Dienstag, 7. Februar 2006


Bonn Berlin halbmast

Der Dom ist weiträumig abgesperrt, und auch der flehentliche Appell "Ich bin Blogger, bitte lassen Sie mich durch" bringt kein Erweichen in die grimmigen Gesichter hinter dem rotweißen Gitter. Dabei sind noch Plätze frei, wie der Blick ins Fernsehen beweist. (Interessant, wenn man zwischen Erstem und Zweiten hin- und herschaltet. Beide senden live, aber um fünf Sekunden zeitversetzt. Man möchte darüber denken, was Unmittelbarkeit wohl heißt.)

Die Rede vom Weggefährten rückt gerade, was manche nur bespötteln. Meist die, für die alles nur noch Pose ist. Der andere Weggefährte, selbst gezeichnet, döst. Kein Grund, wie ich meine, solche Bilder auszuschlachten.

Am Ende ein interessantes Bild: im Hintergrund die bronzene Haut vom Palast. Heute ruhen die Abrißarbeiten. Davor, die Stufen der Treppe hinab, langsam der Sarg, darauf die Fahne. Da gehen sie, die letzten Vertreter der alten Republik.


 


Donnerstag, 2. Februar 2006


Genotypischer Blogbeitrag

Micker, macker, mecker.
Jimmer, jummer, jammer.
Nimmer jammer immer.
Mecker schlimmer nimmer.

Link, Link, Link.

Streckl, strackl, strickl.
Fell, Fell, Fell!
Jembo, Jimbo, Jambo.
Spin, Span, Spon!

Link, Link, Link.

Warum ruft er/sie/es nicht an?
Mecker, jammer, ritzl.


 


Samstag, 28. Januar 2006










Den ganzen Tag Tapeten ausgesucht für die neue Speisekarte. Dann alle Musterbücher wieder zugeklappt. Changieren ist bei Stoffen ok. Bei Cafés ist es so wie im Hawelka. Man ändert einfach nichts und läßt Gäste, Rauch und Patina sich selbst ein Bild formen.


 


Freitag, 27. Januar 2006


Goodbye Johnny

Als Schüler war er mein Bildungsminister, später mein "Landesvater". Noch später hielt ich mal seinen medizinischen Befund in den Händen. Im selben Stadtteil wie ich geboren, war er immer auch ein Mann "aus der Gegend", den man ab und an auf dem Weihnachtsmarkt traf. Jovial, privat und eigen zugleich.

Das bekam er zu spüren, als er bundesweit nicht gut ankam. Spöttisch wurde er als skatspielender, bibelfester "Bruder Johannes" abgetan, der "Versöhnen statt Spalten" predigte, wo viele lieber eine verbale Faust auf dem Tisch gesehen hätten. Dabei hat er in NRW eine Menge Scheite gespalten: Daß er Beuys aus der Düsseldorfer Akademie feuerte, ist dabei noch die amüsanteste Anekdote.

Man ahnte es schon lange, und heute war es dann so weit. Ich stelle fest, für mich: Da tritt nun nach und nach eine Generation ab, die mich lange Jahre meines Lebens begleitet hat. Zum Wohle oder nicht, wer will das wissen. Man sieht die Lücken und merkt die Zeit, auf die man selber schon zurückblicken kann.

Eine andere Zeit, vielleicht auch eine andere Welt. Ganz altmodisch also und zum Schluß: Gott zum Gruße, Herr Rau.


 


Montag, 23. Januar 2006


Schauen. Von weitem

Später, nach anderen Wegen, die alten Wege. Spuren finden: Etwas Vergessenes, etwas Verlorenes. Mal in anderen Schuhen gehen, wenn man diese alten nicht mehr braucht.

Die kurzen Worte, die wieder dahin führen. Das falsch bleibt, was falsch war und man wieder nur das Falsche tut. Am Strand ein Zettel, voller Hoffnung:
Ich brauche keine Schuhe mehr. Irgendwo ist einer, der mich trägt.

Gehen, gehen lassen. Und überall nur freiwillig bleiben.


 


Freitag, 20. Januar 2006


Radio - Live Transmission

Well I could call out when the going gets tough.
The things that we’ve learnt are no longer enough.
No language, just sound, that’s all we need know,
To synchronise love to the beat of the show.
And we could dance.

(Joy Division, "Transmission")

Heimwerkblogger wären entzückt: Im hermetischen Café waren Basteltage angesagt. Mein einst günstig erworbener alter Radiowecker von Toshiba, sozusagen meine graue Verbeugung vor dem Pantone- Design, hatte durch Alter und mehrere Umzüge schlapp gemacht.

Nun waren einer meiner Vorsätze für das neue Jahr, endlich wieder zeitiger in der Gartenzwergfabrik zu erscheinen, um nicht länger den Spott der Kollegen ertragen zu müssen, die immer wieder einmal mit kaum verstellter Häme fragen, ob ich nun halbtags arbeiten würde.

