Die Frau auf der Brücke

Früher hatte ich oft Schwierigkeiten, meine Mitbewohner für sogenannte "Videoabende" zu begeistern. Mal lag es an mir, öfter wohl am Film. Selbst Bollywood- Epen sind nicht der Geschmack jeder Frau, wie ich unlängst feststellte. Das mag aber auch daran liegen, daß ich darauf bestand, in ein buntes Tuch gehüllt die Tanzszenen mitzutanzen. Umso erfreuter war ich, als ich letzte Woche zum Suizidfilmgucken geladen war. Die Frau auf der Brücke, endlich als DVD erhältlich, war in der Tat eine kleine Entdeckung.

Die naive Adèle (Vanessa Paradis) sucht nach Liebe und Glück, wirft sich jedem in die Arme und steht eines Nachts auf einer Seinebrücke, um ihrem Leben ein Ende zu setzen. Messerwerfer Gabor (César für Daniel Auteuil) spricht dort gewohnheitsmäßig Selbstmordkandidatinnen an, denn diese Frauen sind in der Regel williger, seine Zielscheibe zu werden. Die beiden werden ein Team und ihre Auftritte bald stürmisch gefeiert. Adèle erlebt eine sagenhafte Glückssträne und räumt nach den Varietévorstellungen in den Casinos ab. Doch immer noch sucht die labile Frau nach dem "Richtigen", gibt sich jedem hin, der sie anlächelt. Gabor erträgt es - bis Adèle mit dem just vermählten Griechen Takis durchbrennt...

Wie in französischen Filmen üblich, wird natürlich viel geredet, über die Liebe, über das Glück - aber der Topos vom gebrochenen Künstler und dem schönen Mädchen, das nur für die Liebe lebt, ist in poetischer Schwarzweißfotografie und aufregenden Dekors wunderbar in Szene gesetzt. Das Messerwerfen ist völlig zurecht als hocherotischer Akt dargestellt: Vanessa Paradis zittert, erschauert und stöhnt, wenn sich die glänzenden schwingenden Klingen neben ihr tief ins Holz bohren. Sag ich doch.

Ich muß mal wieder mehr an der Brücke hier hinterm Haus rumlungern.

Die Frau auf der Brücke (La Fille sur le Pont, F 1999. Regie: Patrice Leconte)

Super 8 | 11:46h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
maz - Donnerstag, 23. Juni 2005, 12:15
Merkwürdig, gestern Nacht träumte ich tatsächlich von Messern, die man mir zuwarf - ich wich natürlich jedem gekonnt aus (war ja auch mein Traum). Irgendwas Tiefenpsychologisches (sexuell?) ließe sich da bestimmt destillieren.
"Wie in französischen Filmen üblich, wird natürlich viel geredet..." über diese wunderbare Beobachtung musste ich unwillkürlich schmunzeln, sogar mehr als über das Bild eines saribekleideten, indischtänzelnden Kids.
Ein schöner prätentiöser französicher Film rettet einem oft den Tag...

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lady.death1 - Donnerstag, 23. Juni 2005, 14:41
...um Messerwerfer zu finden?
:)

Also, so einen Bollywoodschinken würde ich mir normalerweise nicht antun,
aber einen Kid der den Tanz der sieben Schleier vollführt.. DAS WÄRS WErT.
*g*

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kid37 - Donnerstag, 23. Juni 2005, 17:09
Keine sieben Schleier. Nur ein wenig Gewackel mit meiner kleinen Wampe Auswölbung am Bauch. Messer haben unzeifelhaft etwas sehr Erotisches. Sie verbinden Hingabe, Gefahr, Todesnähe... von der anschaulichen Gestaltung ganz zu schweigen.

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marie__ - Donnerstag, 23. Juni 2005, 14:43
Ach, dieser Film! Danke, daß Sie ihn in mein Gedächtnis zurückholen! Plötzlich sind die Bilder wieder da, dieser Frauenkörper unter dem Stoff, die schönen Bilder, der melancholische Blick des Protagonisten *schmacht*, und ein Stoff, aus dem Dramen sind, Schuld, Leidenschaft, Tod und all das....

