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Ich wollte nie mehr schreiben und nur noch eines: weg! Weg von Berlin. Alles andere war egal. Ich erzählte das natürlich ein bißchen herum, und so kamen ein paar Getreue, die mir das ausreden wollten. Sie verstanden nicht, daß es mir nicht um die Stadt, sondern um die Jugend ging. Die Jugend mochte micht nicht. Die Jugend war Berlin. Noch nie war ich so permanent gnadenlos nicht geliebt worden wie da, dreieinhalb Jahre lang.

So beginnt Joachim Lottmanns Die Jugend von heute (Köln: KiWi, 2004), mir dereinst von Don Dahlmann ans Herz gelegt, und nun endlich gelesen. Der Roman beschreibt eine Odyssee des Ich-Erzählers, einem echten Zögerer und Zauderer wie einst Bogus Trumper im Water-Method Man von Irving, durch die Partyzonen der neuen alten Hauptstadt. Verzweifelt bemüht, bei der Jugend nicht den Anschluß zu verlieren, streift Lottmanns Held durch die Nacht, sucht sein Glück in Berlin, das doch längst im Rheinland auf ihn wartet, in Köln nämlich.

In mancherlei, eher persönlicher Hinsicht könnte man sagen, ein wahrerer Roman ward kaum geschrieben. Aber da kann ich nur für mich reden. Schön auch die Passagen, in denen der Ostdeutsche FO Wartburg mit seinem Oberseminarwissen den "Kapitalismus" erklärt (was wurde eigentlich aus dem Begriff "Soziale Marktwirtschaft"? Wann ging das verloren?) oder der Münchner Harem des Althippiegockels Rainer Langhans genüßlich auf die Schippe genommen wird. Zu Althippies in weißen Socken in Birkenstocksandalen habe ich auch noch eine Menge zu sagen, spätestens dann, wenn ich mal über Antonin Artaud, die Anti-Psychatrie-Bewegung und die späten 70er Jahre schreibe. Die Jugend von heute hat da ja einen postmodern oberflächlichen, spielerischen Zugriff, der mir leider - u. a. wegen Rainer Langhans, den Getty-Zwillingen und all deren Folgen - versagt bleibt. Tant pis.

Jedenfalls, comment dirais-je? ist das mit Berlin, ob Ost oder West, von jeher nicht einfach gewesen. Denn so "gnadenlos nicht geliebt" zu werden, hinterläßt natürlich das bittere Aufstoßen einer Überdosis Fencheltee.

Meine Anläufe sind ohne Zahl. Aber Morgen gehe ich davon aus, daß sich nur freundliche Menschen um mich versammeln, ich mich nirgends dazwischenwerfen muß, mein Kuchen gut durchgebacken sein, und mir ansonsten niemand irgendwann gegenüber irgendwem gefallene Sticheleien übel nehmen wird. Das wird nämlich alles sehr, sehr nett. Beschlossen.

Und nun bitte: Ghost World auf 3SAT.

Homestory | 00:36h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
modeste - Samstag, 7. Mai 2005, 01:11
Berlinkritische Bücher werden ja erst nächste Woche wieder gelesen, heute komme ich nach fünf Tagen aus der Einöde und liebe Berlin, könnte jeden Bettler in der U 2 umarmen und bejubele jede beschmierte Wand.

Und auf morgen freue ich mich besonders.

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kinky - Samstag, 7. Mai 2005, 02:59
Herr Kid, ich denk dann an Sie, ok? Und wünsche Ihnen nicht nur viel Blogmaterial für die anschließende Woche sondern vor allem viele gute Begegnungen mit der, ähm... *hust*... Familie! :)

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l9 - Samstag, 7. Mai 2005, 04:42
So richtig gerne hätte ich sie kennengelernt als Menschen mit Fleisch, Blut, Organen. Leider ist es mir nicht möglich, nach Berlin zu kommen. Weshalb ich Sie nun auch in Zukunft als flackerndes Punktemuster auf einer Schicht aus Flüssigkristallen wahrnehmen werde.
Viel Spass.

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