Donnerstag, 25. Juni 2009


Hermeneutische Kanoniker

+++ So. Jetzt Klagenfurt.

"Expressionismus". Aha. Nachlässig rasiert, würde ich sagen. Wer ist diese Frau, die gerade von ihrem Job als Fahrradkurierin kommt? Schwarzes T-Shirt, schwarze Joppe, ich muß das gleich mal nachlesen. Ein bißchen dies ("Materialismus"), ein bißchen das ("Kafka-Vokabular"). Dann Burkhard Spinnen: "Etüde". Vernichtung. U-hu. Engel der Vernichtung. Jetzt muß ich erst einmal arbeiten. +++


 


Donnerstag, 18. Juni 2009


Wer hat Angst vor...



Wer noch kurzentschlossen heute abend einen Fernseher besorgen oder sich bei den Nachbarn einladen kann, möchte vielleicht - wenn bei denen sowieso schon ab 21.00 Uhr der Boris-Vian-Abend läuft - um 23.30 Uhr die Doku Who's Afraid of Kathy Acker? sehen, die unser aller Lieblingssender Arte ausstrahlt. Zeitgenossen wie Richard Hell, Kathleen "Bikini Kill" Hanna, die Künstlerin Carolee Schneemann, Liebhaber und andere Wegbegleiter erinnern sich an die Autorin, die seit den späten 70ern beim Schreiben radikale Wege ging - und 1997 im Alter von 50 Jahren verstarb. Schnell, intensiv, frei von zaudernden Kompromissen, in Deutschland teilweise auf dem Index, weltweit gefeiert, zum Teil auch gehasst - sie könnte heute Bloggerin sein. Spannende 80 Minuten, könnt ihr mir glauben.

>>> Info bei Arte


 


Freitag, 5. Juni 2009


Wie ich einmal fast in einem Sexshop einschlief



Etwas derangiert von einer turbulenten Herstellungswoche im Unterhaltungs- und Dekorationsgewerbe schnitt ich gestern nach der Arbeit durch die schafskalten Regenvorhänge schnell nach St. Pauli. In der Boutique Bizarre, dem wohl hübschesten und umfassend ausgestatteten Sex-Shop vor Ort, war wieder Kulturprogramm. Man ist ja dort sehr rührig, zeigt im Untergeschoß regelmäßig Kunst und veranstaltet auch Seminare zu fesselnden und einschlägigen Themen. Diesmal war es angenehm bestuhlt, und so sank ich hin, zwischen Nylons und Gummiwäsche, ein wenig erschöpft vom Produktionsalltag, noch fröstelnd vom eisigen Wind über der Reeperbahn, feucht vom Regen und nun dankbar über die warmen Kellerräume und das sanft gedimmte Licht. Zwei, drei atemkontrollierte Züge, schon sank ich - wie es Männer sonst nur in der Oper tun - in meinen Sitz, während auf einer flimmernden Monitorwand Dita etwas mit ihren Beinen vollführte, das Kinn fiel schwer mir auf die Brust, die Augen, wirklich, ich schloß sie nur für eine Sekunde! Vielleicht waren es auch ein paar mehr, eine Stimme schreckte mich hoch, Cornelia Jönsson war mittlerweile nach vorne gekommen und las aus ihrem SM-Roman Spieler wie wir. Umstandslos begann es mit einer Szene, in der ein Harness und zwei Dildos eine wichtige Rolle spielten, und ich dachte, da kann man sich für Bloggerlesungen ein Beispiel nehmen. Also was die Texte betrifft: Nicht langsam vortasten, gleich auf die Zwölf und bloß nicht einschlafen.

Ich war jetzt wach, die Autorin trug ein paar verhalten explizite Stellen vor, ich muß aber sagen, das Performative fand ich am Ende interessanter als den Text. In dem war leider auch viel von Vögeln die Rede, ein Begriff, den ich nur für die Tierart gelten lasse und ansonsten ein wenig albern finde. Als Lesebühne hat der Ort zudem etwas mit einer herausfordernden Akustik zu kämpfen. Es gibt leider keine Tonanlage, und die Kunden im Obergeschoß sorgen für Unruhe. Sagen wir es so: Man schläft halt nicht ein.


 


Donnerstag, 30. April 2009


Sechs Wörter sind eine Welt

Hemingway machte es einst vor. Eine Kurzgeschichte, die nur aus sechs Wörtern besteht. Das Blogprojekt Six Word Stories greift die Idee auf und sammelt die Kürzestgeschichten bekannter Autoren, Leser und Internetbefüllern.

Wenn man die gelungeren Beiträge liest, die lustigen, traurigen, subversiven, wird einem auch wieder die schreckliche Redundanz bewußt, mit der man selbst tagein, tagaus usw.


 


Donnerstag, 23. April 2009


Buchspazieren



Es war wohl der Wetterwechsel, empfindlich wie ein alter Kriegsveteran mit silberner Schädeldecke witterte ich den Regen in der Luft. Nichts persönliches also. Lieber daheim arbeiten, die ganz scharfen Messer hervorkramen, einen Linolschnitt anfangen und wieder einmal bedauernd feststellen, daß ich nicht übermäßig naturbegabt für solch eine simple Sekundarstufe-I-Sache bin. Da hilft nur Üben und Unverdrossenheit, bevor man sich an die Muster auf dem Unterarm wagt.

