Mittwoch, 28. April 2004
Als Robert Maxwell im Alter von 28 Jahren von einer Freundin eine Nikon F3 geschenkt bekam, widmete sich der Kalifornier fortan weniger dem Surfen als der Fotografie.
Nachdem er nach Paris zog (eine Französin heiratete und, wie er selbst sagt, Geschmack lernte) schaffte er den Durchbruch. Modeaufnahmen von ihm erscheinen seither in GQ, Vogue, Vanity Fair, Elle und Nerve.
Seine freien Arbeiten erinnern in ihrer Präzision an Irving Penn und Edward Weston, in ihrer nostalgischen Anmutung und Offenheit aber auch an Gilles Berquet. Maxwell benutzt für den zeitlosen Look seiner Bilder ein technisches Verfahren des 19. Jahrhunderts, die "Ambrotypie". Er fertigt die lichtempfindlichen, nassen Kollodium-Glasplatten selbst. Drei Minuten bleiben ihm für die Belichtung, ehe die Platten trocken werden.
Brüche in der Emulsionsschicht, Risse und Sprünge im Glasträger, Flecken und Kratzer gehören zu dieser Art Fotografie dazu. Sie sind wie das Leben.
(Robert Maxwell. Photographs. Arena, 2002.)
Gerade wurde ich von einer sehr attraktiven Frau nebst Kuchen versetzt, weil sich selbige, statt die Aussicht vor meinem Fenster zu bewundern, lieber mit Handwerkern in ihrem so genannten Bad grämen möchte.
Da putzt und macht man, schrubbt den Waschraum im Wissen um die kleinen Eigenheiten des angekündigten Besuchs, räumt die Pornographie in eine dunklere Ecke, wirft ein Tuch über den Pamela-Anderson-Pappaufsteller, scheitelt noch schnell sein Haar... und verliert gegen Handwerker, die womöglich den ganzen Tag "La Traviata" in einer Mini-Naßzelle singen.
Ich habe am Telefon natürlich so getan, als wäre dies eine wahrhaft niederschmetternde Nachricht für mich. Glaubhaft gab ich vor, nunmehr den ganzen Abend Gedichte von Georg Trakl ("Elis, dies ist dein Untergang!") rezitieren zu müssen.
Dabei kann ich mich jetzt ganz entspannt mit männlichen Attributen wie meinem Akkuschrauber und Bier umgeben und mich gepflegt auf das Fußballspiel heute abend vorbereiten.
Montag, 26. April 2004
Es brodert mal wieder beim Spiegel. Bekommen wir jetzt eine Bundesschrifttumskammer?
Nach den Herrenmenschen muss bald wohl das Gutmenschentum in Schranken verwiesen werden. Vielleicht könnte man ähnlich wie bei Zigaretten auch die schlimmen Bücher mit Aufklebern kenntlich machen. Weiß man wenigstens, was man kaufen soll.
Montag, 26. April 2004
Is there something you need from me
Are you having your fun
I never agreed to be
Your holy one
Whatever I've done
I've been staring down the barrel of a gun
(DM, "Barrel Of A Gun")
Heute nacht besuchte ich den alten Kapitän. Er war lange Jahre Kommandant eines U-Boots gewesen und wußte, was es heißt, ein Leben im Untergrund führen zu müssen.
Er bot mir Tee und einen alten Keks. Im Radio liefen sozialistische Friedenslieder. "Katjuscha". Ich fragte ihn, wie man entkommen kann. Wenn ich aus meinem Fenster blickte, sehe ich nämlich, daß die Drachenboote schon wieder auf Kaperfahrt gingen.
Im Radio lief nun The Jam. "Going Underground". Das war doch aber auch früher. "And the public gets what the public wants/But I want nothing this society's got/I'm going underground"... ha, und früher hieß jünger.
Der alte Kapitän lächelte. Er meinte, er sei von Osten nach Westen gefahren und einmal sogar unter dem Eis hindurch über den Nordpol. Die Antworten, die er dort fand, waren nicht die Antworten, die er erwartet hatte. Aus Feinden konnten Freunde werden, und aus Freunden Feinde. Mittlerweile hatte er eine Flasche Wodka aus dem kleinen Kajütschrank geholt und vor sich auf das schmale Tischchen mit der kleinen, erhabenen Umrandung gestellt. Fast hätte ich gesagt, "Trrrrink, Brrriderchen", als mir einfiel, wie unhöflich es ist, fremde Dialekte nachahmen zu wollen.
