Das große Mißverständnis

"Ich habe an 'No Future' geglaubt. 'I don't care' war auch wichtig. Nur weil ich
'I don't care' gesagt habe, bin ich ja immer noch da, wo ich heute bin. Nur deshalb ist ja nichts aus mir geworden. Weil mir das alles egal ist. Sonst hätte ich ja Karriere machen können. Sowohl bei Rank Xerox als auch mit den Fehlfarben. [...] Es gibt Sachen, die sind egal. Ich finde mich auch nicht verbittert. Ich finde halt einfach nur alles scheiße. Moderne Musik kann ich nicht ab, Musikfernsehen kann ich nicht ab. Und was meine Bedeutung für andere Leute betrifft - ich bin öfters irgendwo, wo in der ganzen Gegend gerade mal 5000 Leute wohnen, und da sitze ich in der Kneipe, und jemand kommt daher: 'Hey, bist Du nicht...?' 'Ja.' 'Du hast mein Leben verändert!'
Da kannst du nichts mehr sagen. Das war ja alles gar nicht so gemeint."

(Peter Hein in: Verschwende deine Jugend, 2001.)

Schneid dir die Haare, bevor du verpennst. Komisch, Peter Hein hat auch mal mein Leben verändert. Danke, übrigens. Und immer, immer wieder bin ich erstaunt, wie leicht es damals noch war zu provozieren. Ein Statement zu machen.
Kurze Haare! Schwarze Hosen!! Hundehalsband!!!

Eine merkwürdige Zeit. Schade, daß Beton nicht brennt. Zum ersten Mal wurde die neonlichterne Beleuchtung einer Bahnhofsunterführung zur artikulierten Lebenswirklichkeit. Der Feind war da draußen. "Angst junger Mann?" Ja, ständig. Vor dem Grauschleier, dem Doppel-Beschluss, der Einsamkeit am Morgen danach. Osten, Westen, scheißegal. Der Morgen kommt nie.
Seltsam, daß ich gerade in den letzten Wochen an die Zeit von 1981 erinnert wurde. Und folgende.

Deine erste "Cure" vergißt Du nie. Dein erstes Banshees-Konzert auch nicht. Alle gegen alle. Meine Freundin hatte einen weißen Renault 5. Ein C-Kadett wäre natürlich cooler gewesen. Aber man kam raus aus der Stadt. Ich war damals sehr verspannt. Überhaupt lag viel Gewalt in der Luft. Leute zerfetzten sich die Kleider und wälzten sich in gebrochenem Glas. Aber es gab einen kurzen Moment großer Solidarität. Als kleinste Zeichen ein Erkennungsmerkmal waren. He, das ist einer von uns. Punks, Skins, Mods, scheißegal. Die Rivalität kam erst später. Als der gemeinsame Hippiefeind "ey, du"-egal geworden war.

Die zweite Fehlfarben, die neue DAF, Erinnerungen an Mittagspause. Keinen Plan. Wuppertal als vergessene Außenstelle Düsseldorfs. Das "Kommunikationszentrum Die Börse" als schwerstobservierter Szenetreff. Brodeln, warten, Atmo atmen.

Seinen ersten Rank Xerox vergißt man auch nicht. Der Copy-Shop als kulturelle Schaltzentrale. Fanzine-machen. Kassetten. Subversiver Austausch von homemade-Kulturgütern via Second-hand-Läden und düsteren Klamottenschuppen. Vor Konzerten rumlungern und Tauschen, Abgreifen. In merkwüdigen Wohngemeinschaften noch merkwürdigere Menschen treffen, die zwischen Rattenkäfigen harmlose Subkulturbücher verlegen.
Egal. Do it yourself.

Manchmal habe ich daran geglaubt. Ganz naiv. Peter Hein, du hast mein Leben verändert. Trotzdem danke.

Radau | 00:51h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
ella - Freitag, 2. April 2004, 02:51
Sollten Sie
mal wieder Lust auf kurze Haare und Hundehalsband haben, kann ich Ihnen .:das hier:. nur empfehlen ;-)

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kid37 - Freitag, 2. April 2004, 03:19
Verlockend
Aber der claim hieß ja: Do it yourself! Sonst sehe ich noch aus wie Billy Idol.

Heute machen meine Haare getreu diesem Motto die Verkürzung auch von selbst. Und die Vergrauung.

Und bei den Halsbändern muß man aufpassen, daß man nicht wie einer dieser hippen Schlüsselkinder endet, die ihre Medienbunkerschlüssel oder Handys an so Strippen umgehängt tragen.

Es ist eben nicht einfacher geworden. Nur das Schwelgen in Nostalgia. Das kommt wie von selbst. Ganz einfach.

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lady.death1 - Freitag, 2. April 2004, 10:07
Früher
waren meine Haare lang und sehr bunt.
Nietengürtel, Lederjacke.
Gut,
das sich manches ändert....
Heute provoziert man intelligenter....

