Freitag, 4. März 2005
In der beliebten Reihe Mit toten Tieren durch das Jahr (siehe auch hier und hier) kommen wir heute zu der Saatkrähe (Corvus frugileus).
Dieses hübsche, aber blau- und steifgefrorene Exemplar begegnete mir heute in der Mittagspause. Vögel gehören bekanntlich auf den Baum, liegen sie einem zu Füßen, ist meistens was kaputt.
Leider hatte ich keine Tüte oder ein Gefäß dabei und einfach so auf die leichte Schulter wollte ich das arme Tier auch nicht nehmen, denn auf die leichte Schulter kommt bei mir nichts so schnell. Die Kollegen haben mir auch verboten, meine Funde im Kühlschrank der Fabrik zwischenzulagern. (Das waren natürlich die "harten" Gesellen aus der Splatter-Gartenzwergabteilung, mir so rechte Wichte, die immer von Mord und Toschlag hinterm Gartenzaun fantasieren, aber einknicken, sobald das wahre Leben seinen Schnabel zum Fenster hereinhält.)
Normalerweise nehme ich solche guterhaltenen Exemplare mit nach Haus. Der Gesellschaft wegen, aber auch um zu schauen, ob man noch etwas reparieren kann. Vielleicht fehlt ja nur eine Kleinigkeit, winselten die Kunden nämlich früher, als ich noch im Werkstattbereich eines Rundfunk- und Fernsehgeschäfts aushilfsarbeitete. Mir ist da bislang nicht viel geglückt, auch wenn ich zu den Menschen gehöre, die einfach nicht einsehen wollen, daß eine Sache tot ist, wenn es heißt, "du, ich möchte dich lieber nicht mehr sehen, glaube ich, und außerdem ist da jetzt der Mike (oder Sven oder Piet oder Falk oder Rico)."
Dieser forsche Rabenvogel hätte sich bestimmt auch in meinem Reliquienschrein mit Bloggerzähnen gut gemacht. Nun, dann beim nächsten Mal. Jedenfalls sollten wir auch dieses Memento mori zum Beginn des Wochenendes im Geist und im Herzen bewahren. Seid nett zueinander. Es könnte das letzte Mal sein.
Mittwoch, 2. März 2005
Hinter diesem schönen Ohr steckt es faustdick
Am Wochenende schleppte mich die spektakuläre Frau in die Hamburger Kammerspiele. Dort fiel nämlich der letzte Vorhang für "Live!" - gespielte Werbespots auf den Brettern, die immer noch die Welt bedeuten. Ob Focus, McDonald's oder Sparda-Bank, bekannte TV-Spots bewiesen erstmals ihre Bühnentauglichkeit. Mein Favorit: Der subtil selbst-persiflierende Perwoll-Spot ("Mit einer Flasche Weichspüler auf 'ner Vernissage? Alles klar." - "Darüber wundert sich doch heutzutage keiner mehr.")
Ein wenig spröde moderiert von uns Ulla Kock-am-Beee gab es einen munteren Reigen mehr oder weniger gut inszenierter Mini-Stücke. Fast Beckett'sche Qualitäten erreichten dabei die stummen Kühe von Wüstenrot. Die kamen aber beim unterhaltungshungrigen Publikum nicht so gut an. Kinder auf der Bühne reißen ja immer was, so daß der VW- Direktgetriebe-Spot einige Elternherzen höher und -hände lauter klatschen ließ.
Wer weiß, vielleicht wird man so etwas bald öfter sehen. Ein gespielter Werbespot in der Umbaupause von "Macbeth". Für Küchentücher zum Beispiel.
(Bilder im Kommentar)
Dienstag, 1. März 2005
Nur die, die mit uns Liebe machen
Sehen ES in der Iris unserer Augen
(Stereo Total, "Mars Rendezvous")
Beim Stöbern in der CD-Abteilung (Hm, wo ist die Kaizer's Orchestra? Hm, die neue Patrick Wolf? Kann ich auch gleich Morrissey hören.) fehlten meine beiden Zielobjekte, aber zum Glück fiel mir die neue Stereo Total in die Finger. Ein bißchen älter geworden, ein bißchen nachdenklicher schaut mein Lieblingspaar des Pop-Punk-Chansons vom Cover. (Es gibt das Album übrigens auch in einer rein französischen Fassung.) Coverten sie früher Gainsbourg, sind es jetzt Velvet Underground ("Chelsea Girls"). Geschichten von gefolterten Partymädchen, Kids vom Babystrich (das böse Berlin), Hunger und dem neurotischen Europa spiegeln unsere unbloggbare Gesamtsituation:
Das Un- oder Halbbeschwerte ist vorbei.