"Trrrink, Brrriderchen", sagte er zu mir und konnte sich mein Lächeln nicht erklären. "Weißt", meinte er. Ihr im Westen, ihr denkt zuviel nach. Ihr träumt vom Wind. Und wenn kommt Sturm, dann ihr habt Angst.
Gut, meinte ich. Mit einem U-Boot kann man abtauchen. Da ist leicht reden.
Ach, meinte er und machte eine abwertende Bewegung mit seiner Hand. "Roboti, roboti, alles Arbeit." Unter Wasser gäbe es Stürme, die seien schlimmer als alles, was unter dem Himmel passierte. "Man muß wissen, wo sein Heimat", meinte der alte Kapitän. "Heimat sein Herrrz, sein Selle."
"Und wenn es keine Heimat mehr gibt? Wenn man eines Tages aufwacht, und alles ist weg?"
Der alte Kapitän schaute in sein Glas und dachte nach. "Darüber Seeleute njet sprechen", stieß er schließlich grimmig aus. Dann wurde er unruhig und nahm die angebrochene Flasche vom Tisch. "Dawai. Du jetzt mussen gehen."
Ich verließ das U-Boot. Schade, ich hatte mich auf eine Tauchfahrt gefreut. Aber ich mußte oben bleiben.
Ich wollte es neulich schon bemerken. Die formidable Striptease Raserei hat einen Link zu einer hübschen New Wave Erinnerung aufgerissen.
Ja, so im großen Ganzen war es wohl so. Ich will da nicht schon wieder das nostalgische Rühren im Topf der Erinnerungen anfangen. Neulich erinnerte ich mich, daß ich damals spitze Schuhe oder Creeps getragen habe. Und speckige schwarze Jackets mit Buttons/Badges. Und Ringel-T-Shirts. Explode/Implode. Und unter der Woche versackte ich jeden zweiten Abend im ... blablabla... ist hier eigentlich Kamingespräch für die Enkel?
Jetzt höre ich den Sturm. Das ist peinlich, süßlich und schwer romantisch. "You are a devil meaning well... if you want me I'm your country."
Ich weiß, ich bin weich in der Birne.
Samstag, 24. April 2004
'eute isch bekam une lettre electrique von meiner frankophilen Freundin A. aus D'dorf, sü die misch alle paar Jahre mal eine Welle à coeur treibt. Dann est-ce wieder Fünkstille. Das macht aber n'est-ce pas. Das sein Art de nous. Chacun a son gôut. Elle erinnert misch daran toujours, comme mon français unter aller Kanone ist. N'est pas trop bien. Malheuresement, hein?
Mais, egal ça. Elle m'inviter (pas de flektion) à ihr su 'ause in Städtchen tres belle à Rhein (rive gauche).
Deux Plattenspieler pour faire de musique grandiose, a grande table et ihr mütterlischer Büsen warteten.
Isch bin tres exaltiert. Elle veut savoir alles über Pool Viennese. Elle veut savoir tout. Elle me gebrochen de coeur vor lange Seit. Wir uns des'alb gut leiden können. Seit quinze ans. Baisers, toujours les baisers.
(Metrostation c/o Letterjames, via Tristesse Deluxe)
Da hat Tim Burton ja mächtig was am Haken gehabt. Aber anders als die beinahe einhellig begeisterte Kritikerschar, finde ich nicht, daß er seinen Fang auch an Land hieven konnte.
Ein Film vergißt sein Publikum. Burton verzettelt sich in seinen Ideen, die alle nur oberflächlich angerissen werden, aber schon deshalb zusammenhangslos bleiben, weil auch der eigentliche Grundkonflikt zwischen Vater und Sohn recht nebulös bleibt.
Der Sohn ist am Ende eine genauso blasse Schablone wie zu Beginn. Ein deplaziert und fehlbesetzt wirkender Stichwortgeber. Sicher, Finney ist großartig - aber viel hat er auch nicht zu tun.
