Mittwoch, 8. November 2017


Goldgelber Herbst



Als ich heute morgen meine Zimmerdecke fegte, um für meine drei Hausspinnen Myrtle, Käte und Agnes Platz zu schaffen, damit sie neues Halloween-Gelumpe in die Ecken weben können, fiel mir ein, daß ich vielleicht einfach mal wieder etwas hier hineinschreiben sollte. Damit die Leute nicht denken, ich sei tot oder verheiratet, je nachdem, was schlimmer ist.

Im Grunde war ich nur mal eben Zigaretten holen, kurz am Büdchen und dann abgelenkt. Auch hier und da, aber dazu später. Zwischendurch habe ich mich sehr um die internationalen Beziehungen verdient gemacht und mich wie ein in Australien herumhoppelndes weißes Kaninchen quer durch den Erdball gegraben, nur um am anderen Ende erschrocken auf meine Taschenuhr zu schauen und eine Alice ins Loch zu drolligen Abenteuern zu locken. Das aber nur als Metapher, bevor mir wieder irgendwelchen erzürnten Königinnen den Kopf abschlagen wollen. Noch etwas Tee?

Dann hatte ich kurz Geburtstag (am nächsten Tag bereits Ernüchterung!) und stellte fest, daß ich unvermutet in eine herbstlich gelbe Phase eingetreten bin. Jedenfalls für alle anderen. Unabgesprochen synchronisierten sich freimütig Gebende mit ihren gelben Seiten auf eine reduzierte Farbpalette, deren möglicherweise esoterische Bedeutung mir noch nicht ganz aufgegangen ist. Sie sehen mich wie ein Herbstblatt am Baume und raten mir zum Ostfriesennerz.

Gelb macht einen fahlen Teint, dabei sah ich eine kurze Zeit, durch gelbe Sonne bedingt aus wie der alte Jean-Paul Belmondo, mit meiner sprichwörtlichen Fröhlichkeit, der braunen Haut und dem grauen Haar - wie so ein cotton top, wie man recht bildhaft auf der anderen Seite der Erdhalbkugel sagt. Ohne Yacht oder wenigstens einem gelben Unterseeboot (Brüller!) aber macht das Leben als Double von Jean-Paul nur leidlich Spaß, so daß ich mir die Gesichtsfarbe rauswachsen ließ. In Hamburg kein Problem. Sonst war nichts. Guten Tag.

>>> Geräusch des Tages: Christie, Yellow River


 


Dienstag, 22. August 2017


Schnell noch Aufwärmen

Kurz vor dem Ende des Sommers flirrt die Stadt noch einmal auf. Verklebte Hipsterjungs sitzen auf Mauern, träumen von einem erotischen Treffen mit einer von Die Heiterkeit, nuckeln an vergorenem Fruchtsaft oder verwässertem Bier, hauen sich die Sonne rein. Bunte Vögel allesamt.



Soll doch jeder tragen, was er will. Neben vielen anderen Schwächen ist die Klamottenlästerei eine der unangenehmsten Verworfenheiten des Charakters. Dieses im Ton einer Waschküchentratscherei geäußerte "Wat hast du denn da an?", wenn es um ein andersartig gefiedertes Federkleid des Trägers oder auch der Trägerin geht, ist ja der soziale Grenzkrieg des kleinen Mannes oder auch der kleinen Frau. Tritt da einfach jemand über die Linie bei Normallnull. Trägste jetzt deine Vorhänge als Mantel oder wat?

Man liegt häufig nicht falsch, wenn man vermutet, daß der vorlaute Vogel selbst eher nur unscheinbare Flügel schwingt. Angerupftes Vorstadthuhn in farbloser Funktionsjacke, furchtbar aufregend. Was erlauben Nachbarin! Als nächstes wird die Unterwäsche auf der Leine inspiziert. Daß die sich das traut! Dabei soll doch jeder nach seiner Fasson usw. Der Sender Arte zeigt aus diesem Anlaß noch einige Tage die tolle Doku über Alexander McQueen. Der hatte Sachen im Portfolio, da wär die ein oder andere hämische Ziege aber hintenübergefallen.