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Lu - Freitag, 2. April 2004, 13:36
es sieht so aus
als hätten wir die selben(gleichen?) wurzeln.
der alte(!) ratinger hof war mein 2. wohnzimmer, und es war egal, wie jung ich noch war, knutschte ich doch mit meinem lieblingskellner und war auf jeder party. das alte(!) op de eck im hafen, als dieser noch nicht der medienhafen war und DAF dort ihr frühstück zu sich nahmen, barmen in wuppertal und das alte okie dokie in neuss. peter hein, tja der held wird heute am halsband von seiner freundin durch die stadt geschleppt und hat irgendwie nicht mehr viel zu sagen, und der neue hof, den sah ich aus persönlichen protest noch nie von innen.
die haare habe ich schon lange nicht mehr mit seife und fanta getränkt, besetzte häuser auch schon lange nicht mehr besucht, aber man provoziert heute wirklich erwachsener, hat andere mittel, die man wählt. bierflaschen auf polizeiautos werfen, das kann es nun wirklich nicht mehr sein.
nostalgische grüße, an damals erinnert ... ;-)

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kid37 - Freitag, 2. April 2004, 17:30
Du gehst mit dem Kellner
... und ich weiß genau warum." (Fehlfarben)

Ja, der alte Ratinger. Spelunkenhölle. Das Schönste war aber die nächtliche Autobahnfahrt. Dunkelheit, Lichter, Erregung. Es lag was in der Luft. Später fuhr ich öfter in die Zeche nach Bochum, obwohl das Programm sehr gemischt war. Zwischendurch gab es aber immer eine Pogostrecke mit Clash und Wires "1 2 XU". Die Woche startete donnerstags mit dem "Wackeltreff" in der Börse. Zusammenrottung der Szene und Wochenendbesprechung. Lokalpatriotische New-Wave-Hits.

In Barmen wohnte dem Gabi seinen kleinen Bruder mit seiner Freundin. Die sang mal bei den Alliierten. "Mutant, Mutant, ich will so sein wie Du." Samstags traf man sie im Supermarkt. Das war die Zeit, liebe Kinder, als Supermärkte samstags schon um 13.00 Uhr dicht machten und man sich folglich noch vor dem Frühstück an die Regale drängen mußte. Mann, war das ein hartes Leben.

Peter Hein sah aber die letzten Jahre deutlich frischer aus als in den 90ern, wo ich ihn mal im Fernsehen gesehen habe. Da hat er mit irgendsoeinem jungen Ding rum- und selbst auf "Ist doch alles scheiße" gemacht. Immerhin hat er jemanden, der ihn Gassi führt. Ist doch schön.

Es gibt so einen Sci-Fi-Thriller, da klauen einem die Aliens die Erinnerungen. Sehen wir zu, daß uns das nicht passiert.

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fabe - Freitag, 2. April 2004, 15:22
karriere machen..
"Sonst hätte ich ja Karriere machen können. Sowohl bei Rank Xerox als auch mit den Fehlfarben" - - das ist mal ein grosser satz literatur, wegen dem, was da mitschwingt... kopierer... fehlfarben... ok, vielleicht zu weit hergeholt?

ach, btw.: das hier ist natürlich ein fake. gemacht bei letterjames... aber pssst(!), weil es ist auch eine kleine provokation an die leute, die diese plakate kleben... mal sehen ob die sich (nochmal) melden...

(entschuldigung für lange sätze..)

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kid37 - Freitag, 2. April 2004, 16:06
Ach je. Und ich war so begeistert. Das erklärt aber auch die beschmierte Brücke, die ich heute sah, als ich durch die Stadt ging:




Meinen Sie, diese sinnenfrohe Erklärung ist auch nicht echt? Herrjemineh!

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fabe - Freitag, 2. April 2004, 16:47
was die dame betrifft,
man weis es nicht! die brücke jedenfalls hat wohl wer bei james entworfen und dann bei ihnen in der stadt nach vorlage aufgebaut... oder so,

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kid37 - Freitag, 2. April 2004, 16:58
Ich glaube
... die Dame ist echt. Ich nehme jetzt immer dieses Deo aus der Reklame. Da passieren die dollsten Sachen.

Dass aber die ganzen arbeitslosen Architekten in dieser Stadt ihren Furor in Brückenkopien ausleben, das "sind Geschichten, die mir keiner glaubt." (Fehlfarben)

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misanthrop1 - Freitag, 2. April 2004, 17:54
betreffendes buch habe ich auch mit freuden und wehmut gelesen, obwohl ich ein wenig spät geboren bin. aber daf war meine erste 'alternative' musik, auch abwärts, neubauten, fehlfarben...

inzwischen habe ich zuweilen das unangenehme gefühl dass ich mich manchesmal wie diese von mir immer verachteten typen gebärde, welche nur die mucke gelten lassen, die sie in ihrer jugend gehört haben und die dann mit 40 tränenglänzenden auges auf öden revivalparties und der verflossenen jugend hinterhertrauern herumstehen...

