Freitag, 2. April 2004
Also hieß die Parole, "No Future". Weder in "England's Dreaming" noch in Londons Gegenwart ("A nuclear error... but I have no fear..." The Clash, "London Calling").
Der größte Scherz der 80er waren diese komischen, bei Köln stationierten Raketen, die angeblich nur eine Flugreichweite von 50 km hatten. Gen Osten gerichtet, würde ihre nukleare Last also über Wuppertal abfallen. Das kommt mir heute wie eine urbane Legende vor. War damals aber ernst.
"Ich brauch Deinen Schutz, ich will dich beschützen..." (Fehlfarben)
Also so war es dann aber doch nicht gemeint. Vielen Dank. Atomkinder nannte das H.R. Giger schon Jahre früher. Später öffnete Pandora dann doch noch ihre Büchse. Unser Erdkundelehrer, geflüchteter Ex-DDRler und seitdem fünffach auf rechts gedreht, erklärte demonstrativ westliche Atomtechnologie für "absolut sicher". Sellafield/Windscale, Le Hague, Harrisburg, Cattenom - alles sicher. Großes Gelächter im hinteren Klassenflügel. Man konnte ja kurz mal aufwachen.
Die Todeszone wird heute ein Abenteuerspielplatz. Denn Bungeespringen war gestern. Der Bericht aus der Geisterstadt zeigt, wie nah dran die NeonPolyesterEndzeitBetonträume von 1981 waren.
"Hiroshima, wie schön es war" (Borsig)
Freitag, 2. April 2004
"Ich habe an 'No Future' geglaubt. 'I don't care' war auch wichtig. Nur weil ich
'I don't care' gesagt habe, bin ich ja immer noch da, wo ich heute bin. Nur deshalb ist ja nichts aus mir geworden. Weil mir das alles egal ist. Sonst hätte ich ja Karriere machen können. Sowohl bei Rank Xerox als auch mit den Fehlfarben. [...] Es gibt Sachen, die sind egal. Ich finde mich auch nicht verbittert. Ich finde halt einfach nur alles scheiße. Moderne Musik kann ich nicht ab, Musikfernsehen kann ich nicht ab. Und was meine Bedeutung für andere Leute betrifft - ich bin öfters irgendwo, wo in der ganzen Gegend gerade mal 5000 Leute wohnen, und da sitze ich in der Kneipe, und jemand kommt daher: 'Hey, bist Du nicht...?' 'Ja.' 'Du hast mein Leben verändert!'
Da kannst du nichts mehr sagen. Das war ja alles gar nicht so gemeint."
(Peter Hein in: Verschwende deine Jugend, 2001.)
Schneid dir die Haare, bevor du verpennst. Komisch, Peter Hein hat auch mal mein Leben verändert. Danke, übrigens. Und immer, immer wieder bin ich erstaunt, wie leicht es damals noch war zu provozieren. Ein Statement zu machen.
Kurze Haare! Schwarze Hosen!! Hundehalsband!!!
Eine merkwürdige Zeit. Schade, daß Beton nicht brennt. Zum ersten Mal wurde die neonlichterne Beleuchtung einer Bahnhofsunterführung zur artikulierten Lebenswirklichkeit. Der Feind war da draußen. "Angst junger Mann?" Ja, ständig. Vor dem Grauschleier, dem Doppel-Beschluss, der Einsamkeit am Morgen danach. Osten, Westen, scheißegal. Der Morgen kommt nie.
Seltsam, daß ich gerade in den letzten Wochen an die Zeit von 1981 erinnert wurde. Und folgende.
Deine erste "Cure" vergißt Du nie. Dein erstes Banshees-Konzert auch nicht. Alle gegen alle. Meine Freundin hatte einen weißen Renault 5. Ein C-Kadett wäre natürlich cooler gewesen. Aber man kam raus aus der Stadt. Ich war damals sehr verspannt. Überhaupt lag viel Gewalt in der Luft. Leute zerfetzten sich die Kleider und wälzten sich in gebrochenem Glas. Aber es gab einen kurzen Moment großer Solidarität. Als kleinste Zeichen ein Erkennungsmerkmal waren. He, das ist einer von uns. Punks, Skins, Mods, scheißegal. Die Rivalität kam erst später. Als der gemeinsame Hippiefeind "ey, du"-egal geworden war.
Die zweite Fehlfarben, die neue DAF, Erinnerungen an Mittagspause. Keinen Plan. Wuppertal als vergessene Außenstelle Düsseldorfs. Das "Kommunikationszentrum Die Börse" als schwerstobservierter Szenetreff. Brodeln, warten, Atmo atmen.
Seinen ersten Rank Xerox vergißt man auch nicht. Der Copy-Shop als kulturelle Schaltzentrale. Fanzine-machen. Kassetten. Subversiver Austausch von homemade-Kulturgütern via Second-hand-Läden und düsteren Klamottenschuppen. Vor Konzerten rumlungern und Tauschen, Abgreifen. In merkwüdigen Wohngemeinschaften noch merkwürdigere Menschen treffen, die zwischen Rattenkäfigen harmlose Subkulturbücher verlegen.
Egal. Do it yourself.
Manchmal habe ich daran geglaubt. Ganz naiv. Peter Hein, du hast mein Leben verändert. Trotzdem danke.
Als Astarte einmal einen schlechten Tag hatte.
Donnerstag, 1. April 2004
"Er beschäftigt sich zu viel mit sich selbst. Liest jeden Artikel, jede Kritik über sich."
(R. Beckmann, Kommentar zum Freundschaftsspiel Deutschland - Belgien, 31.3.2004.)
"Alle sogenannten sittlichen Bande waren aufgelöst. Eine Welle des Lasters, der Pornographie und Prostitution lief durch das ganze Land. "Je m'en fous", sagte ein jeder, "ick will mir endlich mal wieder amüsieren". Der Shimmy war die große Mode. [...]
Die Stadt war dunkel, kalt und voller Gerüchte. Ihre Straßen wurden wilde Schluchten voll Totschlag und Kokainhandeln, ihre neuen Wahrzeichen die Stahlrute und das blutige, abgebrochene Stuhlbein."
(George Grosz über die Zeit der Weimarer Republik. Aus: Ein kleines Ja und ein großes Nein, 1974.)
Dienstag, 30. März 2004
Laut einem ungeschriebenen Gesetz ist nach 100 Tagen der Zeitpunkt für eine erste Bestandsaufnahme und ein erstes Fazit gekommen.
Über 6200 Zugriffe sind mehr als ich je gedacht hätte (selbst wenn man meine 5900 eigenen abzieht). Erwartet habe ich nichts, versprochen noch weniger. Begonnen hat es am heiligen Abend mit diesem Motto.
Ich denke, bis Karfreitag habe ich mein Ziel erreicht.
Montag, 29. März 2004
Die Millionenfrage hätte ich gewußt.
Aber wahrscheinlich all die Fragen davor nicht. Also spielt es keine Rolle.
Nutzloses Wissen kann auch ein Reichtum sein.
Montag, 29. März 2004
Udo L. liebte das Mädchen aus Ostberlin. Sie stellte sich später als Agentin heraus. Der Mann macht immer weiter.
Samstag, 27. März 2004
I just don't know what to do tonight,
My head is aching as I drink and breathe
Memory falls like cream in my bones, moving on my own.
There must be something I can dream tonight,
The air is filled with the moves of you,
All the fire is frozen yet still I have the will.
Trumpets, violins, I hear them in the distance
And my skin emits a ray, but I think it's sad, it's much too bad
That our friends can't be with us today.
(Patti Smith, "Elegie")