Ästhetisch enttäuschend dieses 70er-Jahre Flair. Burton reduziert die Fotografie auf Gelb- und Brauntöne und übertreibt es mit diffusen Gegenlicht- und Weichzeichneraufnahmen. Ein Film ohne Kontraste. Die Computereffekte (vor allem die Stimme des Riesen) - ein Grauen. Das wirkt nicht traumhaft, sondern eher billig.
Ein Film, der seine Möglichkeiten verschenkt. Die Zirkusszenen verlieren sich in Halbtotalen, obwohl hier Gelegenheit für opulenten Ausstattungswahn und wirkliche Bizarrerien gewesen wäre. Die siamesischen Zwillinge? Ein running gag, mehr nicht. Es reicht doch nicht, bizarre Charaktere in die Landschaft zu stellen und mit ihnen nichts anzufangen. Was soll diese sehr dissonant wirkende Banküberfallgeschichte? Wieso werden die Papiere des Vaters durchsucht, obwohl er noch nicht tot war? Danny DeVito und Jessica Lange sehen aus, als warteten sie die ganze Zeit auf das Startsignal des Regisseurs. "Ok, Tim, wir haben jetzt ein wenig geprobt und auch gedreht - aber wann geht er denn nun los, der Burton-Film? Where's the Magic?"
Möglicherweise war Burton während der Dreharbeiten mit seiner eigenen Vaterwerdung so beschäftigt, daß er hormonell bedingt ein wenig weich in der Birne wurde und den Faden verlor. John Irving hat es ja in den besseren seiner Romane geschafft, viele Fäden aufzuknüpfen und am Ende doch noch "glaubhaft" zusammenzuführen. Hier bleibt vieles nur unverbundene Episode. Schade. Als Fan der Filme von Tim Burton (sieht man mal von Mars Attacks! und Planet der Affen ab) bin ich enttäuscht. Dieser Fisch kann nicht wirklich schwimmen.
Big Fish. USA 2003. Regie: Tim Burton
Donnerstag, 22. April 2004
Damals, als ich noch nicht in der Gartenzwergfabrik arbeiten mußte, verdiente ich mir mein Geld als Trapezkünstler. Wir waren ein Duo, die begnadete Lollo und ich, und als "The Flyin' Rabaukis" bekannt. Zweifachsalto, Dreifachsalto, Salto mortale , Zwillingsschrauben, Flügelschrauben, wir hatten alles drauf und hatten in der Zirkuswelt so etwas wie einen Namen. Hoch oben in der Kuppel, dreißig Meter über dem Sand der Arena - das war unsere Welt.
Kennengelernt hatte ich Lollo in Rumänien. Ihre Eltern waren im Widerstand gegen Ceausescu gewesen und hatten die kleine Lollo schon in Kindertagen auf die Zirkusschule geschickt. Sie hatte Talent und wurde bald als die "Begnadete" bekannt. Ich holte sie in einer Holzkiste im Laderaum einer Propellermaschine versteckt aus ihrer betonkommunistischen Heimat heraus.
Zum Dank unterwies sie mich im Trapezfliegen, und wir beschlossen, unser Glück beim Zirkus zu versuchen. Sie nannte sich fortan "Lollo", damit die Häscher der Sekuritat sie nicht finden würden. Zudem konnte niemand ihren wirklichen Namen aussprechen. Ich war "Tony Speciale, the Incredible Man on the Trapeze". Damals hatte ich noch öliges, schwarzes Haar und ging glatt als Italiener durch.
Wir hatten schnell Erfolg. Unsere Nummer kam an. Das Publikum liebte den zarten, fragilen Körper von Lollo und meine wagemutigen Übersprünge. Jedes Mal, wenn ich Lollo im letzten Moment beim Sturz in die Tiefe mit meinen starken Armen auffing, ging ein Raunen durch die Menge.
Ich war auch in Lollo verliebt. Aber ich glaube, sie hatte was mit Bolek, dem tschechischen Bärendompteur, der selbst aussah wie ein Bär.
