Sonntag, 8. Mai 2005
Weil Herr Axel K. mich freundlicherweise in sein Auto gezerrt hatte, schaffte ich es also auch zum BlogMich05. Selbstverständlich fuhren wir bei strahlendem Sonnenschein in Hamburg los, nur um ebenso selbstverständlich von dräuenden Wetterfronten, Regen und der sprichwörtlichen Kontinentalkälte Berlins empfangen zu werden.
Der Volksmund aber sagt, so etwas mache nichts, wenn nur die Herzen... usw. Meine kleine Pension entpuppte sich noch ganz zauberhaft als Mein kleiner Schmuddelladen, was um so bedauerlicher war, als ich erfuhr, welche Zimmer mir zur Verfügung gestanden hätten, hätte ich, ja, hätte ich nur Piep gesagt. Aber nichts ist bekanntlich schlimmer, als wenn die Gasteltern um zehn Uhr abends schon sagen, du, wir möchten dann jetzt nach Hause, während man selbst sich angeregt im Gespräch befindet. Doch, etwas ist schlimmer: Wenn man selbst um zehn nach Hause möchte und einem die unerschütterlichen Gasteltern fröhlich verkünden, daß sie gedenken, noch bis fünf Uhr morgens auszuharren.
Am Osthafen gab es dafür viel Hallo und mindestens 150 freundliche Gesichter. Ich habe ungefähr 500 Hände geschüttelt und mich über das Erscheinen vieler so sehr gefreut, wie ich das Fernbleiben mancher (Frau Lisa!) bedauerte. Die Kaltmamsell in Uniform und Maz inkognito, die Frau Sonne natürlich, Frau Modeste, ach und viele andere...
Weil sich keine Ringelstrümpfe ins eisigkalte obere Geschoß verirrten (Herr Hendrik vom Irrenhaus Berlin gab sich Mühe, aber es konnte mich nicht komplett überzeugen, dennoch Danke!; Emily und Frau Wortschnittchen hatten wohl ringelstrumpfbestrapste Beine in der U-Bahn gesichtet, aber shanghait und mitgeschleppt hatten sie die leider nicht), mußte ich ganz viel Bier trinken (irgendwem habe ich übrigens eine Flasche Jever entführt, sorry), eiskalte Hände halten und Trost in netten Gesprächen suchen.
Irgendwo im Netz gibt es Fotos von gegen zwei Uhr nachts, auf denen ich leider nicht so gekachelt wie Herr Sebas, sondern einfach nur wie ein derangiertes Wrack aussschaue; ein schäbiger Kneipenrest, der eigentlich nach draußen gefegt gehörte. Ja, das machen Kälte und Alkohol aus einem. Kinder, laßt es Euch eine Warnung sein. Überhaupt sehe ich besonders neben jungen, hübschen Damen ganz schön alt aus. (Notiz an mich selbst: Mich demnächst nur noch neben toten Tieren ablichten lassen, damit ich im Kontrast besser wegkomme.)
Auf der Straße verdächtigten mich junge Herren, nur weil ich statt einer Bloggerin deren Tortenform aus Plastik im Arm trug, sicherlich von einer Tupperparty zu kommen. Irgendwie wäre das auch keine schlechte Idee, für das nächste Mal.
Das Frühstück in der schmuddeligen schnuckeligen kleinen Pension machte mich immerhin schnell wieder munter. Der Kaffee schmeckte zwar eher gestreckt, aber dafür beplärrte mich ein kleiner Fernseher über meinem Kopf mit Dauerjingles, die mich aufforderten, gefälligst "Frosch 44" oder "Frosch 45" oder "Frosch 46" an irgendeine Nummer zu simsen. Das Gequake in meinem zerhämmerten Kopf machte mir klar, daß es sich nur um die Rache einer berüchtigten Berliner Klingeltonfabrik an Bloggern handeln konnte.
Vielen Dank noch mal an Herrn Typ.o und die anderen für die Organisation!
Samstag, 7. Mai 2005
Ich wollte nie mehr schreiben und nur noch eines: weg! Weg von Berlin. Alles andere war egal. Ich erzählte das natürlich ein bißchen herum, und so kamen ein paar Getreue, die mir das ausreden wollten. Sie verstanden nicht, daß es mir nicht um die Stadt, sondern um die Jugend ging. Die Jugend mochte micht nicht. Die Jugend war Berlin. Noch nie war ich so permanent gnadenlos nicht geliebt worden wie da, dreieinhalb Jahre lang.