Hier ist heute die Heizung ausgefallen. Das kommt noch dazu.
Herr LeTeil hat was eingeworfen träumt einen schönen Traum, mit Musik, Tanz, Geraufe und tollen Piratenbräuten. Ganz nach meinem Geschmack.
Montag, 28. Februar 2005
"Das betäuben wir lokal?" fragt sie. "Besser wäre es wohl oder schlagen Sie eine Alternative vor?" - "Wir haben noch einen Hammer für schwierige Fälle." - "Den kenne ich schon von daheim", behaupte ich und tue so, als würde sich dort jemand um mich kümmern.
"Der wirkt bestimmt bei mir nicht mehr, daran bin ich gewöhnt." Sie lacht und strahlt mich mit ihren blauen Augen an. Sie weiß, gleich werde ich kein dummes Zeug mehr reden können. Der Doktor schweigt. Ich weiß, er sehnt sich nach einer Zigarette. Dann legt sie mir das Tuch über das Gesicht, und ich höre für eine geraume Weile nur noch das Geräusch des Bohrers in meinem Kopf.
Wozu habe ich einen Dremel, denke ich und merke, das irgendetwas mit meinem Kreislauf ist. Das Adrenalin aus der Betäubungsspritze wirkt. Mit vielem Zubehör und - am Allerwichtigsten - einer biegsamen Welle. Die kann man für alles gebrauchen. Aber heute morgen lag überall Schnee, eine frische, blütenweiße Decke, und meine Finger waren klamm.
Als sie mir Tuch wieder wegzieht, streicht sie mir mit einer beinahe zärtlichen Geste eine Strähne verschwitzten Haars aus der Stirn. Dann setzt sie mir fürsorglich die Brille auf. Ich kann wieder ihre Augen sehen. "Wie kommen Sie denn jetzt heim?" fragt sie. "Ich nehme mir ein Taxi", lüge ich.
Auf der Treppe denke ich, vielleicht sollte ich wirklich mal eins nehmen. Aber dann nimmt man mir in der Apotheke 35,- Euro für Antibiotika und Schmerzmittel ab, von denen ich zuhause selbst genug habe. Bleibt es also doch bei der U-Bahn. Als ich die Ohrhörer einsetzen will, merke ich, daß ich kein linkes Ohr mehr habe. Irgendwie bekomme ich aber doch den kleinen Knopf in dieses Loch an der Seite meines Kopf gestopft. Autolux, "Here Comes Everybody" oder Xiu Xiu, "Crank Heart". Irgendetwas.
Draußen liegt Schnee. Er sieht gar nicht mehr so weiß und unberührt aus. Auf meinem Gesicht liegt eine Kühlkompresse. Ich wünschte, es wären die kühlen zarten Hände der OP-Schwester. Vorsichtig taste ich mit dem, was mal meine Zunge war, nach der Schraube in meinem Mund.
Sonntag, 27. Februar 2005
Angesichts des Winterwetters draußen all überall, gibt es Gelegenheit, die alten unschuldigen Kinderfreuden noch einmal auszuprobieren.
Mit Strindberg im Park. (via Wurzeltod, woher sonst.)
Haha, noch besser: Mein Name ist Kid. Kid37. Von gestern abend, sozusagen.
Und am Ende gibt es, wenn man Glück hat, einen Muffin.
Sehr!
Ich habe irgendwann einmal beschlossen, nachts (und mit einem gewissen Promillewert) nicht mehr öffentlich zu schreiben. (via Evasive)
I've never done good things
I've never done bad things
I never did anything out of the blue
(David Bowie, "Ashes to Ashes")
"Und dann hast du mich mit meinem neuen Freund auf der Straße getroffen, Gott, war das peinlich." - "Ja, das lief wohl zwei, drei Wochen parallel..." "Höchstens eine Woche! Und außerdem hatte ich mich da sowieso nicht gemeldet." Sie strahlt mich an mit ihrem entwaffnendem Lächeln und ich strahle zurück, und ich weiß, in diesem Moment sind wir uns sehr nah, und ich weiß, ich mag sie wirklich sehr, sehr gern. "Gab es da nicht noch so ein Gerangel zwischen euch Typen?" Haha. Wir lachen, schwelgen in Erinnerungen.
