
Samstag, 29. Januar 2005
Got me a movie
I want you to know
Slicing up eyeballs
I want you to know
Girlie so groovy
I want you to know
Don't know about you
But I am un chien Andalusia
(The Pixies, "Debaser")
Diese Woche bin ich irgendwie zu nichts gekommen. Doch, eine Kollegin habe ich ein wenig angegiftet, wegen so einer Sache natürlich - sie selbst ist ja furchtbar nett. Als ich heute morgen Gut-Wetter machen wollte, meinte sie nur, sie selbst wäre ja recht zickig geworden. Dann haben wir zusammen die schweinische Version von "Schnappi" gehört. Und gelacht. Wie gesagt, die ist schon sehr nett.
Meine Wohnung ist gerade zugemüllt mit ungefähr 2,50 Meter hoch gestapelter alter internationaler Magazine, dem Feuilleton von FAZ und SZ der letzten drei Wochen, Kontaktabzügen, Pergaminhüllen mit Negativen, Diakästen... Da setze ich am Ende der Woche gerne mal Kopfhörer auf (die Geschichte meiner Lautsprecher ist ja schon notorisch), drehe alle Regler auf 10,5 oder auch 11, lege die Pixies ein oder Joy Division oder so was Modernes und spiele ein wenig Luftgitarre. Schlagzeug ist auch gut, weil ich das in echt nur sehr rudimentär spielen kann. Ein Linkshänderproblem - welcher Drummer will schon sein Kit umbauen, nur weil da einer mal ein wenig dilettantisch darauf rumkloppen will?
Das Blog ist etwas unpersönlich geworden in der letzten Zeit, wie angekündigt. Das hat so seine Gründe. Vielleicht häutet es sich nach einem Jahr. Es ist jedenfalls so: Kaum drücke ich mal auf "off", kommt so eine Maschinenhand und stellt es wieder auf "on". Ich war ein wenig damit beschäftigt, den Schlamm, in dem ich gestanden habe, von den Sohlen zu kratzen. Neulich fand ich einen Link in ein sozial engagiertes Problemforum, in dem eine eigentlich gar nicht lustige Geschichte diskutiert wurde, die auch ich gut kenne. Zu anderen Zeiten hätte ich wahrscheinlich den Link nebst giftigen Kommentar hier reingestellt. So bleibt es erst einmal ein relativ wenig geteiltes Vergnügen (liest noch jemand mit?!?).
Diese Sache und die Kommentare dazu waren aber sehr erhellend, weil ich mich tatsächlich immer gefragt hatte cui bono und was soll der Scheiß das alles? Und die Antwort - so wie andere, gänzlich unbeteiligte Menschen es sehen - scheint so dämlich schlicht, daß ich meinen Kopf gerne mal gegen die psychiatrie- weißgetünchten Wände schlagen würde, weil ich es nicht gleich selbst so gesehen habe. Man darf seine Gegner nie unterschätzen. Man darf sie aber auch nicht überschätzen. (Das ist möglicherweise nämlich bloß Eitelkeit, weil mächtige Gegner irgendwie cooler sind. Doofe Gegner - wer will die schon?)
Come doused in mud,
Soaked in bleach
As I want you to be
As a trend, as a friend,
As an old memory
(Nirvana, "Come As You Are")
Der unfreiwillig lustigste Rocksong (weil er jetzt gerade läuft) ist ja "Come As You Are", was sowieso immer eine Lüge ist, aber darüberhinaus auch noch diese köstliche Zeile "Well I swear, that I don't have a gun" enthält. (Dieser Kurt hat auch viel erzählt, wenn der Tag lang war.) Jedenfalls, um diese Tristram- Shandyeske Aberration zu einem guten Ende zu bringen, es lohnt manchmal nicht, zuviel nachzudenken. In den 90ern hatte ich eine sehr schöne Freundin mit einem alten, sehr schnellen Auto. Nein falsch, das Auto war nicht schnell, sie fuhr es nur so. Jedenfalls legte sie dann immer ihr Pixies-Tape ein, und dann fuhren wir durch die Nacht. Gigantic... a big, big love... Man mußte nicht viel nachdenken. Manchmal fällt mir das ein, weil ich immer alles vergesse, nur die Musik nicht und die Anekdoten und die schönen Frauen, natürlich.
"Come As You Are". Ich kann jetzt auch Autopilot. Ist das nicht gigantic?

