Mittwoch, 29. März 2006
Frau Ministerin hat mir geantwortet. Auch wenn es Anlaß zu der leisen Vermutung gibt, daß sie ihr zweiseitiges Schreiben nicht ausdrücklich für mich persönlich aufgesetzt hat, so muß man gerade in diesen Tagen ja dankbar sein für jede Antwort. Eine ihrer vielfach publizierten Aussagen sei hier zitiert:
In der Praxis ist es aber so - und das wird auch zukünftig so bleiben -, daß die Staatsanwaltschaft geringfügige Fälle nicht verfolgt, auch wenn dazu nicht die ausdrückliche Regelung getroffen werden wird, wie sie unter dem Stichwort "Bagatellklausel" diskutiert wurde. Dazu gehören alle Fälle einzelnen illegalen Kopierens oder Downloadens durch Endverbraucher. Das ist in der Begründung zu dem Gesetz noch einmal besonders klargestellt.
[...]
Mit freundlichen Grüßen
Ihre Brigitte Zypries
Ich weiß nicht, ob man sich auf diese Ankündigung wird verlassen können, der Geist von Norbert Blüm weht kurz vorbei. Ein Gelegenheitsraubbrüher wie Nico Lumma aber wird sich im Zweifel sicher gern auf Frau Zypries berufen.
Ach ja:
Das kleidsame T-Shirt gibt es hier.
Donnerstag, 23. März 2006
Ausgerechnet jetzt, da die neuen Boxen angeschafft sind. Die mit der schicken Lautsprecherabdeckung und dem kleinen auffällig-unauffälligen Markenlabel, wie man es in den Szenekneipen immer sieht. Oder in den Bars, wo man auch mal die leisen Töne deutlich hören möchte, das Wispern, Raunen und Sehnen.
Ausgerechnet jetzt, da die alten Boxen in den Keller entsorgt sind, diese dünnblechernen Quäkkistchen, die einfach so gar nicht in mein Leben passen wollten, weil sie sich so wenig uniform zu den Lärmaggregaten gesellten, die die anderen schicken und kreativen und individuellen Menschen so besitzen. Ausgerechnet jetzt, da es wieder Spaß macht Musik zu hören und ich auch die Bässe wieder spüren kann. Ausgerechnet jetzt, wenn ich auch mal wieder den Verstärker bis zehn fünf aufdrehe und nicht nur bis drei, weil es ab drei anfing zu scheppern und schringern. Jetzt aber, mit den neuen Boxen, kann Patti Smith wieder ihre Pferde über das Land jagen und ins Meer treiben und Neil Young den Killer, diesen Cortez, gleich hinterher. Und wenn dann die Buzzcocks im Hochgeschwindigkeitsrausch ihre Gitarren in kristalline Höhen jagen, dann ist nun auch dafür noch Platz im idyllisch-harmonischen Lautsprecherraum. Dann sitzen wir zusammen, diese Klänge und ich, und haben Spaß und eine Empfindung, die wohl das sein muß, was andere als Freude bezeichnen.
Ausgerechnet jetzt also, da ich gemütlich auf dem Diwan lümmeln könnte und alte Cocteau Twins Platten hören oder die B-Seiten meiner Banshees-Singles, ausgerechnet jetzt zieht die liebe, weil schwerhörige alte Nachbarin unter mir aus.
Den Besen der neuen Mieter habe ich schon gesehen.
Mittwoch, 22. Februar 2006
Zum Herzschlag der besten Musik,
Jeden Abend, jeden Tag
Wir dachten schon, das ist der Sieg.
(Fehlfarben, "Das war vor Jahren")
Nein, Campino möchte ich wirklich nicht mit einem Fehlfarben-Lied hören. Der Mann, der jedes Stück schreideklamiert und bei jedem Anlaut ein ganzes Stadion im Kopf hat - nein, der hat die stillschreiende Einsamkeit und schüchterne Verlorenheit der Fehlfarben-Klassiker nicht im Empfinden. Jetzt hat er aufgespielt mit anderen Freunden der Band, eine bunte Mischung mit Grönemeyer, Begemann, Distelmeyer, Gudrun Gut und Françoise Cactus, Helge Schneider, Frank Spilker und anderen.