Wie lange ist das her? 15 Jahre? Wir zucken mit den Achseln.
Und dann so viele Gedanken. Ashes to Ashes. Damals, kaltes Licht der Frühe. Man kehrte heim aus der Nacht, entlang endloser S-Bahn-Gleise, durch die dunklen Wuppertaler Treppenstiegen und Unterführungen. Blaues Licht in den Discos und die kalte Musik. Und einmal, Silvester, auf so einer Hippieparty, zogen sich plötzlich die Mädchen aus und tanzten, und ich weiß, ich fand das damals sehr bizarr, ich war so 17, 18, und eine fremde, extraterrestrische Welt, the shrieking of nothing is killing/just pictures of jap girls in synthesis.
Und dann, zwanzig Jahre später, ein Silvester, verließ meine Freundin um Viertel vor Zwölf das Haus, keine Minute früher. Und zog sich später wohl aus, auf irgendeiner Hippieparty, keine Ahnung, ich war ja nicht dabei, aber ich weiß, ich fand das sehr bizarr und extraterrestrisch. Und es war auch nicht so ganz schön, daß Tage später ihr Name rund um unser Haus und an die S-Bahnstation gesprüht war, mit Herzen drumherum und Initialen, die ich nicht kannte. They got a message from the action man/I'm happy, hope you're happy too. Und ich habe, glaube ich, ein wenig geschrien. Ist ja schon was her.
Dann am Hafen entlangfahren, durch das kalte, gefrorene Licht. Manchmal ist es einsam, und im Player singt David Bowie want an axe to break the ice/want to come down right now, und ich ahne, dieses Eis bricht keiner mehr.
Was danach besprochen wurde, war bloßes Entgegenkommen, eigentlich nicht die Spucke wert. Heute weiß ich, dieses Silvester war nur der Auftakt, das nächste Mal wurde höchstens wilder. Heimlich war sie stolz, exaltiert, berauscht. Heute weiß ich, daß sie wie ein Junkie nur noch die Droge sah. Daran schmerzt heute nur eins: die endgültige Desillusionierung. Strung out on heaven's high/hitting an all time low.
Das sind Geschichten anderer Menschen. Denn meine eigene werde ich nicht mehr erzählen. Genau drei Menschen wissen davon. Dieser Freundin erzählte ich sie auch, damals nach diesem Silvester. Sie hat sie kurz darauf vergessen. "Erzähl es halt noch mal", meinte sie, eher genervt. Und strahlte mich nicht an mit einem entwaffendem Lächeln, auf eine Art, die Entschuldigungen überflüssig macht, weil die implizit sind und weil darin eine Wärme liegt, in der man sich geborgen fühlt. In ihrem Blick lag nur das Achselzucken des Junkies, der sich nach dem nächsten Schuß sehnt. One flash of light, but no smoking pistol.
Zu Hause wartet eine eMail. "Herr Kid, Sie haben schon soviel Zeit verschwendet. Verschwenden Sie nicht noch sich." Ich zucke mit den Achseln.
Samstag, 26. Februar 2005
Viele Behandlungen nehme ich seit Jahr und Tag selber vor. Entgiftung, Vasektomie, Lobotomie - alles ist in guten Händen bei Dr. Kid. Nur im kardiologischen Bereich tue ich mich schwer. Operationen am gebrochenen Herzen gehen bei mir regelmäßig schief. Die Patienten leben weiter, sicherlich. Aber sie scheinen wie Gestalten aus Dawn of the Dead. Dumpf und ausdrucklos, so verlassen sie die Praxis.
Wenn Igor mich fragend anschaut, zucke ich für gewöhnlich die Achseln und lege das rostige OP-Besteck zurück in die Schale. "Was weg ist, kann nicht mehr verletzt werden", sage ich. "Und, immerhin, sie laufen noch."
Eines Tages werden sie mir dankbar sein.
Samstag, 26. Februar 2005
Der Ringelstrumpf der Woche. Die polnische Fotografin Ewa Brzozowska macht auch sonst recht ordentliche Sachen.
Andere bekommen Sachen aus ihrer Amazon-Wunschliste, getragene Unterwäsche oder unzüchtige Fotos - ich bekomme Schokolade geschickt.
Ich bin gerührt. Ich bin sehr gerührt. Eine gute Tat.
Vielen Dank. Ungelogen.
Ich habe das Buch "Mein wunderbarer Massenselbstmord". Da habe ich gleich an dich gedacht. Ich bringe dir das mal mit.
Sie sind so nett zu mir.