Wie mit dem sehr scharfen Messer geschnitten, spazieren auch diese Gestalten hier aus den Büchern heraus. Mein Gott, wenn die traurigen Figuren meiner noch traurigeren Bücher hier Kreise über dem flauschflorigen Teppich ziehen würden. Mit keuchendem Atem womöglich und einem nicht-mitanzusehenden Mangel an Körperspannung.


This Is Where We Live.

Wenn man einen großen Bogen schlagen möchte, den Glauben nicht verloren hat und jedem neuen Tag seine Chance geben möchte, paßt dazu dieses Video, das ein Lied der großartigen Nina Simone in Typographie verwandelt.


 


Mittwoch, 11. Februar 2009


Der gefundene Satz, #48

Mein Tipp: Wenn Du etwas im Leben werden willst, solltest Du Deinen Kleidungsstil schnell ändern oder Du wirst immer eine Außenseiterin bleiben. Dies nur als gut gemeinter Rat einer jungen erfolgreichen und modebewussten Jurastudentin (gebe Dir gerne Styling-Tipps). Bedenklich finde ich auch, dass Du und andere hier Punkerin oder "Emmoerin" nicht nur optisch, sondern auch von der Einstellung sein wollen. Ich wusste da nicht viel drüber, aber meine Großcousine hat mir aus ihrer Jugend nur üble Dinge berichtet: linke Randale, Pöbeleien und Menschen, die sich schick gekleidet haben und erfolgreich waren - sogenannte "Popper" wurden damals von Punkern sogar verprügelt. Ich bin ehrlich gesagt froh, dass es das nicht mehr gibt und wir wieder mehr Ordnung haben.

Antoinette


 


Mittwoch, 21. Januar 2009


Der gefundene Satz, #47

"Aber ich weiß auch, daß es lächerlich ist, eine verzweifelte Existenz zu führen, auch nur die Feststellung zu machen, man führe eine verzweifelte Existenz, ist lächerlich, wie ja der Gebrauch des Wortes "Verzweiflung" an sich schon lächerlich ist.... und wie, wenn man es überlegt, alle Wörter, die man gebraucht, auf einmal lächerlich werden..."

(Thomas Bernhard, "Jauregg")


 


Dienstag, 2. Dezember 2008


Upset



Ach, Hamburg, du wirst arm und immer kälter. Jetzt, Taschentücher raus, macht auch noch einer meiner Lieblingskunstbuchhändler Ernst und Ende: Von der Höh schließt die Pforten, sollte sich kein Nachfolger finden.

Bis dahin heißt es Räumungsverkauf, Rabattgetriebene können noch das ein oder andere Schnäppchen machen. (Ich war allerdings gestern schon da). The Upset zum Beispiel, eine großartige Übersicht über die wichtigsten und bekanntesten Lowbrow-Künstler. Mit Heiko Müller und Moki sind auch zwei hier oft erwähnte Künstler dabei, daneben noch Stars wie John John Jesse, John Coleman, Mark Ryden, die wunderbare Liz McGrath, etliche weitere auch aus dem Strychnin-Umfeld wie Danielle de Picciotto und David Stoupakis, aber auch Daniel Richter und Ray Caesar. Kurz: etwas für jeden Gabentisch.

Ebenfalls nützlich: die erste Monographie von Vania Zouravliov. Vania ist eine Sammlung erotisch-morbider (oder morbid-erotischer für die Feinsinnigen unter uns) Zeichnungen.

Damit ist auch klar, warum hier so wenig steht in letzter Zeit.


 


Dienstag, 21. Oktober 2008


Der gefundene Satz, #46

Das Leben junger Leute, vom Verlust an Orientierungen schon genug geplagt, wird korrumpiert vom falschen Denken der Konsumgesellschaft. Strunk zeigt, wie viel Unheil die auf gute Laune gedrillte und von ihm dafür in Grund und Boden verachtete Kreativszene anrichtet, indem sie den Leidensgrund des Daseins übersieht.

(Edo Reents in der FAZ, 15.10.2008)


 


Sonntag, 19. Oktober 2008


Die Korrekturen



Seit einiger Zeit mein engerer Begleiter. Das Korrekturlesen wissenschaftlicher Arbeiten macht müde. Okularneurologisch. Aber man lernt ungeheuer dazu. Geduldiges Diskutieren. Die Absurditäten der sogenannten so genannten neuen Rechtschreibung. Den Umgang mit dem Unglauben. Man möchte täglich zum Herrgott beten in Mannheim anrufen!



Das Pathologische des Ausfluchtwesens. Die Symptome sind wirklich, sagt das Diagnosehandbuch, deutlich zu erkennen. Wenn man will und die Augen nicht verschließt. Oder die Ohren. Die Bands heißen "Binnenmajuskel" oder "Die Zystoskopen". Die Musik ist Bastian sick.