Merz/Bow #76


Just mit dem Postboot überbracht: nachempfundene Fotografie einer Sonnenfinsternis im 19. Jahrhundert [Symbolbild]

Helle Aufregung in den USA (das ist ein großer Staatenbund in Nordamerika) über eine finstere Sache: Die Total Eclipse of the Sun lockt Sonnenhungrige in den mittleren Westen und Anrainerstaaten. "The Great American eclipse" sagt Susan Miller und wagt einen Ausblick in die Sterne. Wer es wissenschaftlicher haben möchte, kann den Verlauf der schwarzen Sonne auch auf der Seite der NASA verfolgen.

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"Ersatzzüglein": Im Aufzuchtgehege der großen Bahn

Hin und her in der kleinen Stadt. Ostern in Wuppertal, mit Muttern im Museum, kleine Speise, Familienrundfahrt, dann wieder heim vor der großen Rückreisewelle ("vor die Welle kommen"). Der Nachtzug aus der Schweiz hat Verspätung, Warten in der zugigen Halle am Hauptbahnhof. Dort spielt ein Obdachloser, genervt von seinem labernden Sitznachbarn ("Ich geh' jetzt mal ans Klavier"), Klavier. Große, vom Alkohol aufgedunsene Hände und Finger bei einstudierter, filigraner Musterarbeit. Kein rumpeliger Boogie-Woogie, sondern ziselierter Frühlingswalzer im verlorenen Hall des großen Wartesaals, I Like Chopin sozusagen als Überbrückungshilfe. Wir hatten alle mal ein Leben vor diesem Leben. Dann mit dem federnden Eurocity in die Nacht, schlummernde junge Leute, erschöpft von irgendeinem Festival, draußen Gewitter, Starkregen, zuletzt wieder verschlierte Lichter der aufgereihten Städte. Nocturne.

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Hilde & Gretl. Ein Haus voller Geschichten.

Einem Hinweis im wunderbaren Wieselblog folgend, habe ich kürzlich das ebenfalls wunderbare Buch Hilde & Gretl von Tarek Leitner und Peter Coeln erworben. Zwei Cousinen, eben diese Hilde und Gretl, bewohnen ein Haus, musealisieren es entlang ihres Weges, hinterlassen das, was eben so hinterlassen wird: flüchtige Spuren einer alten Republik, Profanes und Banales, Kitsch und Krempel zwischen Nachtschrank und Wohnzimmertisch. Archäologisch aufgearbeitet, aus dem Abfall erhoben und in klugen Texten in Beziehungen und Deutungen gebracht, ist das Buch ein Katalog einer Zeitreise in die Welt der Tanten und (Groß-)Eltern, in die Provinz und Wendehammer-Siedlungen. Ganz toll.

MerzBow | 19:31h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
fidibus - Montag, 8. April 2024, 19:53
Bei dem Hilde&Gretel-Buch war es vermutlich hilfreich, dass sie die Personen zu Lebzeiten nicht kannten und relativ unbefangen an das "Projekt" rangehen konnten. (Denke über das Ordern eines Containers nach, um meine Sachen vorsorglich zu vernichten. Haus hab ich ja zum Glück nicht. ;-))

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kid37 - Montag, 8. April 2024, 22:14
Man muss wohl herzlich begeistert oder kühl distanziert bleiben, schon um neue Sinn- und Deutungszusammenhänge zu konstruieren. Und "oller Mist" oder irgendwie schambehaftet darf das auch nicht sein. Und was die eigenen Sachen betrifft - ich fürchte, man verpast den richtigen Moment für so was. Immerhin habe ich mittlerweile meine sagenhaften Uni-Mitschriften und Dokumente von vier auf einen Karton eingedampft und den Rest entsorgt. Verloren für die Menschheit - für immer.

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sid - Montag, 8. April 2024, 22:54
Soweit bin ich noch lange nicht. (Unimitschriften etc.) Mag daran liegen, daß das die gefühlt einzigen Sachen in der Wohnung sind, die mir gehören und (fast nur) mit mir zu tun haben. Rechnungen fühlen sich anders an ; ) vllt weil ich derart viele Rechnungen udgl hab, halte ich an den Unidingen fest. Die sind von außen auch nicht (mehr) emotional aufgeladen.

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kid37 - Montag, 8. April 2024, 23:05
Ist sicher eine Sache der Lebensphase. Bin ja ein alter Mann und muss langsam klar Schiff machen. Ich habe auch den Verdacht, dass später nie ein:e Doktorand:in über meine Jugend- und Studienjahre arbeiten wird oder auch nur ein Werkarchiv entsteht. Their loss!

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samojede - Montag, 8. April 2024, 22:51
In
( ) Wuppertal
( ) KlAvierspieler
( ) Hilde& Gretl

..kann ich nicht reingehen.


(Bin der kühl distanzierte Typ)



Aber bei Susan guck ich auch manchmal rein. Nicht weil ich dran glaube, aber sie schreibt so..warmherzig.
Was ist Ihr Lieblingsplanet+ Apriltag ?

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kid37 - Montag, 8. April 2024, 23:10
Eklipse immer Wendepunkt, und nur Gutes. Wenn nicht, dann aufpassen! Ich bin natürlich #TeamPluto, schon weil man dem immer ans Planetenleder will, weil irgendwelche kleinliche Astroerbsenzähler angeblich Defizite festgestellt haben wollen. Jede Wette, wenn Pluto sich lässig ans Klavier setzt, sind alle verblüfft. Als kühl distanzierter Typ müsste der Ihnen auch gefallen, denn wie sang Siouxsie Sioux in "Pluto Drive": "Let's go to Pluto, it's cold and it's damp".

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nnier - Dienstag, 9. April 2024, 07:16
Auf einsamen Inseln oder Berggipfeln finden sich gewiss ab und an Klaviere - aber in einer Bahnhofshalle!?! Pics or it didn't happen, hieß es früher in den sog. Foren!

(Was Ihre stetig anwachsende Bibliothek angeht, danke für die immer interessanten Hinweise, jedoch aufgepasst! Umberto Eco musste angeblich wg. Einsturzgefahr irgendwann umziehen, und das waren dann mehr als 4 Kisten!)

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kid37 - Dienstag, 9. April 2024, 12:09
Das sind bestürzende Nachrichten! Umberto Eco besaß ja letztlich auch nur zwei-, dreihundert Bücher mehr als ich. (Die vier Phasen der Bibliotheksverkleinerung heißen 1. ich verkauf die jetzt über Booklooker 2. ich spende die dem Bücherbasar 3. ich setz die aus im Tauschschrank 4. ich stelle einen Karton vor die Tür)

Bahnhofsklaviere sind seit ein paar Jahren in modernen Städten der dernier cri. Die Idee stammt wohl aus Birmingham. Das in Wuppertal sieht so aus. Viel, viel angenehmer als irgendeine Einkaufscenterdudelmusik.

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nnier - Dienstag, 9. April 2024, 14:45
Ah, interessant! Nur der angekettete Klavierhocker verankert einen doch wieder ein wenig in der Realität.

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kid37 - Dienstag, 9. April 2024, 20:02
Ja. Vandalismus bleibt leider nicht aus.

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