>>> Arte: Das Testament des Alexander McQueen


 


Montag, 17. Juli 2017


Carte Postale




Ab und an bekomme ich Post aus dem schönen Nachbarland. Es fällt auf, daß die Menschen dort offensichtlich ein Auge für illustrative Briefmarken haben, wo man hierzulande profane Freistempler benutzt oder eine lieblos dahergedruckte Marke. Ich finde, so ein Umschlag ist ja zugleich eine Carte de visite, da sagt man schon der Briefträgerin, hallo, ich bin nett, tue niemandem was zuleide, könnte sogar etwas romantisch sein (unbedingt mit französischem Akzent aussprechen), bitte nicht knicken, sondern mitfreuen, hier kommt noch so richtige Post. Es gibt sie noch, die schönen Umschläge, man möchte eine Geschäftsidee darumherum bauen.

Bei Paketen gilt ja das Gegenteil. Das sollte möglichst abgerockt aussehen, billig und nicht der Rede wert. Neulich bekam ich eins, das einfach zu wertig aussah, mit Klebebändern sehr akkurat verschlossen. Das erreichte mich dann einer Seite säuberlich aufgeschnitten, leicht eingerissen und bis zum inneren Karton betrachtet. Das ist insofern praktisch, ich räume das gerne ein, als daß man nicht mehr so viel damit zu tun hat, das Paket umständlich zu öffnen. Wie vorgekochte Tempobohnen geht das daheim gleich ganz zügig. Schön ist diese Maladie aber nicht.


 


Donnerstag, 6. Juli 2017


Dunkle Träume unter der Dusche



Manchmal, wenn ich meinen Teppich im Bad aus der Waschmaschine gezerrt habe und in der Wanne über dem Wasserhahn zum Trocknen aufhänge, verwandelt sich der Vorleger in ein klitschnasses Zottelmonster aus einem japanischen Horrorfilm. Vielleicht eine alte, verwahrloste Wasserhexe, die in meinen Teppich wiedergeboren wurde und nun mein Badezimmer verflucht hält. Irgendwoher muß der regelmäßig wiederkehrende Staub ja kommen.

Meine einzige Waffe gegen Angriffe in der Dusche ist meine Rückenbürste vom Budni, wie man die örtliche Drogeriemarktkette hier kumpelhaft nennt. Da stehe ich dann da, halte triefend dieses Ding in Schach und memoriere in milder Panik die wichtigen Leitsätze. Don't be afraid, murmele ich zu meinem klopfenden Herz hinunter. Das ist jetzt nicht das Ende, denn das Ende ist immer richtig fürchterlich. Solche Sachen sage ich, von denen ich nicht weiß, wie eine japanische Teppichhexe dazu steht.

Immerhin, frisch geduscht wird es enden, könnte man denken. Wieviele Menschen trifft man morgens in der U-Bahn, die den Kampf mit dem Teppichmonster frühzeitig verloren haben und fluchtartig und ungewaschen das Bad verließen? Dabei muß man dem Duschwahn der Leute auch nicht nach dem Munde reden. Für die Haut ist das gar nicht gut. Und Max Goldt hat gesagt, beim Menschen gibt es nur sechs Stellen, die täglich gewaschen werden müssen. Linker Fuß, rechter Fuß, linke Achsel, rechte Achsel. Und dazwischen noch zwei. Hat er bei einer Lesung erzählt.

Jedenfalls lasse ich mich von so einer Vermummenschanze nicht einschüchtern. Da könnte ich glatt ein Hamburger Polizist sein. Wasserwerfer aus dem Brauseschlauch Marsch, und dann wollen wir mal sehen, wer hier Herr der Fliesen in meinem Bad ist.


 


Samstag, 1. Juli 2017


A Big Black Cloud Come

Looka yonder!
A big black cloud come!