Donnerstag, 27. Januar 2005
Manchmal erinnere ich mich an die Zeit, als das hermetische Café noch "Twisty Toaster" hieß. Die Wände waren mit Raubtierfellimitaten ausgeschlagen, auf den Tischen lagen keine prätentiösen Bücher, sondern tanzten leichtbeschürzte junge Damen mit der Anmut verruchter Schlangenpriesterinnen. Ok, war nur ein Traum.
Als ich heute so gegen 5.30 Uhr damit begann, die Küche zu feudeln und die Käsebrote für die Mittagspause zu schmieren, entdeckte ich im Kühlschrank noch einen Liter Blutorangensaft. Und mir fiel ein, wie Salma Hayek zu George Clooney sagt: "Ich will dein Blut!" und der ehemalige Kinderarzt antwortet ihr doch rotzfrech: "Fick dich!"
Fand ich nicht so schön. Auch wenn wildgewordene Frauen beißen wollen, muß man doch höflich bleiben. Ein Glas Blutorangensaft reichen, zum Beispiel. Meiner war nur ein bißchen über die Zeit und so ließ ich ein paar Tropfen in den frischgefallenen Schnee vor meinem Fenster fallen.
Jedermann sein eigenes Schneewittchen, so kam es mir in den Sinn und jagte den Succubus aus dem Zimmer. Ich vergaß auch nicht, noch einen anzüglichen Witz zu machen, das mögen Succubi nämlich gar nicht. Dann verstaute ich die skeletons in den Wandschrank, und schon war es Zeit für den morgendlichen Muckefuck - und den neuen romantischen Animationsfilm von Tim Burton.
(via Scratch)

Montag, 24. Januar 2005
Auch in seiner Introduction à la vie dévote behandelt Franz von Sales die Flagellation im Kontext der Trauer und Melancholie [...]. Trauer und Melancholie machen die Seele zum Spielplatz des Bösen, der Versuchungen, die durch Gebet, durch Gesang, schließlich auch durch "äußere Übungen" vertrieben werden können. Zu diesen Übungen gehört die Geißelung, denn sie "erhitzt und reinigt das Gemüt" von der depressiven Stimmung, die "aus dem trockenen und kühlen Temperament hervorgeht".
Der Körper ist ein Ort, ein Schauplatz, eine Bühne, wo Streben, Scheitern, Gelingen agieren. Sehnen und Süchte weiten den Raum, beschränkt nur durch Ge- und Verbrechen (als Verstoß gegen soziale Konstrukte).
Die Flagellation als Variante von Akupunktur und Akupressur stimuliert die Nerven, fördert den Stoffwechsel und bringt den Körper ins Selbst-Bewußtsein zurück. Sozusagen ein temporäres Surrogat für Piercing und Tattoo ("Whenever you feel blue - get a new tattoo"). In Zeiten, da nach dem Tod der Moral (nach dem "Tod des Romans" (Fiktion), dem "Tod des Autors" (Fiktionär) und dem "Tod des Todes" (letzte Wahrheit) durch genetische Manipulation) dieselbe nur noch bei Bedarf aus dem Keller geholt wird und ausschließlich, um den Mangel derselben als Vorwurf durch den Raum zu schleudern, in solchen Zeiten also erzielt die Geißelung vielleicht nicht mehr die reinigende Wirkung wie einst. Billiger als Power-Step-Aerobic ist es allemal. Und ein paar Kandidaten für gründliche Heilung habe ich auf meiner Liste.
Natürlich ist dies aber auch und vielleicht zuallererst ein Arbeitnehmerbuch und sollte in keinem Gewerkschaftshaushalt fehlen.
(Niklaus Largier. Lob der Peitsche: Eine Kulturgeschichte der Erregung. München: C. H. Beck, 2001.)