So beginnt Joachim Lottmanns Die Jugend von heute (Köln: KiWi, 2004), mir dereinst von Don Dahlmann ans Herz gelegt, und nun endlich gelesen. Der Roman beschreibt eine Odyssee des Ich-Erzählers, einem echten Zögerer und Zauderer wie einst Bogus Trumper im Water-Method Man von Irving, durch die Partyzonen der neuen alten Hauptstadt. Verzweifelt bemüht, bei der Jugend nicht den Anschluß zu verlieren, streift Lottmanns Held durch die Nacht, sucht sein Glück in Berlin, das doch längst im Rheinland auf ihn wartet, in Köln nämlich.
In mancherlei, eher persönlicher Hinsicht könnte man sagen, ein wahrerer Roman ward kaum geschrieben. Aber da kann ich nur für mich reden. Schön auch die Passagen, in denen der Ostdeutsche FO Wartburg mit seinem Oberseminarwissen den "Kapitalismus" erklärt (was wurde eigentlich aus dem Begriff "Soziale Marktwirtschaft"? Wann ging das verloren?) oder der Münchner Harem des Althippiegockels Rainer Langhans genüßlich auf die Schippe genommen wird. Zu Althippies in weißen Socken in Birkenstocksandalen habe ich auch noch eine Menge zu sagen, spätestens dann, wenn ich mal über Antonin Artaud, die Anti-Psychatrie-Bewegung und die späten 70er Jahre schreibe. Die Jugend von heute hat da ja einen postmodern oberflächlichen, spielerischen Zugriff, der mir leider - u. a. wegen Rainer Langhans, den Getty-Zwillingen und all deren Folgen - versagt bleibt. Tant pis.
Jedenfalls, comment dirais-je? ist das mit Berlin, ob Ost oder West, von jeher nicht einfach gewesen. Denn so "gnadenlos nicht geliebt" zu werden, hinterläßt natürlich das bittere Aufstoßen einer Überdosis Fencheltee.
Meine Anläufe sind ohne Zahl. Aber Morgen gehe ich davon aus, daß sich nur freundliche Menschen um mich versammeln, ich mich nirgends dazwischenwerfen muß, mein Kuchen gut durchgebacken sein, und mir ansonsten niemand irgendwann gegenüber irgendwem gefallene Sticheleien übel nehmen wird. Das wird nämlich alles sehr, sehr nett. Beschlossen.
Und nun bitte: Ghost World auf 3SAT.
Mittwoch, 4. Mai 2005
Ask me no questions,
I'll tell you no lies.
The past is your present,
The future is mine.
(New Order, "Confusion")
Wollen Sie den hellen oder den dunklen?
Was ist der Unterschied?
Der eine ist hell, und der andere ist dunkel.
Ich liebe fachliche Beratung.
Dienstag, 3. Mai 2005
Im Süden meines Hauses, jenseits des Kanals liegt das Tierheim. Nachts höre ich dort die Kampfhunde bellen, die gerne ein wenig Spielen möchten. Zur anderen Seite hin, wiederum meinem Haus gegenüber, befindet sich die Berufsschule für Krankenschwester. Die bellen lungern immer in der Mittagspause vor der Tür, weil sie gern ein wenig Rauchen möchten. Wenn ich mir die freundlichen jungen Damen so betrachte, die sich dort mit Teer einölen, stelle ich mir vor, wie es wäre, ein paar von ihnen abhängig zu machen. Von mir natürlich, denn vom Nikotin sind sie es ja bereits.
Dann kämen mittags zwei oder drei von ihnen durchs Stiegenhaus geschlichen, die vier Etagen hoch bis zu meinem Dachgeschoß, um mir ein Süppchen zu kochen. Ich klagte dann ein wenig über ein Zwicken hier oder ein Zwacken dort. Vielleicht gäbe ich auch vor, etwas am Kopf zu haben, mich dünkt, daß wär wohl das Überzeugendste. Ich legte dann ein wenig berufsbegleitende Musik auf, während wir Brot und Suppe schmausten. Sonic Youth vielleicht oder Leonard Cohens "Sisters of Mercy".
Abends, nach Schulschluß, schleppte ich die herzensguten Dinger zu
Feinkunst Krüger und zeigte ihnen Poster und Grafiken von anderen jungen Krachmachern. Aber nur bis zum 21.5.
(Feinkunst Krüger, "ART OF MODERN ROCK - THE POSTER EXPLOSION".
Poster und Grafiken von Derek Hess, Jay Ryan, Lindsey Kuhn, Chuck Sperry und Ron Donovan. Vom 30.4. bis 21.5.2005)
Montag, 2. Mai 2005
Is this the Kid's final defeat? Das möchte ich nicht hoffen. Gegen den alten Affen Angst habe ich schon so oft gerungen, das müßte doch mit dem Teeufel zu... ups.