(Nick Cave, "Tupelo")





Das Unwetter, das letzte Woche bereits über Hamburg hereinbrach, das eine dicke schwarze Wolke die Elbe hochschob, die Luft über dem Hafen anhielt, eine Nacht über die Stadt stülpte, den Zugverkehr lahmlegte, hat sich nun nach kurzem sommerlichem Schwenk in eine dunkellaunige Wand aus endlosem Regen verwandelt. Sieben Wochen geht das jetzt so, murmeln die Bauern über ihrem Kalender. Sieben Monate geht das jetzt so, unken die Sterndeuter und schauen in die großen Konstellationen beider Hemisphären. Sieben Jahre geht das jetzt so, raunen Belesene und Deuter von Handlinien und schütteln traurig die Köpfe.

Das ist Mahnung, ruft der Priester, die Stimmung nicht so hoch fliegen zu lassen! Ketzterei! stöhnt die Gemeinde. Geht in eure Kammern und hört sentimentale Lieder! geifert der Priester mit schriller Stimme. Greift zu Landkarten und Zentimetermaß, versteht das Ausmaß eures Unglücks! Draußen eine alles niederdrückende Wolke, nasses Grau und von Fröschen und Nacktschnecken gesäumte Wege. Nur der eine unterwegs, der ausgerechnet am Wochenende zum Weiterbildungskurs muß.

O God, what have I done?

>>> Geräusch des Tages: Nick Cave and The Bad Seeds, Tupelo


 


Dienstag, 20. Juni 2017


To the Max



Erstaunliche Dinge geschehen manchmal ganz unerwartet. Man kennt das ja aus dem astrophysikalischen Tageskalender. Wie aus den unendlichen Weiten des Weltraums ein Komet seine Bahn zieht, der nur alle paar Jahre sichtbar wird, irgendwo reinkracht, zu Verwerfungen auf der Erde führt, Sturmfluten, Erdbeben, Versinken in Rotwein. Man sitzt da wohlmöglich nachlässig gekeidet hingehockt vor seinem Teleskop, sieht ein heranrauschendes Objekt aus dem All und denkt literaturnobelpreisverdächtig "something is happening, but I don't know what it is". Mehr prognostische Klarsicht hatte einst Frau Gaga, die machte uns von ihrer Sternwarte aus vor Jahren bereits aufeinander aufmerksam, so daß wir uns auf gewisse Weise schon kannten, obwohl wir uns aus diesem oder jenem Grund und einem anderen nie getroffen hatten. Da könnte man mal ein Buch darüber schreiben.

Komplizierte, elliptische Flugbahnen also führten Komet Max dann doch aus dem blauen Sternenhimmel heraus nach Hamburg. Ihre Freundin Tania Jacobi hat hier gerade eine Ausstellung, sie selbst dort einen Auftritt, ich ging zur Eröffnung, wir erkannten uns gleich, der Rest ist Kunstgeschichte. Kann man mal ein Buch darüber schreiben.

Manchmal, selten, macht es ja gleich Klick. Da geht es nicht nur darum, wer die dreckigeren Witze reißen kann oder welche Art von Musik und Kunst man bevorzugt, wie man Dinge politisch betracht oder Dinge, die man essen kann. Am Ende ist es der Grad von Selbstverständlichkeit, mit der man miteinander umgeht. Dann läuft man gemeinsam auf einem Crashlanding-Kometenkurs durch die Stadt, wühlt sich begeistert durch Bücher über Taxidermie und Low-brow-Art, tauscht Lebensgeschichten und Einblicke, Gemeinsamkeiten. Pattern recognition. Irgendwann sitzt man gemeinsam in der Garderobe auf einer Art Therapiecouch und ißt ein Eis, irgendwann war ich als Bühnentechniker angeheuert. So beginnen Freundschaften. Da wird sicher mal jemand ein Buch darüber schreiben.

