Mittwoch, 30. März 2011


Antichrist

Ganz in der Nähe dieser alten Seifenfabrik ("Hoho, mein Junge. Da machen sie Seife aus alten Knochen!") bin ich aufgewachsen. Manchmal wehte der schwermütig parfümierte Geruch herüber ("Das ist gute Seife", sagte Frau Mutter) und hing wie ein klebriges Spinnennetz in der feuchten Luft, in dem sich die ganz kleinen Tiere und unbrave Kinder verfangen konnten. An der Schwarzbach saß die Fabrik, eine schmutzgefärbte schnurgerade Straße mit düsteren Hausfassaden, "genau eintausend Meter lang", so das drohende Raunen der gichtigen Männer, die, Männer wie wir!, den ganzen Tag über unten am Büdchen standen und heiser in braune Glasflaschen sprachen.

Lars von Trier benutzte die zerfledderte Fabrik als einen Drehort für Antichrist, ich hätte ihm die Stelle verraten können.

Super 8 | von kid37 um 18:47h | 12 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Donnerstag, 17. März 2011


Liebe ist keine Brückentechnologie

Es muß jetzt einmal gesagt werden. Die Pausen hier haben einen Grund, und der hat nichts mit Stromausfällen zu tun. Ich klebe gerade Fliesen an die Wand arbeite zur Zeit an meinem neuesten Film, der zum nächsten Sommer der Liebe ausgestrahlt werden soll.

Es geht dabei um einen alten Fahrensmann, der in einer ungenannten großen deutschen Hafenstadt zum Überwintern in einer kalten Welt von Bord geht und feststellt, daß die Liebe die einzige Kraft ist, die die Welt rotieren läßt.



Die Liebe ist keine Brückentechnologie, und Anousch hat wie immer völlig recht. Ich meine: So wie wir die Liebe aus dem Internet ziehen, oder ganz modern erst im Netz zu ihr finden, so müssen wir das Kraftwerk unserer Herzen entzünden äh zusammenführen, also anschalten, und dann aber auch raus ins Leben usw. und nur ab und an zum Tanken an die Netzsteckdose. (Man merkt, der Film ist noch nicht ganz fertig, aber die großen Themen Kommunikationsprobleme und soziale Kälte und Energiemangel deuten sich bereits an.)

Für ein Internet, das von der Liebe durchstrohmtömt wird! Energiewende jetzt.

Super 8 | von kid37 um 03:13h | 14 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Dienstag, 1. März 2011


Peek-a-boo

Derzeit schaue ich nur zwei Farben, Schwarz und auch ein bißchen Weiß. In diesen Filmen laufen Männer mit ausgebeulten Jackentaschen durch eine regennasse Nacht, fliehen vor größeren und kleineren Reparaturarbeiten im kriegsversehrten Haushalt in einen Spätausschank und geraten alsbald durch eine Frau in eine schlimme Lage, aus der sie wiederum nur eine andere Frau befreien kann. Nächste Woche ist Weltfrauentag, da möchte ich die eine oder andere loben. Zum Beispiel diese eine, die Blonde, die Kim Basinger der Vierziger. Man kommt nicht darum herum, über ihre Haare zu reden. Was sage ich Haare. Es handelt sich um eine Frisur. Ein blonder Schwung, eine fließende Welle, die das Gesicht einrahmt und nur leicht verhängt, so daß ein Auge - guckguck! - in allen Deutungsvarianten darunter hervorlugen kann: vorwurfsvoll, mißtrauisch, wach und verschlafen und immer haargeheimnisumrankt und lockend.

Veronica Lake, ihr habt das gleich erkannt, hieß eigentlich Ockelman, aber dies war kein Name, mit dem man in den Vierzigern beim Film Karriere machen konnte. Raymond Chandler, einer der vielen bedeutenden Nationaldichter der USA, nannte sie nur "Moronica", und manches deutet darauf hin, daß dies nicht nur liebevoll gemeint war. Wie viele große Frauen war sie eher klein von Statur, weshalb sie so gut zu ihrem Filmpartner Alan Ladd paßte. Ein Mann in den Sechzigern, der immer den Hut aufbehielt, um wie 1,72 m zu wirken und nur von der Lake als einzige seiner Partnerinnen vor der Kamera nicht überragt wurde. Zusammen drehten sie vier Filme, alles dunkle Knaller wie "The Blue Dahlia" oder "This Gun for Hire".