Nun gut, The Planet of Sardines jedenfalls liefert eine Menge schöner, obskurer alter Pulp-Fiction-Cover. Wer sich also für Retro-Sci-Fi-Ästhetik, Altherrengrusel, finnischen "Schokki" und natürlich gewachsene Frauen ohne erhöhten Kleiderbedarf interessiert, kann hier den ein oder anderen Schatz heben. Tentakelmonster und andere, zumeist vom Geschlechtstrieb moralisch verdorbene Wesen aus dem Weltall, Werwölfe und muskelbepackte Barbaren bevölkern einen Kosmos, der gar nicht so weit von unserer Realität 2005 entfernt zu sein scheint. Jedenfalls, wenn man morgens die U-Bahn benutzt.
Irre Schatten, lauft nur zur eurer Süchte Ziel;
Niemals gelingt es, eure wütende Gier zu stillen.
Den Scharen der Lebendigen fern, Umschweifende, Verdammte,
Lauft durch die Wildnis wie die Wölfe hin;
Erfüllt , was euer Los, maßlose Seelen,
Und entflieht der Unendlichkeit, die ihr im Innern tragt!
(Charles Baudelaire)
Zur Walpurgisnacht fielen dieses Jahr wegen Völlerei die handelsüblichen Orgien aus. Statt unmoralischer Eskapaden und Besenflügen rund um den Blocksberg machten die Bibis und anderen Spaßhamster vielfach nur noch "blp" oder ein anderes onomatopoetisches Erika-Fuchs-Wort. Börps, vielleicht. Dabei soll man doch nicht eine Todsünde durch die andere ersetzen.
Völlerei. Lust. Lüge.
Denn niemals gelingt es, die wütende Gier zu stillen. Wie wild es auch war. Die feinen Narben und Striemen damals, kaum sichtbar zwar, ließen sich nicht verbergen. Ich erinnere mich, wie ich die Linien nachzog, sachte und widerstrebend, den Finger eintauchend in die Abenteuer von Fremden. Auch sie war mit einem Mal fremd, eine Unbekannte, die sich entfernte, mit immer größerer Geschwindigkeit. Als hätte sie in Flugsalbe gebadet, möchte man meinen. Doch keine Salbe konnte die Kratzer und Spuren tilgen, die selbstverständlich ohne Bedeutung waren. So wie die magischen Runen, die rings um das Haus auf Mauern und Wände gemalt worden waren, über Nacht. Vielleicht sollten es auch ganz normale Graffitis sein, weiß man das? Obwohl, wie normal kann es sein,ihren Namen zu lesen, direkt vor der Tür, eingeschrieben in die Herzen anderer Leute? Das hat doch einen Geschmack, hat es doch. Und zwar nicht meinen.
Leider gab es damals die praktischen Helfer nicht, die heute mich vor dem Bösen schützen. Ich jedenfalls bin gewappnet, bekreuzige mich vor meinem kleinen Heiligenschrein und wische den Rest mit dem feuchten Tuch einfach ab. Nothammer raus, Scheibe einschlagen und fort damit. Kratzer, Spuren, alles. Purifikation. Wenn ich mir also den künstlichen Bocksfuß umschnalle und Panflöte spielend ums schwefelsaure Feuer springe, male ich mir seit Neuestem ein großes Haha ins rußverschmierte Gesicht. Kein faustisches Grübeln dann. Denn Erinnerungen treibt man nicht mit der Flasche aus. Und auch nicht mit der Peitsche. Man muß immer selbst durchs Feuer gehen, junge Hexen jagen, ein wenig herumhopsen, auch mal albern sein, frech grinsen und am Ende "börps" sagen. Ganz unverfroren. Sollen die Raben krächzen.
Donnerstag, 28. April 2005
Angesiedelt zwischen den surrealistischen Welten eines Jan Svankmajer und den absurden Grotesken tschechischer Zeichentrickfilme aus den 70er-Jahren drehen sich die grausamen Geschichten des Fragile Circus um Liebe, Verlangen, Schmerz und Verlust.
Hübsche Entspannung.
(via Charming Quark)
Mittwoch, 27. April 2005
Das mache ich jetzt immer mittwochs.
Nächste Woche: Tierversuche
Sterbehilfe
19 Jahre Tschernobyl - Atomkraft, nein oder danke?
1000 ganz legale Steuertipps
Irgendwie ist das ja alles putzig. Vermutlich sind solche Menschen oder auch solche von ihrer eigenen "Aufrichtigkeit" noch regelrecht berauscht.
Dabei liegt die Antwort auf der Hand.
Ich wiederhole es auch hier noch einmal gerne: Wahrheit ist eine Bürde, die man nicht einfach irgendwo abladen kann. Die muß man schon hübsch selber tragen.
Und, was immer Ihr tut: Keine Details.