Mittwoch, 15. Juni 2005


Wie sonst nur Dieter Bohlen

Ein wenig befremdlich. Da lobt man einen Wettbewerb aus und diffamiert dann die Teilnehmer als eher irrelevant. Tja, manchmal möchte sich wohl auch die Regierung ein anderes Volk wählen.

Vielleicht eine Stilfrage. Zum Glück habe ich für so was keine Zeit.


 


Dienstag, 14. Juni 2005


My Private Tokyo

100 Fotos aus dem Tokyo Kosupure Project von Otto Mittmannsgruber (via Ecrivains).

Schräges, Schönes, Street-Life, Subculture, Idol-Art - und der Impuls, einen Urlaub zu planen. Turning Japanese. Mehr Besessenheit, bitte. Obsession Bizarr. Raus aus dem blakigen Leben und mehr Entgrenzung. Jetzt. Stoische Ekstase, das wär's. Mein hara mit dem Messer umrühren. Sonntag morgen lief im Deutschlandfunk ein Bericht über einen Langstreckenschwimmer. Sein Ziel ist es, den Rekord für die Kanalüberquerung zu brechen, ehe er zu alt ist. Dann, wenn der Kampf gegen die Elemente endgültig aussichtslos sein wird. Träume. Franz Kafka, "Wunsch, Indianer zu werden".

Wenn man doch ein Indianer wäre, gleich bereit, und auf dem rennenden Pferde, schief in der Luft, immer wieder kurz erzitterte über dem zitternden Boden, bis man die Sporen ließ, denn es gab keine Sporen, bis man die Zügel wegwarf, denn es gab keine Zügel, und kaum das Land vor sich als glattgemähte Heide sah, schon ohne Pferdehals und Pferdekopf.

Ach, jede Wette, This Is Going To Make You Freak.


 


Montag, 13. Juni 2005


Plaisirs du Week-end

Floria Sigismondi war am Wochenende zum Tee im Hermetischen Café, und wir haben ein wenig mit der Videocamera gespielt. So also geht das hier ab, wenn die Kid Spencer Blues Explosion die Belegschaft aufmischt. Und wie immer ist kein Werwolf bei der Produktion des Films zu Schaden gekommen.

She said! (Quicktime)

Radau | von kid37 um 01:18h | 4 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 



Der gefundene Satz, 19

"An artist's life is very selfish. But it's thrilling to create something, and you need a certain set-up for the process to take place. You can`t have a lot of obligations."

"It's not a hardship for me. It`s only a hardship for me if I see I'm hurting other people. But maybe they were holding me back."

(David Lynch)


 


Samstag, 11. Juni 2005


Nightmare on Tour

Im Herbst beginnt ein neues Kapitel von Nightmare
before Christmas
. In New Jersey findet nämlich rund um meinen Geburtstag (sehr aufmerksam) das gleichnamige Festival statt. Dann dürfte es auch nicht mehr lange bis zur Premiere des hier schon mal erwähnten und angeschmachteten neuen Animationsfilms von Tim Burton dauern. Denn, und das ist die nächste gute Nachricht, in nicht mal zwei Wochen werden die Tage wieder kürzer - und dann ist es bekanntlich nicht mehr lang bis zur schönsten Zeit des Jahres: dem Herbst. Merklich kühler ist es ja bereits geworden.

Und gleich drauf, aber das wißt ihr ja alle, folgt für die braven Kinder Weihnachten.

Super 8 | von kid37 um 02:23h | 16 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Samstag, 11. Juni 2005


Liebe Editoren,

ein bißchen mehr Augenmaß und Sensibilität beim Zusammenkleben des Lokalblättchens bitte. Danke.


 



Mal schauen

Katastrophe! Die Dresden Dolls spielen unberingelstrumpft auf dem Hurricane-Festival. Ein Grund, sein Geld zurückzuverlangen, finden wir hier vom Hermetischen Café und wenden unsere Blicke auf andere schöne Dinge:

Da gibt es beispielsweise sehr schönes mechanisches Spielzeug und weitere sinnlose Ideen. (via Scheinriese)

Nächster Halt: Handcolorierte Ansichten von London Underground. Leider am Computer coloriert, nicht auf klassische Weise mit Eiweißlasur auf Barytpapier. Dennoch.

Links, Ideen, Bilder und Konzerteindrücke kann man auch in seinem Notizbuch festhalten. Ein Moleskin muß es nicht sein, aber Papier, Stift und Klebstoff haben eben ihre eigenen Reize. Eben etwas Nicht-virtuelles. Fühlt sich gut an. Wie das Kleid eines Mädchens bei Sonnenuntergang. Zurück zur Musik...


 



Editors

Ein wenig klingen die ja wie Coldplay auf Speed, aber die Nähe zu Interpol et al. ist unverkennbar. Der Hype ist bereits auch ein ähnlicher. Bald werden die wahrscheinlich ebenso unausstehlich sein.

