Samstag, 6. Oktober 2012
Marlen Mueller, genau, das ist die Schwester der großartigen Anousch, die ihr Blog ja leider vernachlässigt und den meisten nur noch als Twitterin bekannt ist. Wir erinnern uns an das Seufzen, das gestern Blogs und Twitter freudig (und in vielen Herzen auch trauernd) durchwehte. Die ist also weg, ihre Schwester aber auch - und zwar auf den Spuren von Jack Kerouac und seinem Roman On the Road. Quer durch die USA von New York nach San Francisco ging es für vier junge Leute aus unterschiedlichen Ländern, viele unverbrauchte Bilder fielen dabei ab, die man noch nicht aus tausend anderen Dokus und Filmen kennt, nicht alle eine echte Entdeckung vielleicht, aber mal ein anderer Ansatz.
Das Ganze ist ein Experiment, ein Wagnis, das eben auch nicht immer gelingt. Vieles bleibt leider flüchtig, viele Momente sind nicht auf den Punkt, so wie die Musikauswahl, die gelingt, wenn ein Beatgedicht mit dem passenden Bob-Dylan-Song unterlegt wird und man merkt, wo sich der Meister mal wieder bedient hat. So kenntnisreich geht es nicht immer zu, was Pink Floyd auf dieser Strecke zu suchen haben, bleibt mir ein Geheimnis. Eine Bereicherung sind auch die Zeitzeugen und Memorials, die anfangs besucht werden und die Spurensuche mit Bildern, Gedanken und Eindrücken füttern. Ab der Mitte aber läßt die Regie die Vier spürbar im Stich. Die Strecke verläuft durchs Irgendwo, und leider füllen die Protagonisten die great wide open nicht so recht, hängen etwas hilflos in der Luft. Wir sehen eine Klassenreise, da sind Leute lustig, albern, führen zwei, drei Sätze "ernsthaftes Gespräch", aber wirklich nahe kommen sie einem nicht.
Ich hätte die meisten ja nach hundert Kilometern schon aus dem Auto geworfen. Bis auf die Fotografin Marlen Mueller, die offen zugibt, das erste Mal in den USA zu sein (die anderen natürlich po.ly.glott) und sich im besten Sinne naiv zeigt, im Sinne von bei sich und offen genug, sich von dem, was sie sieht, beeindrucken zu lassen, statt immerfort nur sich selbst auszustellen oder affektiert durchs Haar zu streichen. Vielleicht wäre es besser gewesen die einzelnen auch einmal stärker einzeln vor die Kamera zu holen, erzählen zu lassen, näher ranzugehen. Uns bleiben Bruchstücke, Fragmente, Stümmelsätze.
Hinreißend bleiben Besuche wie die bei City Lights in San Francisco, einen Laden, dessen Beduetung für die US-Literatur nicht zu überschätzen ist - was man aber auch nicht erfährt. Während es für die vier Reisenden also um eine großartige Erfahrung und erinnerungswürdiges Abenteuer gehandelt haben dürfte, bleibt man als Zuschauer etwas zwiegespalten zurück. Unbedingt wiederholen, sage ich, beim nächsten Mal möchte ich aber bitte das Casting machen.
>>> On Jack's Road, Arte-Mediathek, Teil 1, Teil 2 (Nur noch heute!)
Freitag, 14. September 2012
Bloggen, Backen, Geigespielen: Christopher Kezelos hat diesen kurzen und unterhaltsam beklemmenden Animationsfilm zusammengebastelt. Er steht auf der Shortlist des Wrap-Filmwettbewerbs preisgekrönter Kurzfilme - und das völlig zurecht. Eine kleine allegorische Betrachtung über das Leben, die Zeit, die einem bleibt, und was man damit anfängt. Kostet nur 5:31 Minuten eurer Aufmerksamkeit.
via Darkened Forest
Montag, 23. Juli 2012
Aber ich hoffe, er hat dort, wo er ist,
das Lächeln nicht verlernt."