26 Jahre Fehlfarben, ist das also auch schon wieder so lange her. Ach.
Man muß das verstehen. Damals leuchtete uns ja nur das fahle Blau der Neonlichter. Damals war ja nur grauer Beton (noch nicht mal brennen wollte der). Erstes Bier zwischen Ratinger Hof und Wuppertaler Börse, verstörter Sex unter Pferdepostern, Mitschüler in olivgrünen Bundeswehrparkas und dünnen Spaghettihaaren, die aussahen wie in Öl gelegt. Und nur weil sie nicht hören wollten. Schneid' dir die Haare, bevor du verpennst, wollten sie nicht hören, Peter Hein.
Denn niemand hat so wie Hein das seltsame, verlorene Lebensgefühl dieser Generation auf den Punkt gebracht, die das Pech hatte, ihre prägenden Jahre ausgerechnet in den Achtzigern zu verbringen. Die Generation, in der sich jeder als Zuspätgekommener, als Außenseiter fühlte, und die deshalb den darauf folgenden Techno und die seligmachende Kraft des Gefühls, in einer Masse aufzugehen, nie so recht verstanden hat. (Thomas Winkler in SpOn)
Monarchie und Alltag, nur gültig in der LP-Version, niemals in der remixten CD-Fassung von 2000, leistete genau das: kalte, nüchterne Gitarrenklänge, wie aus den ewigen Nieselregenwänden des Bergischen Landes herbeigeweht, dünnes treibendes Schlagzeug und ein White-Funk-Bass, der Peter Heins Textzeilen nach vorne schleuderte. Dahin, wo aggressiv getanzt wurde, dahin, wo man an die Wände kritzeln konnte. Edding-Generation. Zum Geburtstag ist 26 1/2 ein nettes Geschenk. Schneider, Distelmeyer, Cactus. Schön und Gut. Das neue Stück "Chirurgie 2010" aber deutet an, was fehlt, das was das abgehangene Alterswerk Knietief im Dispo schon versprach. Mehr davon, bittebittebitte.
Letzter Aufruf, Peter Hein. Werde Superstar titelte die Spex vor 20 Jahren.
Der Hein, der fehlt. Sagte ich einumsanderemal im stilleren Kämmerlein. Mach mir doch die Jugend nicht kaputt, sing mir den rheinischen Rotz- und Trotzton, jeden Abend, jeden Tag. Es gibt keinen Sieg.
Montag, 30. Januar 2006
Haha, so jung war ich auch mal. (QT, 35 MB)
(Völlig vergessen: am 22. Januar wurde Malcolm McLaren 60!)
Dienstag, 17. Januar 2006
sie wächst zu einem beängstigenden, schlimmen Flutsturm
von harschen Klängen an. Sie bestärkt eine unheimlich finstere Ahnung,
die sich im Magen eingräbt, und dennoch ist sie großartig.
(Reinhold Brunner über das Konzert von Throbbing Gristle
am 10.11.1980 in Frankfurt. In: Rock Session 6, 1982.)
Die Berliner Volksbühne scheint sich auf 20jährige-Reunionskonzerte zum Jahreswechsel spezialisiert zu haben. Vor ein paar Jahren feierten die Fehlfarben ihr Jubiläum mit einem Weihnachtskonzert, dieses Jahr trat an zwei Abenden eine Industrial-Legende auf: Throbbing Gristle machten in Originalbesetzung für Frank Castorf ordentlich Krach.
So um 1981, als ich anfing, mich für Burroughs, Gysin und neubautige Musik zu interessieren, hörte ich von diesen abgedrehten Engländern, die so "industrielle Musik" machten, wie das bei uns Unbedarften hieß. Skandale im Londoner Insitute of Contemporary Arts (später durchbohrten die Neubauten bei einem Konzert den Betonboden des ICA mit der Begründung "Ihr habt eine destruktive Performance bestellte, hier habt ihr sie"), irgendwas mit merkwürdigen Sexpraktiken, subliminalen Botschaften und Infraschall, rauchenden Schloten von Todesfabriken, medizinischen Lehrfilmen und allerlei psychopathologische Narretei schien da im Spiel - alles natürlich hochinteressant.
Schräg, neu, Zickzack - mehr wollte man damals ja nicht. War ja alles aus Beton, damals. Und wenn man schon blaue Mülltüten als T-Shirts trägt, will man auch sonst mehr deviant statt ordinary. Are We Not Devo?
