Montag, 27. Juni 2005
Morgen dann, im Büro.
Wenn das Charles Manson noch hätte erleben dürfen. "Hol dir Helter Skelter als Klingelton!" Aber ich vermute, Charles Manson hat gar kein Mobiltelefon.
"Led Zeppelin waren ja die ersten, die ihre Gitarren auf der Bühne zerschlugen", behauptet die Musikindustrie im Namen von Thomas Stein oder umgekehrt.
Die Wer? möchte man da nicht fragen, sondern imperativ rufen. "Maximum R&B", manche werden das Poster noch haben, ich bin jetzt zu krank, um davor zu posieren.
Im Fiebertraum hat man die merkwürdigsten Eingebungen. Einer sagt "Pöbel", und ich rufe "Typecasting". Versteht ihr nicht, denkt gar nicht erst darüber nach. Dazwischen schieben sich "Pictures of Lily", aber die sexuellen Sachen lasse ich lieber weg, sonst muß ich wieder bei Frau Gaga auf die Couch, und das strengt mich jetzt zu sehr an. Ab morgen wird das große Zerfließen beginnen. Literweise Schleim, Phlegm und Schweiß werden mir entströmen, da müssen sich nicht noch Blut und Tränen dazumischen.
Offensichtlich - man beachte das Datum! - bin ich ein Kandidat für die Sommererkältung. Das kommt davon, wenn man vor dem 15. Juli den Schal wegläßt. Immerhin sind alle Finger noch dran, und, fast noch besser, der Kopf auch. Danke für die guten Wünsche, das weiß ich zu schätzen. Ich kannte mal eine Frau, die hat mir bei Krankheit um fünf Uhr morgens Geschenke vor die Tür gestellt, damit es mir rasch besser wird. Das fand ich sehr rührend. Bis ich merkte, daß es meine eigenen waren. Ich wurde trotzdem gesund. Denke ich.
Mein Kopf, heißer als eine Backkartoffel und größer als ein Fesselballon muß nun zurück zwischen die weißen, kühlen Laken. Ich denke, ein verrunzeltes Männchen möchte, wie bereits gestern Nacht, meinen Schlaf damit begleiten, mir mit einem silbernen Hämmerchen rhythmisch auf die Stirn zu schlagen.
Samstag, 25. Juni 2005
So, gerade habe ich mal eine kleine Mitternachtstrunde um den Block gedreht und dabei das Freibad gegenüber ausbaldowert. Da ist um diese Tageszeit fast soviel los, wie nachmittags. Wenn das Bäderland schlau wäre, würden die Mitternachtsschwimmen ganz offiziell anbieten. So klettert man halt über den Zaun und spart ein paar Euro.
Ist eine lustige bunte Truppe dort versammelt. Ein wenig muß man sich vor undisziplinierten Quer- und Seiteneinsteigernspringern in acht nehmen. Aber ich habe mir die Jungs gleich mal, wie es meine Art ist, herangepfiffen und ein paar Regeln eingeführt. Turmsprünge jetzt also nur noch im Viertelstundentakt und vor allem, Mädchen links im Becken, Jungen rechts.
Da es sich in der Mehrzahl um junge Russen und Mitglieder anderer Nationalitäten handelte, taten sich ein paar Sprach- und Verständnisbarrieren auf. (Lost in Translation, sage ich doch.) Ein wenig war mir sogar, als wolle man mir bedeuten, jetzt besser mal Leine zu ziehen. Deshalb bin ich auch so schnell wieder hier. Aber das ist normal, Lernerfolg stellt sich nicht auf einmal ein.
Tolle Sache. Ich möchte behaupten, daß meine Wohnung nun auch über einen extendieren Pool verfügt. Sagt es aber keinem weiter.
Freitag, 24. Juni 2005
So, ihr kleinen Hobby-Nietzscheaner. Heute schon alle Werte umgestürzt? Ins Waschbecken gepinkelt und für einen kurzen Moment geglaubt, die Revolution sei bereits da? Brav. Gleich noch auf den Stammtisch klopfen, dann wird das schon. Die Tage kamen mir die imposant bibeltreuen Verse einer Blogbetreiberin, die ihr Ladengeschäft bei einem großen österreichischen Anbieter besorgt, merkwürdig bekannt vor. Womöglich weiß ich die emphatischen Worte neulich erst jetzt richtig zu würdigen. Das aber nur so dahergesagt, ins Blaue quasi und das ist heute ja besonders, man könnte sagen, azur'n. Ich komme da vielleicht noch mal drauf zurück, an einem Mittwoch, wenn es denn wieder heißt:
"Moral 2000 - Die Stunde der Selbstgerechten!"