(Akte-X, "Without")
Möglicherweise, so jedenfalls bedeuten mir erneut sogenannte "wohlmeinende Menschen", sei meine Vorstellung von sozialer Interaktion durch den Konsum einer ebenfalls gewissen US-amerikanischen TV-Romcom (dazu aber später mehr) mißgeleitet. In Wahrheit, so die mir wenig schonend beigebrachte Beobachtung, seien Paare gar nicht bewaffnet und würden auch nicht den lieben langen Tag und halbe Nächte dazu unerklärlichen Geschehnissen, Mördern oder Fantastereien hinterherjagen, sich sonstwie permanent in Gefahr bringen und sich dabei sieben Jahre lang nicht einmal das Du anbieten. Ich verweise dann auf die Dokumente und die simple Tatsache, daß es da draußen eine bislang unbekannte Wahrheit gebe oder eben in einem drin, was ab einem gewissen Punkt ja auf dasselbe hinauslaufe.
Gleich Spooky Mulder bin ich mit meiner Meinung meist auf mich alleingestellt, während wir mittlerweile schon weit sind, daß ich das Gefühl nicht loswerde, des nachts oder wann immer ich schlafe führten fremde Lebensformen widernatürliche Experimente an mir durch, an meinen Augen, an meinen Beinen, in meinem Kopf. Tut das not? möchte man ihnen mit diesem norddeutschen Akzent entgegenwerfen, aber die Frage nach höheren Plänen scheint nur in ein neues Nichts zu führen. Beim Arzt jedenfalls spricht man bereits von Eskalation, und das, liebe Freunde, muß ja unter zivilisierten Menschen nun wirklich nicht sein. Ein Leben von Cliffhanger zu Cliffhanger wie in dieser gewissen TV-Serie. Man schaue sich nur das Ende von Staffel 5 an, als der Krebskandidat Mulders Büro mitsamt allen X-Akten anzündet, hier also ein Lebenswerk zerstört wird und dazu jegliche Hoffnung, auf der großen Suche doch noch weiterzukommen. Da ist es ganz gut, sag ich mal etwas ungelenk, wenn Scully inmitten der rauchenden Trümmer Mulder ein bißchen am Ärmel zupft. Ich denke schon, ohne dafür jetzt belastbare Beweise zu haben, daß so etwas hilfreich sein kann. Gegen Ende der insgesamt etwas schwachen siebten Staffel treffen Mulder und Scully eine Art bezaubernder Jeannie, die im Verlauf der Ermittlungen auch Mulder drei Wünsche ermöglicht. Das ist noch nicht der Cliffhanger, aber eine interessante Lektion in Sachen Wünsch-dir-was, wir erinnern uns vielleicht an den herzigen Inder, der mir vor Wochen erst so einiges versprach. Und es ist nicht so, als sei die Welt seither stehengeblieben - anders zum Beispiel als nach Mulders erstem Wunsch. Der wünschte sich Frieden auf Erden; mit dem Erfolg, daß er prompt allein zurückblieb. Erst mit seinem dritten Wunsch machte er alles richtig, eine selbstlose Tat nämlich, besteht das Glück ja oft darin, andere glücklich zu machen.
Also haben diese wohlmeinenden Menschen doch nicht so ganz recht, es gibt in dieser Serie doch einiges über soziale Beziehungen zu lernen. Geht es dort eben nicht um mysteriös-kriminales Brimborium, sondern um die große emotionale Erschütterung, um die Liebe in Zeiten der Alien-Revolte.
Montag, 16. Juli 2012
Erste Meldungen erreichen mich, es solle mal heitere Abwechslung sein zwischen all den toten Tieren und morbid-medizinischen Betrachtungen. Also, ich könnt' ja noch stundenlang! Die frohe Botschaft des Tages lautet: Heute konnte ich bereits freihändig auf dem Trimmrad fahren.
Um also Abwechslung in meine weiterhin leicht anthrazitgefärbte Stimmung zu bringen, schaute ich aus meiner kleinen Kaurismäki-Bibliothek Wolken ziehen vorüber von 1996 mit der wunderbaren Kati Outinen. Schönstes Zitat: "Das Leben ist kurz und traurig. Freu dich, solange du kannst."
Ilona (Outinen) und ihr Mann Lauri stemmen sich (nebst Hund) gegen die Arbeitslosigkeit und weitere Tücken eines ebenso nüchtern wie unbarmherizg wirkenden Schicksals, trotzen dem sozialen Abstieg mit stoischer Würde, verlieren Job, Auto, Geld, Wohnung und Möbel, nicht aber sich selber. Wieder einmal stelle ich fest, Kaurismäkis Versöhnungsszenen gehören zu den schönsten des Kinos. Wortkarge, selbstinszenierungsfreie Feststellungen getreu der Eisbergtheorie, nachdem Neunzehntel des Ereignisses unsichtbar bleiben. Das kaum noch gebrauchsfähige Wort der Unverlogenheit möchte man ja fast nicht mehr benutzen.