Sordide Sentimentale: Die Musik exisiterte meist nur gerüchteweise, einmal schickte ich meine Mutter mit einem Weihnachtswunschzettel (SPK, Leichenschrei ) zu Karl vom Kothen, einem Wuppertaler Schallplattenhändler, der von sich behauptete, er habe "jede Platte". Natürlich mußte er passen. Machte kaum was, weil ich damals wie jeder zweite selbst mit alten Tonbandgeräten, zusammengeklebten Bändern und Endlosschleifen (heute hieße das Loops) experimentierte, mir wie Laurie Anderson eine Magnetbandgeige bastelte (einen bespielten Streifen Tonband auf eine Holzleiste geklebt, die man dann wie einen Geigenbogen an einem Tonkopf vorbeiführte), allerlei Gerät zu Schlagwerken umfunktionierte - was man halt so macht als junger Mensch, dem kein Experiment zu schwör erscheint.
(Dafür liebt man Berlin: Immer gleich die Gegenrede parat)
Throbbing Gristle war dann irgendwann Kunstkacke, fand ich da gerade doof, Gefiepe und Gesuhle in Atrocities, und der Humor, eines ihrer Alben "20 Jazz Funk Greats" zu nennen, kam bei mir nicht an. Wie so oft, war das Konzept, die Idee letztlich auch interessanter als die Musik. Aber da ahnte man ja noch nichts von den mediokren Epigonen, die in den 90ern mit ihrem modulierten Industrialkitsch die Lauschwege verstopfen sollten. Dr. Benway und ich zogen ihre Rezeptblöcke jedenfalls bald für andere Harmonien; Krach und Klanggeschredder rhythmisierten derweil Techno/Gabba (Chris Carter!) - und irgendwie ist Industrial auch für den heutigen Klingeltonwahn verantwortlich, da bin ich sicher.
(Mehr gewagte Thesen wagen!)
Seit ich selbst keine Musik mehr mache, interessieren mich Klangexperimente nur noch stark am Rande. Krach ist ja auch am schönsten, wenn man ihn selber macht und Küssen kann man besser zu säuselnden Melodien.
Leider wummerte mir Neujahr selbst noch zu sehr der Kopf, so daß ich auf das Konzert verzichtete (trotz: Nostalgie, seltener Moment usw.), immerhin aber noch die (allerdings kleine) Ausstellung im Berliner KW besuchte.
Education through Pain nämlich.
News from the Death Factory: Fotos, Plakate, Konzertfilme und Geräusche und einiges an seltenerem Fanmaterial werden da gezeigt. Unter anderem eine Auswahl von Kundenkarteikarten des bandeigenen Labels. Ein Detail, das wie schwarzer Marmor funkelt: Auf der Karte von Ian Curtis steht nüchtern der ultimative Verweis: "deceased".
(D.O.A.: Das neue Album "Part Two" von Throbbing Gristle erscheint am 20. März.
Ausstellung noch bis zum 29. Januar im KW - Institute for Contemporary Art, Auguststraße 69,
10117 Berlin)
Samstag, 17. Dezember 2005
Cut my heart out,
Eat me whole,
Taunt and bait me, invalidate me.
(Queen Adreena, "Cold Fish")
Oh, wie wir in den 80ern verliebt waren. Mit Haut und Haaren und Firlefanz. Vor allem aber mit den Ohren. Sie machten diese Platte, die war so außerweltlich, ein Sägen und Jaulen, wie eine oder zwei Stecknadeln, die man langsam unter die Fingernägel schiebt. Mit einem Wort: Großartig. Wie die kleine Schwester von The Jesus and Mary Chain auf psychedelischen Pilzen kam sie daher, Katie Jane Garside, von der es hieß, daß sie schon mal nackt durch die Wälder lief und Zwiesprache mit den Bäumen hielt.
Daisy Chainsaw hieß die Band und ihr Album Eleventeen ist heute ein Klassiker. Dann ging Katie Jane, wie gesagt, in die Wälder, es kam wohl kurzzeitig eine andere Sängerin, wenn ich mich recht entsinne, und dann gab es die Band gar nicht mehr.
Jahre später tauchten Katie Jane und Crispin Gray, ihr Gitarrist, wieder auf. Diesmal nannten sie sich Queen Adreena, was ja auf der Hand liegt, irgendwie, wenn man gerne nackt durch die Wälder läuft und dabei an halluzinogenen Pilzen kaut.
Jetzt sehen sie leider aus wie eine schreckliche Wiedergeburt von Transvision Vamp, die ihr, solltet ihr zum ersten Mal davon hören, bitte gleich wieder vergeßt. Aber damals, vor ein paar Jahren, hieß ihr Album Taxidermy. Und da muß man jetzt wirklich mal schauen und unter "Movies" sich ein wenig von dieser Welt gefangen nehmen lassen. "I Adore You" natürlich, aber auch die anderen vier Kurzfilme von Martina Hoogland-Ivanov, die so ein bißchen tschechischen Surrealismus mit einfließen läßt, wenn man eine ganz grobe Richtung anpeilen möchte. Mal so zum Wochenende, bevor ich gleich (ist ja Vollmond) in die Wälder ziehe und die langen Haare auf meinem Handrücken an schrundiger Borke reibe.