Wie viele andere nicht endlos begabte Schauspieler mußte sie vor der Kamera nicht viel mehr tun als gut aussehen - das darf man nicht unterschätzen - und so setzte sie folglich alles auf ihr Markenzeichen und eine blitzhelle, kurze Karriere und lebte ansonsten in einer schrägen Form von Emanzipation ein Rock'n'Roll-Leben wie ein Mann: vier Ehen, krankhafter Suff, früher Tod und eben diese schicke Frisur.

>>> Veronica Lake gemeinsam mit Dorothy Lamour und Paulette Goddard im energetisch vorgetragenen Wehrkraftermunterungslied A Sweater, a Sarong and a Peek-A-Boo-Bang.

Super 8 | von kid37 um 14:00h | 5 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Dienstag, 28. September 2010


Kühle Betrachtung unter Regenschauern



Den heutigen Beitrag möchte ich mit der Kühle eines alten Liedes von Wire eröffnen. "Renewed, it fought as if it had a cause to live for. Denied, it learned as if it had sooner been destroyed", heißt es im nur mäßig kryptischen Text über das Hin und Her des Versuchens und Vergehens. Dazu quietschen die Scheibenwischer eines alten Automobils, graue Straßen unter grauem Himmel. Himmel.

Gestern schaute ich noch einmal Stay. Kein Mysterythriller, wie manche behaupten, eher ein Psychodrama über die letzten Sekunden, Minuten maximal, des Lebens, eine Meditation über das Sterben, die Liebe, die Brüche im Ich, kühl durchkalkuliert auf womöglich schweizerische Art. Daher treffen auch die Vergleiche mit Filmen von David Lynch eher schlecht. Stay dekliniert die Doppelgänger-Motivik der Romantik, zitiert Hamlet, Werther und Edgar Allan Poe, ein paar Pfeffer-und-Salz-Erkenntnisse der Psychoanalyse und mixt es mit Spiegelsymbolen, Spiralen, Doppelungen in Zeit und Raum. Eine eher kühle Sache also. Die fortlaufende Erwähnung der "21" (wie in zwei/eins) fällt einem vielleicht erst beim zweiten oder dritten oder 21. Sehen auf, zeigt aber das mathematische Kalkül (no pun intended) der kleinen Studie. Verwirrend ist nur der Trick mit der gefälschten Erzählperspektive, die sich - bis hin zu den gelben Hochwasserhosen von Ewan McGregor - erst im Nachhinein erschließt. Naomi Watts spielt ganz anrührend, immer knapp unter ihren Möglichkeiten, man hofft, daß sie die Kurve in ihrer Karriere noch kriegt.

"Forgive me" heißt der leise Refrain des Films. Das haben wir damals verworfen.

>>> Geräusch des Tages: Wire, Heartbeat

Super 8 | von kid37 um 12:50h | 12 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Donnerstag, 1. Juli 2010


Die Leinwand als moralische Schaubühne

Den ballsportfreien Abend genutzt, um noch einmal Das Mädchen aus der Streichholzfabrik zu sehen, Filme, die eher selten großen Zuspruch bei einem Public Viewing finden, dabei heißt es doch, die Wahrheit liege auf dem Platz. Zu diesem Anlaß feierlich den zerschlissenen Anzug angelegt, Vodka, Wasser und ein Notizbuch bereitgelegt, um die Lebensweisheiten alle fein mitzuschreiben. So also verbrachte ich einen wunderbar trübsinnigen Abend unter dem funzligen Schein einer sogenannten Energiesparbirne, die ich extra zu diesem Behufe in die Fassung meiner verrosteten Stehlampe eingeschraubt hatte. Es gibt da diese Szene, in der Kati Outinen aus den Augen heraus spielt, unbeweglich, stumm. Und furchtbar entschlossen, ihr Leben aufzuräumen. Die Momente also, wenn Kino einem ganz nahe kommt, mit so einem unangenehmen, rasselnden Atem und klebrig-klammen Fingern, die einem hinten im Kragen rumwühlen.

Super 8 | von kid37 um 14:45h | 31 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Donnerstag, 29. April 2010


It's okay on TV 'cause you can turn it off.

But don't try me.
(Pretenders, "Private Life").