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Lu - Freitag, 2. April 2004, 18:35
ich frage mich oft
wie es wäre, mit fast adulten kindern im haushalt.
also meinen dann. wühlen die in meinen und mannes platten ? verstecke ich die slime und die östro 430 vor denen , wegen blöder texte.
sind die genervt, wenn die eltern, also wir, im auto immer noch die neubauten aufdrehen, und bei ton,steine,scherben "mensch meier" laut mitsingen, so letzte woche passiert, irgendwo im hunsrück mit autofenster auf, die eltern besuchend, lachend und singend durch den wald fahren ? wer weiß das schon :)

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kid37 - Samstag, 3. April 2004, 03:22
da haben wir was verpasst
... vielleicht. Da haben einige von uns vielleicht zu lange nachgedacht. Kinder wollten wir doch nie haben für eine Welt ohne Zukunft. Männern sagt man ja immer, sie hätten endlos Zeit. Ha. Aber nun behalte ich eben meine Plattensammlung für mich. Wahrscheinlich hätte ich meinen Kindern nur Unsinn beigebracht und Karrierevermeidungsstrategien wie Peter Hein und sie subversive Musik hören lassen und mit ihnen den "Rauch-Haus-Song" gesungen (zumal ich jetzt an einer U-Bahn-Station wohne, die heißt "Rauhes Haus". Ganz groß.)

Dann wäre nämlich schwer Chorgesang angesagt gewesen. "IHR KRIEGT UNS HIER NICHT RAUS! DAS IST UNSER HAUS..." - und die Kinder würden genervt mit den Augen rollen und nach ihren Bibi-Blocksberg-Kassetten quengeln. So sähe das nämlich aus. Und zum Einschlafen gäbe es Joy Division. Damit das mal klar ist.

@misantroph: Über Abwärts wird viel zu wenig geschrieben. Amok/Koma... eine große untergegangene Platte. Hatte früher jeder, fällt nur keinem mehr ein. Ja, Nostalgie ist gefährlich. Man will sich ja auch nicht mehr von 20jährigen die Welt erklären lassen. Das sollen die jungen Leute mal schön für sich alleine ausmachen. Die haben es halt nicht einfach heutzutage. Muss man nachsichtig sein ;-)

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misanthrop1 - Samstag, 3. April 2004, 19:57
habe zum glück schon lagen auf mp3 umgestellt, plattensammlung stückweise zu ebay getragen...
ich fände es wirklich interessant mit halbstarken im haus, denn die würden vermutlich die gleiche musik hören wie ich (hauptsache kein hiphop...)
ist aber hypothetisch, weil sich 'richtige erwachsene' mit ernsthafterem als ihrer musik beschäftigen sollten...

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kid37 - Sonntag, 4. April 2004, 13:44
O weh. Sind Sie... sooo misanthroph? Sie haben Ihr Vinyl verhökert? (Drei-Kreuze-schlag.) Sie können Ihre Platten nicht mehr anfassen, das Cover riechen? Oh je...
Im Vertrauen: Da haben Sie einen großen Fehler begangen. Menschenfeindlichkeit, ok. Aber so hart gegen sich selber zu sein?

Wahrscheinlich würden Ihre Halbstarken aus lauter Protest uralte Schallplatten für teures Geld bei eBay ersteigern, nur um Sie zu ärgern. Und würden sagen, "Ach Papa, du mit deinen ollen mp3s. Geh uns weg mit dem antiquierten Mist. Heute hört man Vinyl, wenn man in sein will. Duuu, Papa, bist OUT!" So würden die reden. Und dann ihre KRS-1 und Public Enemy-Scheiben ganz laut drehen.

Ganz ernsthaft.

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misanthrop1 - Sonntag, 4. April 2004, 16:11
in schwachen momenten denke ich auch manchmal an den rückkauf... ;)

ja, jugendliche müssen sich einfach abgrenzen vom 'leben', und nichts wäre wohl schlimmer als wenn ihnen eltern vorgesetzt würden die alle diese abgrenzung unterliefen in form einer vermeintlich hippen anbiederei...

die wehmütige rückschau ist mein größter fluch, deshalb mache ich mir keine vorwürfe...und außerdem kann ich den 'alten kram' meist eh nicht ohne feuchte augen ertragen... ;)

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juneau - Samstag, 10. Juli 2004, 17:51
und da dachte ich die ganze zeit
nur ich lebe urplötzlich - gedanklich manchmal - in der vergangenheit, offenbar bin ich da nicht alleine. aber erstaunlich dass das alles menschen aus wuppertal und umgebung sind. pusten die da was in die luft? das sich sogar bis nach bayern schleicht? ;-) Meine Vinyl-Platten verkaufen kommt niemals in Frage, nicht mal wenn ich keine Nadeln für den Plattenspieler bekomme, ich hab sogar die 78-er Shellack Platten meiner Eltern gerettet. Leider gab der dazugehörige uralt Plattenspieler den Geist auf.

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