Sonntag, 11. April 2004


Les Triplettes de Belleville

"Nemo" war gestern. Und ist ja auch nett. Wer aber das Skurille liebt, wird sich vielleicht eher noch mit dem ganz wunderbaren "Das große Rennen von Belleville" anfreunden können. Bemerkenswert altmodisch am Zeichentisch entstanden, wirkt der erste Langfilm von Regisseur Sylvain Chomet wie eine nostalgisch charmante Adaption eines literarischen französischen Comix. Eine wohltuende Variante zum rehäugigen Kuschelappeal US-amerikanischer Produktionen.

Warum Marco Dettweiler* im Spiegel allerdings den englischen Titel eines französischen Films bemühen muss, um sich über die "Triplettes" auszulassen, ist mir nicht ganz ersichtlich. Ein Blick auf die offizielle Seite des Films könnte als Titel-Recherche genügen. Aber möglicherweise ist der generell etwas uninspiriert klingende Artikel lange im Voraus geschrieben worden.
Und für eine Schlussredaktion fehlt ja überall das Geld.*

Das aber nur als aside. Auf der Seite (unbedingt Ton einschalten) gibt es neben Fotos und Trailern auch eine wunderhübsche "Memo"-Variante** mit Madame Souza.

Les Triplettes de Belleville (F/GB 2003). Regie: Sylvain Chomet.

[* Edit: Ich hab's mal gecheckt: "Rendezvous" war der ursprüngliche Verleihtitel von 2003. Macht ja nix.

** Und hieß "Memo" nicht eigentlich "Senso"? Ich hatte das Spiel nie, wer weiß es?]

Super 8 | von kid37 um 15:04h | ein Zuspruch | Kondolieren | Link

 



Nicht der Rede wert

I am the sword, the wound, the stain
scorned transfigured child of Cain
(Patti Smith, "Easter - La Resurrection")

Nächtliche Straßen, ich gehe zu Fuß. Durch die Speicherstadt, stockdunkle Nosferatu-Gassen und Triebtäterwege. Es ist Mitternacht, die Luft hallt vom Glockengeläut. Christmette. Aus St. Katharinen strömt eine Prozession. Jeder hält eine Kerze in der Hand, tritt hinaus, schweigend, in die Nacht.

Weiter, weiter. Ein stiller Weg. Es ist weit durch die Gewerbegebiete, tote Stadt, bis nach Haus. Der Brandgeruch der Osterfeuer kriecht durch die Straßen, klebt längst in meinem Haar.

"Easter" ist eines der traurigsten Lieder. Kein wehleidiges Gewinsel. Kein "The Drowning Man". Eine Trauer ohne Selbstmitleid und verwoben mit Hoffnung. Ostern eben. Das höchste Fest.
Sterben und wieder Auferstehen. Daran muß man nicht glauben.
"Stirb und werde" ist ein Naturprozeß. Wir sterben, sinken hinab, lösen die Schale, beginnen von vorn.

[...]


Nur eine Karte. Den Text kenne ich auswendig.

Später sangen die Smashing Pumpkins:
"You're a lover in my bed and a gun to my head". Der Reiz der Gefahr.
So wie nächtliche Wege durch einsame Gewerbegebiete.

Eine Prozession aus St. Katharinen. Was für eine Synchronizität. Alles wird neu.

Frohe Ostern da draußen.

I am the spring, the holy ground,
the endless seed of mystery,
the thorn, the veil, the face of grace,
the brazen image, the thief of sleep,
the ambassador of dreams, the prince of peace.
(Patti Smith, "Easter")


 


Samstag, 10. April 2004


Death Certificate



Heute haben mich meine investigativen Recherchen auf eine Spur gebracht, die leider einen traurigen Verdacht auf den Verbleib des vermissten Rosettenbocks begründen. (Wir berichteten.)

Auf dem Flohmarkt konnte ich für 2 Euro die Beweise sichern. Das jagdrechtlich einwandfreie Zertifikat besagt klar und deutlich: "Bock, 1 Jahr, zum Abschuß frei". Zwar sieht mir als waidmännischem Laien der dentale sterbliche Überrest nach einem beeindruckend großem Meerschweinchen aus. Aber wir alle können doch wohl zwei und zwei zusammenzählen.

Ich bedaure, keine vergnüglicheren Mitteilungen machen zu können.


 


Freitag, 9. April 2004


Passion

Hier stand eine Geschichte. Über Streit, Angst, emotionale Winterkälte. Einen Cutter, den ich mitten in der Nacht auf dem Wohnzimmertisch fand. In der menschen-leeren Wohnung. Über eine Taxifahrt, mitten in der Nacht, an mögliche und unmögliche Orte in dieser Stadt. Über Suche, Sorge und immer noch Angst.
Über Verzweiflung, als die Nacht immer dunkler und die Suche immer aussichtloser wurde.
Über das erste Mal, daß ich mich freute, so ein Mobil-telefon zu besitzen. Über Erleichterung, Sorge, Angst und aufsteigende Wut.

