
Freitag, 27. Januar 2006
Als Schüler war er mein Bildungsminister, später mein "Landesvater". Noch später hielt ich mal seinen medizinischen Befund in den Händen. Im selben Stadtteil wie ich geboren, war er immer auch ein Mann "aus der Gegend", den man ab und an auf dem Weihnachtsmarkt traf. Jovial, privat und eigen zugleich.
Das bekam er zu spüren, als er bundesweit nicht gut ankam. Spöttisch wurde er als skatspielender, bibelfester "Bruder Johannes" abgetan, der "Versöhnen statt Spalten" predigte, wo viele lieber eine verbale Faust auf dem Tisch gesehen hätten. Dabei hat er in NRW eine Menge Scheite gespalten: Daß er Beuys aus der Düsseldorfer Akademie feuerte, ist dabei noch die amüsanteste Anekdote.
Man ahnte es schon lange, und heute war es dann so weit. Ich stelle fest, für mich: Da tritt nun nach und nach eine Generation ab, die mich lange Jahre meines Lebens begleitet hat. Zum Wohle oder nicht, wer will das wissen. Man sieht die Lücken und merkt die Zeit, auf die man selber schon zurückblicken kann.
Eine andere Zeit, vielleicht auch eine andere Welt. Ganz altmodisch also und zum Schluß: Gott zum Gruße, Herr Rau.

Donnerstag, 26. Januar 2006
Es gibt Leute, welche die Technik so ziemlich für jedes Übel in unserer Zeit verantwortlich machen. Sie würden sicherlich nichts dagegen haben, die Geschichte der Technik mit dem bekannten Motto vom "Fluch der bösen Tat" zu überschreiben. Tatsächlich ruft nahezu jeder technische Fortschritt nach einem neuen, wenn man ihn gebührend ausnutzen will.
(Hanns Günther. Im Reiche Röntgens. Stuttgart, 1930.)

Dienstag, 24. Januar 2006
Natürlich hat man das in Berlin alles schon gesehen. Mööönsch, Berlin, alles schon gesehen! Für die zurückhaltende Hansestadt war eben gestern erst Preview für große Dinge auf größeren Leinwänden: Matthew Barneys Cremaster Cycle wird im Februar in allen fünf Teilen im Hamburger Abaton-Kino gezeigt.
Vor Jahren sah ich Teile von Cremaster 3 in Köln, danach kreuzten nur noch Fotos und Gerüchte der übrigen Teile meine interessierten Wege.
Der US-Amerikaner Matthew Barney wird dieses Jahr auch in der Jury der Berlinale (Möööönsch, Berlin, wieder!) sitzen, ist einem akustisch interessierterem Publikum aber als Künstler und Ehemann von Frau Gudmundsdottir bekannt, einer leidlich auffälligen Sängerin aus Island.
Der erste Teil von Cremaster zeigt Schuhe von Manolo Blahnik und tanzende Weintrauben. Die fallen aus dem Schuh, während auf einem Footballfeld die Modenymphen Formationen bilden. Ganz toll, dauert nur 40 Minuten und wenn es draußen so kalt ist wie jetzt und im Kino dunkel und warm, dann kann man auch schon mal fünf Minuten entschlummern, ohne viel zu verpassen.
Jedenfalls begann dann ansatzlos Teil 2.
Da wird viel Transformiert und Metamorphosiert und schräge amerikanische Pop-Helden durch monumentale Landschaften geführt: Gary Gilmore (kennt noch jemand die Adverts?) und Harry Houdini (gespielt von Norman Mailer) werden zu Szenen aus Mailers The Executioner's Song vom Mormon Tabernacle Choir besungen, während eine Bienenkönigin dem Entfesselungskünstler unsittliche Anträge macht. Heben und Senken eben. Ach ja, Sex mit einem, nennen wir es mal, "Wesen, gibt es auch. Schön, schön, denkt man und wahrscheinlich voll mit tieferen Gedanken, während man andererseits den Eindruck hegt, hier Material zu sehen, das bei David Lynch und Peter Greenaway links und rechts vom Schneidetisch gefallen ist. Aber schon stark und hingabefordernd, wie es sich für große Kunst gehört.
Leider war ich ohne Filz und Honigpumpe im Kino, so daß gegen Ende - just als man es liebgewonnen hatte! - doch ein Frösteln und ein begehrliches Schokoladerascheln durch die Reihen ging.
Wie es weitergeht, zeigen Teil 3 bis 5, für die man aber noch bis Februar warten muß. Halbnackte Frauen, fantastische Charaktere, schräge Kostüme, symbolkräftige Bilder und irrwitzige Dekors halten dann aber jeden wach.
(Matthew Barney, Cremaster Cycle ab 5. Februar 2006 in Hamburg, ab 1. März 2006 in Suttgart, ab 12. April 2006 in Frankfurt)