Donnerstag, 8. Dezember 2005
Das ist auch schon 25 Jahre her. Wie die Zeit... sich selbst dies aneignet.
Ich war ja immer mehr Beatles, nie Rolling Stones.
Vielleicht kommt das auch alles daher.
Sonntag, 13. November 2005
You should know by now.
Be careful what you put them through.
(Editors, "Munich")
In meinem extendierten Wohnzimmer spielten am Samstag die Editors, neuester britischer Düsterpop über no-nonsense Postpunk-Rhythmen. Die Jungs aus Birmingham haben angenehmerweise Joy Division und die Bunnymen zum Pausenbrot ihrer Elementary School gehabt und schwitzen das nun aus jeder zwanzigjährigen Pore.
Im vollgepackten Molotow (Ah, bring your own air!) war die Spannung allerdings nicht für jeden zu ertragen. Ein kleiner Trupp nervte durch wildes Gehampel ziemlich ab.
Ist eben doof, wenn man zu weit hinten steht. So ein Gehemmt-Aggressiver fand zwar nichts dabei, alle anzurempeln (Oh, Pogo, [m], der: Hüpftanz mit Anfassen), als es bei Munich ein wenig wilder wurde und ich zurückhüpfte, mochte der das aber gar nicht. Eher ansatzlos sprang mir zum zweiten Mal innerhalb zweier Wochen ein Typ fast an die Gurgel. Erst verstand ich nur was von "Mach Platz" (hardhearing), aber dieses "Isch mach dich platt!" war nun wirklich nicht nett.
Zum Glück habe ich aber nicht mehr die vorlaute Klappe wie vor 20 Jahren und mache keine Kußmünder oder rotze frech "You'll speak when you're spoken to" (Editors) zurück. Mittlerweile neige ich dünnes Hemd halt eher zu pastoralen Beschwichtigungs- und Demutsgesten. Ist besser so. Für mich. Auch wenn vollgepackte Rockschuppen den Vorteil haben, daß eigentlich immer irgendwelche Umstehenden alert genug sind, ihre Muskeln schon mal prophylaktisch vorzupumpen und notfalls Ausfällige zurückzuhalten.
Na ja, vielleicht hatte der Typ schlicht sein Lithium nicht genommen. Egal. Und, he, ich habe ihn nun wirklich ein wenig provoziert. Bißchen. So im Nachhinein betrachtet. Aber er hat angefangen. So. Wie es übrigens stressfrei geht, zeigte der Typ von der Roadcrew, der sich britisch höflich durch die Menge schob. Auch bezeichnend, wenn die Band netter ist als ihre "harten" Fans.
Damit zurück zu den Editors, die von Anfang an keine Gefangenen machten, mit überraschendem Druck und wirklich hervorragenden Sound (Ich sag ja, dieser Typ von der Crew hatte es drauf) die Hamburger zum Rocken brachten. Gitarrengeschredder von einem wobbligen Rickenbacker-Bass unterlegt, dazu ein kraftstrotzender Tom Smith - da waren gleich alle Hände in der Luft und Haare elektrisiert. Mir fiel auch gleich auf, warum ich Interpol nicht ausstehen kann. Wenn Rocker mit Flecken auf der Hose die Bühne betreten, dann bitte, weil da grad noch Leben war. Und nicht, weil man backstage prätentiöses Selbstbefummel treibt. Diese aalglatten Interpolen tragen zwar schicke Anzüge, haben darin aber keinen Platz mehr, ihren Erfolg würdevoll zu verdauen. Muß auch mal gesagt werden, auch wenn das jetzt dem ein oder anderen weh tut. Außerdem überlegt man bei deren Konzerten, ob man nicht besser die Isomatte ausrollen und ein wenig meditieren sollte. Mitsummen, vielleicht.
Die Editors machen dafür so richtig Tempo, wie das halt schon mal so war mit den Fehlfarben und den Gang of Four und Wire und diesen jungen Menschen von vor 25 Jahren. When I was young und hatte dunkles Haar. Und wir hüpften alle und schlugen uns nicht aufs Maul. Und wenn, dann nur zum Spaß.
Tolle Sache.