Über die Gleichgültigkeit und echte oder gespielte Begriffsstutzigkeit am anderen Ende. "Wieso denn im XXX? Da geh ich doch nicht hin." Über Erklärungen, Zorn und den Versuch, das zu halten, was längst schon entglitten war. Über die Erkenntnis, daß, wer andere wegsperrt, sich schon lange selber weggesperrt hat.

"Du willst mich doch nur kontrollieren." Danke. Ich lege auf. Man braucht keinen Cutter, um andere zu verletzen. Oder sich. Es ist fünf Uhr morgens, die Uhren wurden gerade umgestellt.

Auch schon wieder ein Jahr her.
Die Geschichte ist zu alt. Die schreib ich hier nicht.


 



Abgründige Niedlichkeit

Damit mir nicht wieder Klagen kommen. Modern gebliebene Menschen und Wertkonservative zugleich können sich am Samstag auf einer netten Vernissage erfreuen.

Jay Ryan ist anwesend, ansprechbar und guter Laune. Wenn nicht, dann beschwert Euch nicht bei mir.


 


Freitag, 9. April 2004


Statt Karte




Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Old Blue Eye.

she sets things tragic
she is venus
she is mars
she's electric

(The Smashing Pumpkins
, "Annie Dog")

Homestory | von kid37 um 01:41h | noch kein Zuspruch | Kondolieren | Link

 



Gab weder Regeln, Hoffnung, Gnade...




















Eines des schönsten Kinderbücher für Erwachsene der letzten Jahre ist sicher Wenn Gwendolin nachts schlafen ging aus dem sowieso ganz großartigen Antje-Kunstmann-Verlag. Susanne Straßer und Helmut Krausser beschreiben eine Serie grotesker Todesfälle im Spielzeugzimmer. Ein klassischer Topos also, geschildert in schrägen Reimen und allerliebsten Collagen. Ehemals teuer, nun in der Verramsche und allen groß- und kleingebliebenen Ungeistern schwerstens ans Herz gelegt.

Mit Helmut Krausser konnte ich ja nie viel anfangen. Seine Sprache blieb mir irgendwie zu sperrig, seine Themen zu "aus der Luft gepflückt", um nicht zu sagen... um nicht zu sagen anbiedernd und effektheischerisch. Das klingt nach einem Verriss, soll es aber gar nicht sein. Der Helmut und ich, wir haben einfach keinen Draht zu einander. Schmerznovelle hin oder her. Das macht uns beiden aber nichts. Der Helmut verkauft weiter viele Bücher, und mir geht es auch gut.

(Susanne Straßer/Helmut Krausser. Wenn Gwendolin nachts schlafen ging. München: Antje Kunstmann Verlag, 2002.)

Ex Libris | von kid37 um 23:36h | noch kein Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Mittwoch, 7. April 2004


Komm, lass mich schlafen!



Ich hasse das, wenn sich jemand wichtig machen will, obwohl seine Zeit schon abgelaufen ist.

(Um dem Vollmond mal das zu sagen, was man mir selbst schon in Beziehungen gesagt hat. Der Vollmond und ich haben ja auch eine besondere, durch wenig Wohlwollen geprägte, Beziehung.)


 


Montag, 5. April 2004


Schwein gehabt


Manche meinen ja, sie hätten alles schon gesehen. Stierhatz in Pamplona, anonymer Gruppensex mit Umschülern, Menschen, die sich Fleischerhaken durch Vor- und Rückenhaut schieben und an der Decke aufhängen oder die Teilnahme an der Jim Rose Circusshow. Wer dieses alles als Höhepunkte seiner Wanderungen durch die Labyrinthe der Subkulturen hielt, der hat das Schönste noch vor sich.

Denn ich war heute auf einer Meerschweinchenausstellung. [sic!]