Als ich gestern abend auf der Leiter stand, um die an den Ecken gelöste Laura-Ashley-Borte an den Wänden nachzukleben, ging ich im Geiste die wichtigen Meldungen der letzten Tage durch. "Sie kamen jeweils auf etwa zwölf Tafeln pro Monat." [Q] Zwölf Tafeln im Monat finde ich, ehrlich gesagt, nicht beeindruckend viel, möglicherweise aber sorgte ja schon die erhöhte Aufmerksamkeit durch die Teilnahme an dieser Studie dafür, das Leiden zu mildern. Wie ich immer sage: Mehr reden, vielleicht sogar mit Freunden - oder aber Schokolade essen.

Ich ringe immer noch mit der Elster, auch private life, habe andererseits gestern Henry Rollins dabei zugeschaut, wie er Hinterwäldlern mit diskussionswürdigen Essgewohnheiten (Hinweis: keine Schokolade) mehr als nur die Ohren langzog. In einem Film, sonst hätte ich sagen mögen, your private life drama, baby, leave me out. Ein blutiges, zähes Tagewerk, für das es keine Lolas zu gewinnen gibt. Gefreut habe ich mich daher letzte Woche für Sibel Kekilli, die zweimal auf Preisverleihungen ganz richtiges sagte. Damals, als sie sich über die bigotte Hetze gegen sie wehrte, und nun, da sie ebenfalls zurecht anmerkte, sich über Rollenangebote freuen zu würden - "zu müssen", war, was sie nicht sagte. Sie wird in diesem glitzrig-bitteren Prostitutionsgewerbe noch die unverdorbenste sein, denkt man, so viel emotionale Ehrlichkeit indes kam in dieser Branche selten gut an. Ich wiederum hätte die Kikelli besetzt, die Schneider zu spielen. Eine, die weiß, wie man eine Karriere hinter sich läßt, um eine ungleich künstlerischere anzusteuern. Vielleicht sollte sie nach Frankreich gehen.

Was nicht aufgeschrieben ist, flimmert einem vor den Augen und optische Zufälle bestimmen das Gesamturteil. (Kafka. Tagebücher. 1912.) Eine Art Gedankentaxidermie will betrieben werden, bizarre Erinnerungswendungen oder alkoholverblendete sogenannte Ideen, die man in Buchstaben und Worte zwingt, gleich aufgespießten schillerndern Käfern oder Gebilden bei Crappy Taxidermy (Achtung, teilweise nicht sicher für die Arbeit). Formgießen also.

Heute hat Gott Kim Gordon Geburtstag, neulich bereits Robin Wright. Willkürliche Zuordnungssysteme, die insofern interessant sind, weil es über Robin Wrights Augen in einem bestimmten Licht ebenfalls etwas zu sagen gäbe. Ich mag die aber so richtig erst seit Breaking and Entering, wo sie spielt als hielte sie den Atem an. Ihre sehr kleine Rolle war für mich auch das einzig Interessante an Inside Hollywood, in beiden Filmen gibt es diese kurzen Momente großer Wahrhaftigkeit, wenn sie diesen oder jenen Satz sagt oder eine Erinnerung über ihr Gesicht huscht. Trennungsgeschichten.

Die sehr schöne Frau™ sagte vor Jahren bereits, die sei unterschätzt, und ich sagte, ach was, weil ich natürlich keine Ahnung hatte. Und zu selten ins Kino ging. Dabei muß man gemeinsame Erinnerungen immer jetzt machen und nicht später.

>>> Geräusch des Tages: Sonic Youth, Star Power

Super 8 | von kid37 um 01:53h | 7 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Donnerstag, 22. April 2010


Beschwingte Abende

Oft lese ich ganze Seiten und weiß gar nicht,
was ich gelesen habe. Ich fange dann noch
einmal von vorn an und entdecke, daß das
schön ist, was ich gelesen habe. Es handelt
von Menschen, die unglücklich sind.

(Thomas Bernhard. Frost. 1963.)



Von einem freundlichen Kollegen bekam ich dieser Tage eine Reihe wunderbarer Filme aus dem Schaffen Ulrich Seidls geschenkt - muntere Unterhaltung für lebensbejahende Heimkinoabende, meinte er, Berichte aus einem "kalten Österreich", genau das Richtige für mich. Kann ja gar nicht sein, denkt man, aber dann zitiert der Klappentext zu Tierische Liebe die Tiroler Tageszeitung: "Mehr Kälte, Einsamkeit, Schrecken ist in einem einzigen Film nicht vorstellbar" - und eine solche Erfahrung will man sich besser nicht entgehen lassen.