Musik, Ausstattung und Fotografie sind wie immer makellos, ebenso präzise gesetzt wie die Dialoge, mit denen sich das Personal schwärzeste Wahrheiten ohne tiefere Verletzungsabsicht entgegenwirft. "Du bist zu alt." - "Ich bin 38." - "Eben. Du könntest jederzeit abkratzen." Ein Film als poetischer Kommentar zur Krise und zu einer tiefen Liebe, die sich als sachliche Zuneigung tarnt.
Donnerstag, 28. Juni 2012
Da Selina ja überraschend ihr Blog geschlossen hat (Blogger.de-Insider), muß jemand anderes dorthin gehen, wo rostige Herzen von grünem Alienschleim zerfressen werden sanftschwere Wehmut pocht. Wie Menschen, die mich näher kennen, bereits wissen, schaue ich in letzter Zeit noch einmal alle Folgen der US-amerikanischen Krankenhausserie Akte X (dazu aber später mehr), in der zwei FBI-Agenten mehr als sieben lange Staffeln lang keine Dienstanweisung in ihrem Handbuch finden, ihren eigenen Fall zu lösen. Und danach ist es auch nicht einfach, aber Pst!, soweit bin ich noch nicht. Es soll Hoffnung herrschen im Hause, wenigstens da.
Aus manchen Dingen oder Erinnerungen kommt man nicht raus, warum auch, die sind wie ein Luftkissenboot über rumpeligem Grund. Das Reden nämlich in einer ganz eigenen Sprache, das Verstehen in wortlosen Gesten. Es wurde ja viel gelacht. Seltsam, andererseits, als ich mit einem Mal die Initialen neu las, als seien sie ein versteckter Hinweis aus einer X-Akte. Wie manches sich selbst einlädt, als sei es immer schon da. Und doch eine Sprache spricht, die niemand versteht. Mein größter Fall.
Donnerstag, 7. Juni 2012
Derzeit schaue ich ja noch einmal alle Folgen der US-amerikanischen TV-Romcom Akte-X (dazu später mehr). Nach 22.00 Uhr gerne auch die Sexy-Scully-Episoden, man muß bei diesen Verschwörungsfilmen ja alles aus ganz unterschiedlichen Perspektiven betrachten, um der Wahrheit, die ja irgendwo da draußen liegt, ein Stück näher auf die Haut zu rücken.
Viele Menschen, mit den Fallstricken moderner Ermittlungsarbeit nicht vertraut, haben ja völlig falsche Vorstellungen von dieser Serie. Da ist vorurteilsgeprägt von "Aliens" die Rede, manche halten Akte X gar für eine Ufo-Serie, oder für eine, die sich mit unwahrscheinlichen Dingen beschäftigt, dabei ist es doch nur eine metapherngetriebene ganz große Love Story über zwei Menschen, die sich wie die meisten Paare auf der Arbeit treffen und fast zu spät erkennen oder es nicht wahrhaben wollen, wie sehr die Wahrheit, die sie vorgeben zu suchen, mit ihren Gefühlen füreinander zu tun hat. Besonders hübsch sind in diesem vorehelichen Entsagungsreigen insbesondere die Episoden, in denen wechselseitig die Eifersucht kocht oder sich hinter grimmigen Seufzen oder genervten Augenrollen versteckt. In "War of the Coprophages" arbeitet Special Agent Mulder plötzlich auffällig eng mit der entfernt an Lara Croft erinnernden Zoologin Dr. Bambi Berenbaum (Scully: "Her name is Bambi?!?") zusammen, was für Special Agent Dana Scully eine gewisse emotionale Herausforderung darstellt. In der Folge "Bad Blood" hingegen ist sie selbst wiederum ganz entzückt von einem Hillbilly-Cop (zu Mulders sarkastischem Vergnügen). Schlimmer hingegen Scully Tauchgang in ihre dunkle Seite, als sie, über Mulder ergrimmt, sich tätowieren läßt und die Nacht bei einem Psychopathen verbringt. Das ist die Folge, bei der man schreiend in den Bildschirm greifen möchte, aber Frauen, insbesondere diese rothaarigen, haben ihren eigenen Kopf.