Da der kleine Motor des Klick-Klack-Uhrwerks sich nicht mehr zum Leben erwecken ließ, besorgte mir Väterchen Kid aus dem schier unendlichen Fundus eines alten Radiosammlers ein komplettes Uhrwerk mit passenden Digitalklappziffern als Ersatz. Den ein derart gesuchtes Stück gibt man nicht so einfach auf. Und seit meinen ersten Operationen, habe ich viel dazugelernt.

Heute nun war der große Tag. Mit ordentlichem Werkzeug, Aortaklemmen, Zange, Lötkolben und Nervenstärke bestückt machte ich mich gleich Christian Barnaard vor seiner ersten Herztransplantation ans frohe Werk. Der Korpus wurde mit mutigen und kräftigen Handgriffen geöffnet. Schon lag das fragile Innenleben vor mir: das ehemals pochende Herz Uhrwerk tot und still, die Lebensadern schlaff herabhängendend. Mit der Zange löste ich sie nach und nach, bis ich zum Schluß die Aterien das Hauptkabel trennte. Die heikle Frage Roter Draht? Grüner Draht? war schnell gelöst: Natürlich der gelbe, das lernt man schließlich in Actionthrillern.

Das Ersatzherz lag steril verpackt parat, bereit zur Transplantation. Exakt passte es in den hohlen Brustkorb meines Radios. Schnell verlötete ich die Drähte (ich hatte die Reste extra stehenlassen, um die unterschiedlichen Farben später zuordnen zu können) mit heißem Schmelz und kühnem Mut, später wurde alles ordentlich isoliert. Denn Sicherheit ist Bastlerpflicht.

Alles brummt, alles summt. Dr. Frankenkid hat gute Arbeit geleistet. Dieser Wecker säuselt mich nun mit den letzten Kulturnachrichten auf DLF in den Schlaf - und weckt morgens Tote.


 


Freitag, 13. Januar 2006


Ankomme Freitag, den 13., dein Vollmond

Und sie schlugen meine Blutangst tot,
Wie Himmelsbrand blühte das Morgenrot,
Und mein Blaß schneite von ihren Wangen.

(Else Lasker-Schüler,
"Es war eine Ebbe in meinem Blut". 1902.)

Der Vollmond macht mich schon jetzt rappelig. Heute den ganzen Tag mein Zimmer umgeräumt (das eine), weil ich dachte, ich müßte mal mein Zimmer umräumen. Klein- und Mittelmöbel von hier nach da und dort nach links verschoben, Teppiche gerückt, Staubnester entdeckt und mit Namen versehen ("Meer der einsamen Erdnuß", "Land des verlorenen Weinkorkens"), Kabel ("Strippen") gezogen, mit dem Kopf gewackelt (bedächtig), zurücksortiert, Krise bekommen (More Belastbarkeit, Baby!), gleich darauf Mut zum Neuen, Heftchen gefunden, erstmal langgelegt (Chaiselongue), geblättert & festgelesen.

Zwischendurch Wein geholt (Bordeaux, 75 Cent mehr ab diesem Jahr, neuer Luxus!), an dieses gedacht und an jenes auch, Geduld geübt. Zu einem Lied mitgesungen, (It was really nothing), ein Bild umgehängt, ein anderes endlich geradegerückt. Unruhe, alle Fenster aufgerissen, Heizungsluft gegen feuchte Kühle getauscht. Never, never, never stop. Festgestellt, die TÜV-Plakette vom Deckenhaken ist abgelaufen. Kurze Panik bekommen, dann Hoffnung. Brauche ich nicht mehr. Erstmal.

Ein Tag, um über Vorhersagen nachzudenken. Zum Beispiel beim Möbelrücken (Metapher, Metapher!) oder Haareschneiden. Selbsterfüllende Prophezeiungen niederschreiben, kleine Zettel unter die Fußmatte schieben. Schlüssel bei der Nachbarin abgeben (alle Fälle, alle Fälle!), ein Kleinmöbel zurückstellen, beschließen, schlaflos zu bleiben (Herr Kid, wieso sind Sie eigentlich nicht mehr somnambul?) und Untersuchungen in nächster Nähe anzustellen. Mit gerade einmal 37einhalb ein Bauchansatz, ich muß kämpfen. Immer kämpfen.


 


Donnerstag, 12. Januar 2006


Eine Stadt hing dunkel...

Daily except for Sunday
You dawdle into the café
Where you meet her each day.

(The Sparks, "This Town Ain't Big Enough For The Both Of Us")

Die Kopierkatzen schleichen auch durch die fremde Stadt und legen sich an vorgewärmte Plätze. Stadt und Netz und Welt sind eben doch nicht groß genug. Von all den Dingen, all den Plätzen, die man wählt, all der Vielfalt, die man formt und pflückt - warum die greifen, die den Stempel schon tragen?