Trotzdem erst einmal nett, mehr Rickenbacker und weniger prätentiös das Ganze.

(Siehe auch beim immer so findigen Herrn Waldar)

Radau | von kid37 um 02:32h | 5 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Donnerstag, 9. Juni 2005


Vom Lesen und Lernen, II

Ausgebombt

Wahre Werte und eine antiidyllische Lebensanschaung vermittelte mir das zweite wichtige Buch in meinem Leben: Der bunte Tag. Dieses Lesebuch "für Volksschulen" (3. und 4. Klasse) stammt von 1951/54, war damit über zehn Jahre älter als ich und vermittelte in Gedichten, Märchen und Erzählungen einen Blick auf eine Welt, in der harte Arbeit wahren Lohn brachte. Grimmig und unsentimental ging es zur Sache, eben ganz wie daheim.

"Ich hatte sieben Geschwister", beginnt die erste Geschichte, die von den Steckrübentagen gegen Ausgang des Winters erzählt. Das "Abenteuer auf der Eisenbahn" beschreibt,wie fast ein großes Unglück passiert wäre, weil Kinder mit einem leerstehenden Waggon spielten. Schön ist auch "Der Verkehrsteufel":

Schrumdibumm, schrummdibum,
täglich bring ich ein paar um.
Schreibt's euch hinter beide Ohren:
Wer nicht aufpaßt, ist verloren!

Die Geschichte beginnt mit einem Satz voller Zeitkolorit für jemanden, der selbst noch auf Trümmergrundstücken spielte: "Als Kasper, der Freund der Kinder, in die zerbombte Stadt zurückkam, schickte er sich an, den Verkehrsteufel zu fangen."

Dieser finstere Geselle frönt einem makabren Spaß: "Der Schrei der Überfahrenen, das Wimmern der Verletzten ist Musik in meinen Ohren." Dann lockt er Kinder auf die Straße und... Ja, das waren Sätze, die mich bang und bänger machten. Verkehrserziehung war damals keine Kuschelpädagogik!


Andere Geschichten tragen Titel wie "Aus dem Tag einer Schaffnerin", "Mittags am Fabriktor" (wie den arbeitenden Vätern und Brüdern der Henkelmann gebracht wird), "An der Tankstelle", "Beim Kohlenbrenner" oder "Wie ich das Industrieland lieben lernte". Da wird über die Hochöfen und Stahlwerke, das Land und die Leute im Ruhrgebiet geschrieben: "Du wirst nachdenklich und still, wenn du das gewaltige Werk siehst. Der Mann im grauen Arbeitskleid ist unser Freund und Kamerad. Wer das Industrieland richtig kennenlernt, der muß es auch bald gern haben."

Dazwischen sind Märchen, Lieder und Gedichte gestreut. Bürger, Hebel, die Brüder Grimm, Storm und Rosegger sind die Autoren. Bis heute beeindruckt haben mich als Knirps die vielfältigen Geschichten über Behinderte und Außenseiter. "Der dumme Frieder" z.B. ist so einer, der immer gehänselt wird, sich am Ende aber als Held erweist, oder Arabella, das Zirkuskind, das von den anderen argwöhnisch betrachtet wird. Echte Tearjerker aber sind die Geschichten von den Bethelkindern. So wie die, in der "Mariechen", das Mädchen mit dem riesigen Wasserkopf, und das gehbehinderte "Fritzchen" Weihnachten feiern.

"Im dritten Jahr des großen Krieges lagen in einem Krankenzimmer von Bethel zwei Kinder." Da rührt sich was, bei arbeitsscheuen Hypochondern und anderen lesenden Sentimentalisten. Ab und an kamen mit einem weiteren Blick auf die damalige Alltagswirklichkeit Kriegsverwundete zu Besuch:

Ein blutjunger Bayer [...] hatte ein Bein verloren, dazu fast das ganze Augenlicht, auch sein Leib war schwer zerschossen. Er fragte Mariechen, ob es nicht schrecklich sei, jahraus, jahrein so still liegen zu müssen. "Ach, sagte Mariechen, und ihre helle Stimme schallte durch den ganzen Raum, "man muß eben geduldig sein."

Peter kommt ins Krüppelheim

Jaja, Geduld. Dulden und so weiter - das fand der "junge Bayer" dann auch. Ergreifend. Nicht jammern, weitermachen, Ruhe als erste Bürgerpflicht - so waren sie, die 50er Jahre. Und so wird bald alles wieder sein.

Aber auch das war nur eine Vorbereitung auf den Höhepunkt gegen Ende des Lesebuchs. Was passiert, wenn der Verkehrsteufel zuschlägt, erfährt man nämlich auf drastische Weise in der absoluten histoire verité "Peter kommt ins Krüppelheim". Eine Straßenbahn hat dem unachtsamen Buben die Beine zermalmt, und nun kommt er zu den anderen jungen Leuten ins Josefsheim, erhält ein Holzbein und eine künstliche Hand und muß nun lernen "die linke Hand zu gebrauchen". Bürstenmacher kann er werden oder Anstreicher, Bäcker oder sogar Schlosser. (Oder Pflasterverkäufer.)