Die unterschwellige Erotik dieser Serie zeigt sich in Momenten, wie dem, als Scully sich nachts besorgt ins Zimmer von Mulder schleicht, um ihm eine merkwürdige kleine Bißwunde auf ihrem Rücken zu zeigen. Wir kennen diese zaghaft intimen Augenblicke, da man als frisch verliebtes Paar sich gegenseitig die Wunden und Narben und Kratzer zeigt, Hockeyverletzungen oder die Stelle, die vom Fahrradsturz blieb. Das Entzücken über dieses Traumpaar neuerer TV-Kultur, das sich unter anderem in Geheimaktenordnern zu zählenden Mengen von Fanvideos beweist, mag also projektionsgetrieben sein oder erinnerungsgesteuert. Es ist in Wahrheit ein mitreißendes, Mamma Mia!, ein Musical über etwas, das - endlich, endlich einmal in dieser Welt, unkaputtbar bleibt.
Mittwoch, 23. Mai 2012
Auf der Suche nach Wahrheit und meinem alten Selbst schaue ich derzeit noch einmal alle Folgen von Akte-X (dazu später mehr). Wir erinnern uns, dieses romantische Drama aus den 90er Jahren über die vollzugsverhinderte Liebe zweier Agenten des FBI, die vor lauter Arbeit im Bereich des Paranormalen kaum zum Kuscheln kommen.
Man weiß bekanntlich aus Studien ("Beunruhigende Studie enthüllt: Studienergebnisse können beunruhigen!" Ellen DeGeneres), daß die Bindung von Paaren um so stärker ist, je größer und gefährlicher die Abenteuer und Gefahren sind, die sie gemeinsam überstanden haben. Viele beherzigen das, nur manche vergessen das gemeinsam dabei, und stellen die Studie fälschlich in Frage.
Mulder und Scully jedenfalls haben viel mitgemacht, man zählt es am Ende gar nicht mehr, wie oft sie sich wechselseitig in Krankenhäusern besuchen oder angeschossen, vergiftet, infiziert, verbrannt oder auch einfach bloß sehr müde aus rauchenden Trümmern, unheimlichen Erdlöchern oder streng geheimen Hochsicherheitslaboren ziehen mußten. Normaler Elternalltag, würde man sagen, und insofern eine gute Übung für höhere Familienaufgaben. Um etwas anderes ging es in dieser Serie nicht.
Mittwoch, 9. November 2011
So also kommt es manchmal. Muß man zurückkommen, treppauf, treppab. Apropos, Treppe abwärts. Meine Filmkarriere könnte möglicherweise einen kleinen Schub (böses Wort, aber nun gut) bekommen. Treppab nämlich könnte ich perfekt das Stuntdouble einer Marionette der Augsburger Puppenkiste geben. Tapp, tapp, tapp,, hüpfe ich hinunter, so als höben mäßig unsichtbare Fäden meine Knien an und so als würden die Unterschenkel steuerlos, tapp, tapp, tapp, umherschlenkern. Ich bin Don Blech und alle seine Junker. Oder der Kleine König Kalle Wirsch auf seinem Weg, tapp, tapp, tapp, zu Zoppo Trump.
Muß man aber Sinn für haben. Zum Beispiel, wenn man den Bus erwischen will, der wartend an der Haltestelle steht und nicht ahnen kann (also der Fahrer, nicht der Bus), daß ich auch auf den letzten kleinen Meter, tapp, tapp, tapp nicht schneller werden will kann. Muß auch er Sinn für haben. Der Fahrer, nicht der Bus.
