Montag, 19. April 2004
Weia. Statt ctrl+alt+del habe ich gestern doch tatsächlich Apfel+F12 gedrückt. Auf diesem Shortcut ist doch aber Pathos 5.17 abgespeichert.
Da lief ja ein hübsches Programm ab.
Durch leicht herablassend-gönnerhaft wirkende Gutwünschigkeit können bekanntermaßen arge Rückstürze induziert werden. Leider mußte ich den zweiten Kühlwasserkreislauf meines kurz vor der Kernschmelze stehenden Reaktorblocks mit Rotwein füllen. Der weiße - die Hausmarke hier - war nämlich alle.
Ein kurzer Systemcheck in der Betty Ford Klinik heute brachte aber immerhin das Kontrollzentrum wieder zurück in einen weitgehend autopilotgesteuerten operating mode. "I'll be back".
Dann gab es liebe kondolierende Grüße gespickt mit rheinischen Fotos. Dank noch mal an dieser Stelle. Sehr aufmerksam. Der Tag war verregnet, aber unten am Hafen ist es auch bei diesem Wetter interessant. Die Kehrwiederspitze wurde allerdings weiträumig umgegangen.
120 Tage heute. Da lasse ich am besten diese Mädels kommen, die für meine "Moulin-Rouge"-Revue ("Spektakulär, spektakulär!") vortanzen wollten.
Das ist so oder so die einzig richtige Antwort. Andererseits lauern wie überall auch hier Gefahren.
Vier Jahre. Jede Woche ein Brief oder eine Postkarte. Ziehen wir für Urlaube was ab. Macht 50 Wochen pro Jahr. Macht 200 Briefe oder Postkarten. Die Hälfte kam nicht an, aus diesen oder anderen Gründen.
Zurück kam nur eine Karte.
Deren Text kenne ich auswendig.
Die Quittung kam später.
"Du hast doch um meine Freundschaft gebettelt."
Ja, so war es dann wohl. Ein Versehen sicherlich. Wie konnte ich nur. Aber ich solle mir nichts daraus machen. Ich hatte es ja nicht gelernt.
Dann macht es ja nichts.
Montag, 19. April 2004
I don't know what to say
you don't care anyway
(New Order, "Crystal")
"Als der sechzehnjährige Karl Roßmann, der von seinen armen Eltern nach Amerika geschickt worden war, weil ihn ein Dienstmädchen verführt und ein Kind von ihm bekommen hatte, in dem schon langsam gewordenen Schiff in den Hafen von New York einfuhr, erblickte er die schon längst beobachtete Statue der Freiheitsgöttin wie in einem plötzlich stärker gewordenen Sonnenlicht. Ihr Arm mit dem Schwert ragte wie neuerdings empor, und um ihre Gestalt wehten die freien Lüfte."
(Franz Kafka. Amerika. "Der Heizer". 1935.)
Heute war ein warmer Tag. Der Mann, weder sechzehn (zum Glück) noch vom Dienstmädchen verführt, sitzt am Kai an der Kehrwiederspitze und schaut nach Amerika. Keine falsche Moral treibt ihn hinaus. Es war ein Tag, wie mit dem Schwert gezeichnet. Früher oder später, sagt man dann für gewöhnlich. Früher oder später wäre dieser Tag so oder so gekommen. Nun war es früher oder später. Das ist keine Frage der Uhrzeit. Man hält es zusammen, so gut wie man kann. Und sieht es zerbrechen. Ein Uhrglas zerspringt.
Nachts ist es immer noch kalt. Stimmen aus einer Ferne. Hundegebell. Auf verrosteten Gleisen steht eine ausgebrannte Lokomotive. Am späteren Horizont eine Kette aus Licht. Das ist die Köhlbrandtbrücke. Man lauscht dem monotonen Gesumm eines öligen Generators. Auf halbem Weg, zwischen niemand und nichts, liegt ein russisches U-Boot vertäut. U-434, ein schwarz-metallener Wal, abweisend und kalt. Ich klopfe an.
Doch der Kapitän hat das Boot verlassen.
"Alle Angst der letzten Stunden verschwand." (Kafka, Fragmente.)
Samstag, 17. April 2004
There is no end to this
I have seen your face
But I don't recognize all these things
You must have left behind
Heute mittag auf dem Flohmarkt.
Zwei gefallene Engel. Mit gebrochenen Flügeln.