Dann las ich, woanders aber, Männer spielten entweder Newton oder Jesus (oder beides), auch so ein Stammtischspruch, aber wahr. (Wahr deshalb, weil er mir gefiel, sonst wäre er ja unwahr.) Entweder lese ich zuviel oder zu wenig in Blogs, scheint mir. Es perlt allerorten.
So recht kann ich mich aber nicht um alles kümmern, denn,
entschuldigt mich, ich muß am Wochenende nach Japan. Die Bewegung der Gothic Lolitas nimmt immer größere Ausmaße an. Wie immer, wenn es um skurille japanische Subkulturen geht, mehr als interessant, überdreht und faszinierend. Man halte seine Kamera bereit. Die Gothic Lolitas, die selbstverständlich alle Dir en Grey hören, sind immerhin eine augenfreundliche Edward-Gorey-Variante der quietschbunten Decorer.
Der Ringelstrumpf-Content ist zudem extrem hoch, das sind eben sehr vernünftige junge Frauen mit Stil und Geschmack. Ich sollte vielleicht die Dornenkrone übers Wochenende ablegen, Umsturz Umsturz sein lassen und ein wenig Lost in Translation üben. An dogmatisch-französischen Richtungsstreit gewöhnt man sich eh noch früh genug.
Leicht erkältet bin ich auch, üblicherweise kein Launeheber und zudem ein unfeiner Wochenausklang. Das kommt davon, wenn man bis spät nachts halbnackt auf dem Vordach hockt und Motorbooten beim Vorbeituckern zuschaut. Es ist halt doch etwas zugig so allein am Kreuz.
Donnerstag, 23. Juni 2005
Früher hatte ich oft Schwierigkeiten, meine Mitbewohner für sogenannte "Videoabende" zu begeistern. Mal lag es an mir, öfter wohl am Film. Selbst Bollywood- Epen sind nicht der Geschmack jeder Frau, wie ich unlängst feststellte. Das mag aber auch daran liegen, daß ich darauf bestand, in ein buntes Tuch gehüllt die Tanzszenen mitzutanzen. Umso erfreuter war ich, als ich letzte Woche zum Suizidfilmgucken geladen war. Die Frau auf der Brücke, endlich als DVD erhältlich, war in der Tat eine kleine Entdeckung.
Die naive Adèle (Vanessa Paradis) sucht nach Liebe und Glück, wirft sich jedem in die Arme und steht eines Nachts auf einer Seinebrücke, um ihrem Leben ein Ende zu setzen. Messerwerfer Gabor (César für Daniel Auteuil) spricht dort gewohnheitsmäßig Selbstmordkandidatinnen an, denn diese Frauen sind in der Regel williger, seine Zielscheibe zu werden. Die beiden werden ein Team und ihre Auftritte bald stürmisch gefeiert. Adèle erlebt eine sagenhafte Glückssträne und räumt nach den Varietévorstellungen in den Casinos ab. Doch immer noch sucht die labile Frau nach dem "Richtigen", gibt sich jedem hin, der sie anlächelt. Gabor erträgt es - bis Adèle mit dem just vermählten Griechen Takis durchbrennt...
Wie in französischen Filmen üblich, wird natürlich viel geredet, über die Liebe, über das Glück - aber der Topos vom gebrochenen Künstler und dem schönen Mädchen, das nur für die Liebe lebt, ist in poetischer Schwarzweißfotografie und aufregenden Dekors wunderbar in Szene gesetzt. Das Messerwerfen ist völlig zurecht als hocherotischer Akt dargestellt: Vanessa Paradis zittert, erschauert und stöhnt, wenn sich die glänzenden schwingenden Klingen neben ihr tief ins Holz bohren. Sag ich doch.
Ich muß mal wieder mehr an der Brücke hier hinterm Haus rumlungern.
Die Frau auf der Brücke (La Fille sur le Pont, F 1999. Regie: Patrice Leconte)
Mittwoch, 22. Juni 2005
Obwohl ich gestern sturzbetrunken schwer angeschickert reichlich erheitert war, habe ich heute keinen Kater. Vielleicht weil ich so viel gelacht habe.
Ich bin vorsichtig mit Glaubensäußerungen, das ist ja oft nur ein Deckmantel. Aber ich halte das für ein gutes Zeichen.
Guten Tag.