Seidls Import Export hatte mir einst ganz gut gefallen, aber aus einem nicht mehr nachvollziehbaren Grund bin ich dem wunderbaren Werk dieses Mannes bislang nicht weiter hinterhergestiegen, Versäumnisse, die es nachzuholen gilt. In kargen, streng gebauten Bildern, mit Sets, die auf wenige Zeichen und Farben reduziert sind, weist Import Export Seidl als eine Art österreichischen Kaurismäki aus, mit einem gewissen Leerlauf in der Handlung vielleicht, eine stilisierte Langeweile, ausgefüttert durch die strenge Symmetrie der ruhigen Bilder.

Noch weitaus beeindruckender aber finde ich die Doku Tierische Liebe, ein Film, der einen rasch auf eine Weise bannt, wie es nur der Grusel des rätselhaft Authentischen vermag. Echt oder geschauspielert, echt oder geschauspielert? fragt man sich ein ums andere Mal, wenn man den Blick in abgewrackt wirkende Welten wagt, einem trostlosen Wien jenseits der Zuckerbäckeridylle, in dem einsame, gebrochene Gestalten in ihren Hunden, Kaninchen oder Frettchen die einzigen Freunde und Partner finden. Die sorgfältig durchkomponierten Bilder (Kamera: Peter Zeitlinger, Michael Glawogger, Hans Selikovsky) machen dabei aus wirklich jeder Einstellung ein minimalistisches Tableau, eine berückende Künstlichkeit, die den Film über übliche Sozialschmuddel-"Dokumentationen" heraushebt und überhaupt erst erträglich macht.

Wer ein wenig im Presseheft stöbert, versteht die langwierigen und aufwendigen Vorbereitungen, die Seidls Stil der "inszenierten Wirklichkeit" ermöglichen. Natürlich schleicht sich dennoch immer wieder unbehaglich die Frage in den Raum nach dem Nutzen, Benutzen und Ausnutzen der allzu leicht als "Material" zu verstehenden Realität - also den realen Schicksalen und Menschen (die sich meist deutlich nicht auf Augenhöhe mit Regisseur und Team befinden). Das Ergebnis bleibt dennoch ein erschreckendes, intimes und beeindruckendes Dokument, das unter der Oberflächenschicht des Bizarren und Skurrilen befremdlich und zugleich verstörend berührend ist.

(Tierische Liebe. Österreich, 1996. Regie: Ulrich Seidl.)
(Import Export. Österreich 2006. Regie: Ulrich Seidl.)

>>> Webseite von Ulrich Seidl

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Mittwoch, 24. März 2010


Mondo Amburgo Cane

Die Abende werden milder, endlich macht auch das Ausgehen in Hamburg wieder Spaß. Der Ausschnitt aus der teilweise berüchtigten, aber irgendwie anrührenden Dokumentation Mondo Cane zeigt das Nachtleben dieser Stadt, wie es sich seit den 60ern ja eigentlich nur maßvoll verändert hat. Bei 2:10 sieht man beispielsweise mich, wie ich den Kopf zum Nachdenken auf den Tresen lege. Heute allerdings raucht mir der Kopf, und das Stampfen der Maschinen ist kaum zu ertragen.

(Mondo Cane. Italien, 1962. Regie: Gualtiero Jacopetti, Franco Prosperi.)

via Rollinger

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Montag, 18. Januar 2010


Goldene Globen

Bizarrer Film von Los Mirlos:

Extraterrestrisch große Produktionsbudgets, 3D-Brillen, blau anlaufen und um Bäume tanzen - meine Güte, das geht doch alles einfacher, beschaulicher und doch bewegender, schwingender, liebreizender, exotischer, verblüffender - und runder, sogar ohne Sehhilfen. Die Handlung ist kurz erzählt: eine außerirdische Schönheit vom Planeten Claire landet auf der Erde, um Frieden zu stiften unter den streitenden Menschen. Sie bedient sich dafür einer insektoiden Tanzsprache, die nur wenige verstehen können - weshalb es sich lohnt, diesen Film mehrmals zu schauen. Sie sagt: Wenn es wirklich Liebe ist, werden dich meine Fühler auf dem Kopf nicht stören. Wenn es wirklich Liebe ist, wird sie alle Grenzen überwinden.