Die Schwester führt ihn herum auf dem Klinikgelände, wo er nun leben wird und wo es Wälder, einen kleinen Bauernhof und einen Spielplatz gibt. Bald lacht Peter mit den anderen Kindern, sitzt im Sand und baut einen Tunnel, denn "das geht auch mit einer Hand".

Die Schwester sieht das und freut sich mit; denn sie hat ja nichts lieber als frohe Kinder, die vergessen, daß sie im Krüppelheim sind.

So freut man sich eben, wie man kann. Mein echtes Lesebuch in der Grundschule kam mit seinen öden Geschichten über eine Gärtnerfamilie nie an den grimmigen bunten Tag heran. Ich vergaß es neulich zu erwähnen, als die Bücherliste herumging. Aber Der bunte Tag kommt auf jeden Fall mit auf meine einsame Insel.


 



Hinter Gittern

Vergessene Perlen aus einer Zeit, in der so vieles möglich war: Maria Schell in einem (wenngleich zahmen) Frauenknastfilm von Exploitation-Altmeister Jess Franco. Der heiße Tod. Auch eine Betrachtung wert.

Super 8 | von kid37 um 14:03h | 3 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Mittwoch, 8. Juni 2005


Vom Lesen und Lernen, I.

Doktor Seidelbast und der faule Puck

Vielleicht nicht mein erstes Buch, aber das, mit dessen Hilfe ich lesen lernte, war Doktor Seidelbast. Noch heute weiß ich den Anfang auswendig, "'Hatschi, Hatschi!' niest Dixie das Wichtelkind." Hunderte Male mußte meine Mutter mir die eindringliche Geschichte vom kranken Wichtelkind Dixie vorlesen, das mit dem Heuschreck und dem Käfer im Regen getanzt und sich in der Folge bös' erkältet hatte. Ein Besuch beim guten Doktor Seidelbast war unabwendbar, in der Waldapotheke wurde eine Arznei angefertigt ("Ein Deka Salbei..."), die Freunde kamen zum Krankenbesuch, die besorgte Mutter hegte und pflegte, und am Ende - man hielt es als junger Leser kaum noch aus vor Spannung - schien die liebe Sonne wieder und alle waren froh und gesund.

Oft lag ich in Sichtweite meiner Mutter, die meist an der Nähmaschine beschäftigt war, auf dem Boden herum, blätterte wichtig in dem illustrierten Buch und murmelte aus der Erinnerung, aber schon mit dem Finger unter der Zeile, die Geschichte herunter. Bis sich eines Tages, und ich behaupte, ich kann mich an den Moment genau erinnern, sich die wild durcheinandertanzende graue Buchstabensuppe plötzlich zu Worten und Sinneinheiten formte. Ich konnte lesen! Es war ein Augenblick wie beim Fahrradfahren oder Schwimmen - auf einmal ging es, ich wußte selbst nicht wie, und es wurde nie mehr verlernt. Aufgeregt sprang ich zu meiner Mutter, den Finger auf den Seiten, stolzgeschwellt und erklärte ihr gewichtig, was dieses oder jenes Wort zu bedeuten habe. Noch hatte ich bei längeren Worten Schwierigkeiten, aber der Durchbruch war geschafft.

Die Gesellenprüfung war die zweite Geschichte in Doktor Seidelbast:

"Der faule Puck" war eine weitere Variante der bekannten Fabel von der Grille und der Ameise. Nur daß diesmal ein bequemer Waldgnom den Sommertag einen guten Mann sein ließ, während Familie Eichhorn fleißig Nüsse und Eicheln für die kalte Jahreszeit sammelte. "Der Winter ist doch noch lange hin", erklärte unser Hippie-Wichtel lässig und spielte auf seiner Fidel. Aber eines Tages - o weh! - erwachte der alte Gammel-Puck vom eisigen Wind, der durch den Wald fegte, und bald hatte sich Schnee über Gras und Bäume gelegt. Da war das Zähneklappern groß, denn aus war es mit fetten Früchten, die verlockend von den Zweigen hingen.

So faul der Puck aber war, so tapfer war er auch. Als nämlich das verirrte kleinste Eichhornkind von einem bösen Marder (oder war es ein Fuchs?) attackiert wurde, griff der Wichtel ein und schlug das Raubtier in die Flucht. Puh, das war knapp! Aus Dankbarkeit nahm Familie Eichhorn (die schon total in Sorge war) das verfrorene Männchen bei sich auf, steckte ihn unter dicke Daunen und Mutter Eichhorn servierte eine köstliche heiße Suppe. Nun ja, et hät noch immer jot jejange! sagt dazu der Rheinländer bekanntlich.

Nach diesen ersten beiden prägenden Leseerfahrungen wird sicherlich klar, warum aus mir am Ende ein arbeitscheuer Hypochonder werden mußte.