Wenn man dann nach dem Konzert von der Reeperbahn aus runter zum Hafen spaziert, in betörender Begleitung am besten, kann man ein wenig verschwitzt und mit pochendem Herzen die Queen Mary 2 anschauen. Die liegt da, bunt illuminiert, in den Docks, wird bedengelt und beklopft und läßt sich das in majestätischer Ruhe gefallen.
With one hand you calm me
With one hand I'm still.
Freitag, 4. November 2005
I'll stand by your side like I always do
In the dead of night it'll be alright
Because I'll be there for you when you want me to
(New Order, "60 MPH")
New Order 511. Zurück auf den Füßen, aufrecht, wenn möglich. Steven Morris, der übrigens am selben Tag wie ich Geburtstag hat, was ich viel zu selten betone, klopft mit der etwas angestrengten und schweratmigen Präzision eines alten angerosteten Weckers den Takt, Sumner springt ab und an wie ein Gummiball um den coolen alten Mann herum, der wie der Pirat Hook seinen Säbel, den Bass unten in den Kniekehlen hängen hat.
Die DVD "Finsbury Park" mit dem Konzert von Juni 2002 kommt mit einer tollen Setlist daher: "Transmission", "Ceremony", "She's Lost Control" und "Atmosphere" greifen weit in eine Zeit zurück, als Beton noch grau war und leider nicht brannte und das fahlgelbe Neonlicht in vollgepißten Fußgängerunterführungen alles war, was uns jemals scheinen wollte.
Dagegen wummern die Hits wie "Blue Monday", "True Faith", "Bizarre Love Triangle" und das einzige Stück, was man jemals gehört haben muß - "Temptation" - sowie Schmeichler wie unter anderem "Crystal" vom damals aktuellen Album. Und: "You've got to pull yourself together, man" - die Zeile singe ich doch jeden Morgen, kurz nach dem Aufwachen. Überhaupt, die damals neuen Stücke, wuchten sich über den Bühnenrand, über die Rampe quer durchs Publikum ins heimische Zimmer, das man kurz noch einmal 17 wird. Und wenn Sumner zum Uber-Hit "LWTUA" die Rickenbacker spielt, ist alles verziehen.
Die Magie kommt niemals wieder. Wenn Musik nicht nur Erinnerung ist, sondern der Soundtrack zu einem Leben, das die ganze Zeit immerzu "JETZT" schreit. Wenn der Klang genau 1-zu-1 ins eigene Erleben fällt. Jetzt, 25 Jahre und tausend Gründe und Erklärungen und Entschuldigungen später... everyday my confusion grows.
All die Worte, die ich sagte. All die Versprechen, die ich brach.
All die Augen, die ich sah. Blau, grün, grau. All die Orte, die ich verließ und - mehr noch - die Orte, die ich zu spät verließ.
We will never meet again.
Mittwoch, 12. Oktober 2005
Could you do it while you looked in my eye[...]
It's been winter for a whole year
But you couldn't hurt me if you tried.
(New Order, "Primitive Notion")
"Whenever feeling blue - get a new tattoo". Dann war mir so, ich muß mir jetzt eine Rasierklinge kaufen. Oder alle New Order-DVDs. Denn heute lag ein neuer Ton in der Abendluft. Eine schwerere Note. Der Herbst, der bislang sich als Spätsommer tarnte, ist vorüber. Nun kommt der Herbst, wie ihn die Vögel fürchten, die den Flug nach Süden versäumt haben. Bald schon werden die Kinder ihre Kapuzen fester zurren und nur noch modrige Kastanien im halbzersetzten Laub finden.
Am Ende wurde es die DVD der Dresden Dolls. Denn mir fiel ein, daß sich leichte Anflüge von Schwermut am besten mit guter Musik, fiesem Alkohol und dem Versprechen halbverrutschter Ringelstrümpfe behandeln läßt. Auf der DVD gibt es einen Liveaufritt der Dresden Dolls vom Juli dieses Jahres und die Hits "Girl Anachronism" sowie "Coin Operated Boy" als Mitschnitte vom Roskilde Festival und in den jeweiligen Promo-Videoversionen. Gespannt bin ich auf die Liveversion des Bowie-Songs "Life On Mars". Und überhaupt.
Ich hänge jetzt ein paar Spinnweben auf und drehe die Musik lauter, bis ich das Raunen und Tuscheln nicht mehr hören kann. Wenn ihr einen Schuß hört und euch morgen auf dem Mond wiederfindet, wißt ihr Bescheid.