Apropos Film. Ich habe einige Filme gesehen, darunter war SuckerPunch, diese Steampunk-Version eines Comic-Melodrams. Wie Moulin Rouge mit Schwertkampf, könnte man sagen, gesungen wird auch, Hauptdarstellerin Emily Browning singt einen Großteil der Songs des (weichgespülten) Soundtracks. Als ein "Alice in Wonderland with machine guns", bezeichnete ihn Regisseur Zack Snyder (300), diese Vorlage indes sollte er vielleicht besser ruhen lassen. Natürlich ist der Film ein großer Quatsch, purer visueller Zucker, ein filmgewordenes Videospielcover. Die Story zudem dünn wie die Fetzen, die die Hauptdarstellerinnen tragen. Aber auch wenn female empowerment - trotz aller Wummen und Waffen, mit der sich die Sexbienen gegen die fiese Männerwelt erwehren - nicht ernsthaft die Rede sein kann, der Vorwurf der Misogynie ist mir dann doch allzu tantenhaft herangetragen. Das durchaus zynische Kulleraugen-Cos-Play-Spektakel bedient sich ungeniert bei allerlei Subkulturen und Pubertätsfantasien, ebenso ungeniert macht es als Ausstattungsorgie Laune, ein Klamottenfest (siehe Moulin Rouge) und Farbenspektakel (siehe Moulin Rouge). Böse Männer mit noch böseren Absichten (siehe Moulin Rouge) sind dabei, es gibt zwar keine Liebesgeschichte, dafür aber (siehe Moulin Rouge) ein tragisches Ende. Wer also 300 als Muskelmann-Schlachtfest irgendwie schuldbewußt reizvoll finden konnte, wird sich auch in Snyders absurder Psychoklitschenfabel suhlen können - ohne zum Beispiel erwachsene Spaßbremsenfragen zu stellen wie die, wo denn die häßlichen Mädchen in dieser Gruselheilanstalt geblieben sind. Eben.
Wasweißichdenn, ist ja nicht mein Sanatorium. Dort würde, tapp, tapp, tapp, auch nicht so elegant getanzt.
Freitag, 19. August 2011
Da will man ein Leben, glatt und rund und blau wie die Erde im Planetarium betrachtet, und da kommt einer daher, dem die Welt wie scharfkantige Steine ist, wirft einen aus der Balance und buchstäblich die Brocken vor die Füße. Shion Sono ("Hair Extensions", "Suicide Club") zeigt so einen in Cold Fish, einen Gute-Nacht-Film, den ich grad auf dem 25. Fantasy Filmfest sah.
Eine Art Familie mit umgekehrten Düsenantrieb, ein dysfunktionaler Trostlosigkeitshaufen, gerät in eine Variante von Sexy Beast, in der statt Ben Kingsley der japanische Komiker Denden einen völlig duchgeknallten Zierfischhändler und noch viel duchgeknallteren Serienkiller spielt. Der farblose Fischhändler Shamoto (Mitsuru Fukikoshi) läßt sich vom scheinbar hilfsbereiten Kollegen Murato (Denden) einlullen, ehe er merkt, daß der impulskontrollgestörte Typ ihm erst Tochter, Frau und dann sein Leben klaut. Da ist es natürlich schon zu spät, Duckmäuser Shamoto sagt weiter brav Ja und Ja, hilft, eine Leiche zu entsorgen, die Yakuza zu belügen und Muratos blut-, mord- und sexgeiler Frau Aiko zu widerstehen.
Das verspricht im ersten Drittel ein düsteres, in tristes Graublau getöntes Familien- und Gesellschaftsdrama zu werden, ein Rapport über Ich-Schwäche und Borderline-Furor, über einen Jedermann, dem Stück für Stück die Existenz genommen wird, kippt dann aber in eine schwarzhumorige Killer-Groteske mit kübelweise Blut, Gedärm und Psychopathen, die in albern entgrenzter Louis-de-Funès-Manier Leute töten und in Decken gewickelt von links nach rechts maneuvrieren, um sie dann mit Fleischermessern zu zerlegen und "unsichtbar" zu machen, wie Murato tönt. Das alles basiert - man kennt das ja - auf dem wahren Fall eines japanischen Hundezüchters und seiner Frau, die mindestens vier Menschen grausam umbrachten - der Film macht daraus 58.