Für 1,50 Euro Eintritt (Kinder die Hälfte) gibt es in dieser Stadt keine amüsanteren käuflichen Sonntagnachmittag- vergnügen. Dachten sich wohl auch die Veranstalter und bewiesen Humor, in dem sie das Ereignis in einer Schule in der Meerweinstraße [sic! sic!] abhielten. Gleich zu Beginn wartete ein Spalier aus Ständen mit Informationsmaterial des "Meerschwe*nchen-H*bby-Club e.V. Hamburg", Heimtierbedarf und Merchandising, die Tischdeckchen mit aufgestickten Nagern, Einkaufsbeutel mit aufgestickten Nagern und Gästehandtücher mit aufgestickten Nagern anboten. Eine Vitrine aber gab Rätsel auf. Was soll das sein? Die Jahresschau des Kunstleistungskurses 11/2? Eine Nagelschlagfalle für entlaufene Kleinheimtiere?
Im Saal dann aber die preisgekrönten Ausstellungstiere. Wer das gemeine Meerschweinchen bislang für ordinäre Nager der Gattung Caviidae hielt, konnte hier etwas erleben. Gleich im ersten Käfig zitterte mich ein verängstiges braunlockiges, durch den Wind geschossenes Haarteil an. Es folgten knopfäugige Handfeger mit Puschelperücke und langmähnige Hippie-Nager der Neigung "Let your Schamhaar grow". Dazwischen hin und wieder frech-starrende pantherfarbene Kurzhaarfreggels mit weißem Irokesenkämmchen auf dem Kopf. Man war geneigt, in der Tasche nervös nach "'nem Euro" zu suchen. Nur der Käfig eines laut Züchterzettel korrekt so bezeichneten "Rosettenbocks" war leer. Der trieb sich wahrscheinlich gerade in einem Darkroom auf der Reeperbahn herum, der alte Rosettenbock. Na, der hat aber was verpaßt!

Leider mochte ich der versammelten Rodentia nicht ins Gehege blitzen. Die armen Tiere standen sowieso schon unter verschärftem Beobachtungsstreß. Zudem hielten ironieresistente Züchter ("Taugen die eigentlich auch als Schlangenfutter?") eifersüchtig Wache über ihre den Augen des Mobs preisgegebene Brut. So ist die Fotoausbeute leider sehr gering.

Das Publikum war übrigens sehr gemischt. Neben der von mir auch erwarteten Fraktion der mit Anti-Schielbrille und Zahnspangen bewehrten Vorschulkinder und ihren jeweiligen geduldig-genervten Erziehungsberechtigten gab es durchaus erwachsen wirkende Menschen, die sich der Sache mit auffälligem Ernst widmeten. Ältere Damen wie immer ausgenommen, aber mittelalte Herren vom Typ biederer-Nachbar-der sich-später-als Serienmörder-entpuppt können auch schon mal verdächtig wirken.

Auf der nächsten Ausstellung bin ich übrigens wieder da. Ich muß doch wissen, ob mein Favorit, Nummer 48 (die Nummer 37 war übrigens langweilig), gewonnen hat.


 



Traurige Liebeslieder

Nach einem berufsfördernden Tag auf der Fotoagenturmesse in den Deichtorhallen kann es kaum einen schöneren Ausklang geben, als sich einer gepflegten Ausstellungsbegießung hinzugeben. Der Heliumcowboy feierte das Einjährige. Grund genug, für eine Aufwartung. Die Kunst - modern, die Gäste - erlesen. Kitty 2000 aus Berlin spielte "traurige Liebeslieder" zur einsamen Gitarre. Andere tanzten woanders, ich aber war nun mal ebendort.
AxelK war ebenfalls anwesen und Lyssa mit einem T-Shirt, bei dem jeder sofort anfangen möchte, ergebnisorientiertes Html zu erlernen. Ich versuchte, Wäscheaufhängen gegen Kuchenbacken bei ihr auszuhandeln, aber das Ergebnis ist irgendwie offen geblieben. Sie weiß vielleicht noch nicht, daß ich nichts vergessen kann. Das Angebot steht also noch.

Kuchenbackende Frauen waren sowieso der große Hit an dem Abend. Auch Mequito outete sich bei dieser Gelegenheit als Freund feiner Backwaren. Als berufliche Perspektive - und das geht jetzt an den anderen Herrn - würde ich das aber noch einmal überdenken.




Die Backqualitäten habe ich auch immer geschätzt. Ich glaube, kuchenbackende Frauen mit schnellen Autos sind das allergrößte. Ich selber bin ja ein wenig geschwindigkeitsscheu. Man muß eben genießen können.



So wie diesen Abend. Sonntag geht es zu einer gänzlich anders gearteten, grandiosen Ausstellung, für die schon eine beachtliche Erwartungshaltung erzeugt werden konnte. Ich hoffe, ein paar Bilder liefern zu können.

Ausstellung "Strange Sofa" von Alex Diamond im heliumcowboy artspace bis 1. Mai 2004.


 


Samstag, 3. April 2004


Keine Ente

Wenn ich mitten in der Nacht wach werde, hilft es manchmal, am Fenster zu stehen und die Spiegelungen des Mondes auf dem Wasser zu betrachten. In den Büschen rührt sich Getier. Ab und an fährt eine Ente, die wohl ebenso schlecht träumt wie ich, hoch aus dem Schlaf und gibt nervöse Geräusche von sich.

Eine Tasse Tee soll mich wieder runterbringen. Ein wenig lesen. Bei Charming Quark einen Link zu einem Dossier der Zeit zum Thema Häusliche Gewalt gefunden. Same old story. Das öffentliche Bild gibt die Wirklichkeit oft unzureichend wieder. Auf beiden Seiten, ich weiß das.