"I came to fuck up your mind", wurde zum überzeugend selbstbewußt vorgetragenen Motto der letzten Tage über einer in meiner Küche herbeigekochten Suppe, ein gutes Stück Therapiearbeit und freundschaftlicher Tritt in den Hintern, damit ein bißchen dieser ansonsten für Deutsche so gefährlichen Zugluft für frischen Wind im Hause sorgt. Nach den zurückliegenden anstrengenden und manchmal auch leicht beängstigenden Jahren die Energie wieder fokussieren, seinen Kram neu ordnen und den Blick wieder auf die Horizontlinie richten. Ich konnte mich immerhin mit einem kleinen Deutschkurs revanchieren und erläutere, wie man fehlerfrei "Du Opfer" sagt. Kulturaustausch ist so eine bedeutende Sache! Möchte mal jemand ein Buch darüber schreiben?

Ein transitionskraftverstärkender Vollmond hängt fett am Himmel, als wir am Knust vorbeigehen. Ein Chor steht vor dem Haus und singt "Bye-bye, Junimond". Das wird kein gutes Ende nehmen, sage ich. Neulich hätte ich zum ersten Mal die ISS gesehen. Sechs Minuten lang zieht die Raumstation ihre Bahn als leuchtender Punkt über den Himmel, ein sehr helles Objekt in einer eigentlich unfassbaren Entfernung. Dann ist sie wieder verschwunden. Sei kein Pessimist, höre ich. Drüben im Restaurant sind tatsächlich noch Tische frei. Man muß immer den ganzen Weg gehen. Aber wir sind etwas müde vom Tag. Wir haben uns so lange nicht gekannt.

Darüber sollte mal jemand ein Buch schreiben.

>>> Geräusch des Tages: Bob Dylan, Ballad Of A Thin Man


 


Sonntag, 28. Mai 2017


Heller als 60 Watt



Den sommerlichen Samstag in den Hamburg-Hamptons nutze ich, um schnell noch meine Dreimarkfuffzich für die Steuer zu erklären. So sitze ich nach den morgendlichen Dehnungsübungen in meinem Turnerbund-Tank-Top im milden Wind am Fenster und beobachte die Radfahrer, die auf dem von der örtlichen Arbeiterpartei empfohlenen Kopfsteinpflaster zum Schwimmbad rattern. Gleißendes Licht umhüllt sie, während fiskalisches Dunkel auf meine magerkäserindendünnen Ertragsbilanzen fällt.

Die Sonne, heißt es, falle auf Glückliche und Unglückliche gleichermaßen, auf Reiter und auf Pferde, auf Begünstigte und Veranlagte. Das Dachblech glüht in der Mittagshitze. Bald wird schon der Sommer kommen mit seiner Sonnenseuche, unheilvollen Hirnerweichungen, mattem Schwitzen und trägen Gelüsten. Wenn schon Steuer, dann das eines Segelboots, skandiere ich aus dem Fenster. Denn vom Warten, auf das etwas geschehe, passiert ja nun mal gar nichts.

Abends dann Glitzer und Pokal, die Goldelse singt, exaltierte Bienen hüpfen über den Rasen in Berlin, während hier in Hamburg die ISS über den Himmel flitzt in einem schönen Bananenflankenbogen von 10° Südwest bis 11° Ost. Richtig hell, wie der Abendstern. Heller als 60 Watt.


 


Sonntag, 30. April 2017


Das eine Auge des Dr. Mabuse



Wenn ich abends vor dem Zubettgehen mein allwissendes drittes Auge herausnehme und in ein Glas auf den Nachttisch lege, wird es ja eigentlich Zeit, die beiden anderen Äuglein zuzumachen. Meist aber muß ich noch nachdenken. Oft schleiche ich mich ja unerkannt durch die Stadt, weil ich der Mann der tausend Masken bin. Morgens greife ich mir einfach eine aus meinem Maskenkoffer und mache mich unsichtbar.