Leider hält das Erzähltempo mit dieser irrwitzigen Steigerung nicht ganz mit. Wie bei Sono offenbar typisch ist der Film im Grunde überlang, gemessen jedenfalls an der - für psychologisch geschulte europäische Betrachter - doch eher banalen Geschichte. Immerhin, von etwas schläfrig inszenierten Durchhängern im letzten Drittel abgesehen, ist der Großteil recht kurzweilig inszeniert, turbulentes Bauerntheater manchmal, aber irgendwie auch faszinierend. Der drangsalierte Waschlappen Shamoto verliert irgendwann seine Brille, dann die Geduld und schlägt, obgleich er kaum noch durchblickt, schlechtgelaunt zurück. Im misogyn getränkten Amoklauf eines gekränkten Mannes, der endlich die Schnauze voll hat, ("Falling Down" läßt grüßen, man achte auf das weiße Hemd), weist Shamoto Frau und Tochter brachial an ihren Platz, stellt die daheim gewünschten patriarchalen Verhältnisse wieder her und das hysteriebedröhnte Gangsterpärchen kalt. Obsessiv wie Jan Fabre mit seinen Bic-Stiften, dolcht er mit einem Kuli für sein Recht, dabei Blut statt Tinte spritzend.
Zum Finale Thalia-Theater, Macbeth, die Scherenschnittversion eines Ideendramas: machtgeile Frauen, schwache Männer, am Ende schwimmt alles in Blut. Das ist manchmal schauerlich, oft absurd komisch, immer recht bedrückend und nur ab und an ein wenig wie ein kalter Fisch.
(Cold Fish. (Japan 2010). Regie: Shion Sono)
>>> Trailer
Dienstag, 19. April 2011
Mein erster 3D-Film. Ich dachte also, legst du mal diese Skepsis ab, den bloß emotionalen Vorbehalt gegen diesen "affigen, neuen Technikscheiß". Ja, man kann diese Brille über der Brille tragen und ja, der Effekt funktioniert, aber dies festzustellen bin ich wohl wahrlich der letzte.
Wie also die Tänzer sich herausschälen aus der Dunkelheit des Bühnenraums, wie sie sich aus den Zuschauerrängen herauszuschwingen scheinen, das ist schon imposant. Mir gefällt, daß es nicht um einen Effekt des Effekts willen geht, ein billiges Prahlen mit dem Überraschungsmoment der Zuschauerverblüffung. Wir erleben eine haptischere Version einer, wennauch inszenierten, Wirklichkeit, man taucht ein in die Bewegung auf der Bühne, gleitet förmlich selbst zwischen die fließenden Körper, sieht deren Rundungen und Ecken, das Hervorwölben von Muskeln und Anspannen von Sehnen.
Das polternde Stühlerücken in Café Müller, die Frühlingserweckungen, die Wasserschlachten und das Ringen mit den Elementen, man schubbert beinahe selbst seine Nase dran. Zum nur leicht sentimentalen Überbau, den Erinnerungen an Pina Bausch, die Schockstarre des Ensembles nach ihrem unerwarteten Tod, fügt sich für mich ein Blick auf die Stadt, deren Sommer mir fremd geworden sind. Seit 15 Jahren bin ich nur im Winter da, zu Ostern, aber nie mehr im Sommer, wenn die Sonne nach wochenlangem Brand die Grasflächen braun und ocker und gelb verdorrt hat, die Wellen des Flusses glitzernde Funken werfen, die Hausfassaden grell das licht zurückwerfen auf schäbigen Beton und die kühne Fassade des Schauspielhauses, auf die Ornamente der Bürgerhäuser und die quietschenden Wagen der Schwebebahn.
Wenders, der sich unerwartet und angenehm zurückhält, beinahe nicht kenntlich wird, als seine oft irritierene Selbstinszenierungsfigur zurücktritt hinter die schlafwandlerische Grandiosität des Ensembles, den berückenden visuellen Ideen, den Körpermetaphern des Tanzes, holt einzelne Szenen heraus in die Stadt, an altbekannte und verbotene Orte, an Steinbrüche und Verkehrsinseln, in rostige Fabrikanlagen und lichtdurchflutete Plätze, zieht die Tänzer hinein in die Schwebebahn, die dort dann mit viel Humor die tiefenversenkten Seiten des gemeinen Wuppertaler spielen.
Kein Film vielleicht für Freunde von schwarzen und weißen Schwänen, für Spitze, Tata und Tütü. Ein Film für Entfesselungskünstler, über die Möglichkeiten von Aufbruch und Ausbruch, Verlangen und elementaren Sehen. Für die Liebe, woll?
(Pina - tanzt, tanzt, sonst sind wir verloren. (D 2011). Regie: Wim Wenders)