Das ist die Botschaft. Danke. Und jetzt die Oscars.

Super 8 | von kid37 um 21:31h | 3 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Dienstag, 1. Dezember 2009


Otto e mezzo

...und jetzt habe ich
diesen Traum am Hals.

("8 1/2")

Truth is beautiful, without doubt;
but so are lies.

(Ralph Waldo Emerson)



Am Wochenende endlich Fellinis 8 1/2 gesehen. Ein Regisseur auf dem Lost Highway, verwirrt in diesen ganzen Zirkel aus Oberflächlichkeit, den falschen Versprechungen, den Lebens- und den Liebeslügen, den Zirkus der Schmeicheleien, die Eitelkeiten, die Cliquen, die schalen Possenreißer, bei denen man vorsichtig sein muß, äußerte man laut, man hätte zu ihnen nicht die rechte Relation.

8 1/2 ist natürlich das große Vorbild auch für einen meiner Lieblingsfilme, Stardust Memories, diesen zwar nicht ernsthaften, aber an vielen, den brüchigen nämlich, Stellen traurigen Film, den Woody Allen am Ende seiner eher trivial komischen Anfangsphase machte. Ein Übergangsfilm also, ein Moment des Innehaltens, die im Kino zwangsläufig in Bewegung umgesetzt werden muß. "Ich mag ihre Filme", ruft ein Fan in Stardust Memories dem kriselnden Regisseur entgegen. "Vor allem die frühen, komischen!"

Ähnlich also die Glitzerwelterinnerungen, ins Zwischenreich gelagert, dem Debakel zwischen Losgehen und Durchhängen, leichter Tragik und dunkelmütiger Komödie, in 8 1/2. Blockiert, eingekesselt in die irrwitzige Welt von Cinecitta, wo jeder leichte Sommer wie auf Pappwände gemalt scheint und der mondäne, zwischen surreal und hysterisch schwebende Taumel sich im Kummer zugesperrter Hotelzimmer löst, hält sich der Regisseur (Marcello Mastroianni) eines aus dem Ruder laufenden Filmprojekts in blanker Not den Kopf. Überhaupt, losrudern, weg vom sicheren Terrain, neuen Grenzen entgegen: Im Leben, in der Kunst, in der Liebe. Irgendwann fragt der Regisseur dieses Films im Film seine Ehefrau: "Hat dich etwas verletzt? Es ist doch nur Film?" Am schönsten ist die Liebe im Hafen, heißt es, aber das muß er noch lernen.

Ein Film über den Versuch also, das Leben zurückzuwinden, nach vorne zu holen, dieses Was mach ich hier eigentlich? endlich mit Sinn zu füllen oder wenigstens, man will nicht maßlos erscheinen, mit der richtigen Musik zu unterlegen. Irgendwann versammelt Mastroianni all die Frauen, die er kannte, um sich herum, eine schnurrende Männerfantasie, bei der - nachdem die Katzen erwacht - der Dompteur die lächerlichste Figur abgibt. Das anklammernde Sehnen und Zerren, die Ängste: vor dem Verblühen, dem Altern, den Schatten der Vergangenheit, diese wispernden Geister, hoffentlich ist da bald mal Ruhe. Zum Schluß wird alles ganz groß, Raumschiffe für den Aufbruch zu den Sternen, ein Zirkusfinale zwischen Freakshow und Modenschau im wunderbarsten Schwarzweiß. So als wäre Corbijn der Kameramann von David Lynch, um mal so etwas wie eine These in den Raum zu stellen.

Man kann sich auch den Spaß machen und darin die Worte "Film" und "Filmindustrie" gegen "Blog" und "Blogosphäre" tauschen. Mit ein bißchen Fantasie und weitergehender Vorstellungskraft hat man alle Rollen schnell mit bekannten Internettagebuchschreibern besetzt und hört plötzlich Dialoge, die wie aus dem echten Kommentarleben gefallen scheinen. Aber dann hat man diesen Traum am Hals.

Super 8 | von kid37 um 11:02h | 5 mal Zuspruch | Kondolieren | Link