Sonnenwende am Timmendorfer Strand. Ja, das ruft Erinnerungen wach, aber nevermind, nur leise, nicht laut. Nicht in diesem Blog. Unter der Woche kann man sich sogar in überlaufene Ostseebadeorte wagen. Also flugs den roten Aufsitzrasenmäher beladen und ab ins gleißende Licht. Wasser, Mittwend-Sonne und halbnackte Körper, die sich vollmondexaltiert im angewärmten Sand wälzen. An der Kante des Wassers suchen wir den Hühnergott.
Das sämige Ananaseis entschädigt für frühere Besuche in eisiger Kälte, in Zeiten, in denen sich gar nichts mehr regt. Das letzte Mal, als ich im Sommer auf Rügen die Ostsee besuchte, hatte ich den Job als Kofferträger der ehemaligen Miss Mecklenburg. Immer respektvoll zwei Meter dahinter, nur Ohr, Hand, nicht Mund. Aber das ist zum Glück lange her, dieser Rabe lange davongeflattert.
Hingegen wie schön heute das entspannte Flanieren, der verstaubte Glanz der alten Boutiquen. Unter der Seebrücke pfeift Teenagerliebe. Die Lolitas des Ortes, die jungen Gecken. Von der Brücke springen ein paar bronzegefärbte Jünglinge mit runtergelassenen Hosen hinab in die See. "Arschbombe!" rufen sie, die Mädchen halten sich kichernd die Augen mit gespreizten Fingern zu. Heute ist Sonnenwende, da wird Holz brennen und ein harziger Geruch sich verbreiten.
Und hie und da, unten am Strand, fließt ein wenig Blut.
Dienstag, 21. Juni 2005
You feel lost,
And you feel slow...
It's time to go
You can leave this place
And all you know
(Weevil, "Silver Rails")
Durch den leichten Regen fahren, feuchte Raine. Der ICE frißt sich durch die Landschaft wie eine Made auf Ecstasy. Melancholie kauert auf dem freien Sitz neben mir, flüstert mir die Worte eines halbvergessenen Liedes ins Ohr. Weevil. Silver Rails. Auf dem Mobiltelefon ist eine alte eMail gespeichert, mir zur Erinnerung. Der Text nennt ein Datum und "Zwei Jahre Verachtung". Ich wußte nie, sollte es ein Vorwurf sein oder eine Selbstbezichtigung.
Draußen verwischt die Landschaft. Der Zug bohrt sich ins Ruhrgebiet. Alte Heimat. Dortmund zeigt ein graues Gesicht. Aber wo ist es schon so schön wie hier? In der Nacht, wenn die Lichter der Industrieanlagen die Wege säumen, weiß ich, ich bin hier, genau hier. "Eighties, the Eighties..." ( "Silver Rail")
Erinnerungen. Das große U, nur noch ein Rest auf einem ausgebombten Haus. Ein Schatten. Sag, was machst du?
Freitag, 17. Juni 2005
Frau Death fragte neulich danach. Hier also der Schirm meiner schönen neuen Stehlampe. Eine alte Industrielampe an einem mittlerweilen rostig geworden Eisengestänge (mit Gelenk), komplett am Tragbalken herausgesägt. Das Balkenstück, an dem die Lampe einst aufgehängt war, dient nun als Fußteil. Schönes Detail: ein Drehschalter aus Bakelit am Ende des Emailleschirms schaltet die Lampe an und aus. Komme mir keiner mit Manufactum. Patina, Wertigkeit und Geschichte liefern die nicht mit.
Die Lampe kostete 4,50 Euro. Für den Koffer wollte der Händler deutlich mehr sehen, zehn Euro war seine Erwiderung auf meine gebotenen fünf. Nach einigem Hin und Her einigten wir uns auf sechs. Schließlich gibt es immer wieder das eine oder andere zu bemängeln. Und das tue ich dann auch. "Gerber Koffer sehen die Welt" verspricht das dreieckige Metallschild an einer Seite. Dafür ist er noch ziemlich gut erhalten. Im Inneren ist eine Teleskopstange angebracht, an der man Hemden oder Korsagen aufhängen kann. Ein Ring mit zwei Schlüsseln fand sich beim Saubermachen auch noch. Zusammen mit der Stehlampe rundet das hübsche Stück nun meine Leseecke ab.
So sitze ich, zwischen Rost und den abgewetzten Erinnerungen vergangener Reisen anderer Menschen und blättere in Büchern und Magazinen, den Versprechen auf eigene Reisen. Und die beginnen ja bekanntlich im Kopf. Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft - das ist doch alles eins. Im Traum geht immer alles ganz schnell und unendlich langsam zugleich.