Dann beobachte ich aus der gut getarnten Verschmelzung mit der Umgebung heraus Szene wie die heute im Park, als ich dachte, da schnattert eine Ente, die klingt wie ein Mann, der wie eine Ente schnattert. Es war aber ein Mann, der wie eine Ente schnatterte, die sich anhörte wie eine Ente, die schnatterte wie ein Mann, der eine Ente imitiert. Hintergrund dieses am öffentlichen Ort vorgetragenen Gebarens war die Bespaßung eines Kleinkindes, wo ich auch nicht weiß, wie lange das abends noch wachliegt zum Nachdenken und über erwachsene Enten und Entenerwachsene sinniert.

"Mach's wie die Ente und laß alles an dir abperlen", ist ja eines meiner zahlreichen Lebensmotti, die ich morgens aus dem Mottokoffer greife, um mich für den Tag zu präparieren. Heute sind viele Hexen in der Bahn und auf den Radwegen unterwegs auf dem Weg zur Walpurgisnacht, um darin Schabernack zu treiben, wie hier von Stefan Eggeler illustriert. Ich fand den Wind heute auf dem Rad etwas arg böig, so daß ich heute Abend beim Nachdenken Sorge tragen* werde um den Hexenbesenluftverkehr im Harz und den zivilisationsentbundenen Randbezirken der Stadt. Ich hingegen lasse alles entspannt an mir abperlen, sitze beim Kaffee, höre ein wenig Webern, weil mich das Abstrakte und Musikböige darin noch mehr entspannt und lasse mich endlich weiter mit der zweiten Staffel Penny Dreadful hexenberieseln.

Der Geschichte darin konnte ich schon in der ersten nicht wirklich folgen, mir ist das ein wenig zu personalreich, und Eva Green zieht sich nun auch nicht in jeder Folge aus. Sie weint aber sehr viel, fällt mir auf, und das rührt einen dann ja doch. Als Lookbook und Einrichtungskatalog aber ist die Serie weiterhin phänomenal. Die Klamotten möchte man allesamt sofort erwerben, und das Labor des Herrn Doktor Viktor F. wäre auch für mich ein schöner Arbeitsbereich. Dann könnte ich hier nächtens am Leuchtturmfenster sitzen, auf ein Gewitter warten und so eine Bellmer-Puppe zum Leben erwecken. Für den Tanz in den Mai.


 


Mittwoch, 19. April 2017


Elektro-Aap



Manchmal, wenn der Affe traurig ist. Manchmal, wenn der Affe müde ist. Manchmal, wenn der Affe einen Affen schiebt. Dann muß er ran an den Strom, muß er ran an den Strom. Dann wird er zum Elektrolurch, dann braucht er Energie.

Wenn er morgens Pause macht. Wenn er morgens ein Päuschen macht, erstmal ruht und sich im Innern fragt. Wenn er einen Gedanken hat. Dann muß er ran an den Strom, muß er ran an den Strom. Dann wird er zum Elektrolurch, dann braucht er Energie.

Manchmal, wenn der Affe Muffe hat. Manchmal, wenn der Affe weiche Knie hat. Manchmal, wenn der Affe das Zittern und das Zagen hat. Dann muß er ran an den Strom, muß er ran an den Strom. Dann wird er zum Elektrolurch, dann braucht er Energie.

Wenn du morgens schon den Affen siehst. Wenn du morgens schon 'nen Affen schiebst. Wenn du deine Arbeit siehst. Dann mußt du ran an den Strom, mußt du ran an den Strom. Dann wirst du zum Elektrolurch, dann brauchst du Energie.


 


Freitag, 14. April 2017


Kargedanken



Die letzten Tage der Karwoche mußte ich mich mit einer technischen Hotline herumschlagen. Von einem Tag auf den anderen war nämlich mein Lieblings-Homeshoppingsender 3sat HD ausgefallen. Auch ein neues Kabel aus Weltraumgeflecht brachte mein Fenster zur Welt nicht zurück, so daß ich den über 12 Stationen laufenden Kreuzweg des Kundensupports antreten mußte. Wenn ich nun aber eines nicht gut kann, dann ist es, mit Roboterstimmen zu diskutieren, die mich auffordern, wechselweise die 1 oder 3 oder die 4 oder die Rautetaste zu drücken. Als mich dann noch eine MP3-Damenstimme belehrend anflötete, doch einfach mal mein Gerät aus- und wieder einzuschalten, erlebte ich den ersten Zusammenbruch.