Sie haben aneinander nicht helfen mögen.
But then, this is only an assumption. Most possibly the girl is happy as a kitten in the sun. The boy though, like a worm, takes another path.
There is no room to move
Or try to look away
Remember, life is strange
But life keeps getting stranger every day
(New Order, "Procession")
Freitag, 16. April 2004
Denn mein nächstliegendes Buch hat auf Seite 23 keine 5 Sätze. Jedenfalls, wenn man das Semikolon nicht mit dem Satzende gleichsetzt.
Der halb-fünfte Satz aber lautet: "oder vielleicht schreibe ich, wie andere auch, aus Ehrgeiz, um mich darzustellen: scire tuum nihil est nisi te scire hoc sciat alter [Dein Wissen ist nichts, solang nicht ein anderer weiß, daß du weißt]."
(Robert Burton. Die Anatomie der Melancholie. Mainz: Dieterich'sche Verlagsbuchhandlung, 1988. Original von 1651.)
(via alle möglichen blogs zur Zeit)
Freitag, 16. April 2004
Die altehrwürdige Karstadtfiliale an der Mö(nckebergstraße) überrascht mit einer neuen Schaufensterdekoration. Kaum war Ostern vorbei, flogen die dicken Eier und scharfen Häschen raus. Nun gibt es die neugelistete Dessouslinie von "May B." zu bestaunen, die mir neulich schon in der Damenwäschabteilung auffiel. (Ja, ich ziehe mich zum Spülen immer schick an.)
Dazu ganz fachgerecht andekoriert passende Utensilien. Parfümflakons, biegsame Dirigierstäbe für Pferde, ergonomisch geformte Vibrationsalarme (nun sogar in schrillen Mustern, aber ohne Wechselschalen)... die Kundschaft staunt. "Ja, sind wir denn auf St. Pauli hier?"
Frühling, du bist's!
"Eine 'Horror-Romanze' nennt die australische Schriftstellerin Anna Funder ihre Liebe zu Ostdeutschland."
(KulturZeit, 3Sat)
Nur zur Gedächtnisauffrischung die zehn Gebote.
Mehr Freundlichkeit, bitte. (via bara)
Mittwoch, 14. April 2004
Meine Mutter hat mir ein Osterpäckchen geschickt. Ich habe meiner Mutter auch ein Osterpäckchen geschickt. Leider hat es der Hase weder auf dem einen, noch auf dem anderen Weg rechtzeitig geschafft. Nächstes Mal machen wir es wie die Igel, behalten unsere jeweiligen Päckchen und rufen feist: "Bin schon da!"
Die Hasen von der Post hatten mein Päckchen aber heute im Körbchen. Liebevoll verpackt allerhand Süßkram, den ich ja eigentlich nicht essen wollte, ein Päckchen Tempo-Taschentücher (rührend. Oder soll das heißen, flenn mal nicht immer so rum?!?), und ein Exemplar, der wichtigsten unbekannten Wochenzeitung der Welt: die Wuppertaler Rundschau (Ausgabe Ost).
Manche rümpfen vielleicht die Nase und sagen, ach, so ein Anzeigenblättchen. Na, das gibt es doch in Hamburg auch. Papperlapapp. Da leg ich doch das Feuilleton der FAZ beiseite und falte die Süddeutsche ganz klein. Die Wuppertaler Rundschau ist meine Nabelschnur zur skurillen Denke, für die dieses Tal an der Wupper so berüchtigt ist.
"Kreuzigung auf der Hardt" - "Hardt wird wieder zum Ölberg". (Die "Hardt" ist ein Parkgelände im Westen der Stadt)
So die Titelschlagzeile. Ein Bericht über die Karfreitagsprozession der italienischen Gemeinde. Als ich letztes Jahr im heimischen Hamburger Kreis davon berichtete, wollte man mir ja nicht so recht glauben.
"Bundesweit die größte Veranstaltung ihrer Art". Das wiederum wußte ich nicht. Der Jesus kommt dieses Jahr aus dem Barmer Stadtteil Wichlinghausen, in dem nicht nur Rita Süßmuth, sondern auch ich geboren wurde. Völlige Begeisterung! Jesus' Arbeitsplatz ist genau gegenüber meiner alten Wohnung. Großgroßartig! 15.000 Zuschauer waren letztes Jahr zugegen, bedauerlicherweise habe ich es dieses Jahr vergessen.
