dort einen letzten Becher Kefir zu kaufen. Dort lungern sie dann oft herum, die Zombies an den Zapfsäulen, Kippe im Mund, Pulle in der Hand. Oder stehen mit ausdruckslosen Augen vor dem Kühlregal, mühsam die Aufschrift auf den bunten Umverpackungen buchstabierend. Sie sind unter uns und lange schon. Überleben kannst Du nur mit einem Taschenkamm und einem dreckigen Rock'n'Roll-Riff.
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(Wild Zero. Japan, 2000. Regie: Tetsuro Takeuchi. Vertrieb: Rapid Eyes Movies)
>>> Guitar Wolf krachen mit Japan-Space-Age-Rock'n'Roll auf YouTube.