Montag, 23. Januar 2006

Später, nach anderen Wegen, die alten Wege. Spuren finden: Etwas Vergessenes, etwas Verlorenes. Mal in anderen Schuhen gehen, wenn man diese alten nicht mehr braucht.
Die kurzen Worte, die wieder dahin führen. Das falsch bleibt, was falsch war und man wieder nur das Falsche tut. Am Strand ein Zettel, voller Hoffnung:
Ich brauche keine Schuhe mehr. Irgendwo ist einer, der mich trägt.
Gehen, gehen lassen. Und überall nur freiwillig bleiben.

Freitag, 20. Januar 2006
Damit es nicht heißt, Radio, Radio - und wo bleibt der Kulturbeitrag?
Alfred Döblin als Radiobastler, bitteschön.

Freitag, 20. Januar 2006
The things that we’ve learnt are no longer enough.
No language, just sound, that’s all we need know,
To synchronise love to the beat of the show.
And we could dance.
(Joy Division, "Transmission")
Heimwerkblogger wären entzückt: Im hermetischen Café waren Basteltage angesagt. Mein einst günstig erworbener alter Radiowecker von Toshiba, sozusagen meine graue Verbeugung vor dem Pantone- Design, hatte durch Alter und mehrere Umzüge schlapp gemacht.
Nun waren einer meiner Vorsätze für das neue Jahr, endlich wieder zeitiger in der Gartenzwergfabrik zu erscheinen, um nicht länger den Spott der Kollegen ertragen zu müssen, die immer wieder einmal mit kaum verstellter Häme fragen, ob ich nun halbtags arbeiten würde.
Da der kleine Motor des Klick-Klack-Uhrwerks sich nicht mehr zum Leben erwecken ließ, besorgte mir Väterchen Kid aus dem schier unendlichen Fundus eines alten Radiosammlers ein komplettes Uhrwerk mit passenden Digitalklappziffern als Ersatz. Den ein derart gesuchtes Stück gibt man nicht so einfach auf. Und seit meinen ersten Operationen, habe ich viel dazugelernt.
Heute nun war der große Tag. Mit ordentlichem Werkzeug, Aortaklemmen, Zange, Lötkolben und Nervenstärke bestückt machte ich mich gleich Christian Barnaard vor seiner ersten Herztransplantation ans frohe Werk. Der Korpus wurde mit mutigen und kräftigen Handgriffen geöffnet. Schon lag das fragile Innenleben vor mir: das ehemals pochende Herz Uhrwerk tot und still, die Lebensadern schlaff herabhängendend. Mit der Zange löste ich sie nach und nach, bis ich zum Schluß die Aterien das Hauptkabel trennte. Die heikle Frage Roter Draht? Grüner Draht? war schnell gelöst: Natürlich der gelbe, das lernt man schließlich in Actionthrillern.
Das Ersatzherz lag steril verpackt parat, bereit zur Transplantation. Exakt passte es in den hohlen Brustkorb meines Radios. Schnell verlötete ich die Drähte (ich hatte die Reste extra stehenlassen, um die unterschiedlichen Farben später zuordnen zu können) mit heißem Schmelz und kühnem Mut, später wurde alles ordentlich isoliert. Denn Sicherheit ist Bastlerpflicht.
Alles brummt, alles summt. Dr. Frankenkid hat gute Arbeit geleistet. Dieser Wecker säuselt mich nun mit den letzten Kulturnachrichten auf DLF in den Schlaf - und weckt morgens Tote.

Mittwoch, 18. Januar 2006