Vom tief verwurzelten inneren Glauben an das Gutwerden von Dingen gestärkt, wagte ich aber Tage später einen weiteren Anlauf und geriet diesmal in eine Musikwarteschleife, in der allen Ernstes ein Soulstück lief, in dem es hieß: "Some people got a real problem..." Solche sanfte Ironie war natürlich genau nach meinem Geschmack und geradezu begeistert wartete ich stundenlang minutenlang auf den nächsten freien Mitarbeiter. Mir war es bislang nur theoretisch klar, aber die Arbeit in Callcentern muß wirklich... besonders ein. Mein heiter-begeistertes Lob ob der Musikauswahl wurde stumm ertragen, dann meine Meldung und technischen Vermutungen streng nach Liste abgearbeitet, mir das weitere Prozedere erläutert und sich zwischendrin ein halbes Dutzend Mal entschuldigt, wenn er mal was in einer Tabelle nachsehen mußte. Was für eine verängstigend demütigende Situation.

Da trug ich mein Kreuz des dunklen Fernsehbildes gleich viel leichter, denn siehe, es wartet immer noch ein Mann auf dich, dem es schlechter geht als dir. Das auch mal an die Frauen gerichtet. Danach hatte ich mein Mobilfernsprechgerät daheim vergessen, so daß mich die nächste technische Hilfstelle gar nicht erreichen konnte, dann ging es hin, aber auch wieder her, und schießlich hatte ich einen Herren am Apparat, der mit unerschütterlichem Gemüt und väterlicher Ruhe meine Klagen und Vermutungen entgegennahm. "Eli, Eli, lama asabthani" winselte ich, denn nach drei Tagen ohne Heimtrainerwerbesendung Kulturzeit fühlt man sich ja doch ein bißchen verlassen.

Abends erschien ein netter Techniker, aus Polen stammend und so mit der Leidensliturgie seiner katholischen Kunden bestens vertraut. Und ich begriff, je weiter man auf der Himmelsleiter der technischen Unterstützung voranschreitet, um so näher gelangt man an einen Menschen, der zuhört und einen mit warmen Worten umfängt. Erst aber war Bußarbeit zu tun, und so rutschten wir beide auf den Knien zur Antennendose, er zeigte mir seine Meßergebnisse, las aus seinem Tabellenbuch, bemängelte dies, beklagte das, ließ mein Antennenkabel drohend wie eine Geissel vor meinen Augen baumeln, tauschte dann aber die Dose - und siehe da, ein Engelsklang! - die Fanfare des Homeshoppingsenders 3sat HD emanierte auf meinem Bildschirm. Es ward Licht und allgemeine Erlösung.

Nachdem ich erklärte, aus welchem elterlichen Bibelkreis ich meine eigenen technischen Kenntnisse bezogen hatte, fachsimpelten wir noch kurz über diese und jene Details, ehe er lobte und dann erklärte: "Wir hatten früher kein Internet!" Denn unsere Generation wäre früher rausgegangen oder an die Sachen heran, "um Scheiße zu bauen - oder um was zu Lernen". Heute, ein Seufzer zum Himmel, nur noch Computer- und Smartphonedisplays...

Ich bin dafür ein Beispiel. Weil Ostern ist, habe ich der lieben Frau Mutter ein Bildchen gemalt. Das heißt, am Rechner zusammengebastelt. Da sieht man, was für ein Kitsch herauskommt - anstatt, daß ich hingehe und aus irgendeinem Vorgarten echte Blümchen klaue und ihr überreiche. Deshalb, wenn jetzt der Frühling kommt: Geht raus, baut Scheiße und lernt etwas dabei!