Freitag, 21. Januar 2005
Am Ende
der Gewalt einer langen Woche ist mir die Freude groß, mich in ein hoffentlich nicht zu arbeitsreiches geruhsames Wochenende begeben zu können. Nachdem ich ja selten über mein verhältnisarmes Leben lebe, mich allerhöchstens noch gelegentlich in den Hinterzimmern des CVJM zu einer Tasse lauwarmen Kamillentee verabrede, hielt ich es für angebracht, meinen gesellschaftlichen Absturz durch exzessives Geldausgeben (Herr Schröder, ich war brav!) zu beschleunigen.
Wenn ich also ab morgen früh zu genüge Schuld, Staub und Sünde der Woche vom Körper gegeißelt und meine Rosenkränze gebetet habe, werde ich mich lesend und vor allem Musik hörend in meinen Wintergarten zurückziehen. (Aktion "Schnappi muß aus dem Gehörgang"). Wire, Múm, Dresden Dolls und Minox sollen dabei behilflich sein. Für die weitere Nahrung sorgen Bergische Gartenäpfel, die mir mein Vater im Paket mit einer Handvoll Ersatzteile (mein End-60er-Jahre Radiowecker von Toshiba im Pantone-Design möchte nicht mehr) zugeschickt hat. Meine Mutter ist für den Versand bergischen Brotes zuständig. Damit mir nichts mangele.

Donnerstag, 20. Januar 2005
Planet Claire has pink air
All the trees are red
No one ever dies there
No one has a head
(The B-52's, "Planet Claire")
Morgen muß ich leider das Internet abschalten. Denn auf der Seite von "Planetopia" - einem knallhart, professionell und seriös recherchierenden, von Idealismus durchströmtem TV-Magazin, wie der Schockwellenreiter zu berichten weiß - fand ich einen schockierenden Report:
Tierbilder in Suchmaschinen!
Dabei beginnt alles so harmlos: Gibt der User so unverfängliche Worte wie Teenie, Muschi oder Sister ein, werden Hardcore-Fotos angezeigt! Das darf doch nicht wahr sein. Ein unverfängliches Wort wie "Muschi" führt geradewegs nach Sodom? Mir wird schlecht. Ich möchte gar nicht wissen, was passiert, wenn ich ein unverfängliches Wort wie "Pferdeschwanz" eingebe.
Womöglich fliegt alles herum. Ein jugendlicher Nutzer berichtet: da habe ich also immer weiter, also auf immer weitere, weil es da sehr viele Verbindungen gibt – und dann waren die auf einmal nackt, Sachen weg und so...
Unglaublich. Sachen weg und so - durchs Internet! Aber es kommt noch schlimmer: Dann kamen dann gleich irgendwelche P*rnoseiten und sind dann auch hier Dialer umher geflogen...
Die kamen da gleich und dann flog da was umher, alles einfach so durch Verbindungen (schlagende?), von denen es auch sehr viele gibt.
Eine globale Verschwörung? Die Zwerge von Zürich? Illuminaten?
Die Reporter von "Planetopia" haben furcht- und selbstlos nachgehakt:
Bei Fireball – geben wir den Begriff Nutte ein. Zunächst erscheinen keine Bilder, nur eine Dame fragt uns, ob wir den Erotik-Filter ausschalten wollen oder nicht?
Wie jetzt - man gibt da so ein unverfängliches Wort ein, und schon erscheint eine Dame? Stark. Aber nicht, daß die auch 2000,- Euro will. Die hartgesottenen Journalisten haben noch härter weiterrecherchiert: Fünf Suchmaschinen im Test, fünf mal sind wir in den Bilderdateien auf harte P*rnografie gestoßen. Das darf nicht sein und schon gar nicht ungefiltert...
Nein, das darf doch nicht sein! Da könnte ja jeder! Und dann noch ohne! In diesen Zeiten! Auftritt D. Höschen, Jugendschützer. (No games with names - aber diesen Namen gibt man besser nicht in die Bildersuchmaschine ein, ich probiere es jedenfalls nicht. Nein.) Auch er entsetzt. Natürlich zu recht. Ich fasse es nicht.
Ein Glück: Wenn die harten Journalisten zuschlagen, herrscht bald Ordnung, kaum einen Tag später, siehe da: alles in Ordnung, sie haben schnell reagiert, die Seiten sind sauber. Puh, ein Glück! Das Internet - endlich sauber!
Danke, Planetopia!
Aber echte Journalisten geben nicht so leicht auf: Sod*mie bei Fireball! Unfaßbar. Zum Glück ist auf die Profi-Reporter Verlaß: Wir fackeln nicht lange... Die Hüter für streifenfreie Sauberkeit kennen keine Kompromisse.
Jetzt kann ich es wagen: Ich gebe auf der SAT.1-Seite das unverfängliche Wort Nutte ein. Gleich kommt die Dame, entschuldigt mich.