Hase, Igel und ein Fuchs. Diese Rechnung kann nicht aufgehen. Ein Vogel weht ein Lied mir zu, man nimmt es dann so wahr, wie den Gesang der Amsel. Und stutzt, in plötzlicher Erkenntnis: Das Vieh kann meinen Klingelton!

So mancher lädt dann gleich sein Salzgewehr, der nächste zuckt die Schultern. Ich hab' zum Glück für sowas keine Zeit. Aneignung. Abneigung.

And if you go into the woods today, you'll find that I am not there.

[Kryptozoologische Feldforschung zum Flaggenwechsel 2006]


 


Freitag, 30. Dezember 2005


Dada Beast Blender 2006

Ein Dadaist ist ein Mensch, der das Leben in allen seinen unübersehbaren Gestalten liebt und der weiß und sagt: Nicht allein hier, sondern auch da, da, da ist das Leben! Also beherrscht auch der wahrhafte Dadaist das ganze Register der menschlichen Lebensäußerungen, angefangen von der grotesken Selbstpersiflage bis zum heiligsten Wort des Gottesdienstes auf der reif gewordenen, allen Menschen gehörenden Kugel Erde. (Johannes Baader, 1918)



Schümpf nicht auf die Fünf, denn nun kommt Sechs. Mögen andere gerne wild feiern, ich mache dieses Jahr Dada-Silvester, mit Nackttanz, Erbsenbowle und einer kleinen, nur zwanzigminütigen Rede, die mir aber bereits verboten wurde.

Aber innen, drin! Dat Häätz! Wie dat pocht! Um Mitternacht bitte den oder die Richtige küssen oder dem Tuten der Schiffe lauschen. Ich stehle mich davon, stapfe trunken durch den Schnee ("das Herz so weh, das Herz so weh") und rufe "Vive Dada!" (das bin dann ich, bitte nichts nachwerfen oder vor) So der Plan.

Macht Krach und vergeßt die rote Unterwäsche nicht! (Ausreden gilden nicht, es gibt schließlich "eine große Auswahl an Dada Artikeln bei uns im Online Shop" und "schick muß nicht teuer sein".)

(Die neuen Tage vertreibt man sich bitteschön beim Wolpertingern mit dem kleinen Tote-Tiere-Baukasten Beast Blender, einer hübschen Idee via Rouge Taxidermy. Die Ergebnisse möchte ich bitte sehen!)

Hier herrscht ein paar Tage Ruhe.


 


Freitag, 30. Dezember 2005


Der Schnitter

Who's on the seventh floor
Brewing alternatives
What's in the bottom drawer
Waiting for things to give
Spare us the cutter

(Echo and the Bunnymen, "The Cutter")


An den Weihnachtstagen besucht man die Familie, das gehört sich so. Der Zug spuckt mich pünktlich aus am Hauptbahnhof, und mit dem Bus geht es weiter durch die Stadt. Die Haltestellen heißen Neuenteich oder Klingelholl, die Busse enden in Sonnenblume, Stahlsberg oder Konradswüste. Die Kneipen am Weg tragen Namen wie "Bierstube Wildkirsche", manchmal auch leutselig "Kiek ens rin". Überall signalisieren Schilder den Niedergang: Stehimbisse, Internet-Cafés und 1-Euro-Läden haben die alten Geschäfte verdrängt. Fisch Hosse bittet um frühzeitige Bestellung vor den Feiertagen. Man möchte Ärger und Enttäuschungen vermeiden, von denen es an Weihnachten so viele gibt.

Am Markt gibt es noch das Zoofachgeschäft. In der oberen Etage hatte lange Jahre eine Frau gelebt, die auch im Tierladen arbeitete. An Heilig Abend vor ein paar Jahren gerieten sie und ihr möglicherweise mißratener Sohn in Streit, und er erschlug sie. Mehrere Tage lebte der Sohn in der Wohnung mit der Leiche, ehe er sie mit scharfen Werkzeug in der Badewanne zerstückelte. Die Teile steckte er in Einkaufstüten und fuhr dann mit dem Bus in verschiedene Randgebiete der Stadt, wo er die Überreste versteckte. Sonnenblume, Stahlsberg, Konradswüste. Spaziergänger und spielende Kinder fanden einzelne Tüten, weit vor Ostern noch, und man kam dem blutigen Weihnachtsdrama auf die Spur. Der Skandal erschütterte damals die halbe Stadt. Ist aber schon lange her.

Ich gehe ein paar graue Straßen, dunkel ist es geworden. Aber ich kenne meinen Weg. Bei meiner Mutter brennt Licht, man sieht es von weitem. Ein Adventskranz hängt, dem frohen Fest zum Gruße, an der Tür.
Ich, ich geh' dann jetzt mal hoch.