Was gibt es sonst Neues? Ein alter Geschichtslehrer meiner Schule und begnadeter Handballschiedsrichter ist gestorben. Leider verschweigt die "WR" pietätvoll sein Alter.
"Zentara mochte Menschen, schämte sich auch seiner Tränen nicht, die nicht selten flossen". Hat mal jemand "Der Krieger und die Kaiserin" gesehen? Tom Tykwer kommt ja auch aus Wuppertal und muß es wissen. "Ich weine leicht, das ist erblich bedingt", heißt es da sinngemäß. Damals erklärte ich meiner damaligen Herzdame: Das liegt entweder am Trinkwasser oder ist tatsächlich ein "Bergisches Land Gen". Ich hab das, Zentara auch.
Klaus Zentara. Auch schon tot.
Dann natürlich ausführlich der WSV. Ist ja jetzt Tabellenführer. Super, WSV! 20.000 Zuschauer beim Regionalliga-Derby Rotweiß Essen gegen den WSV. 20.000 Leute! Regionalliga! 20.000 Zuschauer.
Im Innenteil das "Langerfelder Geflüster". Fachhändler des kleinen Stadtteils stellen sich vor. Schön, daß man bei "Tinte Plus" in der Schwelmer Straße einen Euro Nachlass bekommt, wenn man die Anzeige - die ich nun habe - vorlegt. Und der kleine Florian aus der 4b ist der "Lesekönig" in der Engelbert Grundschule. Brav, Florian. Ganz toll hast Du das gemacht!
In der "Bandfabrik" stellen elf Künstler aus. Im "HSV-Museum" in der AOL-Arena gibt es Beiträge aus Wuppertal. Ja, Wuppertal ist überall. Neulich hörte ich, daß Wuppertaler Radwanderer die Gegend um Aurich unsicher machen. Als Jugendlicher war ich da ja auch oft.
Auffällig, wie viele Berichte über kirchliche Veranstaltungen hier enthalten sind. Ich muß das mal mit dem örtlichen Anzeigenblättchen vergleichen. Aber angeblich glaubt der Hamburger ja nur an den Pfeffersack.
Ich habe Frieden mit meiner Heimatstadt geschlossen. Aber ich bin ja auch selten da. Diese Karfreitagprozession aber hätte ich gerne einmal wieder gesehen. Die ist wirklich sehr ergreifend.
Psssst! Kommen Sie mal näher, ich mag es nicht so laut drehen.
Es geht um You're the storm.
The Cardigans sind ja auf dem schlechtestem Weg, die Abbas der Jetztzeit zu werden. Man schaue sich nur die gruseligen Klamotten an. Bärtige Musiker, schauder. Fludderflinsefransen an der Oberbekleidung.
Wer ganz böse sein mag, dem fällt noch "Vaya Con Dios" ein. Deren Zielgruppe haben die wahrscheinlich in einer freundlichen Übernahme erworben. Live aber rocken die Cardigans wie Sau. Wie eine wildgewordene Süßspeise sozusagen. Lekkerol.
Ich glaube, ich hatte heute morgen zu viel "Rise and Shine" im Tee.
Jetzt aber The Storm.
"The peace has been deceiving..."
Dienstag, 13. April 2004
Soviel Zeit muß sein:
"Haben Sie die Nabelschnüre abgetrennt?" erkundigte sich Jacquemort noch. "Binden Sie sie schön knapp ab."
"Ich habe Schleifchen gemacht", sagte das Kindermädchen, "das hält genauso gut und sieht besser aus."
(Boris Vian. Der Herzausreißer, 1953.)
Warum meine Nächte so aufregend sind?
Nun, abends lese ich das ganz harte Zeug.
Ich besitze selbst so ein paar dieser Schätze. "Summer in Sodom", etwa
("A daring novel of two handsome young men and their strange passion for each other!") oder "Blonde Dynamite" ("An intimate view of what some co-eds must go through to get educated").
Ganz große Literatur natürlich und faktisch allesamt auf authentisch wahren Tatsachenbegebenheiten beruhend. I Married a Dead Man ist so ein lebensnaher Fall, nach allem was man so hört. Ich denke, Jet Set Stud könnte hingegen mein Leben umschreiben. Aber Achtung: Wer Narco Nympho sagt, ist wahrscheinlich bald ein Doomed Sinner und endet im House of Perversion.