Mittwoch, 19. Januar 2005
Und da steht im Wohnzimmer des Mathematikers Claude Shannon ein schwarzer Kasten mit einem einzigen Schalter: Legt man diesen von "Off" auf "On" um, was Shannons Freunde, wenn sie zu Besuch sind, gerne tun, geht ein Deckel auf, eine kleine weiße Automatenhand erscheint, findet den Schalter und stellt ihn zurück auf "Off". "Digitale Maschinen können, was sie können, weil sie keinen Sinn haben", sagt dazu Friedrich Kittler.
(Julia Encke, "Bauchreden". Süddeutsche Zeitung Literaturbeilage, 30.11.2004.)

Dienstag, 18. Januar 2005
My generation was an accident of timing
an error of birth
born with the bad luck
to be in a world
fucked up by the generation before the boomers
and made worse by the `children of aquarius'
when they took the reins.
(Mike Augustin, 1960-1997)
Die Schlacht ist geschlagen, die neuen Herren sind im Haus. Sie sondieren die Beute und haben die Sense mitgebracht. Eine Kollegin verläßt uns, sie hat rechtzeitig neue Ufer gefunden. Ich übernehme ihre Arbeit und damit mehr Verantwortung. Ihre Stelle jedoch werde ich nicht bekommen. Es gibt für niemanden Sicherheit mehr. "Weißt du, der head-count ist bei uns einfach sehr hoch", erklärt mir der Personaler. Vielleicht sollte man den body-count erhöhen, denke ich und taste nach der abgesägten Schrotflinte, die ich mit dem Paketklebeband, das ich aus der Poststelle entwendet habe, unter den Schreibtisch geheftet habe. "Es gibt selbst für mich keine Sicherheit mehr", erklärt mir der Mann, der früher oft von seinen Latifundien in Mecklenburg erzählte. "Aber ich sehe zu, was sich machen läßt."
Ich überlege auch, was sich machen läßt. Mit mir und all den anderen überflüssigen Leuten in meinem Alter. Mich befällt wieder diese Phantasie. Wie seit Monaten schon, wie seit Jahren eigentlich. Endlich aufhören mit diesem Zögern und Zaudern. Endlich was tun. Eine Nachricht hinterlassen - nicht mehr, als auf einen dieser kleinen Post-it-Zettel paßt - das Büro verlassen und hinauffahren in den fünften Stock, da wo die Geschäftsleitung ihre Toiletten hat. Dort den schmiegsamen ledernen Gürtel an einen dieser so stilvollen Edelstahlhaken im Matt-Finish hängen und einen Knoten machen.
Einen ganz festen.

So, ihr Arbeitsscheuen. Nehmt euch ein Beispiel: "Freude an der Arbeit".
(Leider zur Zeit nicht mehr erhältlich. Wie kann das sein? Und wieso steht da: "Alles muß raus"?)