Und so fing unser Unglück an. Zuerst war es nur der Stich der Eifersucht. Bald nagendes Mißtrauen. Lollo schien öfter unkonzentriert. Unsere gemeinsamen Schwünge schienen nicht mehr harmonisch. Eines abends entdeckte ich die beiden hinter dem Zelt von Manolo, dem Eisenbieger. Der stämmige, überall behaarte Bolek hielt meine zarte Lollo eng umschlungen. Ich raste. Der Puls schlug hart in meiner Brust.
An diesem Abend, als Lollo sich in einer spiralförmigen Bewegung bis unter die Kuppel schraubte, so daß sie fast die Zeltbahn berührte, griff ich zum ersten Mal daneben.
Das war das Ende der Flying Rabaukis. Es gab eine Untersuchung. Aber man konnte mir nichts beweisen.
Unter Zirkusleuten weiß man, solche Dinge können geschehen.
Donnerstag, 22. April 2004
Frau Sonne treibt es wieder mal besonders bunt.
Dies ist eine Kaufaufforderung. Die Frau braucht schließlich Käseschnittchenvorräte im Kühlschrank.
Heute exaltierte Träume gehabt. Lag wohl an den Gesprächen gestern nacht. Jedenfalls träumte mir, einige Tänzerinnen aus einem Pariser Nachtlokal namens "Rote Mühle", darunter eine Frau, die sich als Nicole Kidman ausgab, hätten mich mit einem bekannten amerikanischen Filmschauspieler verwechselt und mir gewisse Dienste angeboten. Ich war sehr überrascht und überwältigt, meine gemurmelten Proteste gingen aber in einer Flut französischer Küsse unter.
Meine Therapeutin meinte, ich solle mir darüber keine Gedanken machen. Der Traum bedeute wohl, daß ich gerne ein mittelaltes Dornspeckkäfermännchen wäre. Ein Leben als lästiges Ungeziefer. Aber so weit war ich doch schon.
Ich träume lieber weiter.
Dienstag, 20. April 2004
... oder ankommen und die Seele baumeln lassen. Im Dauerregen z.B.
Miss Monolog hat ihr Angebot wahrgemacht und ein paar Bilder aus der städtebauästhetisch heftig umstrittenen Stadt an der Wupper online gestellt. Ich habe mir schnell die CD mit dem "Bergischen Heimatlied" eingeworfen und mich gefreut.
Wo so wunderbar wonnig der Morgen erwacht,
im blühenden Tale das Dörfchen mir lacht,
Wo die Mägdlein so wahr und so treu und so gut,
Ihr Auge so sonnig, so feurig ihr Blut,
Wo noch Liebe und Treue die Herzen verband:
Da ist meine Heimat, mein Bergisches Land!
Bady Minck war mir entschlüpft. Nun taucht sie mit ihrem Film
"Im Anfang war der Blick" wieder in meinem Blickfeld auf.
Sieht äußerst vielversprechend aus.
Der Film.
(via Baronesse (die mit den ergreifend langweiligen Filmen, denen man stundenlang zuschauen möchte).
Arztbesuch, Praxisgebühr (plus Blutzoll): 10,-- €
Zuzahlung Medikamente: 16,74 €
Walter Mehring, Kleines Lumpenbrevier: 2,95 €
Franzobel, Jelinek et al., Österreich: 1,-- €
Erika + Klaus Mann, Das Buch von der Riviera: 1,-- €
Stewart O'Nan, Engel im Schnee: 1,-- €
T.C. Boyle, América : 0,50 €
Stapel alte Ansichtskarten: 0,50 €
Unterhose, H&M: 7,90 €
France Gall, Twenty Classic Recordings: 12,99 €*
Serge Gainsbourg, Comic Strip: 17,99 €**
Lebensmittel, Penny: 25,14 €
Einen schönen Tag verbracht haben, erschöpft nach Hause kommen und nicht angeraunzt werden: unbezahlbar
* als Alternative hatte ich Múm in der Hand. Aber diese Musik hat momentan dieselbe Wirkung auf mich wie die Betonschuhe eines sizilianischen Familienunternehmens.
** als Alternative hatte ich Kaizers Orchestra in der Hand. Aber diese verrückten Norweger sind zwar ganz groß, aber auch ein wenig anstrengend.