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kid37 - Donnerstag, 23. Juni 2005, 17:14
Es gibt da wirklich sehr schöne Bilder. Sehr anregend. Und eine gute Werbung für die Heftpflasterindustrie.

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bossanova - Donnerstag, 23. Juni 2005, 20:17
Die Mädchen, die sich hinter Ihrem Haus verstecken, werfen möglicherweise nicht mit Messern. Eher Aluminium oder?
Aber zum Film: Ja, sehr schön. Und mit Blut. Fand ich damals auch sehr gut.

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kid37 - Donnerstag, 23. Juni 2005, 20:41
Das Aluminium wartet weiter hinten. Erst kommen die Mädchen mit den Kampfhunden vom Tierheim. Außerdem hielt ich mich ja für den Messerwerfer - und suche auf den Brücken nach willigen Zielscheiben.

Von messerwetzenden Mädchen habe ich für die nächsten Jahre die Nase voll. Been there, watched that, got the T-Shirt.

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modeste - Donnerstag, 23. Juni 2005, 20:55
Ein großartiger Film und eine der erotischsten Szenen jenes an geliebten Filmen reichen Jahrzehnts - wie das Messer in das weiße Tuch fährt und ein wenig Blut quillt. Vor Jahren gesehen in einem Kölner Kino.

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kerstin13 - Freitag, 24. Juni 2005, 10:59
oh, welch wunderbarer film. und wie wunderbar, dass sie ihn haben:)

vielleicht, beim nächsten hamburger regenguss, oder wenn die tage nicht nur kürzer sondern kühler werden, könnte man doch einen dvd-abend in ihrem cafe in erwägung ziehen?

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kid37 - Freitag, 24. Juni 2005, 14:17
Nein, nein, ich war geladen. Ich selbst habe den Film nicht. Noch bizarrer: Isch 'abe doch ga' keine DVD-Player. Es heißt ja nicht umsonst, ich könne kein Gerät bedienen, das nicht älter als 50 Jahre ist.

Aber wissen Sie was? Wenn Sie sich an die Scheibe stellen wollen, kann ich den Film nachstellen...

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kerstin13 - Sonntag, 26. Juni 2005, 00:12
wie wär´s, wenn ich fotografiere während sie messer auf jemand drittes werfen, den wir noch ausgucken können?! und schade, dass film und dvd-player nicht ihr eigen sind...:-)

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duden. - Freitag, 24. Juni 2005, 16:45
Da könnte man natürlich auch spekulieren, warum dieser Film im Ursprungsland des Lolita-Kultes - wenn ich Frankreich mal so bezeichnen darf - im Original La Fille sur le Pont heißt. Mit meinem rudimentär noch vorhandenen Schulfranzösisch kommt da bei mir Das Mädchen auf der Brücke heraus... nicht etwa Die Frau...
Lasse ich die unterstellte Lolita-Affinität der Franzosen weg, stellt sich mir die Frage, warum der deutsche Titel geändert wurde.
Eine Frage, die man sich hier - allerdings etwas offener - auch stellt. Dort habe ich denn auch erfahren, dass einem ihrer Klassiker, Herr Kid, nämlich Wenn die Gondeln Trauer tragen, ebenfalls übel mitgespielt worden sein soll...

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kid37 - Freitag, 24. Juni 2005, 17:04
Es gibt von Filmtiteln wirklich grausame Übersetzungen und Eindeutschungen. Am Schlimmsten sind neue englische Titel für englische Titel, völlig beknackt.

Im Theater ist dies aber kaum besser - nur manchmal doch: "Morning becomes Electra" hat im Deutschen doch einen viel stärker klingenden Titel: "Trauer muß Elektra tragen".
Ganz ähnlich gilt das für "Wenn die Gondeln Trauer tragen" - ein sehr stimmungsvoller Titel, viel eindringlicher als "Don't Look Now".

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duden. - Freitag, 24. Juni 2005, 17:20
aye, das finde ich in dem Fall auch. Obwohl dieses tiefstapelnde Don't Look Now eine schaurige Botschaft transportiert - Fantasie vorausgesetzt... und wahrscheinlich erst, nachdem man den Film bereits gesehen hat...

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